Asylbewerber

Landtag Nordrhein-Westfalen - 16 - APr 15/42

3. Sitzung (öffentlich) me

Um das mit einem Bild zu unterlegen: Mit dem neuen Verteilungsmodell behandeln Sie einzelne Städte so, als ob sie im Jahre 2004 überhaupt keine Wohngeldempfänger gehabt hätten. In Wuppertal und in Düsseldorf gab es nach Ihrem Modell im Jahr 2004 keine Wohngeldempfänger. Es würde sie auch künftig nicht geben, wenn wir nicht zusammengelegt hätten. Ich halte den Verteilungsschlüssel für falsch. Wenn Sie ihm folgen, dann stützen Sie sich aber auch vollständig auf die amtliche Finanzstatistik, sonst machen Sie sich verfassungsrechtlich angreifbar.

Zum Thema „Rückforderungen" habe ich bereits alles ausgeführt.

Prof. Dr. Volker Wahrendorf (Vorsitzender Richter am Landessozialgericht NRW a. D.): Ich hatte beruflich mit den Problemen des SGB II, SGB XII und des Asylbewerberleistungsgesetzes zu tun und beschäftige mich wissenschaftlich mit Fragen des Verfahrensrechtes und Problemen des SGB II.

Bei Thema „unechte Rückwirkung" haben Sie indirekt auf meine Stellungnahme hingewiesen. Bei diesem Komplex müssen wir zwischen zwei Fragen unterscheiden. Es geht einmal um die Erstattung. Dieser Punkt muss ­ jedenfalls aus verfassungsrechtlicher Sicht ­ von der Frage getrennt werden: Welchen Verteilungsschlüssel lege ich zugrunde? Dabei muss man auch den Überlegungen des Landesverfassungsgerichtes folgen, das dem Gesetzgeber einen ganz klaren Auftrag erteilt hat, was die Rückforderung angeht. Dieser Auftrag ist verschiedenartig zu erfüllen. Sie können ihn erfüllen, indem Sie es wie eine Privatperson herunterbrechen und die Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X anwenden. Das sind die Verfahrensvorschriften ­ speziell § 45 ­, mit denen man normalerweise rechtswidrig erlangte Leistungen zurückabwickelt. Da wie insgesamt bei der verfassungsrechtlichen Frage spielt der Vertrauensgrundsatz sicherlich eine Rolle.

Der Gesetzgeber ist dem Auftrag des Landesverfassungsgerichtshofes nachgekommen und hat etwas gewählt. Er sagt: Es muss eine Erstattung erfolgen. Damit haben Sie einen weiten Gestaltungsspielraum. Sie können natürlich auf § 44 oder § 45 SGB X zurückgehen, es ist verfassungsrechtlich aber auch anders möglich ­ wie es hier gemacht worden ist ­: indem Sie eine originäre Erstattungsregelung in das Gesetz aufnehmen.

Auch was die Frage des Verteilungsmaßstabes angeht, hat der Landesverfassungsgerichtshof keine konkreten Vorgaben gemacht. Das liegt nun einmal leider im Wesen der Richter, die gerne entscheiden, auch andeuten, in welche Richtung es geht, aber konkret wenig dazu sagen, wie es in der Praxis aussehen soll. Wenn Sie diesen Verteilungsmaßstab nehmen ­ Sie haben es ja selbst angedeutet ­, gibt es mehrere Möglichkeiten. Hier hat sich der Landesgesetzgeber für die Jahresrechnungsstatistik entschieden.

Wie ist das zu bewerten? Aus meiner Sicht handelt es sich um eine plausible Grundlage, auf der man aufbauen kann. Es ist auch nur eine Plausibilitätsprüfung und keine Prüfung, die in die einzelnen Fälle hineingeht. Ich halte das für verfassungsrechtlich ­ politisch will ich das gar nicht bewerten, dazu sind Sie eher berufen ­ vertretbar und haltbar.

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3. Sitzung (öffentlich) me Reiner Limbach (Landkreistag NRW): Wir haben in unserer Stellungnahme ausgeführt, dass die Jahresrechnungsstatistik als Berechnungsgrundlage der richtige Weg ist. Wir halten den Gesetzentwurf für einen verfassungskonformen Weg, denken aber gleichwohl, dass es im Sinne einer höheren Verteilungsgerechtigkeit ­ genauso verstehen wir das Urteil des Verfassungsgerichtshofes ­ Ziel sein muss, im Rahmen des Machbaren, des legislativ Regelbaren eine maximale Verteilungsgerechtigkeit herzustellen.

Insofern haben wir uns in unserer Stellungnahme dafür ausgesprochen, auf Grundlage der Systematik des Gesetzentwurfes bei den relevanten Positionen der Hilfe zur Pflege dann auch die Einnahmen der Gruppierungen 24 und 25 der besagten Jahresrechnungsstatistik zu berücksichtigen. Das hat für die Bestimmung des Umfangs der Be- und Entlastung gravierende Auswirkungen, führt aber zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, infolgedessen auch zu einer höheren Akzeptanz, und zwar unabhängig davon, ob die jeweiligen Kommunen zur Gruppe der Rückzahlungsverpflichteten oder zur Gruppe der Rückzahlungsempfänger gehören.

Da wir hier ohnehin darüber reden, welchen Modalitäten die Verteilung eines vorgegebenen Budgets unterworfen ist, wird sich das Gewinner-Verlierer-Problem nicht gänzlich ausblenden lassen. Wir können aber den Weg mit einer höchstmöglichen Akzeptanz beschreiten.

Hubert Kleff (CDU): Ich möchte noch einmal zu den Rückforderungen kommen. Die kommunalen Spitzenverbände haben dazu eine ganz klare Aussage gemacht, die sich nicht mit den Ausführungen von Herrn Prof. Wahrendorf verträgt. Wie beurteilen die anderen Sachverständigen dies rechtlich? Es handelt sich um ein komplexes und schwieriges Thema. Wenn seitens der Kommunen richtige Angaben zum Erstattungs- oder Entlastungsbetrag gemacht worden sind, spielt dann nicht der Vertrauensschutz eine große Rolle? Sie haben ganz eindeutig gesagt, dass die Rückerstattungsregelungen des vorgeschlagenen neuen § 7a über das Urteil des Verfassungsgerichts hinaus rechtlich nicht haltbar und politisch inopportun sind. Wird das von den anderen Anwesenden ebenfalls so gesehen? Von allen nicht, das haben wir gerade gehört.

Reiner Limbach (Landkreistag NRW): Ich kann das bestätigen. Entgegen den Ausführungen von Herrn Prof. Wahrendorf sind wir der Ansicht, dass die Rückerstattungen rechtlich bedenklich sind. Die ganze Terminologie „echte Rückwirkung", „unechte Rückwirkung" bezieht sich auf den legislativen Prozess. Wir haben aber hier ­ auch wenn es darum geht, in einer Streckung über acht Jahre sukzessive Beträge zurückzuführen ­ die Grundlage, dass zunächst eine Rücknahme erfolgen muss. Der Einstieg in das zeitlich gestreckte Verfahren ist zwingend ­ da bewegen wir uns im normalen Verwaltungsverfahrensrecht ­ die Rücknahme.

Gerade weil Sie die Kommunen an der Stelle nicht anders behandeln wollen als jeden Empfänger von Sozialleistungen, gelten infolgedessen auch die Regelungen, wie sie § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz, analog das SGB X, vorsieht. In dessen Abs. 2 bis 4 sind Vertrauensschutztatbestände beschrieben, auf die sich die KomLandtag Nordrhein-Westfalen - 18 - APr 15/42

3. Sitzung (öffentlich) me munen, die von einer Rückforderung betroffen sein werden, zu Recht berufen können.

Verena Göppert (Städtetag NRW): Ein zusätzliches Argument, den Vertrauensschutz zu berücksichtigen, ist auch die Tatsache, dass die kommunale Datenerhebung, die jetzt in der Form laut Verfassungsgerichtshof für Nordrhein-Westfalen nicht mehr zur Grundlage genommen werden darf, auf Bundesebene Grundlage für die Bundesbeteiligung war. Wieso soll eine Kommune auf die Idee kommen, dass auf Landesebene verkehrt sein könnte, was sie vonseiten des Bundes bekommen hat?

Diesen Vertrauensschutz muss man den Kommunen schon zugestehen.

Prof. Dr. Volker Wahrendorf (Vorsitzender Richter am Landessozialgericht NRW a. D.): Wir müssen ganz deutlich unterscheiden: Nicht § 48 ist anwendbar, sondern das SGB X. Man kann es machen, aber das Landesverfassungsgericht hat etwas anderes vorgegeben. Es hat offengelassen, wie man das Ganze rückwärts abwickelt. In § 45 spielt das Vertrauen sicherlich eine ganz große Rolle; das ist dort in Abs. 2 geregelt.

Hier bleiben wir aber im legislativen Bereich. Der Landesgesetzgeber sagt: Wir schaffen eine eigene, originäre Regelung, um dem Auftrag des Landesverfassungsgerichtes nachzukommen. Das heißt, man muss schon zwischen dem Verwaltungsverfahrensgesetz und der originären Regelung dieses Gesetzes unterscheiden.

Rainer Bischoff (SPD): Herr Hintzsche, Sie hatten durchaus tragfähig argumentiert, dass die Einnahmeseite nicht berücksichtigt worden sei. Ist sie denn aus Sicht des Praktikers jahresscharf zuordenbar? Sie haben laufende Verfahren, in denen Sie Einnahmen einklagen. Können Sie garantieren, dass diese jahresscharf zuordenbar sind?

Burkhard Hintzsche (Stadt Düsseldorf): Ich würde die Frage gerne an den Kämmereileiter weitergeben; denn die finanzstatistischen Daten werden von den Kämmereien gemeldet.

Vorsitzender Günter Garbrecht: Es ist immer wieder kommuniziert worden, dass die Sozialdezernenten da falsche Zahlen geliefert hätten.

Frank-Ronald Jahnke (Stadt Düsseldorf): Zunächst einmal will ich auf die Ausgabenseite abstellen. Dort gibt es das gleiche Problem wie auf der Einnahmenseite; denn da werden auch Zahlungen geleistet, die nicht periodengerecht innerhalb des Jahres stattfinden, beispielsweise wenn die Kommune an Dritte Leistungen erstattet, die im Vorjahr erbracht worden sind. Das Problem stellt sich also auf beiden Seiten.

Für Einnahmen, die nicht im laufenden Haushaltsjahr eingehen, haben wir die gesetzliche Verpflichtung, die der Landtag mit dem NKF beschlossen hat, Forderungen zu bilanzieren.