Schieflage im Recyclingsystem für Verpackungen

Welche Maßnahmen trifft die Landesregierung, um negative Folgen für Umwelt- und Ressourcenschutz zu verhindern und fairen Wettbewerb zu garantieren?

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage:

Nach einer am 1. Dezember 2010 veröffentlichten Umfrage der Deutschen Umwelt-Hilfe (DUH) nimmt die Nichtlizenzierung von Verkaufsverpackungen dramatische Ausmaße an, wie es in der DUH-Pressemitteilung hierzu heißt. Ein Drittel der Verpackungen ­ zwei Millionen Tonnen ­ seien nicht beim Recyclingsystem der dualen Systeme angemeldet. Das hat verheerende Folgen für den Umwelt- und Ressourcenschutz ­ und wird von den Vollzugsbehörden in den meisten Bundesländern stillschweigend hingenommen, heißt es in einer Pressemitteilung der DUH hierzu.

Nach den ebenfalls in dieser Pressemitteilung zitierten Schätzungen der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung fallen in Deutschland jährlich rund 2,2 Mio. Tonnen Glasverpackungen, 1,7 Mio. Tonnen Papierverpackungen und 2,0 Mio. Tonnen Leichtverpackungen in den Haushalten an. Im Vergleich zu den Verpackungsmengen, die bei den dualen Systemen für das Jahr 2010 gemeldet seien, würden rund 226.000 Tonnen Glasverpackungen (10 Prozent), 882.000 Tonnen Papierverpackungen (51 Prozent) und 925.000 Tonnen Leichtverpackungen (46 Prozent) offensichtlich nicht lizenziert. Gegenüber 2009 habe sich die Situation damit weiter verschlechtert.

Wie Presseberichten zu entnehmen war, hat das zum Entsorger Remondis gehörende Duale System Eko-Punkt im November 2010 Strafanzeige gegen eines oder mehrere andere Duale Systeme gestellt. In einer Pressemitteilung des Unternehmens hierzu wird wie von der DUH auf einen eklatanten Mengenschwund verwiesen und erklärt: In mutmaßlich betrügerischer Absicht und zum Schaden aller ordnungsgemäß arbeitender Marktteilnehmer sind allein im letzten Jahr circa 400.000 to Leichtstoff-Verpackungen weniger lizenziert worden, als von den Inverkehrbringern selbst bei ihrer Industrie- und Handelskammer gemeldet wurden.

Bei einer Umfrage unter den Landesumweltministerien hat die DUH nach eigenen Angaben große Unterschiede bei der Kontrolle festgestellt und erklärt, sie halte Verbesserungen der Kontrollmöglichkeiten der Bundesländer für erforderlich.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Die Landesregierung weist auf die Antwort zur Kleinen Anfrage 3264 (Drucksache 14/8998) und die Berichte vom 20.11.2009 (Vorlage 14/3019) und 12.03.2010 (Vorlage 14/3275) in der letzten Legislaturperiode hin. In Kontinuität der bereits dort geäußerten Bedenken wird die Landesregierung die weiteren Entwicklungen aufmerksam verfolgen.

1. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, dass Unternehmen mit ­ wie es in der DUH-Pressemitteilung heißt ­ immer neuen Tricks und juristischen Winkelzügen sich der Verpflichtung eines hochwertigen Erfassens und Recycelns von Verpackungen entziehen und sogar das Risiko eines Betrugs in Kauf nehmen? Zunächst ist festzustellen, dass alle in den Sammelgefäßen der dualen Systeme erfassten Verpackungsabfälle ­ unabhängig davon, ob sie zuvor bei einem dualen System lizenziert wurden oder nicht ­ nach Maßgabe der Regelungen der Verpackungsverordnung verwertet bzw. entsorgt werden. Konkret geht es also nicht darum, dass die Verpackungsabfälle nicht erfasst und verwertet werden, sondern vielmehr darum, in welchem Umfang die für Verpackungen vorgeschriebene kostenpflichtige Lizenzierung durch die Erstinverkehrbringer verpackter Waren bei den dualen Systemen erfolgt bzw. unterbleibt.

Ob es bei der Differenz der Meldungen an die Gemeinsame Stelle und an die Register der Industrie- und Handelskammern um Betrug geht, lässt sich nach derzeitigem Erkenntnisstand von niemandem beantworten. Inwieweit hier z. B. von Seiten einzelner Systembetreiber selbst größere Mengen in sog. Branchenlösungen verschoben worden sein könnten, ist im Wege der behördlichen Informationsbeschaffung kaum zu ermitteln. In einigen konkreten Fällen, in denen vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein Westfalen (LANUV) überhöhte Branchenmengen festgestellt werden konnten und moniert worden sind, haben die betroffenen Unternehmen umgehend eine Nachlizenzierung vorgenommen. Das LANUV wird dieser Frage weiter nachgehen, sobald im Frühjahr die konkreten Zahlen für das Jahr 2010 vorliegen.

2. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, wonach Duale Systeme bzw. mit ihr verbundene Unternehmen ordnungswidrig agieren?

Das LANUV ist jedem Verdacht überhöhter Branchenmengen nachgegangen. Das hat in einzelnen Fällen dazu geführt, dass die betroffenen Branchenlösungsanbieter die Mengenmeldung korrigiert und eine Nachlizenzierung dieser Mengen veranlasst haben.

3. Mit welchen Instrumenten überwacht die Landesregierung den ordnungsgemäßen Vollzug der Verpackungsverordnung und stellt damit sicher, dass Umwelt- und Ressourcenschutz gesichert und dass Wettbewerbsverzerrungen durch möglicherweise betrügerisches Handeln einzelner Unternehmen unterbunden werden?

Als ein wesentliches Ziel der fünften und bislang letzten Novelle der Verpackungsverordnung im Jahr 2008 hat die Bundesregierung unter Federführung des Bundesumweltministeriums seinerzeit insbesondere angestrebt, den Vollzugs- und Kontrollaufwand der zuständigen Landesbehörden erheblich zu verringern und die Eigenverantwortung und Selbstkontrolle der Wirtschaftsbeteiligten entsprechend deren Vorstellungen zu stärken. Aus den Kreisen eben dieser Wirtschaftsbeteiligten wird nunmehr jedoch der Ruf nach verstärkter staatlicher Kontrolle lauter.

Das LANUV ist im Jahre 2009 in 298 und im Jahre 2010 in 243 Fällen dem Verdacht auf einen möglichen Verstoß gegen § 10 nachgegangen, hat in allen Fällen mit den Unternehmen zur Überprüfung der Pflicht zur Hinterlegung einer Vollständigkeitserklärung Kontakt aufgenommen und erreicht, dass in nahezu allen Fällen, in denen eine solche Pflicht bestand, die betroffenen Unternehmen eine Vollständigkeitserklärung hinterlegt haben. In Einzelfällen wurde die Einleitung von Buß- bzw. Zwangsgeldverfahren durch die unteren Abfallwirtschaftsbehörden veranlasst.

Darüber hinaus hat das LANUV im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten die Angaben in den Mengenstromnachweisen der dualen Systeme und der Betreiber von Branchenlösungen mit denen in den hinterlegten Vollständigkeitserklärungen abgeglichen.

4. Wie nutzt die Landesregierung die Möglichkeit des Abgleichs der Mengenmeldungen der Dualen Systeme an deren Clearingstelle mit den Meldungen der Dualen Systeme und der Inverkehrbringer von Verkaufsverpackungen an die gesetzlich vorgeschriebene Plattform des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHT)?

Einem behördlichen Abgleich zwischen den Vollständigkeitserklärungen und den Meldungen an die Gemeinsame Stelle steht nicht nur entgegen, dass die Behörden grundsätzlich keinen Zugriff auf die Daten der gemeinsamen Stelle haben, sondern vor allem, dass durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) für eine Auswertung der Vollständigkeitserklärungen keine EDV-gestützten Abgleichroutinen zur Verfügung gestellt werden, obwohl dies grundsätzlich möglich wäre und die Länder dies immer gefordert haben. Um einen vollständigen Überblick zu erhalten, müssten daher zunächst bundesweit in den jeweiligen Registern sämtliche Vollständigkeitserklärungen aufgerufen und händisch in eine entsprechende Übersicht eingetragen werden, was alleine in NRW bei 848 hinterlegten Vollständigkeitserklärungen mit hohem Zeitaufwand verbunden wäre.

Wenn im Frühjahr dieses Jahres die Zahlen für das Jahr 2010 vorliegen, wird das LANUV alle Systembetreiber ersuchen, ihre jeweiligen Meldungen zu den und an die Gemeinsame Stelle dem LANUV zur Auswertung zuzuleiten. Eine solche Auswertung könnte, bei Beteiligung aller dualen Systeme, zu einem deutlichen Erkenntnisgewinn führen. Die Beteiligung kann allerdings nicht erzwungen werden.

5. Welche Sanktionsmaßnahmen wurden gegen Unternehmen, die Verpackungen gar nicht, unvollständig oder nicht korrekt lizenzierten und damit ordnungswidrig handelten, in den vergangenen drei Jahren ergriffen?

Um die so genannten Trittbrettfahrer, die Verpackungen gar nicht, unvollständig oder nicht korrekt lizenzieren, überhaupt ermitteln zu können, wurde mit der fünften Novelle der Verpackungsverordnung bei Überschreiten bestimmter Mengenschwellen die Pflicht zur Hinterlegung einer Vollständigkeitserklärung eingeführt, deren Richtigkeit durch einen Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, vereidigten Buchprüfer oder unabhängigen Sachverständigen geprüft und bescheinigt wird. Da auf der anderen Seite mit der fünften Novelle die Kennzeichnungspflicht für lizenzierte Verpackungen (z.B. in Form des Grünen Punktes) abgeschafft wurde, beziehen sich Sanktionsmaßnahmen weitestgehend auf Verstöße gegen die Pflicht zur Abgabe einer Vollständigkeitserklärung.

Abgesehen davon werden die dualen Systeme vom LANUV jährlich nach Vorlage des jeweiligen Mengenstromnachweises überprüft. Darüber hinaus gleicht das LANUV in Form von Stichproben die hinterlegten Vollständigkeitserklärungen mit den von den Erstinverkehrbringern gemeldeten Mengen in den Vollständigkeitserklärungen ab. Diese Überprüfungen wird das LANUV nach Vorliegen der Zahlen für das Jahr 2010 fortsetzen.

Die unteren Abfallwirtschaftsbehörden haben nach Auskunft des LANUV bis heute in zehn Fällen, in denen keine Vollständigkeitserklärung hinterlegt worden war, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet und in zwei Fällen die Festsetzung eines Zwangsgeldes angedroht. Es ist zu erwarten, dass sich diese Anzahl noch erhöht, da in einer Reihe von Fällen, in denen das LANUV die unteren Abfallwirtschaftsbehörden um Prüfung der Pflicht auf Abgabe einer Vollständigkeitserklärung gebeten hat, die notwendigen Ermittlungen vor Ort noch nicht abgeschlossen sind.