Defizite in der Drogensubstitutionsbehandlung

Die seit 1988 in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen mit Methadon ist heute für viele Süchtige in Nordrhein-Westfalen eine häufig gewählte Methode, um wieder in ein selbstbestimmtes, drogenfreies Leben zu finden. Die Substitution lindert die Entzugserscheinungen und kann bei Patienten, die eine ausreichende psychosoziale Betreuung durch die substituierende Stelle erhalten, die Therapiefähigkeit erhöhen. In Nordrhein-Westfalen kümmerten sich daher im Jahr 2009 753 Ärzte mit einer Qualifikation gemäß § 5 Abs. 2, 3 um 37548 Substituierte.

Um eine erfolgreiche und gesundheitlich vertretbare Substitutionsbehandlung durchzuführen und die allgemeine Verbesserung der Lebensumstände bereits während der laufenden Behandlung zu erreichen, ist es jedoch notwendig, dass sich die Therapie zumindest an die Qualitätsstandards der Richtlinien zur Substitution Opiatabhängiger der Bundesärztekammer hält.

Trotzdem zeigen diverse Studien, dass der problematische und gesundheitsgefährdende illegale Beikonsum bei der Methadon-Substitution immer öfter die Regel ist. Nach der Befragung durch ein Projekt zur Evaluation der missbräuchlichen Verwendung von Substitutionsmitteln in Deutschland konsumieren 46 Prozent der Patienten außer dem in der Therapie verabreichten Methadon auch illegal auf dem Schwarzmarkt beschafftes Heroin. Dies zeigt, dass trotz anderslautender Versicherungen der Verantwortlichen der Beigebrauch von Heroin keineswegs die Ausnahme darstellt, sondern bei regulär Substituierten fast jeden Zweiten betrifft.

Zudem tauchen immer größere Mengen des Methadons illegal in der Drogenszene auf. Das Substitutionsmedikament wird somit selbst zur Droge. Bei einem Projekt zur Evaluation der missbräuchlichen Verwendung von Substitutionsmitteln in Deutschland gaben zwei Drittel der Süchtigen an, bereits Erfahrungen mit nicht-verschriebenen Substitutionsmedikamenten gemacht zu haben.

In diesem Zusammenhang hat die Ärztekammer Westfalen-Lippe in einer empirischen Studie zur Evaluation der Implementierung von Qualitätsmanagement in der ambulanten Substitutionstherapie Opiatabhängiger deutliche Unterschiede in der Einhaltung von Qualitätskriterien zwischen niedergelassenen Substitutionsärzten und Substitutionsambulanzen in Nordrhein Westfalen aufgezeigt. Danach dokumentieren 72,9 Prozent der niedergelassenen Arztpraxen die Gründe für eine Take-Home Abgabe gar nicht. Dem hingegen dokumentieren 93,3 Prozent der Ambulanzen stets die Gründe für diese Vergabeform. Auch der gefährliche Beikonsum bleibt selbst bei seiner Entdeckung in den Arztpraxen wesentlich häufiger ohne Konsequenzen als an den Ambulanzen.

Denn die gerade in so einem Fall dringend notwendige psychosoziale Betreuung findet nicht immer in ausreichender Form statt. So nehmen nur 27,4 Prozent der Arztpraxen im Falle des Beigebrauchs von Benzodiazepinen Kontakt zu den psychosozialen Betreuern auf. 67,5 Prozent der Arztpraxen nehmen auch bei Beigebrauch keinen Kontakt zu einem Facharzt für Neurologie/Psychiatrie auf. 83,9 Prozent nehmen auch keinen Kontakt zu einem erfahrenen Kollegen auf, um sich bezüglich einer Weiterführung bzw. eines Abbruchs der Behandlung zu beraten.

Dem hingegen nehmen 81,3 Prozent der Ambulanzen bei Beigebrauch direkt Kontakt zu den psychosozialen Betreuern auf. 62,5 Prozent nehmen sogar zusätzlich Kontakt zu einem Neurologen/Psychiater auf, und 43,8 Prozent besprechen sich zudem mit einem erfahrenen Kollegen.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Der Substitutionsbehandlung opiatabhängiger Patientinnen und Patienten kommt innerhalb des differenzierten Suchthilfespektrums eine große Bedeutung zu. Ziel der Substitutionsbehandlung ist neben der gesundheitlichen Stabilisierung die dauerhafte Überwindung des Suchtmittelkonsums. Darüber hinaus trägt diese Behandlung entscheidend zur sozialen und beruflichen Reintegration der betroffenen Menschen bei.

Die Durchführung der Substitutionsbehandlung erfolgt auf der Grundlage des Betäubungsmittelrechts und der hierzu von der Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien, die an den jeweils allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft angepasst werden.

Diese Richtlinien regeln nicht nur Einzelheiten der Indikationsstellung, des Therapiekonzepts, der Therapiekontrolle und der ärztlichen Qualifikation, sondern schreiben auch die Qualitätssicherung durch ein kontinuierliches Qualitätsmanagement fest.

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄK WL) hat mit finanzieller Unterstützung des Landes gemeinsam mit dem Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, IGES Berlin, in den Jahren 2000 bis 2005 zwei Projekte zur Verbesserung und Sicherung der Qualität in der ambulanten Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Projekte haben in einem praxisorientierten Handbuch zur Qualitätssicherung (ASTO-Handbuch) ihren Niederschlag gefunden. Zur Unterstützung der Einführung eines systematischen Qualitätsmanagements wurden spezifische Fortbildungs- und Trainingsangebote entwickelt und erprobt.

Zwischenzeitlich ist das ASTO-Handbuch ein bundesweit anerkanntes Standardwerk zur Qualitätssicherung in der ambulanten Substitutionsbehandlung geworden, das auch Eingang in die Richtlinien der Bundesärztekammer gefunden hat.

Mit der von der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄK WL) durchgeführten Evaluation der Implementierung der entwickelten Qualitätssicherungsinstrumente in der ärztlichen Praxis sollte geklärt werden, ob bzw. in welcher Form die Integration der entwickelten Konzepte und Instrumente in den ärztlichen Arbeitsalltag gelungen ist und welche Auswirkungen sich im Hinblick auf den Qualitätsentwicklungsprozess ergeben. Die Daten der begleitenden Evaluationsuntersuchung lassen daher keine Aussagen zum Beigebrauch oder zum Gebrauch weiterer psychotroper Substanzen durch substituierte opiatabhängige Patientinnen und Patienten zu.

Zu dem in der Vorbemerkung des Fragestellers erwähnten Projekt zur Evaluation der missbräuchlichen Verwendung von Substitutionsmitteln in Deutschland ist anzumerken, dass es sich um ein bundesweites Projekt mit dem Schwerpunkt der offenen Drogenszene handelt.

Es wurden 806 ausschließlich sozial nicht integrierte schwerstkranke Substituierte befragt.

Einen Heroinbeigebrauch von 46 % innerhalb dieser befragten Personengruppe beschreiben die Autoren der Studie als nicht überraschend. Somit kann nicht auf die Grundgesamtheit aller substituierten Drogenabhängigen in Deutschland oder NRW geschlossen werden.

1. Wie beurteilt die Landesregierung die Ergebnisse der empirischen Studie der Ärztekammer Westfalen-Lippe zur Evaluation der Implementierung von Qualitätsmanagement in der ambulanten Substitutionstherapie Opiatabhängiger?

Die vorgelegte Evaluation bezieht sich auf Daten aus den Jahren 2001 bis 2005 und liefert Anhaltspunkte und weiterführende Bewertungen für die Wirksamkeit der im Rahmen des ASTO-Projektes entwickelten und im ASTO-Handbuch dargestellten Qualitätsmanagementinstrumente.

Bereits das ASTO Projekt verfolgte das Ziel, mögliche Qualitätsdefizite in der ambulanten Substitutionsbehandlung zu erkennen, um notwendige Prozesse zur Verbesserung und Weiterentwicklung der Behandlung anzustoßen. Eine Bewertung der Arbeit in niedergelassenen Arztpraxen einerseits und (psychiatrischen) Ambulanzen andererseits im Sinne guter und schlechter Behandlungsqualität war nicht Ziel des ASTO-Projektes und lässt sich daher auch nicht mit den Daten der Evaluation belegen.

Die Ergebnisse der Untersuchung machen jedoch deutlich, dass ein Prozess von Qualitätsund Organisationsentwicklung in den Arztpraxen und Ambulanzen stattgefunden hat bzw. initiiert worden ist. Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Struktur- und Prozessqualität durch den systematischen Einsatz von QM-Instrumenten, flankiert durch weitere gesetzliche Maßnahmen und Regelungen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen kontinuierlich weiter entwickelt werden muss.

Die Landesregierung wird diesen Weiterentwicklungsprozess im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin unterstützen.