Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen verbieten

Verstärkt kommt es in der Bundesrepublik zu massiven Einsätzen von Pfefferspray, die sich maßgeblich gegen Demonstranten und Fußballfans richten.

Bei gesunden Menschen können schwer wiegende Langzeitfolgen aufgrund von Kontakt mit dem Wirkstoff des Pfeffersprays weitgehend ausgeschlossen werden. Als Folge des harten Sprühstrahls, der von den Reizstoffsprühgeräten erzeugt wird, sind allerdings auch Verletzungen der Netzhaut dokumentiert. Für gesundheitlich vorbelastete Personen kann jedoch der Reizstoff an sich eine schwere Gesundheitsgefahr darstellen. Insbesondere Asthmatiker, Allergiker und Menschen mit labilem Blutdruck sind gefährdet.

Das gleiche gilt für Personen, die zum Zeitpunkt des Pfefferspraykontakts unter Einfluss von Psychopharmaka oder Drogen stehen, wobei insbesondere eine Verbindung von Pfefferspray und Kokain das Gesundheitsrisiko erheblich erhöht.

Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung ACLU hat bereits in den 1990er Jahren festgestellt, dass 26 Menschen in den USA nach Pfefferspray-Einsätzen gestorben sind. Die Betroffenen standen alle unter Drogeneinfluss bzw. wurden wegen psychischer Erkrankungen mit Medikamenten behandelt. Das US-Justizministerium kam in einer eigenen Studie zu weniger drastischen Ergebnissen, schlussfolgerte aber trotz stark eingegrenzter Bewertungskriterien, dass in mindestens zwei von 63 untersuchten Fällen Pfefferspray den Tod mit verursacht habe (Spiegel 53/2009). Hierbei seien Bronchialinfekte mit entscheidend gewesen. Die Wirkstoffe können demnach zu unkontrollierten Hustenanfällen und Atemnot führen.

In Deutschland ereigneten sich im Jahr 2009 mindestens drei Todesfälle nach einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray, im Jahr 2010 mindestens drei weitere.

Zu den typischen Symptomen beim Einsatz von Pfefferspray gehören Augenreizungen, vorübergehende Blindheit, Atembeschwerden und Schockzustände. Die Hersteller der Reizmittel selbst weisen darauf hin, dass insbesondere bei Augenkontakt sowie beim

Einatmen und Verschlucken von Pfefferspray Erste-Hilfe-Maßnahmen und das Aufsuchen eines Facharztes notwendig sind. Eine angemessene Betreuung ist bei der Mehrzahl der Pfefferspray-Einsätze, zumal bei Demonstrationen und Fußballspielen, jedoch gar nicht möglich. Ohnehin ist bei einem Reizstoff-Einsatz gegen Menschenmengen immer zu befürchten, dass auch Unbeteiligte zu Schaden kommen. Auch die Polizeibeamten selbst können durch das von ihnen oder ihren Kollegen eingesetzte Pfefferspray beeinträchtigt werden.

Die derzeitige Verwendung von Pfefferspray beruht auf der Technischen Richtlinie mit Oleoresin Capsicum (OC) oder Palargonsäure-vanillylamid (PAVA) vom November 2008. Für die Verwendung werden die Einhaltung des Chemikalien- und des Abfallrechts, sowie von Verordnungen zum Umgang mit Gefahrenstoffen und zum Schutz der Ozonschicht beschrieben, heißt es in einem Gutachten der Bundestagsabgeordneten Karin Binder (DIE LINKE) von November 2010. Eine gesundheitliche Risikobewertung des Pfeffersprays sei hingegen nicht Gegenstand der Verwendungsentscheidung, so das Gutachten weiter. Der Einsatz von Pfefferspray erfolgt demnach ohne medizinische bzw. toxische Beurteilung der Wirkstoffe. Belastbare Studien zur Unbedenklichkeit von Pfefferspray liegen nicht vor.

Aus den aufgezeigten Gesundheitsgefährdungen ergibt sich ein unvereinbarer Widerspruch mit der Bindung polizeilicher Einsatzmaßnahmen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht auch deswegen, weil es in der jüngsten Vergangenheit ­ teilweise auch unter dem Vorwand des Eigenschutzes - wiederholt zu sehr extensiven Anwendungen von Pfefferspray gegen größere Menschenmengen kam: So anlässlich einer Demonstration gegen das Bauvorhaben Stuttgart 21 am 30. September 2010 sowie bei den Protesten gegen den Castor-Transport Anfang November im Wendland.

Insgesamt gab es Hunderte von Verletzten, in der Regel trugen die Betroffenen Verletzungen an den Augen davon.

Auch Pfefferspray-Einsätze gegen größere Menschenmengen am Rande von Fußballspielen werden zahlreich dokumentiert. Bei solchen Einsätzen geht es in der Regel nicht um die Abwehr akuter Lebensbedrohungen, sondern um die Disziplinierung von Menschenmassen.

Selbst wenn man der Meinung wäre, die Teilnehmer der Proteste in Stuttgart und im Wendland hätten Rechtsverletzungen begangen, so kann die Beendigung einer Versammlung, einer Sitzblockade oder auch einer anderen Aktion kein Anlass sein, der den extensiven Einsatz von Pfefferspray und damit die Inkaufnahme eines Todesrisikos für die betroffenen Demonstranten rechtfertigt. Die ungehinderte Durchführung von Bauvorhaben oder die rasche Durchführung eines Atomtransportes wiegen längst nicht so schwer wie das Leben von Menschen, so dass die Polizei hier unbedingt zu minder gefährlichen Mitteln greifen muss.

Auch bei Einsätzen gegen randalierende Einzelpersonen erscheint die Anwendung von Pfefferspray unverhältnismäßig, da nie ausgeschlossen werden kann, dass die Personen unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss stehen oder es sich um Asthmatiker, Allergiker oder andere gefährdete Menschen handelt. Die Verhinderung von Straftaten darf nicht um den Preis der Lebensgefährdung der Verdächtigen erfolgen. Weder der präventive Einsatz von Pfefferspray noch ein Einsatz zu disziplinierenden Zwecken sind zu verantworten.

Dies ist auch die einhellige Meinung von renommierten Bürger- und Menschenrechtsorganisationen wie etwa Amnesty International oder dem Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Der Landtag wolle beschließen:

I. Der Landtag stellt fest:

1. Die Anwendung von Pfefferspray durch Polizeibeamte als Mittel zur Ausübung unmittelbaren Zwangs ist mit gravierenden und zugleich schwer abschätzbaren gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Personen verbunden. Empirische Studien wie auch die Fachliteratur weisen zunehmend darauf hin, dass die Anwendung von Pfefferspray bzw. chemischen Substituten in einer Reihe von Fällen mitursächlich für den Tod von Menschen war. Eine erhöhte Gefahr besteht insbesondere bei gesundheitlich vorbelasteten Menschen sowie bei Personen, die unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Drogen stehen.

2. Auch in Deutschland sind bereits mehrere Todesfälle nach Pfefferspray-Einwirkung dokumentiert.

3. Generell birgt jede Anwendung dieses Mittels das Risiko eines tödlichen Ausgangs.

Das gilt für Demonstrationen und Ansammlungen von Fußballfans genauso wie für den Einsatz gegen einzelne Randalierer. In aller Regel hat die Polizei keine Kenntnisse über den Gesundheitszustand der fraglichen Personen, genauso wenig weiß sie, ob diese Medikamente oder Drogen genommen haben.

4. Polizeiliches Handeln, insbesondere die Anwendung unmittelbaren Zwangs, muss sich ausnahmslos am Verhältnismäßigkeitsgebot orientieren. Ein durch eine Maßnahme des unmittelbaren Zwanges zu erwartender Schaden darf nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.

5. Verschiedenen Berichten zufolge hat die Anwendung von Pfefferspray durch Polizeivollzugskräfte in der Vergangenheit zugenommen. Ein Einsatz am 30. September 2010 gegen Demonstrantinnen und Demonstranten, die gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 protestierten, führte zu über hundert Verletzten. Beim jüngsten Castor-Transport hat alleine die Bundespolizei nach dem Einsatz einen Ersatzbedarf von 2190 Sprühgeräten angezeigt. Eine solch extensive Anwendung eines Mittels, das regelmäßig zu Körperverletzungen führt und potentiell tödliche Folgen hat, ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot nicht zu vereinbaren.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der:

1. den Einsatz von Pfefferspray bzw. Reizmitteln mit den Wirkstoffen Capsaicin sowie Pelargonsäure-vanillylamid (PAVA) gegen Menschen durch alle Vollzugsbeamten des Landes verbietet.