Zeitige Entschädigung für Opfer der Loveparade nur bei umfassender Verzichterklärung?

Der A. Versicherungskonzern als Haftpflichtversicherer des Veranstalters der Loveparade L. und die Stadt Duisburg haben am 27. Mai 2010 eine Vereinbarung unterschrieben, ab sofort mit der Entschädigung für die Opfer der Loveparade-Katastrophe zu beginnen. Die Vereinbarung knüpft an eine zunächst eingerichtete Soforthilfe an. Ziel ist, Entschädigungszahlungen unabhängig von der Klärung der Schuldfrage zu ermöglichen.

Beide Seiten betonen in einer Presseerklärung vom gleichen Tage, dass die Vereinbarung ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge. Vielmehr gehe es darum, verantwortlich zu handeln und Geschädigte und Angehörige der Opfer nicht länger warten zu lassen. Man habe mit der Vereinbarung den Weg frei gemacht, sofort mit einer Regulierung aller berechtigten Ansprüche zu beginnen.

Weiter heißt es dort zusammengefasst: Die der Höhe nach begründeten Haftpflichtansprüche der Geschädigten werden ­ im Sinne einer Regulierung für den, den es angeht ­ ohne jegliches Anerkenntnis zum Haftungsgrund reguliert. Es muss sich weiterhin um schlüssige Ansprüche handeln ­ es muss also ein unmittelbarer Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen an der Rampe bzw. im Tunnel bestehen. (...)

Beide Seiten behalten sich weiterhin ausdrücklich vor, nach Klärung der Schuld- und Haftungsfragen später andere Verantwortliche in Regress zu nehmen. (...)

Wir wollen jede weitere Belastung vermeiden, und es ist daher unser gemeinsames Ziel, jeden der Höhe nach begründeten Schadenersatzanspruch nunmehr abschließend und zügig zu regulieren, erläutert der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg. Im Rahmen der geschlossenen Vereinbarung übernimmt daher A., wie schon bei der Soforthilfe, auch weiterhin die Regulierung und Korrespondenz mit den Betroffenen. A. hat dazu ein spezielles Team eingerichtet, das sich um die Bearbeitung aller Ansprüche kümmert.

Die Betroffenen, die aufgrund der tragischen Ereignisse bei der Loveparade ihren Schaden bei der Stadt Duisburg, der L. oder direkt bei A. angemeldet haben, werden selbst oder gegebenenfalls über ihre Anwälte in den nächsten Tagen von A. angeschrieben, damit eine zeitnahe Klärung erfolgen kann.

Bereits zuvor wurde kritisiert, dass die Vereinbarung zwischen der A. Versicherung und der Stadt Duisburg ohne Mitwirkung der Opfer und deren anwaltliche Vertreter zustande gekommen sei. Zudem wurde gefordert, dass auf jeden Fall das mitverantwortliche Land als dritter Beteiligter an einer Entschädigungsregelung teilnehmen müsse, die den berechtigten Ansprüchen der Opfer jetzt und in Zukunft Rechnung trägt.

Das Netzwerk Loveparade fordert die Offenlegung des Vertrages, der zwischen der Stadt und der Versicherung A. des Loveparade-Veranstalters geschlossen wurde. Anwälte von Opfern der Tragödie der Loveparade am 24. Juli 2010 in Duisburg kritisieren und warnen zugleich davor, dass wer Geld aus dem gemeinsamen Fonds der A. Versicherung und der Stadt Duisburg annehme, eine umfassende Verzichtserklärung unterschreibe. Eigenartig sei insbesondere, dass die Verzichtserklärung mit dem Passus oder gegen jeden Dritten, sofern er Gesamtschuldner ist auch etwaige Ansprüche der Opfer gegen das Land Nordrhein-Westfalen umfasse.

In der den Opfern zur Unterzeichnung vorgelegten sog. Vergleichs- und Abfindungserklärung heißt es: Nach der am 27.05.2011 zwischen der Stadt Duisburg und der A. Versicherung AG (als Haftpflichtversicherer für die L. geschlossenen Vereinbarung übernimmt die A. die Vorabregulierung der Schadenersatzansprüche der Opfer der Loveparade vom 24.07. für den, den es angeht, d. h., ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne, dass die haftungsrechtliche Verantwortung zum jetzigen Zeitpunkt schon geklärt ist.

Gegen Zahlung eines Betrages von xxxx Euro erkläre ich, dass gegen Zahlung dieses Betrages alle Ansprüche aus dem die von mir oder meinen Rechtsnachfolgern gegen die Firma L. gegen mitversicherte Personen, gegen die A. Versicherung, gegen die Stadt Duisburg oder gegen jeden Dritten, sofern er Gesamtschuldner ist, geltend gemacht werden können, für Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft ohne Vorbehalt auch für etwaige, heute noch nicht übersehbare Folgen abgefunden sind. Die Zahlung erfolgt ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht.

Von dieser Regelung sind Ansprüche, die auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, ausgeschlossen. Es wird versichert, dass die Ansprüche weder abgetreten, verpfändet noch gepfändet sind.

Die Höhe der bislang bekannt gewordenen, darin angebotenen Abfindungsbeträge erscheint zudem recht überschaubar.

Ich frage daher die Landesregierung:

1. Inwieweit sind der Landesregierung der Inhalt des Vertrages, der zwischen der Stadt und der A. Versicherung des Loveparade-Veranstalters geschlossen wurde, bzw. der Inhalt der Vergleichs- und Abfindungserklärung über Entschädigungszahlungen oder Vorentwürfe bekannt?

2. Sind Inhalte dieser Vereinbarung wie die Regulierung für den, den es angeht, oder die Verzichtserklärung, welche jeweils auch eventuelle Ansprüche gegen das Land Nordrhein-Westfalen betreffen, in irgendeiner Weise mit der Landesregierung bzw. von ihr Beauftragten abgesprochen?

3. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass die A. Versicherung den Opfern eine Erklärung zur Unterschrift vorlegt, durch die das Land Nordrhein-Westfalen als Gesamtschuldner von Ansprüchen der Opfern selbst für noch nicht übersehbare Folgen freigestellt wird?

4. Aus welchen Gründen hat die Landesregierung als dritter Beteiligter der Tragödie der Loveparade vom 24. Juli 2010 an der Erstellung einer angemessenen Entschädigungsvereinbarung, die den berechtigten Ansprüchen der Opfer jetzt und in Zukunft Rechnung trägt, nicht bzw. jedenfalls nicht namentlich teilgenommen?

5. Was unternimmt die Landesregierung, damit Betroffenen ein der Höhe nach angemessener Schadensersatzanspruch unter Berücksichtigung etwaiger Spätschäden trotz der scheinbar langen Dauer der Klärung der Schuldfrage erhalten bleibt?