Jugendstrafanstalt

Offenen Vollzugsformen wird klar der Vorzug gegeben. Der geschlossene Vollzug kommt nur in Frage, wenn das Erziehungsziel im offenen Vollzug nicht erreicht werden kann. Damit wird die verfassungsrechtlich gebotene erzieherische Ausgestaltung des Jugendvollzuges konsequent umgesetzt.

- Für jeden Jugendgefangenen wird nach der Aufnahme ein individueller Förderplan erarbeitet, der kontinuierlich überprüft und fortentwickelt wird. Die Entlassungsvorbereitung ist von Anfang an Teil des Förderplans.

- Die Kooperation mit außervollzuglichen Einrichtungen ist zu suchen und zu fördern. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Betreuung der Jugendgefangenen, erleichtert die Erstellung des individuellen Förderplans und dient einem reibungsloseren Übergang in das Leben außerhalb des Vollzuges nach der Entlassung.

- Die Jugendgefangenen sollen Gelegenheit erhalten, sich zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Menschen zu entwickeln. Zu diesem Zweck ist der Vollzugsalltag nach erzieherischen Gesichtspunkten zu gestalten. Die Jugendgefangenen werden in Wohngruppen untergebracht, in denen sie den Alltag so weit wie möglich eigenverantwortlich regeln. Sie sollen nach ihren individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten beschult, aus- und weitergebildet werden. In der Förderplanung sind ihre Wünsche und Vorstellungen zu berücksichtigen.

- Die Jugendgefangenen haben Anspruch auf mindestens acht Stunden Besuch im Monat. Hinzukommen können Langzeitbesuche für Kinder, Ehegatten und Lebenspartner der Jugendgefangenen. Außenkontakte über e-mails und Internetkontakte sind unter Aufsicht zulässig.

- Die Konfliktbearbeitung in der Jugendstrafanstalt geschieht wo möglich durch erzieherische Gespräche und Schlichtungsverfahren. Disziplinarmaßnahmen können nur angeordnet werden, wenn eine Konfliktschlichtung nicht ausreicht oder im Einzelfall ungeeignet ist. Die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen geschieht nach einem gesetzlich geregelten Verfahren, in dem der betroffene Jugendgefangene zu hören ist. Arrest und das Verbot des Aufenthalts im Freien sind als Disziplinarmaßnahmen ausgeschlossen.

- Die Jugendgefangenen können sich formlos mit Bitten und Beschwerden an eine unabhängige Beschwerdestelle innerhalb der Jugendstrafanstalt wenden. Nach erfolgloser Konfliktschlichtung hilft die Beschwerdestelle den Jugendgefangenen, die bundesrechtlich zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe einzulegen.

Gesetzgebungskompetenz des Landes

Mit der Föderalismusreform ist die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug mit dem 1. September 2006 auf die Länder übergegangen (BGBl. S. 2034). Nicht landesgesetzlich geregelt werden kann allerdings der Bereich der gerichtlichen Rechtsmittel, für den weiter der Bund zuständig ist (Art.

74 Abs. 1 Nr. 1 GG - gerichtliches Verfahren). Es kann daher nur auf die bundesgesetzlichen Rechtsbehelfe verwiesen werden. Auch die Ausnahme von Verurteilten vom Jugendstrafvollzug (§ 92 Abs. 2, 3 JGG) unterliegt weiterhin der Bundeskompetenz für das Recht der Strafvollstreckung (Art.

74 Abs. 1 Nr. 1 GG - Strafrecht). Gleichstellungspolitische Bedeutung

In der fachpolitischen Diskussion wird an der bisherigen Vollzugspraxis kritisiert, dass sie die spezifischen Bedürfnisse junger weiblicher Gefangener zu wenig berücksichtigt. Während männliche Jugendgefangene in eigenen Anstalten untergebracht sind, in denen altersadäquate Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, geschieht der Vollzug an jungen Mädchen und Frauen in der Regel - und so auch in Hessen - in Abteilungen, die dem Frauenvollzug angegliedert sind. Langfristig sollte dieses Missverhältnis überwunden werden. Auch Mädchen und junge Frauen sollten in eigenen Einrichtungen des Jugendstrafvollzuges untergebracht werden, in denen sie altersangemessen gefördert werden können. Der Gesetzentwurf trägt diesem Ziel Rechnung, indem er für die bisherige Praxis eine Ausnahmegenehmigung durch das Justizministerium fordert und bestimmte vollzugliche Mindeststandards auch für den Mädchenvollzug in Frauenvollzugsanstalten setzt.

B. Besonderer Teil

Zum ersten Abschnitt (Grundsätze)

Zu § 1 (Anwendungsbereich) Jugendstrafe kann gegenüber Personen verhängt werden, die zur Zeit der Tat Jugendliche oder Heranwachsende waren (§§ 1, 17, 105 JGG). Das Alter im Zeitpunkt des Strafantritts ist grundsätzlich nicht entscheidend. Es befinden sich daher neben Jugendlichen und Heranwachsenden auch junge Erwachsene im Jugendstrafvollzug. Der Vollstreckungsleiter kann allerdings heranwachsende oder erwachsene Verurteilte im Einzelfall aus dem Jugendvollzug nehmen (§ 92 Abs. 2, 3 JGG). Dieser Fall ist bundesgesetzlich geregelt und bleibt als Teil des Vollstreckungsrechts (§ 83 JGG) auch in bundesrechtlicher Zuständigkeit (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ­ Strafrecht). Aktuell befinden sich im Jugendstrafvollzug etwa 90 v.H. Heranwachsende und junge Erwachsene (Nach Angaben des statistischen Bundesamtes bundesweit zum Stichtag 31. März 2006: 10,6 v.H. Jugendliche, 47,4 v.H. Heranwachsende, 42,1 v.H. junge Erwachsene über 21 Jahre. Nur 1,1 v.H. der Jugendgefangenen sind über 25 Jahre). Gefangene in Einrichtungen des Jugendstrafvollzugs werden in Abs. 2 unabhängig von ihrem Alter als "Jugendgefangene" definiert.

Zu § 2 (Erziehungsziel)

Der Vollzug hat zum Ziel, den Jugendgefangenen ein Leben ohne Straftaten in Freiheit zu ermöglichen. Dieses Ziel ist mit erzieherischen Mitteln zu erreichen, indem die Entwicklung der Jugendgefangenen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten gefördert wird. Der erzieherische Leitgedanke des Jugendstrafvollzugs entspricht damit dem Leitbild der eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit im Jugendhilferecht (§ 1 SGB VIII). Die Formulierung des Erziehungsziels macht deutlich, dass die Jugendgefangenen in ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen ernst genommen werden müssen. Sie sind nicht bloße Objekte behördlichen Handelns, sondern müssen in ihrer Entwicklung dahingehend gefördert werden, dass sie sich sozial integrieren und soziale Verantwortung übernehmen können. Der Jugendstrafvollzug ist insgesamt auf dieses Erziehungsziel hin auszurichten.

Das hier formulierte Erziehungsziel ist als Resozialisierungsziel völker- und europarechtlich geboten (vgl. Nr. 65 der VN -Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen und Nr. 102.1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze). Auch im nationalen Recht ist es als Ausdruck der Achtung der Menschenwürde und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungsrechtlich gefordert. Es entspricht der bisherigen Zielsetzung des Jugendstrafvollzugs in § 91 Abs. 1 JGG. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt es in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 als das Ziel der sozialen Integration.

Neben dem Erziehungsziel schreibt § 2 keine weiteren Vollzugsziele fest.

Namentlich verbietet es sich, die Sicherung der Allgemeinheit als weiteres eigenständiges Vollzugsziel zu normieren. Der Jugendstrafvollzug hat in seiner Ausgestaltung die Sicherungsbelange der Allgemeinheit zweifellos zu berücksichtigen (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1), diese Sicherung ist jedoch nicht das Ziel des Vollzuges. Die Resozialisierung selbst dient vielmehr dem Schutz der Allgemeinheit, weil sie künftige Straftaten verhindert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 allein auf das Ziel der sozialen Integration abgestellt und betont, dass dieses Vollzugsziel gleichzeitig auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient. Ein Gegensatz zwischen dem Resozialisierungsziel und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht demnach nicht.

Des Weiteren bleibt der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Kompetenz für das materielle Strafrecht dafür zuständig, Art, Maß und Zweck der strafrechtlichen Sanktionen zu bestimmen. Der Zweck des Strafvollzuges ist aber abhängig von dem Zweck der verhängten Strafe. Die bundesgesetzlich vorgegebenen Strafzwecke bilden damit einen Rahmen, innerhalb dessen der Strafvollzug Ziele und Zwecke definieren kann (vgl. Goerdeler/Pollähne ZJJ 2006, S. 253). Die Jugendstrafe dient nach § 17 JGG in erster Linie erzieherischen Zwecken, wie auch das gesamte Jugendstrafrecht auf die soziale Integration der Jugendlichen und Heranwachsenden ausgerichtet ist (vgl. Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, § 17 Rn. 4). Auch aus diesem Grund wäre es unzulässig, den Schutz der Allgemeinheit über die bundesgesetzlich definierten Strafzwecke hinaus als Ziel des Vollzuges festzuschreiben.

Zu § 3 (Gestaltung des Vollzuges)

Diese Vorschrift enthält die Grundsätze, nach denen der Vollzug der Jugendstrafe zu gestalten ist. Abs. 1 stellt klar, dass das Erziehungsziel des § 2 die Gestaltung des Vollzuges bestimmt. Dazu gehört auch, die Rechte anderer zu respektieren. Die erzieherische Förderung ist nicht auf ein gesetzlich vorgegebenes Persönlichkeitsbild auszurichten, sondern geht von den individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Jugendgefangenen aus. Diese sollen im Vollzugsalltag wahrgenommen und weiterentwickelt werden. Diese Grundsätze entsprechen dem fördernden Ansatz der Jugendhilfe im SGB VIII. Eine solche Angleichung ist erwünscht, denn sie sorgt dafür, dass die Jugendlichen, Heranwachsenden und jungen Erwachsenen staatlicherseits innerhalb wie außerhalb des Vollzuges nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden.

Abs. 2 enthält drei maßgebliche Grundsätze der Vollzugsgestaltung: Die Lebensverhältnisse im Vollzug sollen dem Leben in Freiheit weitestmöglich angeglichen werden (Angleichungsgrundsatz, Satz 1). Dadurch soll den Jugendgefangenen der Übergang aus dem Vollzug in die Freiheit erleichtert werden. In diesem Rahmen sind unterschiedliche Sicherungsbelange zu berücksichtigen: die Sicherheit der Anstalt und der Allgemeinheit (Satz 2) sowie der Jugendgefangenen gegen Übergriffe anderer Jugendgefangener (Satz 3). Die Regelung in Satz 3 hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Dezember 2006 ausdrücklich gefordert. Der Vollzug muss in einer Weise ausgestaltet sein, die der Bildung gewalttätiger Subkulturen unter den Jugendgefangenen entgegenwirkt.

Alle Belange der Sicherheit sind gegen die Forderungen eines erzieherischen Vollzuges abzuwägen. Dabei gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Das Sicherungsinteresse der Anstalt oder der Allgemeinheit kann nicht dazu herangezogen werden, um unverhältnismäßige Einschränkungen der Jugendgefangenen zu begründen.

Wo die Angleichung der Lebensverhältnisse in der Anstalt an die Bedingungen in Freiheit nicht möglich ist, muss schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegengewirkt werden (Gegensteuerungsgrundsatz, Satz 4). Von Anfang an muss der Vollzug darauf ausgerichtet sein, den Jugendgefangenen nach Verbüßung der Jugendstrafe die Integration in die Gesellschaft zu erleichtern (Integrationsgrundsatz, Satz 5). Dies entspricht der Forderung in Nr. 34.2 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze.

Abs. 3 sichert die ausreichende personelle, sachliche und organisatorische Ausstattung der Einrichtungen des Jugendstrafvollzugs. Die diesbezüglichen Mittel müssen am Ziel des Vollzuges ausgerichtet sein. Auch diese gesetzliche Festlegung entspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 ausdrücklich formuliert, der Staat habe durch hinreichend konkretisierte Vorgaben dafür Sorge zu tragen, "dass für allgemein als erfolgsnotwendig anerkannte Vollzugsbedingungen und Maßnahmen die erforderliche Ausstattung mit personellen und finanziellen Mitteln kontinuierlich gesichert ist."

Zu § 4 (Mitwirkungspflicht)

Ein erzieherisch gestalteter, auf Förderung durch Forderung ausgerichteter Jugendstrafvollzug verlangt von den Gefangenen eine umfassende aktive Mitarbeit. Da eine auf absoluter Freiwilligkeit und Einsichtigkeit beruhende Kooperationsbereitschaft der Gefangenen nicht von vornherein zu erwarten ist, können vollzugliche Maßnahmen nicht auf solche mit Angebotscharakter beschränkt bleiben. Dementsprechend sieht § 4 vor, dass die Jugendgefangenen aktiv daran mitwirken sollen, das Erziehungsziel zu erreichen. Damit wird keine allgemeine Pflicht zur Mitwirkung aufgestellt, sondern eine generelle Forderung an die Jugendgefangenen klargestellt. Das Mitwirkungserfordernis ist nicht mit der Hilfe von Disziplinarmaßnahmen sanktionierbar (§ 72). Eine derartig gestaltete allgemeine Mitwirkungspflicht wäre mangels konkreter Voraussetzungen unbestimmt, damit nicht willkürfest und daher verfassungswidrig (vgl. Nr. 5 der Mindeststandards für den Jugendstrafvollzug (2007), hg. v. der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, der Deutschen Bewährungshilfe, der Neuen Richtervereinigung u.a.).

Über die generelle Bestimmung des § 4 hinaus enthält das Gesetz einen Grundkatalog an konkreten Pflichten, die von den Jugendgefangenen einzuhalten sind und mit der Hilfe von Disziplinarmaßnahmen durchgesetzt werden können. Die grundlegendste Pflicht ist es, den Entzug der Freiheit zu dulden. Entweichungen oder Entweichungsversuche werden disziplinarisch geahndet. Unter anderem folgende weitere Pflichten werden an unterschiedlichen Stellen ausdrücklich aufgeführt: