Wirtschaftsdünger in Nordrhein-Westfalen ­ Wie ist der aktuelle Stand bezüglich der Drucksterilisation von Klauentiergülle, die aus anderen Mitgliedsstaaten importiert wird?

In den letzten Jahren hat die Versendung von Wirtschaftsdünger aus Mitgliedsländer der Europäischen Union nach Deutschland zugenommen. Diese Transporte unterliegen einem tierseuchenrechtlichen Genehmigungsvorbehalt. Die zuständige Landesbehörde ist in Nordrhein-Westfalen das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV NRW).

Mit Erlass vom 8. November 2011 hat das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MKLUNV) das LANUV NRW aufgefordert, mit der Erteilung der Versendegenehmigung für Wirtschaftsdünger generell das Verfahren der Drucksterilisation vorzuschreiben. Eine Ausnahme von dieser Vorschrift bildet unter anderem Geflügeltrockenkot. Mit Datum vom 17. März 2011 hat das MKLUNV dem Landtag einen Bericht über die Versendung von Wirtschaftsdünger aus anderen Mitgliedstaaten nach Nordrhein-Westfalen zukommen lassen (Vorlage 15/460).

Die Niederlande sind allerdings ausweislich von Berichten in der Fachpresse (zum Beispiel top agrar online vom 14. Juli 2011) der Überzeugung, dass hygienisierte Gülle ein verarbeitetes Produkt darstellt, für das eine Zustimmung des Empfängerstaates nicht mehr erforderlich ist. Auch ist zu lesen, dass sich die Europäische Kommission dieser Auffassung angeschlossen hat und die Durchführungsverordnung noch dieses Jahr ändern möchte. In Folge dessen würde das Genehmigungsverfahren und die Forderung nach Drucksterilisation nicht mehr zielführend sein.

Das Thema bleibt demzufolge sehr aktuell.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Seit Jahren versenden die Niederlande nach Nordrhein-Westfalen erhebliche Mengen an Wirtschaftsdünger. Die damit verbundene Problematik wurde zuletzt im Bericht der Landesregierung an den Landtag vom 17.03.2011 (Vorlage Nr. 15/460) umfassend dargestellt. Der Bericht wurde zur Zeit der Verordnung (EG) Nr 1774/2002 verfasst, die ab dem 04.03. durch die Ratsverordnung (EG) Nr. 1069/2009 und die parallel in Kraft tretende Durchführungsverordnung (EG) Nr. 142/2011 ersetzt wurde. Die genannten Verordnungen regeln die Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte. Die Ablösung der Verordnung (EG) Nr 1774/2002 führte nach Auffassung der Bundesregierung jedoch nicht zu einer Änderung der Regelungen zur Versendung von Wirtschaftsdünger aus anderen Mitgliedstaaten nach Nordrhein-Westfalen. Dies wurde auf Nachfrage dem Ministerium durch das BMELV ausdrücklich bestätigt. Diese Einschätzung der Bundesregierung hat sich inzwischen jedoch als fehlerhaft erwiesen.

Die aktuelle Entwicklung und die sich daraus ableitenden Konsequenzen werden in besonderem Maße deutlich vor dem Hintergrund der bisherigen Aktivitäten der Landesregierung.

Diese sollen daher in Kürze einleitend dargestellt werden:

Um zumindest eine gewisse Überwachung der Wirtschaftsdüngertransporte gewährleisten zu können, hatte Nordrhein-Westfalen seit 2009 ein umfassendes Genehmigungsverfahren eingeführt, das Ende 2010 durch die Forderung nach genereller Drucksterilisierung für Klauen- und Pelztiergülle ergänzt wurde. Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass das Genehmigungsverfahren nicht nur tierseuchenhygienische Belange berücksichtigt hat, sondern daneben auch darauf abzielte, die Mengen, die aus den Niederlanden nach NRW gelangten, aus umweltpolitischen Erwägungen zu begrenzen, zu steuern und zu überwachen.

Im Hinblick auf eine verbesserte, grenzüberschreitende Überwachung wurde auf Arbeitsebene die Zusammenarbeit mit den Niederlanden gesucht, die Ende 2009/Anfang 2010 sehr intensiv war. So wurde Nordrhein-Westfalen für drei Monate der Zugang zum so genannten digitalen Dossier der Niederlande im Rahmen einer Pilotphase eröffnet. In dieser Pilotphase wurde deutlich, welche Möglichkeiten den Niederlanden im Hinblick auf die Überwachung aller Wirtschaftsdüngertransporte zur Verfügung stehen.

Die Niederlande beendeten diese Pilotphase jedoch überraschend abrupt im April 2010 mit der Begründung, dass diese Daten datenschutzrechtlich nicht weiter zur Verfügung gestellt werden könnten. So sei das Düngemittelrecht Rechtsgrundlage für die Erfassung dieser Daten auf Seiten der Niederlande.

Unter dem Eindruck der Forderung nach Drucksterilisation für Klauentiergülle kam es am 15. Februar 2011 zu einer Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden unter Einbeziehung von Niedersachsen. Im Ergebnis wird jetzt auf Basis des Düngemittelrechts erneut über die Möglichkeiten der Nutzung des digitalen Dossi er beraten. Damit wird der von Nordrhein-Westfalen vorgezeichnete Weg von Anfang 2010, damals tierseuchenrechtlich begründet, wieder aufgegriffen.

1. Wie steht die Landesregierung zu der von den Niederlanden vertretenen Rechtsauffassung, wonach hygienisierte Gülle ein verarbeitetes Produkt darstellt?

Die Auffassung sowohl der Niederlande als auch der EU-Kommission zur Genehmigungsfreiheit verarbeiteter, d.h. hygienisierter Gülle, wurde von den Bundesländern nicht geteilt.

Die Auffassung wurde seitens des Bundes auch gegenüber der EU-Kommission entsprechend vertreten. Die Niederlande setzten sich mit ihrer Auffassung jedoch durch, so dass inzwischen die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 142/2011 geändert wurde. Mit der Neufassung des einleitenden Satzes in Anhang XI Kapitel I Abschnitt 2 ist eine Zustimmung (=Genehmigung) nach Artikel 48 Absatz 1 der VO (EG) 1069/2009 nur noch für Guano von Fledermäusen und unverarbeitete Geflügelgülle, aber nicht mehr für verarbeitete Gülle und Folgeprodukte aus verarbeiteter Gülle erforderlich.

Die neuen Regelungen sind ab dem 19.08.2011 in den Mitgliedstaaten anzuwenden. Die Änderung des EG-Rechts entsprechend der niederländischen Vorstellungen ist wider Erwarten schneller als allgemein erwartet wurde erfolgt. Sie kommt auch ­aus niederländischer Sicht­ rechtzeitig vor dem Beginn ihrer eigenen Sperrfristen, die ab dem 01.09. für Ackerland und 15.09. für Grünland gelten. Die Sperrfristen in Deutschland beginnen zum Vergleich laut Düngeverordnung erst am 1.11. für Ackerland und am 15.11. für Grünland, so dass die Niederlande ihre Gülle nun wieder 2 weitere Monate nach Deutschland ­und hier hauptsächlich nach Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen­ verbringen können.

Die Änderung der Durchführungsverordnung ist in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht und von diesen daher verwaltungsmäßig umzusetzen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass das bisherige Genehmigungsverfahren für Klauentiergülle einschließlich der Forderung nach Drucksterilisation entfällt und zusätzlich auch keine TRACES-Mitteilungen mehr erforderlich sind (TRACES: Integriertes, europäisches tierärztliches Informationssystem, das im grenzüberschreitenden Verkehr von Tieren, Lebensmitteln und tierischen Nebenprodukten zum Informationsaustausch zwischen den Veterinärbehörden dient).

Damit stehen tierseuchenrechtliche Instrumente zur Steuerung und Überwachung der nach NRW versandten Mengen an hygienisierter Klauentiergülle nicht mehr zur Verfügung. Selbst die Einhaltung einer ordnungsgemäßen oder überhaupt durchgeführten Hygienisierung kann nicht mehr effektiv überwacht werden. Alle weiteren Maßnahmen sind nunmehr düngerechtlich zu treffen.

2. Wie gedenkt die Landesregierung auf die Positionsbestimmung der Europäischen Kommission zu reagieren, die sich Medienberichten zufolge der niederländischen Rechtsauffassung angeschlossen hat?

Die Landesregierung geht davon aus, dass die Niederlande in weit größerem Umfang als bisher Klauentiergülle, insbesondere in die grenznahen Regionen Nordrhein-Westfalens, versenden werden. Auf die damit verbundenen Probleme aus tierseuchenhygienischer und umweltpolitischer Sicht ist in Schreiben an Frau Bundesministerin Aigner seitens des Ministeriums nachdrücklich hingewiesen worden. Die Landesregierung bedauert, dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, ihre Position in Brüssel gegenüber den Niederlanden durchzusetzen.