Höhere Passgebühren für SGB-II-Betroffene

Warum vollzieht die Landesregierung Verschlechterungen für Hartz-IV-Betroffene durch ein Gesetz, an dessen Verfassungsmäßigkeit sie Zweifel hat?

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage:

Am 18.03.2011 passierte das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch den Bundesrat. Dieses Gesetz enthält nicht nur zahlreiche Verschlechterungen für Hartz-IV-Betroffene. Es ist auch umstritten, ob es den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 umsetzt. Zahlreiche Sozial- und Wohlfahrtsverbände, Initiativen und Gewerkschaften haben massive Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes. Auch die Landesregierung hat mehrfach ihre Zweifel daran geäußert, ob das jetzige Gesetz eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht besteht.

Trotz dieser Zweifel setzt die Landesregierung aber Verschlechterungen für Betroffene um, die durch das neue Gesetz möglich geworden sind. So wies das Ministerium für Inneres und Kommunales NRW die Bezirksregierungen Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Münster und Köln mit dem Runderlass vom 12.04.2011 ­ Az.: 13 ­ 38.03.06 an, dass künftig Hartz-IVBetroffene keine Gebührenbefreiung oder -ermäßigung bei der Beantragung von Personalausweisen mehr geltend machen können. Begründet wird dies damit, dass im neuen Regel satz der Personalausweis bei den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben mit einem Betrag von 0,25 monatlich (0,27 für Kinder und Jugendliche vom 14. bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres) enthalten seien. Daraus ergäben sich dann 3 Euro im Jahr und für die Gültigkeitsdauer des neuen Personalausweises ­ also in 10(!) Jahren ­ insgesamt 30 Euro, wodurch die Gebühr gedeckt sei.

Diese Begründung trifft aber nur auf diejenigen zu, deren Personalausweis tatsächlich erst nach 10 Jahren ab In-Kraft-Treten der neuen Regelsatzberechnung abläuft. Wer früher einen neuen Ausweis braucht, konnte die jetzt theoretisch hierfür vorgesehen Cents noch nicht ansparen.

Hinzu kommt, dass der Regelsatz politisch kleingerechnet wurde und viel zu niedrig bemessen ist, um die Kosten des täglichen Bedarfs decken zu können. Die Annahme, Betroffene könnten Teile ihres Regelsatzes ansparen, geht also völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei.

Solcherart politische Manipulationen des Regelsatzes sind auch Kern der vielfältigen Kritik am Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Beispielhaft kritisiert die Armutsforscherin Irene Becker die problematische Vermischung zweier möglicher Berechnungsmethoden, der des Statistik-Modells und der einer Zusammenstellung des Warenkorbes. So hat das BMAS zwar durch das Statistik-Verfahren den Regelsatz ermittelt, allerdings auch ­ analog zu Warenkorbmodell ­ bestimmte Ausgaben etwa für Tabakwaren und Mobilfunk als nicht regelsatzrelevant erklärt und diese Ausgaben unberücksichtigt gelassen. Dieses Vorgehen verletzt die Philosophie des Statistikmodells: Anders als beim Warenkorb-Ansatz stehe hinter dem nicht [!] die Vorstellung, Haushalte in der Grundsicherung sollten ihr Geld genauso ausgeben, wie es den ermittelten Einzelpositionen für Ernährung, Kultur, Verkehr etc. entspricht. Was hierbei zählt, ist die bedarfsdeckende Gesamtsumme [!] (vgl. http://www.boeckler.de/22700_22709.htm).

Die Berücksichtigung der Kosten für die Gebühren des Personalausweises im neuen Regelsatz zwingt also nicht dazu, die bisherige Gebührenermäßigung bzw. -streichung für abzuschaffen.

1. Bewertet Sozial- und Arbeitsminister Schneider den oben genannten Runderlass als sozial gerecht?

2. Warum veranlasst die Landesregierung Verschlechterungen für Hartz IVBetroffene unter Verweis auf ein Gesetz, an dessen Verfassungsmäßigkeit sie Zweifel hat?

3. Wie steht die Landesregierung zur oben genannten Kritik am Runderlass?

Die Fragen 1. bis 3. werden wegen des sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Das Ministerium für Inneres und Kommunales (MIK) hat mit seinem Runderlass zur Gebührenbefreiung/-ermäßigung bei der Beantragung von Personalausweisen und Pässen vom 12. April 2011 eine bundesgesetzliche Vorgabe umgesetzt. In der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch heißt es ausdrücklich, dass die neu festgelegten Gebühren von 28,80 Euro bezogen auf 10 Jahre für den Personalausweis, die künftig auch hilfebedürftige Personen zu entrichten haben, zusätzlich berücksichtigt [werden]. (BRDrucksache 661/10, Seite 105).

Das Land Nordrhein-Westfalen ist bei der Auslegung von Gebührenregelungen an diese Vorgaben gebunden.

Der Erlass des MIK schließt nicht grundsätzlich eine Kostenerstattung der Gebühren für einen Personalausweis aus, sondern weist lediglich daraufhin, dass ein Bezug von SGB IILeistungen für die Gebührenbefreiung/-ermäßigung alleine nicht mehr ausreicht.

Gemäß § 1 Absatz 6 der Personalausweisgebührenverordnung kann die Gebühr für die Ausstellung eines Personalausweises ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden, wenn die Person, die die Gebühr schuldet, bedürftig ist. Der oben genannte Erlass wurde in Zuständigkeit des MIK herausgegeben. Dabei wurden die Gesetzesmaterialien zur Ermittlung der neuen Regelbedarfe zugrunde gelegt. Nach dem Erlass ist auch weiterhin die Möglichkeit einer Gebührenbefreiung bzw. -ermäßigung im Einzelfall gegeben. Ob hierfür die Voraussetzungen vorliegen, muss die Behörde vor Ort aufgrund der vorgetragenen Umstände des Einzelfalls entscheiden.

Mit dem Erlass ist deutlich gemacht worden, dass der Verweis auf die Berücksichtigung im Regelbedarf nicht automatisch dazu führen darf, dass die Behörde bei entsprechendem Vortrag des Betroffenen ohne Prüfung des Einzelfalls grundsätzlich von einer Gebührenbefreiung/-ermäßigung absieht.

Mit dem Runderlass wurde daher keine Verschlechterung für Leistungsberechtigte nach dem SGB II veranlasst, sondern auf eine bundesrechtliche Vorgabe reagiert und der Erlass entsprechend aktualisiert.

4. Was gedenkt die Landesregierung zu unternehmen, um Verschlechterungen von Hartz IV-Betroffenen durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zu verhindern?

Derzeit konzentriert sich die Landesregierung darauf, eine den Interessen der Leistungsberechtigten entsprechende und rechtskonforme Umsetzung der geltenden Regelungen in Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten.