Funkzellenauswertung (FZA) und Versenden Stiller SMS zur Kriminalitätsbekämpfung

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 1162 mit Schreiben vom 11. November 2011 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet.

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

Der massive zivile Widerstand gegen die Nazi-Demonstrationen im Februar 2011 in Dresden wurde von der sächsischen Polizei mit dem massiven Einsatz bis dahin wenig bekannter Maßnahmen zum Eingriff in die telekommunikative Privatsphäre beantwortet. Deutlich wurde, dass ­ wie zuvor nur von autokratischen Regimes, wie dem Iran oder Tunesien, bekannt

­ auch die deutsche Polizei Standortdaten von Mobiltelefonen (Funkzellenabfrage, FZA) zur Handhabung politischer Proteste nutzen.

Um die nach § 100 g Strafprozessordnung gesetzten Anforderungen an die Anordnung einer Funkzellenabfrage zu entsprechen, wonach diese nur zur Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung genutzt werden darf, hatte das Land Sachsen für die Vorbereitung der Demonstrationen eine kriminelle Vereinigung konstruiert. Mittlerweile wurde offenkundig, dass auch sogenannte stille SMS versandt wurden, um die Nummern naher Telefone zu ermitteln und diese dann weiteren polizeilichen Maßnahmen zu unterwerfen. Nach Berichten der Tageszeitung taz haben Innenbehörden sogar Gespräche mitgehört.

Eingriffe in die telekommunikative Privatsphäre nach § 100 müssen nicht gesondert statistisch erfasst werden. Bundes- wie Länderbehörden müssen daher auch Parlamentarier/-innen keine Rechenschaft über Dimensionen der Maßnahmen ablegen. Die Einhaltung der Voraussetzungen für FZA kann also nicht überprüft werden. Ebenso bleibt im Dunkeln, ob zuvor andere Maßnahmen ergriffen wurden, nach deren Erfolglosigkeit eine FZA angeordnet wurde. Da die Polizei über keine eigene Anordnungskompetenz verfügt, werden einfache Amtsgerichte oder in Eilfällen die Staatsanwaltschaft bemüht.

Es stellt sich also die Frage, wie oft das Ermittlungsinstrument in Nordrhein-Westfalen bisher in Anspruch genommen wurde. Die Landesregierung muss hierfür jegliche Information offenlegen, die es Abgeordneten und der Öffentlichkeit ermöglicht, einen Einblick in die Häufigkeit wie auch Verfahrensweise bei FZA zu bekommen. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordern indes eine Anhebung bzw. Präzisierung der Eingriffsschwelle für die Funkzellenabfrage.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Die Aufklärung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, wie beispielsweise die Verfolgung von schwerer und Organisierter Kriminalität, hat für die Landesregierung hohe Priorität. Hierzu erfolgen unter Beachtung der rechtlichen Voraussetzungen verschiedene Maßnahmen.

So setzt die nordrhein-westfälische Polizei auch richterlich angeordnete Maßnahmen wie die Funkzellenauswertung und das Versenden von Ortungsimpulsen (sog. stille SMS) ein. Dabei sind die Funkzellenauswertung und das Versenden von Ortungsimpulsen zwei rechtlich wie technisch unterschiedliche Maßnahmen.

Die Funkzellenauswertung ist eine richterlich angeordnete Maßnahme, die Auskunft über gespeicherte Verkehrsdaten in einer Mobilfunkzelle der Mobilfunknetzbetreiber gibt. Diese Verkehrsdaten umfassen die Aufzeichnung der Netzbetreiber, welche Mobilfunkendgeräte in dieser Zelle im ermittlungsrelevanten Zeitraum eingebucht waren. Von den Netzbetreibern werden dabei nur aktiv gewordene (z. B. durch Telefonate, SMS) Endgeräte erfasst. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010 zu Mindestspeicherfristen sowie der immer noch fehlenden bundesgesetzlichen Umsetzung der europäischen Richtlinie 2006/24/EG sind diesbezügliche Daten bei den Netzbetreibern retrograd jedoch nur noch in einem begrenzten Umfang vorhanden.

Mit der richterlich angeordneten Maßnahme des Versendens von Ortungsimpulsen (sog. stille SMS) wird ein Mobiltelefon technisch veranlasst, mit dem Mobilfunknetz Kontakt aufzunehmen. Dies geschieht, ohne dass bei dem empfangenden Endgerät eine Aktivität erkennbar ist. Bei dem Ortungsimpuls handelt es sich nicht um eine herkömmliche SMSTextnachricht mit kommunikativen Inhalten, sondern lediglich um einen technischen Impuls zur Ortung des Endgerätes. Da es sich insoweit um keinen Kommunikationsvorgang handelt, berühren solche Ortungsimpulse auch nicht den Schutzbereich des Artikel 10 GG (vgl. Beschluss des vom 22.08.2006, 2 1345/03).

Der Ortungsimpuls wird über eine polizeiliche Anwendung versandt und bei den Mobilfunknetzbetreibern als Verkehrsdatum erfasst und gespeichert. Auf der Grundlage richterlich angeordneter Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ) gem. §§ 100a, 100b wird über den gesendeten Ortungsimpuls geprüft, ob das fragliche Endgerät eingeschaltet ist. Ist dies der Fall, löst der Ortungsimpuls eine aktuelle Meldung über die Funkzelle aus, in die das Endgerät eingebucht ist. Die Frequenz des Versands von Ortungsimpulsen auf einen einzelnen Mobilfunkanschluss kann, je nach Ermittlungsverlauf und -ziel, zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden liegen.

Um zu verdeutlichen, für welche Ermittlungszwecke solche Ortungsimpulse erforderlich sind, benenne ich folgende Beispiele:

Der Mobilfunkanschluss eines flüchtigen Gewaltverbrechers wurde auf richterliche Anordnung gem. §§ 100a, 100b überwacht. Mit Hilfe von in kurzen Abständen ausgesandten Ortungsimpulsen konnten die jeweiligen Funkzellen lokalisiert werden, in denen das genutzte Mobiltelefon eingebucht war. Hierdurch konnten Fahndungskräfte an den Flüchtigen herangeführt werden und diesen dann festnehmen.

Ein Vergewaltiger hatte sich der Festnahme durch Flucht entziehen können. Nach richterlicher Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung für die Mobilfunkanschlüsse des Straftäters gem. §§ 100a, 100b konnte über wiederholt ausgesandte Ortungsimpulse dessen Fluchtweg nachvollzogen und dieser daraufhin festgenommen werden.

In einem Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen erging eine richterliche Anordnung zur Telekommunikationsüberwachung gem. §§ 100a, 100b Über den wiederholten Versand von Ortungsimpulsen auf die Mobilfunkgeräte des sehr konspirativ handelnden Täters konnten insgesamt 16 Marihuana-Plantagen ermittelt sowie der Täter lokalisiert und festgenommen werden. Der Täter wurde zwischenzeitlich zu neun Jahren Haft verurteilt.

Die beschriebenen Funkzellenauswertungen und Ortungsimpulse werden ausschließlich auf richterlichen Beschluss oder bei Gefahr im Verzug aufgrund staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung, die binnen drei Werktagen richterlich bestätigt werden muss, durch die Polizei NRW durchgeführt.

Gemäß § 163 ist die Polizei zur Ermittlung und Aufklärung von Straftaten verpflichtet.

Diesem Strafverfolgungsauftrag kommt die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen konsequent nach. Dabei müssen ihr insbesondere zur Bekämpfung der schweren und organisierten Kriminalität alle rechtlich zulässigen Mittel zur Verfügung stehen. Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass Straftäter heute modernste Kommunikationsmittel nutzen. Eine Ermittlung und Verfolgung dieser Straftäter kann erfolgreich nur gelingen, wenn die Polizei auf modernste Ermittlungsmaßnahmen unter strenger Beachtung der rechtlichen Voraussetzungen zurückgreifen kann.

1. Bei welchen Kriminalitätsphänomenen bzw. herausragenden Ermittlungen wurden die Funkzellenauswertung oder auch das Versenden Stiller SMS zur heimlichen Lokalisierung von Mobiltelefonen in den letzten fünf Jahren eingesetzt?

(bitte auch konkrete Anzahl benennen)

Die Funkzellenauswertung erfolgt auf der gesetzlichen Grundlage des § 100g der hohe Anforderungen an die richterliche Anordnung einer Funkzellenabfrage stellt. Die Maßnahme ist nur zur Aufklärung von Straftaten von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung wie zur Bekämpfung der Schwer- und Organisierten Kriminalität, z. B. schwerer Bandenkriminalität, Raubstraftaten, schwerer Drogenkriminalität, Kapitaldelikten oder Brandstiftungen, sowie in besonders gelagerten Verfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung eines terroristischen Anschlags zulässig.

Gemäß § 100g Absatz 4 sind jährlich Übersichten über die durchgeführten Maßnahmen der Verkehrsdatenerhebung zu erstellen, die auch die Anlasstat enthalten. Die Funkzellenauswertung ist ein Unterfall der in § 100g normierten Verkehrsdatenerhebung und wird nicht selbständig in der Statistik erfasst. Daher kann die Anzahl der angeordneten Funkzellenauswertungen dieser Statistik nicht entnommen werden. Gesonderte Statistiken zur Funkzellenauswertung werden seitens der Polizeibehörden und der Justizbehörden des Landes NRW nicht geführt.