Direkte Schätzverfahren stützen sich ausschließlich auf Vergangenheitswerte der zu schätzenden Steuereinnahmen

A 15 Steuerrechtsänderungen oder auch die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft oftmals zu Strukturbrüchen in der Steueraufkommensentwicklung führen, die mit den vorhandenen Informationsquellen nicht hinreichend erfasst werden können.

Methoden der Steuerschätzung

Direkte und indirekte Schätzung

Für die Aufstellung der Haushalte der Gebietskörperschaften ist eine gesonderte Schätzung des Aufkommens jeder einzelnen Steuerart erforderlich.

Dies kann mittels direkter oder indirekter Schätzverfahren erfolgen.

Direkte Schätzverfahren stützen sich ausschließlich auf Vergangenheitswerte der zu schätzenden Steuereinnahmen. Aus der Zeitreihe der bisherigen Einnahmen wird ein Trend berechnet und in die Zukunft extrapoliert.

Änderungen der erwähnten exogenen Faktoren, also des Verhaltens der Steuerpflichtigen, der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch des Steuerrechts selbst, können bei diesen Methoden nicht berücksichtigt werden. Sie eignen sich daher hauptsächlich für kurzfristige Schätzungen.

Eine dynamische Betrachtung ist nur mit Hilfe von indirekten Schätzmethoden möglich. Sie simulieren auf der Ebene der Gesamtwirtschaft die Veranlagung von Durchschnittssteuerpflichtigen. Ausgehend von einer zunächst selbst zu schätzenden Steuerbemessungsgrundlage oder einer geeigneten Hilfsgröße ermitteln sie über den Steuertarif die Steuerschuld. In einem zweiten Schritt wird das durch Veranlagungs- und Zahlungsmodalitäten entstehende kassenmäßige Aufkommen abgeleitet.

Die indirekten Verfahren werden insbesondere bei den großen Gemeinschaftsteuern wie Lohn-, Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer angewendet. Sie sind wesentlich komplexer als die direkten Methoden und erfordern eine breitere Datenbasis.

Die Schätzung der Steuerbemessungsgrundlage basiert auf den Daten der amtlichen Steuerstatistik, die leider erst nach erheblicher zeitlicher Verzögerung zur Verfügung stehen. Diese Vergangenheitswerte werden mit Hilfe von Teilaggregaten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung fortgeschrieben.

So wird z. B. die Bruttolohn- und -gehaltssumme als Hilfsindikator für die

- A 16 steuerpflichtigen Arbeitseinkommen zur Prognose des Lohnsteueraufkommens verwendet.

Ausgangspunkt jeder Steuerschätzung ist somit die Analyse und Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung. Auf der Grundlage von Konjunkturprognosen und Wachstumsprojektionen werden Basisdaten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelt. Die wichtigste Größe ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP), definiert als der Marktwert aller Güter, die in einer Volkswirtschaft innerhalb einer bestimmten Periode konsumiert oder investiert werden, zzgl. des Saldos aus Exporten und Importen. Von der Entstehungsseite des BIP her müssen die Bruttolöhne und -gehälter sowie die Unternehmensund Vermögenseinkommen prognostiziert werden. Damit unterstellen die Schätzergebnisse immer eine Entwicklung, die dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt entspricht.

Aufkommenselastizitäten Überschlägige Berechnungen im Rahmen der Steuerschätzung werden häufig mit Hilfe von Aufkommenselastizitäten durchgeführt. Elastizitätskoeffizienten messen, wie sich das Aufkommen einer Steuer, einer Gruppe von Steuern oder des gesamten Steuersystems im Verhältnis zum Wachstum des BIP verändert. Aufkommenselastizitäten vergleichen die relativen Wachstumsraten des Steueraufkommens mit denen des BIP (in jeweiligen Preisen). Eine Elastizität von 1,2 bedeutet z. B., dass das Steueraufkommen 1,2-mal so stark wie das BIP wächst.

Die einzelnen Steuerarten zeigen beachtliche Unterschiede in ihren Elastizitäten. Elastizitätskoeffizienten mit einem Wert, der größer als eins ist, sind meist bei den einkommensabhängigen Steuern, insbesondere der Lohnsteuer, zu beobachten. Hauptursache hierfür ist der progressive Einkommensteuertarif. Während sich die Umsatzsteuer aufgrund des proportionalen Steuersatzes und der wertgebundenen Bemessungsgrundlage in etwa gleichgerichtet mit dem BIP entwickelt, bleibt das Aufkommenswachstum der direkten Verbrauchsteuern oft infolge der Konsumgewohnheiten der Verbraucher (Sättigungseffekte) hinter dem des Inlandprodukts zurück.

Aufgrund dieser steuerartspezifischen Unterschiede wird die Aufkommenselastizität des gesamten Steuersystems maßgeblich vom Gewicht der ein- A 17 zelnen Steuerarten am gesamten Steueraufkommen und von Verschiebungen innerhalb der Steuerstruktur bestimmt.

Sowohl die Elastizität des gesamten Steueraufkommens als auch einzelner Steuerarten schwanken im Zeitablauf sehr. Gründe hierfür liegen u. a. in den Veränderungen des Steuerrechts, der Einkommenspyramide, des Verhaltens der Steuerzahler oder im Veranlagungs- und Erhebungsrhythmus der Steuerverwaltung.

In der nachstehenden Übersicht 1 sind die Aufkommenselastizitäten des deutschen Steuersystems insgesamt sowie einiger Steuerarten in der langfristigen Entwicklung zusammengestellt. Im Durchschnitt der Jahre 1970 19905 lag die Aufkommenselastizität für das gesamte Steuersystem fast genau bei 1. Dies bedeutet, dass die Zuwachsrate des gesamten Steueraufkommens im langen Durchschnitt in etwa der Zuwachsrate des nominalen BIP entsprach. Wie erwartet, lag in diesem Zeitraum die Aufkommenselastizität der Lohnsteuer deutlich über 1 (1,27), bei einer Verbrauchsteuer (Energiesteuer) unter 1 (0,85) und bei den Steuern vom Umsatz bei ungefähr 1 (1,05).

In den einzelnen Jahren hatten insbesondere Steuerrechtsänderungen starke Ausschläge der Elastizitäten zur Folge. In den 80er Jahren sind einerseits die Steuersenkungen durch die Steuerreformstufen 1986, 1988 und 1990 deutlich zu erkennen. Diese Änderungen lassen sich insbesondere an dem Elastizitätskoeffizienten der Lohnsteuer ablesen. Andererseits spiegelt das starke Ansteigen der Gesamtaufkommenselastizität im Jahr 1989 (1,40) die Mehreinnahmen durch die Erhöhung der Verbrauchsteuern sowie die zeitweilige Erhebung der Quellensteuer wider. Die Erhöhung der Energiesteuer im Jahr 1989 ist deutlich an deren hohen Elastizitätskoeffizienten (3,19) abzulesen.

Die Zahlen ab 1991 beziehen sich auf das gesamte Bundesgebiet, also einschließlich der neuen Länder. Durch die hohen Transferleistungen von West nach Ost stiegen in den neuen Ländern die gesamtwirtschaftlichen Nachfrageaggregate wesentlich stärker als die vom BIP abgebildete gesamtwirtschaftliche Produktion. Dies bewirkte insbesondere bei den an Nachfragegrößen anknüpfenden Steuerarten einen erheblichen Elastizitätssprung.

Die Jahre ab 1991 wurden aus den Durchschnittsberechnungen ausgeklammert, da eine Vergleichbarkeit nicht mehr gegeben ist. Die Bundessteuern werden nur noch für das gesamte Erhebungsgebiet, d. h. alte und neue Bundesländer zusammen, ausgewiesen.