Dichtheitsprüfung an privaten Abwasserleitungen

In Nordrhein-Westfalen existieren geschätzte 200.000 km private Abwasserleitungen, die mit der öffentlichen Kanalisation verbunden sind. Um zu verhindern, dass Schmutzwasser aus undichten Leitungen in das Erdreich gelangt bzw. Fremdwasser in die Kanalisation eindringt, müssen diese Leitungen nach dem Landeswassergesetz zwingend dicht sein. Vor diesem Hintergrund sind Grundstückseigentümer dazu verpflichtet, ihre Abwasserleitungen regelmäßig auf Dichtheit prüfen zu lassen.

Bei der Dichtheitsprüfung handelt es sich eindeutig um eine Aufgabe gewerblichhandwerklicher Art. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW listet insgesamt 1.824 Sachkundige für die Durchführung von Dichtheitsprüfungen an privaten Abwasserleitungen auf. Angebot und Wettbewerb sind somit sichergestellt.

Gleichwohl scheinen gegenwärtig auch öffentliche Unternehmen Interesse an der Dichtheitsprüfung privater Abwasserleitungen zu entwickeln und auf den Markt zu drängen. In den Grenzland-Nachrichten vom 16. September 2010 war beispielsweise zu lesen, dass die Niederrheinwerke Service eine neue Abteilung zur Kanalprüfung eingerichtet und mehrere Mitarbeiter eingestellt haben, um diese Dienstleistung für Privathaushalte anzubieten.

Damit tritt ein kommunales Unternehmen in den direkten Wettbewerb mit der Privatwirtschaft. Dies ist ein klarer Verstoß gegen § 107 der Gemeindeordnung NRW. Hier heißt es: Die Gemeinde darf sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben wirtschaftlich betätigen, wenn [...] bei einem Tätigwerden außerhalb der Energieversorgung, der Wasserversorgung, des öffentlichen Verkehrs sowie des Betriebes von Telekommunikationsleitungsnetzen einschließlich der Telefondienstleistungen der dringende öffentliche Zweck durch andere Unternehmen nicht ebenso gut und wirtschaftlich erfüllt werden kann (§ 107 Abs. 3 GO NRW).

Bei der Dichtheitsprüfung handelt es sich eindeutig nicht um eine originäre Aufgabe im Rahmen der Wasserver- bzw. -entsorgung. Eine Privilegierung im o. g. Sinne kann daher ausgeschlossen werden. Aufgrund des vielseitigen Angebots lässt sich das kommunalwirtschaftliche Handeln auch nicht mit dem Vorliegen eines dringenden öffentlichen Zwecks begründen. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass private Anbieter die in Rede stehende Dienstleistung mindestens ebenso gut und wirtschaftlich erfüllen wie die öffentliche Hand.

Vor diesem Hintergrund verstoßen die Niederrheinwerke Service mit ihrem Angebot gegen geltendes Recht und schaden der mittelständischen Wirtschaft. Noch fragwürdiger wird dieses Vorgehen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Stadt Viersen in Kürze sogenannte Fristengebiete für die Prüfung der Abwasserkanäle festlegen wird. Die Stadt bestimmt also Prüfgebiete, die anschließend vom eigenen kommunalen Unternehmen abgearbeitet werden sollen.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Mit dem Gesetz zur Änderung des Landeswassergesetzes, der Landesbauordnung und des Landesabfallgesetzes vom 11. Dezember 2007 ist die Dichtheitsprüfung von privaten Abwasserleitungen vom Bauordnungsrecht in das Landeswassergesetz (§ 61a LWG) überführt worden. Die maßgeblichen Regelungsinhalte der Landesbauordnung sind zum großen Teil beibehalten worden.

Nach § 61a Absatz 3 Satz 1 LWG hat der Eigentümer eines Grundstücks im Erdreich oder unzugänglich verlegte Abwasserleitungen nach der Errichtung von Sachkundigen auf Dichtheit prüfen zu lassen. Die Dichtheitsprüfung ist in Abständen von höchstens zwanzig Jahren zu wiederholen.

Bei bestehenden Abwasserleitungen muss die erste Dichtheitsprüfung bei einer Änderung, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2015 durchgeführt werden. Durch Satzungen der Gemeinde können sich hiervon abweichende Zeiträume ergeben. Aus Gründen der geordneten Wasserversorgung muss die Gemeinde für die Prüfung bestimmter Abwasserleitungen in Wasserschutzgebieten kürzere Fristen als 2015 festlegen (§ 61a Absatz 5 Satz 2 LWG).

Die Dichtheitsprüfung privater Abwasserleitungen betrifft alle Hausbesitzer, also auch die Kommunen mit ihrem kommunalen Gebäudebestand.

1. Wurde die Landesregierung bzw. die zuständige Bezirksregierung über das dargestellte Vorgehen der Niederrheinwerke Service in Kenntnis gesetzt?

Nein.

2. Welche weiteren Fälle dieser Art existieren in NRW (bitte vollständige Liste beifügen)?

Die Landesregierung führt hinsichtlich der angefragten Sachverhalte keine Statistiken.

Auch die landesweite Liste von Sachkundigen, die mit Stand vom 29.11.2010 1.824 sachkundige Personen enthält, die Dichtheitsprüfungen an privaten Abwasserleitungen durchführen dürfen, lässt keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, von welchen Gemeinden bzw. gemeindlichen Einrichtungen oder Unternehmen die Durchführung von Dichtheitsprüfungen angeboten werden.

3. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen der Niederrheinwerke Service vor dem Hintergrund der dargestellten Faktenlage?

Die in der Kleinen Anfrage erfolgten Ausführungen beschränken sich entgegen des Aussagegehalts der Frage 3 keineswegs auf eine Darstellung der Faktenlage. Dies bezieht sich auf die folgende Aussage: Bei der Dichtheitsprüfung handelt es sich eindeutig nicht um eine originäre Aufgabe im Rahmen der Wasserver- bzw. -entsorgung. Eine Privilegierung im o.g. Sinne kann daher ausgeschlossen werden.

Die Landesregierung teilt die hierin enthaltene rechtliche Bewertung nicht. Nach § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GO gehören zu den sog. nichtwirtschaftlichen Betätigungen Einrichtungen des Umweltschutzes, insbesondere der Abfallentsorgung oder Abwasserbeseitigung.... Zur Abfallentsorgung, aber auch zur Abwasserbeseitigung gehören keinesfalls nur solche Betätigungen, bei denen es sich um kommunale Pflichtaufgaben handelt. Bei den Dichtheitsprüfungen an Abwasserleitungen handelt es sich in der Sache um einen Bestandteil einer ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung, auch wenn die Verpflichtung zur Dichtheitsprüfung den privaten Grundstückseigentümern obliegt.

Aus dem Umstand, dass es sich bei den Dichtheitsprüfungen nicht um eine kommunale Pflichtaufgabe handelt, kann nicht geschlossen werden, dass diese Dichtheitsprüfungen als wirtschaftliche Betätigung im Sinne des § 107 Abs. 1 GO NRW anzusehen sind. Entscheidend ist vielmehr, dass solche Dichtheitsprüfungen bei der gebotenen funktionellen und am Wortlaut des § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GO NRW orientierten Betrachtungsweise als Bestandteil der Abwasserbeseitigung anzusehen sind. Es handelt sich somit um eine sog. nichtwirtschaftliche Betätigung im Sinne des § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GO NRW. Für diese Betätigungen ist weder die Subsidiaritätsklausel einschlägig, noch bedarf es gesonderter Darlegungen zu einem dringenden öffentlichen Zweck.

Führen kommunale Einrichtungen mit qualifiziertem Personal (Sachkundigen) im Auftrag des jeweiligen privaten Grundstückseigentümers Dichtheitsprüfungen auf den Grundstücken der Grundstückseigentümer aus, stellt dies grundsätzlich keinen Verstoß gegen gemeindewirtschaftsrechtliche Vorschriften dar. Im Bereich des Gemeindewirtschaftsrechts beschränkt sich die Kommunalaufsicht auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle.

Die Niederrheinwerke Viersen sind ein zu gleichen Anteilen von den Gesellschaftern Stadt Viersen und Niederrheinische Versorgung und Verkehr AG (NVV AG) gehaltenes kommunales Dienstleistungsunternehmen. Im Bereich der Entsorgung sind die Niederrheinwerke Viersen von der Stadt Viersen mit der Abwasserbeseitigung beauftragt. Als eines der Tochterunternehmen der Niederrheinwerke Viersen bietet die Niederrheinwerke Viersen Service Dichtheitsprüfungen privater Abwasserleitungen an. Nach Auskunft der Stadt Viersen haben Mitarbeiter der Niederrheinwerke Viersen Service ihre Sachkunde zur Durchführung von Dichtheitsprüfungen an Abwasserleitungen feststellen lassen. Bei festgestellter Undichtigkeit erforderliche Sanierungsmaßnahmen an privaten Abwasserleitungen werden nicht von der Niederrheinwerke Viersen Service durchgeführt.

Vor diesem Hintergrund ist das Angebot der Niederrheinwerke Viersen Service an die Grundstückseigentümer, Dichtheitsprüfungen der privaten Abwasserleitungen durchzuführen, kommunalaufsichtlich nicht zu beanstanden.

4. Welche Maßnahmen wird die Landesregierung gegen diese mittelstandsfeindliche kommunalwirtschaftliche Praxis unternehmen?

Die Landesregierung beabsichtigt nicht, Maßnahmen gegen die genannte Praxis zu unternehmen. Sie teilt nicht die Bewertung in der Fragestellung, dass es sich hierbei um eine mittelstandsfeindliche kommunalwirtschaftliche Praxis handelt.