SGB VIII
Nach dem Normzweck des Art. 78 Abs. 3 LV NRW ist die Neuregelung einer Aufgabenübertragungsnorm konnexitätsrelevant, wenn sich die übertragenen Aufgaben auf Grund der neuen gesetzlichen Grundlage inhaltlich ändern. Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist durch einen Vergleich der Rechtslage vor und nach Erlass der Neuregelung zu ermitteln. Maßgeblich ist, ob für die betroffenen Kommunen eine entsprechende rechtliche Verpflichtung zur Aufgabenwahrnehmung bereits in diesem Umfang bestanden hat (vgl. 2007, 364, 366). Allerdings kommt nicht jeder inhaltlichen Modifizierung der übertragenen Aufgaben eine konnexitätsrelevante Bedeutung zu. Es muss sich vielmehr um eine wesentliche Aufgabenänderung handeln. Nach der Erläuterung, die der Verfassungsgeber in § 2 Abs. 4 vorgenommen hat, ist von einer Aufgabenveränderung auszugehen, wenn den Vollzug prägende besondere Anforderungen an die Aufgabenerfüllung geändert werden (vgl. auch LT NRW, Drs. 13/5515, S. 21 und 23).
Dies ist hier der Fall. Ab dem Zeitpunkt, ab dem § 1a Abs. 1 AG-KJHG konstitutive Wirkung zukommt, haben sich auch die Modalitäten der den Kommunen nach § 24 SGB VIII 2008 obliegenden Aufgabenerfüllung wesentlich verändert. Mit Inkrafttreten des KiföG ist nicht allein die bundesgesetzliche Zuständigkeitsregelung in § 69 Abs. 1 SGB VIII a.F. durch die landesrechtliche Aufgabenzuweisungsnorm des § 1a Abs. 1 AG-KJHG abgelöst worden. Daneben haben sich für die Kreise. und kreisfreien Städte signifikante inhaltliche Änderungen bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben nach § 24 SGB VIII ergeben. Offen bleiben kann, ob eine wesentliche Al!fgabenänderung bereits darin zu sehen ist, dass sich die objektivrechtliche Verpflichtung zur Förderung von Kindern unter drei Jahren gemäß Art. 1 Nr. 7, Art. 10 Abs. 3 KiföG mit Wirkung vom 1. August 2013 in einen Rechtsanspruch für alle Kinder ab dem vollendeten ersten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres wandelt. Die Anforderungen an die Aufgabenerfüllung haben sich jedenfalls dadurch geändert, dass sich mit dem KiföG die Maßgaben für den quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung im Vergleich zu dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) erheblich erhöht haben (vgl. BT, Drs. 16/9299, S. 2, 10). Während mit dem TAG eine Betreuungsquote von bundesweit durchschnittlich 21 Prozent für unter Dreijährige erreicht werden sollte, liegt dem KiföG eine Versorgungsquote von bundesweit durchschnittlich 35 Prozent zugrunde. Die Quote soll schrittweise bis 2013 realisiert werden. § 248GB VIII 2008 siehtdeshalb für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2013 die Verpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor, für Kinder im Alter unter drei Jahren Plätze in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege nach erweiterten Kriterien vorzuhalten. Die erweiterten Kriterien betreffen zum einen die Unterstützung der individuellen und sozialen Kompetenzen des Kindes (§ 24 Abs.3 Nr. 18GB VIII 2008), zum anderen die Erstreckung auf Arbeit suchende Erziehungsberechtigte (§ 24 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) 3. Alt. 8GB VIII 2008). Diese Vorhalteverpflichtung wird in § 24a SGB VIII 2008 durch eine stufenweise Ausbauverpflichtung für solche Träger der öffentlichen Jugendhilfe ergänzt, die diese Kriterien bei Inkrafttreten des KiföG noch nicht erfüllen können.
Außer durch den quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung ändern sich die Anforderungen an die Aufgabenerfüllung durch das KiföG dadurch, dass Tagespflegepersonen ein höheres Entgelt erhalten. Die einer Tagespflegeperson zu gewährende Geldleistung umfasst nunmehr auch die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Kranken- und Pflegeversicherung (§ 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII 2008). Des Weiteren ist der Betrag zur Anerkennung der Förderleistung der Tagespflegeperson leistungsgerecht auszugestalten, wobei der zeitliche Umfang der Leistung und die Anzahl sowie der Förderbedarf der betreuten Kinder zu berücksichtigen ist (§ 23 Abs. 2 Nr. 2i.V.m. Abs. 2a Sätze 2 und 3 SGB VIII 2008).
Es kann dahinstehen, ob jede dieser Veränderungen für sich genommen bereits als konnexitätsrelevant einzustufen ist. Jedenfalls in ihrer Gesamtheit stellen die veränderten Rahmenbedingungen eine wesentliche Aufgabenänderung dar.
3. Die mit § 1a Abs. 1 AG-KJHG getroffene Regelung führt auch zu einer konnexitätsrelevanten finanziellen Belastung der betroffenen Kommunen. In der Gesetzes- begründung zum KiföG sind in Bezug auf den mit der angestrebten Versorgungsquote von bundesweit durchschnittlich 35 Prozent verbundenen erhöhten Ausbaubedarf Mehrkosten (Investitions- und Betriebskosten) in beträchtlicher Höhe veranschlagt worden. Die Kostenschätzung für den Ausbau der Betreuungsangebote liegt bei jährlich 1,035 Mrd. Euro ab dem Jahr 2008 bis zu 2,983 Mrd. Euro zum Abschluss der Ausbauphase im Jahr 2013, der Betriebskostenansatz bei 2,323 Mrd. Euro jährlich ab dem Jahr 2014. Der Bund beteiligt sich mit einem Gesamtbetrag von bis zu 4 Mrd. Euro. Die den Ländern entstehenden Kosten entsprechen den Gesamtkosten abzüglich der durch den Bund bereit gestellten Mittel. Den Ländern entstehen damit in der Ausbauphase Kosten in Höhe von 8 Mrd. Euro und ab dem Jahr 2014 Kosten in Höhe von 1,553 ry1rd. Euro pro Jahr (vgl. BT, Drs. 16/9299, S. 21 ff.).
Die Feststellung der Unvereinbarkeit von § 1a Abs. 1 AG-KJHG mit Art. 78 Abs. 3 LV NRW beruht auf § 52 Abs. 3 LV.m. § 49 Satz 1, 1. NRW. Der Landesgesetzgeber ist von Verfassungs wegen verpflichtet, alsbald eine Regelung zu treffen, die den Anforderungen des Art. 78 Abs. 3 LV NRW gerecht wird. Dabei werden auch die Belange der kreisangehödgen Gemeinden zu berücksichtigen sein.