Aufhebungs- und Abweichungsverbot

Sachverständiger hingegen fasst die Regelungen des AG-SGB II NRW als eine unmittelbare und abschließende Umsetzung im Einzelfall durch das Gesetz selbst auf. Danach bedürfe es wegen der abschließenden gesetzlichen Regelung keiner weiteren Bescheide als Umsetzungsakte mehr. Die etwaige Bestandskraft der Altbescheide wäre bereits durch das Gesetz selbst aufgehoben. Die nachfolgenden Ausführungen legen zunächst die Auffassung der Sachverständigenmehrheit zu Grunde, wonach die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen durch Einzelbescheide erfolgt.

Einschlägiges Verfahrensrecht

Mit der formellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes, d.h. seiner Unanfechtbarkeit, gehen grundsätzlich ein Aufhebungs- und Abweichungsverbot einher. Deshalb bleibt nach § 43 Abs. 2 NRW ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Ob im vorliegenden Fall das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht nach oder - dem Votum eines einzelnen Sachverständigen folgend58 das Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren, SGB X) einschlägig ist, könnte im Ergebnis dahinstehen, da sich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Aufhebung von Verwaltungsakten insoweit gleichen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des SGB X wäre allerdings, dass es sich um eine Verwaltungstätigkeit nach dem Sozialgesetzbuch handelt. Anknüpfungspunkt für die Zahlungen des Landes an die Kommunen ist zwar die Ersparnis von Wohngeld. Wohngeld ist eine Materie des SGB. Die Mittel dienen darüber hinaus auch der Finanzierung bzw. Erstattung von erbrachten Sozialleistungen. Im Innenverhältnis zwischen dem Land und den kommunalen Trägern stellen sie jedoch keine Sozialleistung dar, da das Land den Kommunen gegenüber keinen sozialrechtlichen Anspruch erfüllt, vielmehr Mittel im Wege einer Finanzzuweisung überlässt. Daher ist hier nicht das SGB X, sondern das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht nach dem NRW einschlägig.

Voraussetzungen der Rücknahme, Vertrauensschutz Bestandskräftige Verwaltungsakte können unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 NRW auch nachträglich noch zurückgenommen oder widerrufen werden. § 48 NRW regelt die Rücknahme von rechtswidrigen, § 49 NRW den Widerruf von rechtmäßigen Verwaltungsakten. Der nach § 48 Abs. 1 Satz 1 NRW zurück zu nehmende Bescheid muss grundsätzlich von Anfang an rechtswidrig sein.59 Die anfängliche Rechtswidrigkeit der Zuweisungsbescheide ist erst nachträglich dadurch festgestellt worden, dass der Verfassungsgerichtshof die rückwirkende Unvereinbarkeit der Anlage A festgestellt hat. Somit handelt es sich um einen Anwendungsfall des § 48 NRW.

Diese Vorschrift differenziert weiterhin zwischen der Rücknahme begünstigender und belastender Verwaltungsakte. Die Zuweisung der Bundesmittel beinhaltet eine Geldleistung und ist damit ein begünstigender Verwaltungsakt. Gem. § 48 Abs. 1 können rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Da die Bescheide eine Geldleistung gewähren, müssen zudem im Regelfall die besonderen Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 NRW vorliegen. Danach ist die Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 242 BGB im Verwaltungsrecht entwickelt worden, um den Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen in seinem Vertrauen auf Maßnahmen der Verwaltung zu schützen. Allerdings gilt dieser Vertrauensschutz nicht im Verhältnis von Trägern öffentlicher Verwaltung untereinander. Nach ständiger Rechtsprechung des handelt es sich beim Vertrauensschutz um einen Schutzmechanismus zugunsten des Bürgers. Eines solchen Schutzes bedarf die Verwaltung selbst nicht. Da Träger öffentlicher Verwaltung an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden sind, können sie sich nicht auf den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustands berufen. Das gilt auch für Selbstverwaltungskörperschaften wie Gemeinden, die - ungeachtet ihrer Autonomie dem Staat eingegliedert sind. Der Ausschluss von Vertrauensschutz im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung hat zur Folge, dass die den Vertrauensschutz sichernden Absätze 2 und 3 des § 48 NRW für die Rücknahmeentscheidung nicht anwendbar sind.

Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände hat in ihrer Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass ein mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteter Träger im Falle der Begünstigung durch einen Verwaltungsakt sich gleichwohl auf Vertrauensschutz berufen könne. Sie stützt sich dabei auf die Kommentierung von Knack/Hennecke61 und Kopp/Ramsauer.62 Erstere bezweifelt ohne Begründung die Anwendbarkeit der zuvor dargestellten Rechtsprechung für diejenigen Verwaltungsträger, die mit Selbstverwaltungsautonomie ausgestattet sind.

Letztere begründet ihre Auffassung damit, dass für die Beurteilung nicht allein formale Anknüpfungspunkte ausschlaggebend sein sollen, sondern nach Treu und Glauben alle Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles. Letztere Auffassung kann im vorliegenden Fall Vertrauensschutz nicht begründen, da Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Anlage A bereits im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bekannt waren. Im Übrigen stellen sich beide Auffassungen als Mindermeinung dar, deren Begründungsansatz letztlich nicht überzeugt.

Angesichts der zuvor zitierten Rechtsprechung des ist auch die von den Sachverständigen aufgeworfene Frage obsolet, ob eine unterschiedliche Behandlung der Kommunen im Hinblick auf deren Datenehrlichkeit gerechtfertigt erscheint.

Gemäß § 48 Abs. 4 NRW ist die Rücknahme jedoch nur bis zu einem Jahr nach Kenntniserlangung der Rechtswidrigkeit möglich. Die Jahresfrist beginnt nicht schon mit dem Erlass des Verwaltungsakts. Diese Auffassung würde dazu führen, dass ein Verwaltungsakt in der Regel nur innerhalb eines Jahres seit Erlass zurückgenommen werden dürfte, was mit der Konzeption des § 48 NRW nicht vereinbar wäre.63 Bei der Frist handelt es sich vielmehr um eine Erkenntnisfrist, die erst in Gang gesetzt wird, wenn der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen - einschließlich der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts vollständig bekannt sind. Endgültig Kenntnis davon, dass die Zuweisung der Bundesmittel verfassungswidrig war und eine Neuverteilung möglich ist, erlangte das Land NRW erst mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 26.05.2010.

Folglich könnten die Leistungsbescheide bis zum 26.05.2011 zurückgenommen werden. Zwar besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Rücknahme rechtswidriger Bescheide. Vielmehr ist die Entscheidung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu treffen. Maßstab der Entscheidung hierbei ist allein das öffentliche Interesse. Das Ermessen der handelnden Behörden wäre allerdings im vorliegenden Fall durch die vom Gesetzgeber selbst vorgenommene Abwägung gebunden.

Die teilweise Rücknahme der Zuweisungsbescheide in Höhe der jeweiligen Überzahlung ist damit nach dem NRW möglich und würde die Bestandskraft der Zuweisungsbescheide insoweit aufheben.

2. Rückwirkung der neuen Anlage A:

Durch die Rücknahmebescheide würden zugleich die verfassungsgemäßen Beträge der Zuweisung für die Jahre 2007 bis 2009 neu festgesetzt. Sinnvoll wäre darüber hinaus, in ihnen auch die Höhe des Rückforderungsbetrages für die Jahre 2007 bis 2009 insgesamt als Voraussetzung der künftigen Verrechnung festzustellen. Dies ergibt sich aus § § 49 a Abs. 1 S. 1 NRW. Wird ein Verwaltungsakt rückwirkend zurückgenommen, der eine Geldleistung gewährt, so ergibt sich ein Anspruch auf Erstattung der gewährten Leistungen. Die zu erstattenden Leistungen sind nach Satz 2 mit schriftlichem Verwaltungsakt festzusetzen. Das alles setzt die Anwendung des Verteilmaßstabes der neuen Anlage A für die Vergangenheit voraus, wovon auch die Gesetzesbegründung ausgeht. Darin heißt es, dass das interkommunale Gleichbehandlungsgebot für den Zeitraum 2007 bis 2009 nur dann Berücksichtigung findet, wenn Nachteilsausgleich und Vorteilsausgleich auf der Grundlage der neuen Anlage A erfolgen.64 Insoweit handelt es sich um die Neuregelung bereits abgeschlossener Tatbestände aus der Vergangenheit.

Die Rückwirkung von Gesetzen unterliegt verfassungsrechtlichen Einschränkungen.