Aufgabenzuweisung. Das Recht der Kinder und Jugendhilfe unterliegt als Teil der öffentlichen Fürsorge nach Art

Gutachten

I. Stellt Jugendarbeit gern. § 115GB VIII für Kommunen eine pflichtige Leistung oder freiwillige Leistung im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit dar?

Die Frage umfasst mehrere Aspekte. Zunächst, inwieweit Kommunen in NRW zur Umsetzung der Vorschriften des SGB VIII verpflichtet sind. Zum zweiten, ob das SGB VIII selbst, oder ggfs. auch landesrechtliche Vorschriften die zuständigen Kommunen des Landes NRW zu bestimmten Leistungen verpflichten. Und schließlich, ob dabei die Leistungsfähigkeit einer Kommune Berücksichtigung findet.

1. Aufgabenzuweisung

Das Recht der Kinder und Jugendhilfe unterliegt als Teil der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nummer 7 GG der konkurrierenden Gesetzgebung12. Deshalb hat der Bund in eigener Zuständigkeit das SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe13 erlassen. § 11 SGB VIII regelt die Jugendarbeit als Teil der Jugendhilfe, deren Bestandteil u.a. die außerschulische Jugendbildung ist, wie folgt: (1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.

(2) Jugendarbeit wird angeboten von... den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Sie umfasst für Mitglieder bestimmte Angebote, die offene Jugendarbeit und Gemeinwesen orientierte Angebote.

(3) Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören:

1. außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung

Nach Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Für diesen Fall regeln die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren (Art.

84 Abs. 1 GG). Bis zum Jahre 2008 waren die Aufgaben des SGB VIII unmittelbar durch das Gesetz selbst den Kreisen und kreisfreien Städten als örtliche Träger der Jugendhilfe bundesrechtlich zugewiesen (§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII a.F.). Mit der Föderalismusreform I erfolgte in Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG eine wonach der Bund den Kommunen keine Aufgaben mehr übertragen darf. § 69 SGB VIii ist deshalb mit Wirkung vom 16. Dezember 2008 dahingehend geändert worden, dass die Bestimmung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nunmehr dem Landesrecht obliegt (§ 69 Abs. 1 SGB VIII n.F.).

Gutachten

Daraus folgt, dass eine unmittelbare Pflicht aller Kommunen des Landes NRW, Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen, nicht besteht. Allerdings können nach § 2 AG - KJHG NRW LV. mit der entsprechenden Rechtsverordnung große und mittlere kreisangehörige Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe15 bestimmt und weitere Jugendämter zugelassen werden. Die Anzahl der danach zugelassen kreisangehörigen Kommunen des Landes NRW beläuft sich derzeit auf 133. Die Aufgabe, Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu erstellen, trifft demnach die 30 Kreise des Landes, die 22

kreisfreien Städte, die Städteregion Aachen sowie die 133 zugelassenen kreisangehörigen Kommunen. Die weiteren 241 kreisangehörigen Gemeinden des Landes verfügen demzufolge über keine eigene originäre gesetzliche Zuständigkeit als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Zu diesen Kommunen gehört auch die Stadt Bergneustadt. Sofern solche Kommunen Jungendbeteiligungsgremien einrichten, erfüllen sie damit keine gesetzliche Verpflichtung, sondern schaffen ein freiwilliges Angebot auf der Grundlage ihrer verfassungsrechtlich vorgegebenen kommunalen (Aufgaben)Allzuständigkeit.

2. Art der Aufgabe

In NRW sind kommunale Aufgaben entweder Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (§ 3 Abs. 2 S. 1 GO NRW) oder Selbstverwaltungsaufgaben. Den Gemeinden können nach § 3 Abs. 1 GO NRW Pflichtaufgaben nur durch Gesetz auferlegt werden. Werden den Gemeinden neue Pflichten auferlegt oder werden Pflichten bei der Novellierung eines Gesetzes fortgeschrieben oder erweitert, ist gleichzeitig die Aufbringung der Mittel zu regeln. Führen diese neuen Pflichten zu einer Mehrbelastung der Gemeinden, ist ein entsprechender Ausgleich zu schaffen (§ 3 Abs. 4 GO NRW). Selbstverwaltungsaufgaben werden nach freiwilligen und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben unterschieden. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 78 Abs. 3 Landesverfassung NRW mit § 3 Abs. 1 GO NRW. Bei dem Aufgabentyp der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben wird die Gemeinde durch Gesetz verpflichtet, eine bestimmte Aufgabe wahrzunehmen, hat also nur noch einen Entscheidungsspielraum über das Wie der näheren Ausgestaltung. Die verpflichtende Bindung resultiert dabei aus den jeweiligen Spezialgesetzen, wobei § 3 GO NRW einen entsprechenden Gesetzesvorbehalt beinhaltet.

Die Aufgaben der Jugendhilfe sind bisher traditionell dem Bereich der kommunalen Selbstverwaltung zugeordnet worden. Der Selbstverwaltungscharakter der Jugendhilfe war in dem Vorgängergesetz zum SGB VIII, dem Gesetz für Jugendwohlfahrt, in § 12 Abs. 1 JWG - wenn auch verfassungswidrig-16 ausdrücklich festgeschrieben. Das SGB VIII sowie die ergänzenden Landesgesetze zur Jugendhilfe haben diese Tradition - ungeschrieben - übernommen. Bei der Übertragung durch § 1a AG - KJHG NRW im Jahre 2008 hat der Landesgesetzgeber keine ausdrückliche oder gar neue Festlegung hinsichtlich der Aufgabenart vorgenommen. Er hat vielmehr die bisherige Festlegung unverändert übernommen. Damit ist die Aufgabe ihrer Art nach als Selbstverwaltungsaufgabe erhalten geblieben. Für die Gesetzgebung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist eine einzige ausdrückliche Ausnahme bei der Aufgabenzuweisung ersichtlich. Nach § 15 Abs. 1 AG KHG NRW erledigen die Landesjugendämter die Aufgabe nach § 85 Abs. 2 Nr. 6 SGB VIII als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung. Gerade diese differenzierende Ausnahme macht deutlich, dass es der Landesgesetzgeber in Kenntnis der unterschiedlichen Möglichkeiten auch weiterhin - bezogen auf die Aufgabe nach § 11 SGB - bei einer Zuweisung als Selbstverwaltungsaufgabe belassen hat.

3. Kein gesetzlich spezifizierter Inhalt der Aufgaben

Es fragt sich weiterhin, ob § 11 SGB VIII oder die landesrechtiichen Regelungen bestimmte bzw. konkrete Maßnahmen oder Angebote zwingend vorgeben. Nach der Formulierung des Bundesgesetzgebers handelt es sich bei der Leistungsverpflichtung zur Jugendarbeit (sind... zur Verfügung zu steilen) um eine Muss-Bestimmung, so dass ein Handeln des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zwingend zu erfolgen hat, wenn die erforderlichen Angebote nicht oder nicht ausreichend von den Trägern der freien Jugendhilfe zur Verfügung gestellt werden 17.

Die dem Wortlaut nach verbindliche Formulierung zur Leistungsverpflichtung steht allerdings im Gegensatz zur Unbestimmtheit der in § 11 SGB VIII verwendeten Normbegriffe. Der Regierungsentwurf begründet dies damit, dass die Aufgliederung in einen Kanon schulischer Fächer unangemessen wäre, da Jugendarbeit ein Sozialisationsfeld für junge Menschen sei, in dem grundsätzlich die Gesamtheit der Lebensbezüge angesprochen wird18. Die Förderungsaufgaben seien von der Natur der Sache her einer bundesrechtlichen Regelung nur im Rahmen von Leitlinien zugänglich19, so dass von einer abschließenden Aufzählung und inhaltlichen Fixierung abgesehen werde. Dennoch ist das Förderungsangebot Jugendarbeit nicht nur als bloßer Programmsatz zu charakterisieren, sondern als echter Rechtssatz, der im Interesse der Allgemeinheit eine Förderungspflicht begründet.

Dies ergibt sich ebenfalls aus der in § 79 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII verankerten Förderungsverpflichtung der öffentlichen Träger der Jugendarbeit, wonach die Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährleisten sollen, dass die zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.

Der Landesgesetzgeber hat entsprechend dem in § 15 SGB VIII normierten Landesrechtsvorbehalt mit dem dritten Gesetz zur Förderung der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes - Kinder- und Jugendförderungsgesetz - (3. AG-KJHG - KJFöG NRW) vom 12. Oktober 2004 ergänzende Grundlagen zur Ausführung der in den §§ 11 - 14 SGB VIII beschriebenen Handlungsfelder der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes geschaffen.