Finanzhilfen

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6) Halten Sie die Beschränkung auf 34 überschuldete Kommunen für zielführend?

7) Wie beurteilen Sie eine Landeshilfe an alle finanziell notleidenden Kommunen in NRW die überschuldet, in Haushaltsnotlage oder in der Haushaltssicherung sind?

Um die Zielsetzung des Gesetzes zumindest in einigen Kommunen realisieren zu können, wäre eine Beschränkung auf vier kreisfreie Städte mit den höchsten Kassenkrediten pro Einwohner zielführend. Damit könnten dann die Kassenkredite und strukturellen Fehlbeträge in diesen vier Kommunen zumindest annähernd über die Jahre abgedeckt werden und man könnte in diesem Modellprojekt evaluieren, ob so der Haushaltausgleich nach zehn Jahren ohne weitere Hilfen überhaupt möglich ist.

Für 34 Kommunen ist die bereitgestellte Summe unzweifelhaft viel zu klein. Eine weitere Ausdehnung des Empfängerkreises würde dazu führen, dass in den Kommunen gänzlich die Wirkung der Finanzhilfen verpufft.

Eigentlich müssten angesichts der problematischen Kassenkreditentwicklungen seit mehr als einem Jahrzehnt aber deutlich mehr als die 34 Kommunen einbezogen werden, um die katastrophale Lage der Kommunalfinanzen in NRW halbwegs unter Kontrolle zu bekommen, nur reicht dafür die anvisierten Haushaltsmittel, die bei größerem Optimismus vier kreisfreien Kommunen tatsächlich die Haushaltskonsolidierung ermöglichen könnten, nicht ansatzweise aus.

III. Eigenleistung der Kommunen

1) Halten Sie die gesetzlichen Vorgaben zum Konsolidierungsbetrag der Kommunen (Abbau des Haushaltsdefizits in gleichmäßigen Schritten bis 2016) für realistisch und für umsetzbar?

2) Wie realistisch ist bei den 34 Empfängerkommunen der ersten Stufe ein Haushaltssanierungsplan, der ab 2016 einen Haushaltsausgleich vorsieht?

3) Halten Sie einen Haushaltsausgleich in 5 Jahren in gleichgroßen Schritten - auch mit Landeshilfen - für möglich?

4) Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Erfolgsaussichten des Haushaltsausgleichs für die 34 Kommunen, die zur Teilnahme an der Landeshilfe verpflichtet werden sollen?

5) Wie beurteilen Sie es, dass eine Vielzahl der 34 Empfängerkommunen bereits mit Hilfe der GPA das Einsparungspotential errechnet und Einsparvorschläge umgesetzt hat?

6) Wie bewerten Sie die Forderung im Haushaltssanierungsplan, einen Haushaltsausgleich ohne Konsolidierungshilfen, bis 2021 zu erreichen?

7) Wie bewerten Sie die von den teilnehmenden Kommunen erwarteten Eigenkonsolidierungsbeiträge bezüglich ihres zu erwartenden Umfangs?

Die im Gesetz formulierten Vorgaben sind unrealistisch und werden von vielen Kommunen nicht erfüllt werden können. Eigenleistungen, die bei Berücksichtigung der realen strukturellen Fehlbeträge 2009 / 2010, in vielen Kommunen mehr als 50% ausmachen sollen, sind angesichts der skizzierten Erblasten nicht möglich. Keine wissenschaftliche Studie und auch keine Angaben der GPA verweisen darauf, dass auch nur annähernd diese Eigenleistungen von den 34 Kommunen erbracht werden können. Ganz im Gegenteil: die von der Landesregierung bestellten Gutachter weisen dezidiert für den Kreis Recklinghausen mit der nötigen Tiefenschärfe nach, dass nach erheblichen Einschnitten das endogene Konsolidierungspotential außerordentlich niedrig ist und dass alle bisherigen, erheblichen Konsolidierungsbemühungen durch die steigenden Sozialausgaben aufgezehrt wurden (Junkernheinrich et al. 2009).

Da viele Landtagsabgeordnete und die Spitzen der Landesregierung über hinreichende kommunale Erfahrungen in Räten von Problemkommunen verfügen, kann hierauf verzichtet werden, näher an Zahlenbeispielen einzelner Städte zu zeigen, dass die extrem hohen Eigenleistungen nicht erzielbar sind. Im Kern weiß das jeder kommunale Praktiker in den Problemstädten und alle wissenschaftlichen Fallstudien 8 von 12 weisen darauf, dass selbst bei ausgeprägtem Konsolidierungswillen der kommunalen Entscheidungsträger Konsolidierungsleistungen in dieser Höhe kurz- und mittelfristig nicht erreichbar sind (Timm-Arnold 2010, Geißler 2011; Holtkamp 2000; 2010). Kommunale Haushaltskonsolidierung ist deutlich langwieriger und hat wesentlich weniger durchschlagende Effekte, als es aus der Vogelperspektive ohne Ausweisung konkreter und haushaltstellenscharfer Konsolidierungsmaßnahmen in Kommunalfinanzberichten und abstrakten finanzwissenschaftlichen Modellen angenommen wird. Bis sich beispielsweise die Schließung von öffentlichen Einrichtungen in kleineren Kommunen bei rechtlich und politisch weitgehend ausgeschlossenen betriebsbedingten Kündigungen rechnet und der Zuschussbedarf (bei sofort wegfallenden Einnahmen!) tatsächlich im Haushalt in vollem Umfang kassenwirksam eingespart wird, vergehen häufig Jahrzehnte.

Insofern würde man eigentlich erwarten, dass das Innenministerium oder von ihr bestellte Berater zumindest beispielhaft mit konkreten Konsolidierungsmaßnahmen hinterlegt vorrechnen würden, wie diese hohen Eigenleistungen ­ entgegen allen empirischen Untersuchungen und Praktikererfahrungen - erbracht werden können. Hierzu sind bezeichnender Weise keine Veröffentlichungen bekannt.

Die bisher von der Landesregierung in diese Problemkommunen entsandten Berater (beratende Sparkommissare in Waltrop, Marl und Hagen) haben aufgegeben oder zumindest um ihre Entlassung gebeten (Holtkamp 2010). Am Ende Stand beispielsweise in Waltrop die Diagnose des Sparberaters, dass einfach zu wenig Geld vorhanden ist und Effekte von Konsolidierungsmaßnahmen viel zu langsam eintreten, während parallel die externen Belastungen über die Umlagen deutlich schneller steigen.

Diese Erkenntnis ist nicht neu und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die prägende Erfahrung im Umgang mit dem nun vorgelegten Gesetzesentwurf sein. Insofern ist es politisch sicherlich nachvollziehbar, dass das Innenministerium auf demotivierende Beispielrechnungen für einzelne Kommunen verzichten will, aber letztlich wird dadurch lediglich die Politikverdrossenheit der Wählerschaft forciert. Es werden nicht im Ansatz für die Kommunen realisierbare Zielsetzungen durch die Landesregierung vorgegeben, deren vorprogrammierte Zielverfehlung in den Lokalmedien als mangelnder Konsolidierungswille der Stadträte vor Ort und als systematische Haushaltsschönung kritisiert werden wird. Die Intransparenz und die Vorgabe unrealistischer Ziele des Gesetzesentwurfs gehen also vor allem auf Kosten der kommunalen Demokratie.

IV. Aufsicht, Kontrolle, Sanktionen und Hilfe

1) Inwieweit halten Sie es für geboten, die Bestellung eines Beauftragten bei Verstößen gegen Sanierungsvereinbarungen i.S.v. § 8 Abs. 1 des Gesetzentwurfs verpflichtend zu machen?

2) Wie bewerten Sie die Ausnahmeregelungen beim Erfordernis, den Haushaltsausgleichs zu erreichen?

3) Wie bewerten Sie die Möglichkeiten der Bezirksregierung zur umfassenden Prüfung und Überwachung der Haushaltssanierungspläne?

4) Sehen Sie das Erfordernis, die Machbarkeit des Haushaltssanierungsplans durch die Bezirksregierung überprüfen zu lassen?

5) Sehen Sie die Bezirksregierungen mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet, um der Aufgaben der Kontrolle und Überwachung der Haushaltssanierungspläne gerecht zu werden?

6) Wie bewerten Sie die Sanktionsmöglichkeiten der Bezirksregierung im Falle eines Verstoßes gegen die Auflagen des Haushaltssanierungsplans?

7) Welche Maßnahmen bleiben Ihrer Ansicht der Bezirksregierung, wenn eine Kommune mögliche Eigenbeiträge aus gerechtfertigten Gründen nicht erbringen kann, wenn kein Einsparpotential vorhanden ist?

8) Welche Maßnahmen könnte die Kommunalaufsicht einleiten bei Nichterfüllung der Haushaltssanierungspläne?

a) Was halten Sie von einem Bürgerbeitrag in Form der Erhöhung der Grundsteuer B

9) Wie bewerten Sie die Möglichkeit eines Beauftragten gemäß §124 Gemeindeordnung und die tatsächlichen Möglichkeiten den Haushaltssanierungsplan zu realisieren, nachdem bereits die Kommune, die GPA und die Bezirksregierung alle möglichen Einsparungspotentiale bereits

- nachvollziehbar dokumentiert - ausgeschöpft haben?

10) Für wie wahrscheinlich halten Sie im Falle der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in den 34 teilnahmepflichtigen Kommunen:

Die Schließung vieler/aller freiwilligen Einrichtungen und Einstellung freiwilliger Dienstleistungen?

Betriebsbedingte Kündigungen?

Die Rückführung und Absenkung von Standards bei Pflichtaufgaben? Wie könnte das konkret aussehen?

Welche sonstigen Maßnahmen müssten die 34 Kommunen ergreifen, um das Ziel des Haushaltsausgleichs bis 2016 zu erreichen?

Die Anfragen der Landtagsfraktionen verweisen zu Recht auf die Probleme, die im Vollzug des Gesetzes durch die Haushaltsaufsicht vorprogrammiert sind. Im Kern werden alle aufgezeigten strukturellen Widersprüche des Gesetzesentwurfs in den Vollzug verschoben. Der Landtag soll zudem bei Abweichungen von der Konsolidierungsplanung mit dem Gesetzesentwurf das Innenministerium ermächtigen, alle Sanktionen ergreifen zu können bis hin zur Bestellung eines Beauftragten gemäß §124 GO NW.

Da aus den dargelegten Gründen damit zu rechnen ist, dass die Mehrzahl der Kommunen, den Haushaltausgleich nicht im vorgeschriebenen Zeitraum erreichen werden, werden ihre Entscheidungen dauerhaft unter dem angedrohten Damoklesschwert der Entsendung eines Beauftragten stehen. Welche Folgen dies hat, haben drei der 34 Kommunen bereits erfahren dürfen. In der Stadt Hagen, Marl und Waltrop wurden bereits beratende Sparkommissare eingesetzt. Den Städten wurde angedroht, dass wenn die Vorschläge der von der Haushaltsaufsicht entsendeten Berater nicht umgesetzt werden, der Beauftragte §124

GO NW zum Einsatz käme. Insofern standen also in diesen drei Städten bereits alle haushaltspolitischen Entscheidungen im Schatten eines möglichen Beauftragten und regelmäßig vor Ratsentscheidungen drohte der Regierungspräsident über die Presse mit der Ausschaltung des Stadtrates, wenn Entscheidungen nicht in seinem Sinne getroffen würden (vgl. ausführlich mit allen Nachweisen Holtkamp 2009, 2010; Holtkamp 2010). Unfraglich wurde dadurch die kommunale Selbstverwaltung in den drei Städten ausgehebelt und der Wählerschaft konnte nicht mehr im Ansatz klar sein, wer für kommunale bzw. aufsichtsbehördliche Entscheidungen, die demokratische Verantwortung hat. Im Bermudadreieck zwischen Haushaltsaufsicht, Beratern und kommunalen Entscheidungsträgern wurde die Verantwortung hin und hergeschoben, während die Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit präjudiziert wurden.

Noch irritierender muss es für die Öffentlichkeit und Wählerschaft gewesen sein, als diese extrem verschuldeten Städte nur kurz nach diesen Maßnahmen von der Haushaltsaufsicht als konsolidiert eingeordnet wurden.

Die Haushaltsaufsicht bilanzierte 2009, dass die kreisangehörige Gemeinde Waltrop gesund gespart worden sei. Zur feierlichen Verabschiedung des beratenden Sparkommissars in Marl konstatierte der RP schließlich: die Stadt Marl kann somit heute finanziell mit einiger Zuversicht in ihre Zukunft schauen.

Da alle drei Städte nur kurze Zeit später wieder von der Haushaltsaufsicht als überschuldet eingeordnet werden, was die Öffentlichkeit wieder irritieren und eine demokratische Kontrolle durch die Wählerschaft ganz erheblich erschweren dürfte, ist klar, dass die Androhung von Beauftragten keine größeren Konsolidierungseffekte versprechen. Vielmehr wurde letztlich wegen erheblicher Prozessrisiken kein Beauftragter entsendet und das wird damit legitimiert, dass man die Städte gesund gespart habe, obwohl in allen drei Städten die Kassenkredite immer weiter aus dem Ruder liefen.

Gesund gespart worden, in: Bezirksregierung Münster 2009: Jahresrückblick 2008, Münster: 41.

Rudolf Pezely geht als Berater der Stadt Marl von Bord, Pressemitteilung der Bezirksregierung Münster vom 11.8.08.