Haushaltssicherungskonzept

Wie bewerten Sie die in einem Haushaltssicherungskonzept implizite Unterstellung, dass die Ursache der Überschuldung einer Kommune bei ihr selbst liege und demzufolge ein ausgeglichener Haushalt auch von ihr erreicht werden könne?

Siehe Antwort zu Frage 1. Im Übrigen dürfen wir auch auf die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände zu der Anhörung von Sachverständigen zu dem Antrag der Fraktion der FDP Wiederaufbau der Kommunalfinanzen nach der Finanzkrise - Anreizsysteme statt Freifahrtscheine im Landtag vom 21.01.2011 verweisen (LT-Drs. 15/125). Bisherige gesetzliche Regelung

9. Welche Auswirkungen hat die Aussicht aufeinen dauerhaften Verbleib im sog. Nothaushaltsrecht trotz eingeleiteter Haushaltssicherungsmaßnahmen auf die Konsolidierungsbemühungen von Rat und Verwaltung?

Einzelne Kommunen befinden sich inzwischen seit mehr als einem Jahrzehnt im Nothaushaltsrecht. Schon seit Anfang der 90er Jahre wirtschaften zahlreiche Kommunen mit einem Haushaltssicherungskonzept. Die chronische Unterfinanzierung und der in den letzten Monaten beschleunigt fortgesetzte Verfall der finanziellen Basis der Kreise und Gemeinden verstoßen gegen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie. Schon am 05.11.2008 hatten die kommunalen Spitzenverbände aus Anlass einer Sachverständigenanhörung im Landtag Nordrhein-Westfalen zur bilanziellen Überschuldung der Stadt Oberhausen darauf hingewiesen, dass Lösungen für die riesigen strukturellen Probleme der betroffenen Kommunen nur in Kooperation von Land und Kommunen entwickelt werden können, und einen entsprechenden Konsolidierungspakt gefordert.

10. Inwieweit behindert das aktuelle Nothaushaltsrecht wirtschaftlich sinnvolle nachhaltige Konsolidierungsstrategien bzw. -maßnahmen? Sind Ihnen Beispiele aus der kommunalen Praxis bekannt?

Das Innenministerium hatte zum 6. März 2009 einen Erlass Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung veröffentlicht. Der Leitfaden berücksichtigt die mit der Einführung des NKF veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen. Besonders umstritten sind die im Leitfaden enthaltenen Regelungen zu den Personalbudgets und zur Berechnung des genehmigungsfähigen Kreditaufnahmerahmens von Kommunen im Nothaushaltsrecht.

Zum Personalbudget: Kommunen dürfen, wenn sie sich in der vorläufigen Haushaltsführung befinden, ausschließlich Aufwendungen entstehen lassen und Auszahlungen leisten, zu denen sie rechtlich verpflichtet oder die für die Weiterführung notwendiger Aufgaben unaufschiebbar sind.

Da es im Beamtenrecht grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Beförderung gibt, hat diese Regelung in der Vergangenheit zu erheblichen Beförderungsstaus in den Kommunen geführt, mit allen nachteiligen Folgen für die Motivation der Bediensteten und die Attraktivität einer Beschäftigung in den Kommunalverwaltungen. Daher wurde im Jahr 2006 mit der Landesregierung eine Regelung getroffen, die auch diesen Kommunen ihren personalwirtschaftlichen Handlungsspielraum zurückgegeben hat. Danach kann ein Personalausgabenbudget gebildet werden, das sich aus der Differenz der Personalaufwendungen des Vorjahres und der des Vorvorjahres ergibt und aus dem heraus Beförderungen vorgenommen werden können. Aber auch die leistungsorientierte Bezahlung und die Opt-out-Zulage für den Bereich der Feuerwehr kann aus diesem Beförderungsbudget bestritten werden.

Seit 2009 ist die Bildung und Nutzung eines solchen Personalausgabenbudgets für die von Überschuldung bedrohten bzw. bereits überschuldeten Kommunen nicht mehr möglich. Damit ist in diesen Städten ein personalwirtschaftlicher Stillstand programmiert, den sich gerade diese Kommunen, die auf die Motivation ihrer Mitarbeiter genauso angewiesen sind wie alle anderen, schlechterdings nicht leisten können.

Die im Jahr 2006 im Zusammenwirken von Landesregierung und kommunalen Spitzenverbänden erarbeitete Regelung, wonach sich auch Kommunen ohne genehmigtes Haushaltssicherungskonzept durch die Bildung eines Personalausgabenbudgets personalwirtschaftliche Handlungsmöglichkeiten wie Beförderungen selbst erwirtschaften können, sollte weiter erhalten bleiben. Diese Regelung muss auch von Kommunen genutzt werden können, die von Überschuldung bedroht bzw. bereits überschuldet sind. Denn gerade diese Kommunen sind auf qualifiziertes und motiviertes Personal besonders angewiesen.

Bereinigung des Personalbudgets: Aufgrund des zusätzlichen Personalbedarfs insbesondere im Bereich der Kindertagesbetreuung werden Kommunen in der Haushaltssicherung in den kommenden Jahren nicht in der Lage sein - trotz strenger Personalbewirtschaftung - ein sog. Personalaufwandbudget zu erwirtschaften. Denn der Personalmehraufwand, der für die Wahrnehmung neuer Aufgaben entsteht, darf bei der Ermittlung des Personalaufwandbudgets nicht in Abzug gebracht werden. Insoweit sind Beförderungen von Beamten wenn überhaupt nur in einem äußerst geringen Umfang und freiwillige Zulagen (z.B. Opt-Out Zulage bei der Feuerwehr) nicht mehr zulässig. Dies hat einen immer weiter ansteigenden Beförderungsstau zur Folge, verbunden mit der Gefahr, dass vor allem gute Mitarbeiter in Nachbarkommunen abwandern, die sich nicht im Nothaushaltsrecht befinden. Bei der Feuerwehr hätte die Abschaffung von Opt-Out (zwingend) zur Folge, dass in entsprechendem Umfang neue Stellen zu schaffen und zu besetzen wären, was um ein Vielfaches höhere Personalaufwendungen verursachen würde.

Bei Personalmehraufwendungen, die auf Grund gesetzlicher Regelungen für die Kommunen neu vorgegeben werden wird somit dringender Anpassungsbedarf des Leitfadens des Innenministeriums NRW zur Haushaltssicherung (vom 06.03.2009) gesehen. Um Verzerrungen bei der Ausgestaltung der Personalausgabenbudgets zu vermeiden, muss den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, das Budget um Personalmehraufwendungen zu bereinigen, die auf Grund gesetzlicher Regelungen für die Kommunen neu vorgegeben werden und nicht im steuerbaren Einflussbereich der Kommunen liegen.

Einschränkung der Ausbildungsmäglichkeiten der Kommunen: Restriktionen bei der Ausbildung von Nachwuchskräften in den Kommunen, die von Überschuldung bedroht sind bzw. bereits überschuldet sind, müssen entfallen. Zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der Kommunalverwaltungen bleibt insbesondere vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung die eigene Nachwuchsausbildung auch zukünftig der vorherrschende Weg der Fachkräfterekrutierung.

Die prekäre Haushaltssituation vieler nordrhein-westfälischer Kommunen hat die Bezirksregierungen im letzten Jahr zu deutlichen Maßnahmen veranlasst. So wurde gegenüber von Überschuldung bedrohten bzw. überschuldeten Kommunen u. a. verfügt, dass diese Kommunen Ausbildung künftig nur noch anbieten bzw. ausgebildete Nachwuchskräfte übernehmen dürfen, wenn über den grundsätzlich erforderlichen Nachweis eines zwingenden Personalbedarfs für die Wahrnehmung pflichtiger Aufgaben und der Unaufschiebbarkeit hinaus eine Rekrutierung des erforderlichen Personals anderweitig nicht erfolgen kann und eine Personalbeschaffung ohne vorherige Ausbildung in der eigenen Verwaltung faktisch ausgeschlossen ist. Diese Ankündigung hat zu deutlichen Reaktionen der betroffenen Kommunen gegenüber der Landesregierung und den Regierungspräsidien geführt.

Dies hat der damalige Innenminister zum Anlass genommen, die Regierungspräsidenten am 14. April 2010 persönlich anzuschreiben und über die Haltung der Landesregierung zu informieren. Dabei wurde insbesondere betont, es gäbe keine Vorgabe des Innenministeriums dergestalt, dass Kommunen, die überschuldet sind oder vor der Überschuldung stehen, keine Ausbildungsplätze bereit stellen dürfen. Allerdings hätten die Kommunen gegenüber der jeweiligen Aufsichtsbehörde plausibel darzustellen und zu begründen, warum der erforderliche Personalbedarf durch Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten (im Pflichtbereich) gedeckt werden müsse.

Hausintern wurde dazu erklärt, man gehe davon aus, dass sich diese Begründung in der Regel werde überzeugend vortragen lassen. Seitens der kommunalen Spitzenverbände bestehen daran erhebliche Zweifel. Auch aus diesem Grund ist eine Klarstellung erforderlich, wonach die Aufsichtsbehörden auch bei überschuldeten bzw. von Überschuldung bedrohten Städten, Kreisen und Gemeinden eine Ausbildung für den eigenen Nachwuchsbedarf grundsätzlich weiter zulassen werden.

Berechnung des genehmigungsfähigen Kreditaufoahmerahmens: Im Erlass des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen (vom 6. März 2009) wird im Zusammenhang mit der vorläufige Haushaltsführung bei nicht genehmigtem Haushaltssicherungskonzept darauf verwiesen, dass durch den veränderten Investitionsbegriff im NKF es nicht zu vertreten sei, die gesamten ordentlichen Tilgungen in voller Höhe zum Maßstab für die genehmigungsfähige Kreditaufnahme zu machen, da im Verhältnis zum kameralen Recht der Investitionsbegriff einerseits enger (zum Beispiel bei Investitionszuschüssen), in anderen Bereichen (geringwertige Wirtschaftsgüter) weiter gefasst ist.

Der strenge Kreditdeckel (max. Kreditaufnahme: zwei Drittel der ordentlichen Tilgung) behindert derzeit insbesondere wirtschaftlich sinnvolle Investitionen z. B. im Bereich Straßenbau und Gebäudemanagement. Denn vor allem vor dem Hintergrund des Ausbaus der Kindertagesbetreuung wird der bestehende Kreditrahmen bereits weitgehend gebunden.

Proberechnungen der Städte Mülheim, Recklinghausen und Solingen hatten eine Kreditlücke von 1 bis 2,5 Millionen Euro jährlich für die Kernverwaltung in den kommenden zwei Jahren ergeben. Weitere Verprobungen haben gezeigt: Kommunen mit hoher Tilgung und geringen Verschiebungen (zwischen investiven und konsumtiven Aufwendungen) sind benachteiligt durch die Neuregelung. Deutlich wurde mit den Proberechnungen, dass mit der Einführung des NKF ein veränderter Ausweis der Investitionstätigkeit erfolgt. Ausgaben, die im kameralen System noch als Investitionen galten, sind im NKF-System als konsumtiver Aufwand darzustellen. Die Anrechnung von Verkaufserlösen muss weiter hinterfragt werden, denn dadurch entstehen in mehreren Städten Kreditlücken in Höhe mehrerer Millionen Euro.

11. Wie bewerten Sie das Instrument Haushaltssicherungskonzept in der bisherigen Form insbesondere im Hinblick auf die Leistung eines Beitrages zur Konsolidierung der Kommunaljinanzen?

Nach jahrzehntelanger Übung in der Abarbeitung von Haushaltssicherungskonzepten scheinen die Möglichkeiten inzwischen zunehmend ausgereizt. In einschlägigen Haushaltssicherungskonzepten finden sich vielfältige Einzelrnaßnahmen. Zudem werden verfahrenstechnische Ansätze einer veränderten Haushaltssteuerung geprüft. Neben der Weiterentwicklung der Kosten- und Leistungsrechnung, der internen Leistungsverrechnung, der Nutzung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften oder der Budgetierung wird aktuell eine wirkungsorientierte Steuerung in Kommunen erwogen. Eine neue Steuerung wird ausbleibende Erträge nicht kompensieren könnten, sie könnte aber helfen, mit dem vorhandenen Geld besser und zielgerichteter umzugehen.

12. Ist aus Ihrer Sicht die Vorlage eines ausgeglichenen Haushaltes für Kommunen, die ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen haben, vornehmlich ein zeitliches Problem im Hinblick auf die zulässige Konsolidierungsfrist des § 76 Abs. 2 S. 3 GO NRW? Haushaltskonsolidierung und Haushaltssicherung in der doppischen Welt erfordert als Basis die Beurteilung der Vermögens-, Ergebnis- und Finanzrechnung. Zur Sicherung des Haushaltsausgleichs sind insbesondere die finanziellen Rahmenbedingungen der Kommunen neu zu ordnen, und es ist die strikte Wahrung des Konnexitätsprinzips erforderlich. Änderungen im Gemeindehaushaltsrecht sind als flankierende Maßnahmen anzusehen. Hier wären - neben dem vorgeschlagenen Verzicht auf die Kopplung der Genehmigungsfähigkeit des Haushaltssicherungskonzepts an den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung - u.E. die Umwandlung der Ausgleichsrücklage in eine Überschussrücklage (Dynamisierung der Ausgleichsrücklage), die Berücksichtigung von auf den Einzelfall bezogenen periodenübergreifenden Maßnahmen bei der Haushaltssicherung notwendig. Perspektivisch wird die Einbeziehung der Ergebnisse des Gesamtabschlusses zu prüfen sein.