Inflation

11. Wie bewerten Sie die Möglichkeiten zu Abwahlverfahren per Bürgerentscheid in

a) Brandenburg.

In Brandenburg sah das Gesetz vom 15.0ktober 1993 vor, dass lediglich zehn Prozent der Wahlberechtigten die Initiative unterstützen müssen. Das niedrige Quorum führte zu dem geflügeltem Wort Bürgermeisterkegeln. Seit der Gesetzesänderung im Jahre 1998 gilt nun eine gestaffelte Regelung nach Gemeindegröße. Demnach müssen in Gemeinden bis zu 20 000 Einwohnern 25% der wahlberechtigten Bürger für den Abwahlantrag stimmen und in Gemeinden zwischen 20 000 und 60 000 Einwohnern 20%. Bei Städten mit mehr als 60 000 Einwohnern liegt das Initiativquorum bei 15% der Wahlberechtigten. In Bundesländern mit einer divergierenden Größenstruktur der Gemeinden ist ein gestaffeltes Initiativquorum zu befürworten.

b) Sachsen

In Sachsen muss seit 1993 ein Drittel der wahlberechtigten Bürger für die Abwahlinitiative stimmen. In Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern Ist es allerdings möglich, das erforderliche Quorum auf ein Fünftel zu senken.

c) Schieswig-Hoistein

Ein Bürgerbegehren zur Abwahl der Gemeindespitze kommt in Schleswig Holstein zustande, indem mindestens 20% der Abstimmungsberechtigten der Gemeinde für die Einleitung einer Abwahl votieren.

Die Länder Brandenburg, Schleswig-Holstein und Sachsen betreten Neuland in der deutschen Kommunalverfassungsgeschichte, indem ein Abwahlverfahren gegen den amtierenden Bürgermeister von der Kommunalvertretung und von den Bürgern initiiert werden kann. Von einem inflationären Gebrauch dieses direkten Abwahlinstruments sind die Bürger/innen dieser drei Bundesländer weit entfernt.

12. Wie wird in anderen Gemeindeordnungen sichergestellt, dass die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger keine übereilten Entscheidungen treffen und die kontinuierliche Verwaltungsarbeit gewahrt bleibt?

Die Erfordernisse wiederholter Abstimmung und qualifizierter Mehrheiten verhüten übereilte, von Stimmungen diktierte Entscheidungen. Auch die finanzielle Belastung der Gemeinde mit u.U. der lebenslänglichen Pensionszahlung erschwert die Abwahl. So sollte die Gewähr gegeben sein, daß eine solche Maßnahme wohl überlegt und nur beschlossen wird, wenn der Rat davon überzeugt ist. Schon die finanzielle Belastung, die ein Rat den Bürgern, durch eine vorzeitige Abwahl aufbürdet, zielt auf eine Abwägung der Entscheidung die eine Befreiung von der Zusammenarbeit mit einem Bürgermeister, dem sie nicht mehr vertraut mit sich bringt. Die derart für die Gemeindevertretung errichteten gesetzlichen Hemmnisse einer Abwahl in Verbindung mit der Sicherung des Beamten durch ein Ruhegeld gewährleisten dem hauptamtlichen Bürgermeister ein Mindestmaß an Unabhängigkeit von politischen Instanzen. Ein Mindestmaß an Kontinuität des Verwaltungshandelns ist über die Beigeordneten/Dezernenten und gegeben.

GARNRW - 7 13. Welche Quoren halten sie aus demokratietheoretischer Sicht für sinnvoll bei der Abwahl eines Hauptverwaltungsbeamten:

a) Einleitungsquoren

b) Quoren bei der tatsächlichen Abwahl

Ein Abwahlverfahren findet in zwei Etappen statt: Zunächst wird ein Antrag auf Einleitung eines Abwahlverfahrens gegen den Bürgermeister initiiert Diese Hürde sollte nicht zu hoch sein, wenn es ein ernst gemeintes Instrument darstellen soll. Ein Quorum nach Gemeindegrößen gestaffelt zwischen 15-25% wie in Brandenburg wäre ein nachvollziehbarer Kompromiss. In Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein ist die Einleitung eines Ratsbegehrens am einfachsten zu realisieren. Für den Antrag ist hier kein besonderes Quorum erforderlich, er kann von nur einem Mitglied der Gemeindevertretung gestellt werden. In Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland muss der Antrag von mindestens der Hälfte der Ratsmitglieder unterstützt werden. In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt liegen die Hürden für die Antragsstellung mit einer geforderten drei Viertel und zwei Drittel Mehrheit der Ratsmitglieder am höchsten.

Im zweiten Schritt stimmt die Kommunalvertretung über die Einleitung eines Abwahlverfahrens ab (Beschlussfassung). Der Antrag gilt als angenommen, wenn die Mehrheit der Ratsmitglieder für die Durchführung eines Bürgerentscheids stimmt. In der Regel basieren Ratsbegehren auf einer Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Rat und Bürgermeister und nicht zwingend auf einer Dienstverfehlung von Seiten des Bürgermeisters. In Thüringen reicht für die Beschlussfassung eine einfache Mehrheit im Stadtrat.

In Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, . Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein müssen zwei Drittel für die Einleitung des Verfahrens stimmen. In Sachsen, Niedersachsen und bedarf die Beschlussfassung im Rat sogar einer drei Viertel Mehrheit der Mitglieder der Kommunalvertretung.

14. Ist es notwendig, die Abwahl selbst an ein Quorum zu binden?

Ggf. welches Quorum erfordert die demokratische Legitimation einer erfolgreichen Abwahl eines Hauptverwaltungsbeamten aus Ihrer Sicht?

15. Wie beurteilen Sie die demokratische Legitimation einer Abwahl von Bürgermeistern und Landräten durch Bürgerbegehren ohne dass ein Quorum von Wahlberechtigten zustimmen muss?

16. Wie bewerten Sie die Höhe der nach dem vorliegenden Gesetzentwurf festgelegten Quoren für Biirgerbegehren zur Abwahl von Bürgermeistern und Landräten (§ 26 Abs. 4 GO NRW)? Mögen die Quoren gemäß § 26 Abs. 4GO NRW für ein Bürgerbegehren zu Sachthemen vor Ort doch zuweilen unangemessen hoch sein, so sind sie für die Abwahl einer kommunalverfassungsrechtlich verankerten Institution gemessen an den Anforderungen zur Wahl zu niedrig.

Wie ist die Abwahl des Hauptverwaltungsbeamten gesetzessystematisch in der GO zu verankern?

Die vorzeitige Abwahl des Bürgermeisters ist das Gegenstück zu seiner Berufung durch den politischen Willensakt der Wahl. Demnach müßte sie auch in den 5. Teil der Gemeindeordnung bzw. in den § 66 Abwahl des Bürgermeisters.

18. Sind Sie der Meinung, dass die vorgesehenen Änderungen/Ergänzungen gesetzessystematisch korrekt und sinnvoll eingefügt sind?

19. Gibt es bislang konkrete Indizien dafür, dass das Instrument des Bürgerbegehrens inflationär benutzt würde?

Nein.

20. Inwieweit würden Bürgermeister und Landräte nach den Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfs zum Spielball interessierter Gruppen und temporärer Stimmungen?

21. Inwieweit lassen sich unter den Prämissen des vorliegenden Gesetzentwurfs langfristige Zielsetzungen noch durchsetzen, wenn Bürgermeister und Landräte bei jeder unpopulären Entscheidung mit einem Abwahlverfahren rechnen müssen?

Die Gemeindeordnung kennt bereits schon jetzt ein Abwahlverfahren, das tür die Abberufung keine sachlichen Voraussetzungen setzt. Dies bedeutet, dass der Bürgermeister keinen besonderen Schutz gegenüber der Gemeindevertretung genießt. Er muss grundsätzlich jederzeit mit seiner Abwahl rechnen, wenn dafür die erforderliche Mehrheit aller Gemeindevertreter zu Stande kommt. Die Abwahl stellt somit das Spiegelbild der Wahl dar, an die ebenfalls keine Eignungsvoraussetzungen geknüpft ist, aber eine bestimmte Stimmenmehrheit erforderlich ist. Die Mehrheitsentscheidung bei der Wahl kann so interpretiert werden, dass dem Gewählten damit das Vertrauen ausgesprochen worden ist, wie umgekehrt im Falle der Abwahl davon auszugehen ist, dass er dieses Vertrauen nicht mehr besitzt. Aus welchen Gründen der Bürgermeister das Vertrauen der Gemeindevertreter verloren hat, ist grundsätzlich unerheblich. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene seine Amtspflichten z. B. schuldhaft verletzt hat. Die Gründe, die den einzelnen Gemeindevertreter bewegen, sich für eine Abberufung zu entscheiden, enthalten sich grundsätzlich der rechtlichen Bewertung, da sie im Raum wurzeln. Aus der Praxis der bisherigen Abwahlverfahren dominiert das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Rat und Bürgermeister.

Mit der Folge der Einschränkung des Handlungsspielraums der Verwaltung.

Eine einvernehmliche Lösung von Streitigkeiten zwischen den beiden Organen ist nicht mehr gegeben. Als Gründe für ein Abwahlverfahren werden Arroganz, Fehlverhalten, Eigenmächtigkeit, mangelnde Führungskraft, Inkompetenz und Missachtung des Rates aufgeführt.