Umgang mit HIV-infizierten Gefangenen im NRW-Strafvollzug
Umgang mit HIV-infizierten Gefangenen im NRW-Strafvollzug
1) Anliegen des Antrags
Der Antrag zielt darauf ab, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung HIV-positiver Gefangener zu stärken und diesen Personenkreis vor Diskriminierung zu schützen. Dieses die Grundrechte Gefangener betonende Anliegen verdient Unterstützung. Auch erscheint es sachgerecht, bisherige Verfahrensweisen immer wieder auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen und dem neuesten Stand - hier der medizinischen - Wissenschaft anzupassen.
2) Tatsächliche Situation
Seitens der Vollzugsbehörden werden nach hiesigen Erkenntnissen in der Praxis zwei Formblätter verwendet: Bei seiner Aufnahme in die Anstalt erhält jeder Gefangene ein Informationsblatt.. zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionskrankheiten.. . Im Mittelpunkt stehen insoweit Hinweise zur Infektionsprophylaxe. Dort wird nicht speziell auf AIDS abgehoben, sondern auf ansteckende Krankheiten im Allgemeinen, wobei eingangs beispielhaft Hepatitis A, B oder C oder HIV (AIDS) aufgeführt werden. Dieses Blatt gibt es in einer Reihe verschiedener Sprachen. Ein zweites ebenfalls in mehreren Sprachen verwendetes Formblatt enthält eine Einverständniserklärung, die für den Fall einer Gemeinschaftsunterbringung oder eines Umschlusses verlangt wird. Darin erklärt sich ein infizierter Gefangener damit einverstanden, dass die anderen Gefangenen, die auf der fraglichen Zelle sind, über seinen Infektionsstatus informiert werden. Zugleich erklären sich die Gefangenen, zu denen er kommt, mit der Gemeinschaftsunterbringung bzw. einem Umschluss einverstanden. Wenn in dem Antrag von Zwangsouting die Rede ist, geht es nach meinem Verständnis um dieses letztgenannte Formblatt. Allerdings erfahren die anderen Gefangenen und die Bediensteten (soweit sie nicht schon vorinformiert sind) keine konkrete Diagnose, sondern nur, dass der fragliche Mitgefangene einen Infektionsstatus hat. Die konkrete Diagnose wird dann faktisch häufig bekannt werden, doch ist das vom Vollzug vorgesehene Procedere nicht wie man nach dem Antrag denken könnte - speziell auf HIV zugeschnitten. Wie das tatsächliche Geschehen insoweit abläuft, kann von hier aus nicht generell gesagt werden. Vermutlich ist die diesbezügliche Verfahrensweise nicht bis ins Detail einheitlich.
3) Rechtslage
Die rechtliche Weichenstellung wird in dem Antrag zutreffend benannt: Es hat eine Abwägung stattzufinden zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Infizierten und dem Recht der anderen auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Auf dieser abstrakten Ebene fällt die Abwägung kaum schwer: Dem Schutz der anderen vor schwerwiegenden Gesundheitsgefahren gebührt der Vorrang. Damit kommt es entscheidend darauf an, in welchem Maße die konkrete Information der anderen Gefangenen dazu beitragen kann, dass diese sich gegen eine eventuelle Ansteckung schützen können. Doch das ist noch nicht alles: Soweit eine beachtliche Infektionsgefahr besteht, muss in einer Zwangseinrichtung, wie sie das Gefängnis darstellt, der einzelne Gefangene aus Gründen der staatlichen Fürsorge das Recht haben, ihr gar nicht erst ausgesetzt zu sein, er muss also das Recht haben, der Zusammenlegung zu widersprechen. Stets sind die Unterschiede zum Leben in Freiheit zu berücksichtigen: Inwiefern liegt bei einem Zusammensein in der Zelle das jeweilige Risiko über dem, das Menschen draußen - etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Gaststätten - gleichfalls tragen müssen? Nur in dem Maße, in dem man draußen Gefahren hinzunehmen hat, wird das auch in der Haft der Fall sein.
Diese wenigen Erwägungen zeigen, dass folgende empirisch zu klärende Fragen im Vordergrund stehen: Wie hoch ist - nach gegenwärtigem Wissensstand - bei welchen Infektionskrankheiten das Ansteckungsrisiko?
- Inwieweit können Gefangene dem durch strikte Trennung ausweichen?
- Inwieweit können Gefangene durch ihr Verhalten auf der Zelle, in Gemeinschaft mit anderen, einer Infektion entgegenwirken?
- Welche Risiken sind in dem Sinne sozialadäquat, dass sie Menschen draußen in gleicher Weise treffen?
4) Eigener empirischer Beitrag
Von dem Fragenkatalog, der vorgelegt worden ist, kann der Justizvollzugsbeauftragte vor allem etwas zur Akzeptanz der derzeitigen Regelung sagen, insbesondere dazu, ob und ggf. in welchem Umfang die gegenwärtige Lage zu Beschwerden oder Eingaben jedweder Art geführt hat. Die Antwort fällt erstaunlich eindeutig aus: Bis heute ist hier keine Eingabe zu dieser Thematik erfolgt. Auch bei den Anstaltsbesuchen ist vonseiten der Gefangenen nichts Einschlägiges vorgetragen worden. Der Personalrat einer großen geschlossenen JVA, dem diese Initiative der FDP-Fraktion bekannt war, hat deutlich gemacht, dass er die gegenwärtige Praxis beibehalten will und einen künftigen Verzicht auf das Einwilligungspapier ablehnt. Bei einer Reihe unterschiedlicher Gespräche mit Praktikern ist immer wieder betont worden, dass diese Problematik gleichsam keine sei, weil von keiner Seite aus Beanstandungen zu hören gewesen seien.
5) Schwierige lösung Relativierend muss freilich bedacht werden, dass aus dem Fehlen von Beschwerden nicht schlicht auf eine einstimmige Billigung geschlossen werden darf. Wir wissen beispielsweise, dass im Jugendvollzug wesentlich weniger Beschwerden vorgetragen werden als etwa im Langstrafenvollzug für erwachsene Männer, ohne dass deswegen die Jugendlichen stets besonders zufrieden wären. Es könnte mithin durchaus Gefangene geben, die sich durch den angesprochenen Offenbarungsdruck beeinträchtigt fühlen, ohne das nach außen deutlich zu machen. Allerdings muss bei jeder Änderung der Praxis ebenfalls die Situation der Bediensteten berücksichtigt werden. Die Einwilligungslösung schafft klare Verhältnisse und schließt u.a. auch Haftungsfälle aus. Unter der Voraussetzung, dass der nähere Kontakt mit infizierten Gefangenen - seien sie Hepatitis- oder HIV-infiziert - ein eigenes Ansteckungsrisiko begründet und dass weiter dieses Risiko vollzugsspezifische Momente birgt, scheint mir die gegenwärtige Verfahrensweise die rechtlich überzeugendste zu sein. Dennoch oder gerade deshalb sollte alles unternommen werden, um daran anknüpfende Diskriminierungen (die ja nicht zwangsläufig erfolgen!) zu unterbinden. Auf diese Problematik immer wieder zu verweisen, erscheint vollauf berechtigt.