Inhaftierung auch von Asylsuchenden
Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats immer wieder zur Inhaftierung auch von Asylsuchenden kommt. Dieser Personenkreis unterfällt mehrheitlich auch der Definition von Schutzbedürftigkeit in Art. 3 Nr. 9 Der JRS empfiehlt dringend, zur Erkundung des spezifischen Schutzbedarfs verpflichtende medizinisch-psychologische Eingangsuntersuchungen einzuführen.
Zudem befinden sich Ärzte in Abschiebungshafteinrichtungen teils in der Doppelrolle des Behandlers und des amtsärztlichen Gutachters. Dies führt unweigerlich zu Konflikten. Hier ist eine klare Trennung angezeigt, ggf. unter Rückgriff auf die Möglichkeit, externe Ärzte hinzuzuziehen.
Jedenfalls in der JVA Neuss ist eine solche Hinzuziehung externer Ärzte (teilweise) möglich.
Es wäre zu begrüßen, wenn Grundsätze der ärztlichen Betreuung in einer eigenen Haftordnung geregelt würden (s. a. 3.7).
Maximale Haftdauer (Art. 15 Abs. 5, 6 § 62 Abs. 3 Die Rückführungsrichtlinie lässt in Entsprechung zum bisherigen deutschen Recht eine maximale Haftdauer von 18 Monaten zu. Diese Hafthöchstdauer wurde in der EU eingangs des Transformationsprozesses der Richtlinie nur von Deutschland und Griechenland ausgeschöpft. Nach einem Bericht der Europäischen Grundrechteagentur beträgt die Höchstdauer in Frankreich einen Monat, in den Niederlanden anderthalb Monate, in Spanien, Irland und Portugal zwei Monate, in Luxemburg vier Monate, in der Tschechischen Republik, in Ungarn, Italien und der Slowakischen Republik sechs Monate, in Belgien acht Monate, in Österreich zehn Monate und in Bulgarien, Polen und Slowenien zwölf Monate.
Die Grundrechteagentur empfiehlt, eine maximale Haftdauer von sechs Monaten im Recht der Mitgliedstaaten zu verankern. Die Bundesländer Berlin und Brandenburg haben in einer letztlich auch von Nordrhein-Westfalen unterstützten, allerdings mehrheitlich abgelehnten Bundesratsinitiative eine entsprechende Änderung von § 62 Abs 3 mit Verweis auf entsprechende Höchstfristen etwa bei der Ordnungs- oder Zivilhaft angeregt. 38
Nach Erfahrung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes sinkt bereits oberhalb einer Haftdauer von drei Monaten die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass es noch zu einer Abschiebung kommt. Umgekehrt nehmen psychische und physische Beeinträchtigungen infolge der Unsicherheit über die eigene Situation dramatisch zu. Da Abschiebungshaft lediglich die Sicherung der Ausreisepflicht leisten soll, aber keinen zusätzlichen Sanktionscharakter hat, ist aus Sicht des Jesuiten- Flüchtlingsdienstes dringend geboten, die maximale Haftdauer auf drei Monate zu beschränken.
Dem entspricht bereits die Regelung für Minderjährige in Ziff. 4.2.1 S. 1 (wobei der Jesuiten-Flüchtlingsdienst an dem Grundsatz festhält, dass Minderjährige nicht inhaftiert werden sollten). Der jetzige Satz 2 sollte gestrichen werden, da die genannten Ausnahmetatbestände teils zu unbestimmt sind und im übrigen nicht geeignet erscheinen, das auf dem Kindeswohlprinzip fußende Interesse des Minderjährigen, von längerer Haft verschont zu bleiben, zu beseitigen.
Aber auch für andere Abschiebungsgefangene allgemein sollte die Dreimonatsgrenze verbindlich gemacht werden, zumal der Bundesgerichtshof diese in seiner jüngeren Rechtsprechung nochmals betont hat. Mindestens erscheint angezeigt, die gesteigerten Begründungsanforderungen nach Ziff. 5.1.2 bereits nach drei Monaten greifen zu lassen.
Information; Zugang für Nichtregierungsorganisationen (Art. 16 Abs. 4 § 62a Abs. 4.
Als einer der wesentlichen Faktoren, die zu psychischen und physischen Belastungen bei Abschiebungsgefangenen führen, hat sich die fehlende bzw. unzureichende Information über die eigene Situation herausgestellt (vgl. schon oben 2.). Es sollte daher sichergestellt werden, dass in jedem Verfahrensstadium eine angemessene Information der Betroffenen gewährleistet ist.
Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist.
Auskunft des Sozialdienstes katholischer Frauen an den JRS Deutschland vom 21.9.2011.
Detention of third-country nationals in return procedures. Thematic Report. European Union Agency for Fundamental Rights 2010.
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland Stellungnahme zum Antrag Abschiebehaft abschaffen!
In diesem Zusammenhang wäre insbesondere eine schriftliche Übersetzung von Haftanträgen und beschlüssen in eine dem Betroffenen verständliche Sprache wünschenswert. Im Strafverfahren sind entsprechende Standards selbstverständlich. Die Praxis zeigt, dass Abschiebungsgefangene häufig kaum über die Gründe orientiert sind, aus denen Haft gegen sie verhängt wurde. Ein Zusammenhang damit, dass sowohl der Haftantrag als auch die Gründe des Haftbeschlusses in aller Regel nur in stark zusammengefasster Form mündlich übersetzt werden, drängt sich auf.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch eine Betreuung durch unabhängige Organisationen. Nach der Richtlinie ist internationalen und Nichtregierungsorganisationen zu ermöglichen, Abschiebungshafteinrichtungen zu besuchen. Besuche können fakultativ von einer Genehmigung abhängig gemacht werden.
Im neuen § 62a Abs. 4 hat der Bundesgesetzgeber diese Vorschrift nur unvollständig umgesetzt; insbesondere werden Besuche von Nichtregierungsorganisationen in Hafteinrichtungen davon abhängig gemacht, dass diese auf Wunsch des Gefangenen geschehen. Die Richtlinie hat den Zugang zu Hafteinrichtungen dagegen als eigenständiges Recht einschlägig tätiger Organisationen ausgestaltet.
Die Gesetzesbegründung zu § 62a Abs. 4 ist ebenfalls nicht europarechtskonform.
Danach soll nur Mitarbeitern solcher Organisationen der Besuch der Anstalt ermöglicht werden, die zumindest auch auf dem Gebiet der Ausländer- und Flüchtlingshilfe tätig sind (Hervorhebung nicht im Original). Zwar räumt Art. 16 Abs. 4 das Zutrittsrecht einschlägig tätigen Organisationen ein. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst legt aber Wert auf die Feststellung, dass einschlägig z. B. auch kirchliche Seelsorgeangebote sind, die unabhängig von der Nationalität von Häftlingen erbracht werden. Als weiteres Beispiel sollte auch für Opfer von Frauenhandel eine Betreuung durch Gewerkschaften und Organisationen, die auf diesem Gebiet tätig sind, gewährleistet sein.
Ziff. 5.3 der Abschiebungshaftrichtlinien sieht vor, dass Flüchtlingsorganisationen und Einzelpersonen bei Legitimierung durch den Ausländer Auskünfte erteilt werden können. Zugang zur Hafteinrichtung soll ihnen demnach nur auf Wunsch des Abschiebungsgefangenen und dann zur Beteiligung an Gesprächen gewährt werden.
Das Kriterium auf Wunsch stellt auch hier eine Einschränkung dar, die mit der Rückführungsrichtlinie nicht in Einklang steht. Ein freier Zugang mindestens zum Besucherbereich sollte generell gewährt werden. Zudem sollte die verwendete Formulierung dahingehend geklärt werden, dass unter Gesprächen nicht allein solche zu verstehen sind, an denen die Hafteinrichtung oder die Ausländerbehörde beteiligt sind, sondern dass vielmehr selbstverständlich auch vertrauliche Gespräche zwischen Gefangenen und NGO-Vertretern möglich sind.
Die Rückführungsrichtlinie sieht in Art. 13 Abs. 4 vor, dass eine kostenlose Rechtsberatung und Rechtsvertretung entsprechend den nationalen Vorschriften zur Prozesskostenhilfe gewährt wird.
Dies hat sich in der Praxis aber als nicht hinreichend herausgestellt, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Verfahrenskostenhilfe wird Abschiebungsgefangenen nur gewährt, wenn zuvor die Erfolgschancen der Beschwerde glaubhaft gemacht werden können. Dies ist den Betroffenen ohne anwaltlichen Beistand aber kaum möglich. Da der Anwalt hierfür den Sachverhalt bereits vollständig aufarbeiten muss, wird in der Praxis letztlich ihm das wirtschaftliche Risiko einer Ablehnung des Verfahrenskostenhilfegesuchs aufgebürdet. Unter diesen Umständen stellt es sich regelmäßig als schwierig für die Betroffenen heraus, sich qualifizierten anwaltlichen Beistandes zu versichern; zugleich wird den wenigen auf Abschiebungshaftfragen spezialisierten Anwältinnen und Anwälten ein überproportionales Solidaropfer abverlangt.
Analog zur Regelung für Untersuchungshäftlinge sollte mittellosen Abschiebungsgefangenen daher bundesgesetzlich ein Recht auf Beiordnung eines Pflichtanwalts eingeräumt werden. Auf der Ebene der Bundesländer sollten bestehende Modelle von für die Betroffenen kostenloser anwaltlicher Erstberatung, wie etwa im Hafthaus Neuss praktiziert, beibehalten und gestärkt werden.
Wie hier Follmar-Otto, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex, Innenausschuss des Dt. Bundestages, Ausschuss-Drs. 17(4)282 C, S. 5.
Ein ähnliches Modell existiert seit einigen Jahren im brandenburgischen Eisenhüttenstadt.
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland Stellungnahme zum Antrag Abschiebehaft abschaffen!
Dabei ist darauf zu achten, dass eine Mandatsübernahme aus der Erstberatung heraus nicht erschwert wird, um eine schnelle und qualifizierte rechtliche Vertretung abzusichern.
Trennungsgebot (Art. 16 Abs. 1 § 62a Abs. 1 S. 1
Die Rückführungsrichtlinie lässt die Unterbringung von Abschiebungshäftlingen in Strafhaftanstalten ausdrücklich nur für den Fall zu, dass spezielle Hafteinrichtungen in einem Mitgliedstaat nicht vorhanden sind.
Implizit ist damit auch die Aufforderung zur Schaffung entsprechender Einrichtungen verbunden, soweit es an ihnen fehlt. In Nordrhein-Westfalen ist eine Unterbringung in speziellen Hafteinrichtungen grundsätzlich gewährleistet. Da noch nicht alle Bundesländer diese Konsequenz aus der Rückführungsrichtlinie gezogen haben, wäre zu empfehlen, dass das Land sein Modell im Rahmen einer gemeinsamen Bundesratsinitiative mit anderen Ländern, die ähnliche Ansätze verfolgen etwa Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz bundesweit als Mindeststandard vorschlägt. Ohnehin ist der weitere Vollzug von Abschiebungshaft in gemischten Einrichtungen angesichts des Vorhandenseins spezieller Abschiebungshafteinrichtungen in mehreren Bundesländern nach Ansicht des JRS, gestützt durch die EU-Kommission, nicht mehr europarechtskonform.
Allerdings ist eine strikte Trennung von Abschiebungs- und Strafgefangenen nur in der Abschiebungshafteinrichtung für Frauen in der JVA Neuss erreicht. In der JVA Büren werden seit 2007 auch kurze Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen vollzogen. Dies sollte rückgängig gemacht werden, um auf für die Abschiebungshaft nicht erforderliche Beschränkungen verzichten zu können. Zudem sollte die bislang in Ziff. 1.1 vorgesehene Möglichkeit, nach einem gescheiterten Abschiebungsversuch Abschiebungshaft auch in gewöhnlichen Justizvollzugsanstalten zu vollziehen, ersatzlos gestrichen werden. Es ist daran zu erinnern, dass Abschiebungshaft keinen Sanktionscharakter haben darf.
Die getrennte Unterbringung von Strafgefangenen umfasst auch die getrennte Unterbringung von Untersuchungshäftlingen. Die EU-Kommission hat dies in einem Schreiben an den Europa vom 11.5.201145 klargestellt unter Rückgriff auf die als Auslegungshilfe heranzuziehenden
20 Guidelines on forced return des Europarats. Dort heißt es: persons detained.. should not normally be held together with ordinary prisoners, whether convicted or remand.
Ansätze einzelner Bundesländer zu einer gemeinsamen Unterbringung von Abschiebungs- und Untersuchungsgefangenen sind demnach zurückzuweisen.
Haftbedingungen
In einer reinen Abschiebungshafteinrichtung können die Haftbedingungen auf Grundlage einer entsprechenden Haftordnung deutlich weiter an ein normales Leben angenähert werden. Entsprechende Modelle werden in Berlin und Brandenburg seit Jahren und überwiegend zum Vorteil der Betroffenen praktiziert. So kann der Effekt vermindert werden, dass die Betroffenen sich wie Kriminelle behandelt fühlen einer der wesentlichen Belastungsfaktoren für Abschiebungsgefangene.
Exemplarisch für den Unterschied zwischen dem Vollzug in einer JVA auf Grundlage des Strafvollzugsgesetzes einerseits und dem in einer speziellen Hafteinrichtung auf Grundlage einer eigenen Haftordnung sei aus dem Tätigkeitsbereich des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes schlaglichtartig auf die Unterschiede zwischen den Bedingungen in der JVA München-Stadelheim und denjenigen im Polizeigewahrsam Berlin-Köpenick hingewiesen.
Während in Berlin die Zellen täglich nur rund eine Stunde zum Schichtwechsel des Wachpersonals verschlossen werden, so dass Häftlinge auf derselben Etage sich gegenseitig besuchen können.