Umwelt

3. Risikoabschätzungen bei Langzeitexposition

Eine Langzeit-Exposition über Jahre oder Jahrzehnte gegenüber PM 10 und welche zu einem bedeutsamen Anteil aus dem Straßenverkehr stammen, ist mit ernsten gesundheitlichen Auswirkungen verbunden. Langfristige Belastungen gegenüber PM 10 und Stickstoffdioxid wirken sich auf die Mortalität sowie auch auf die Morbidität aus.

Dementsprechend lassen sich Risikoabschätzungen für die verschiedenen Wirkendpunkte sowohl für die Mortalität als auch für die Morbidität vornehmen. Im Folgenden wird ausschließlich auf Risikoberechnungen in Bezug auf die Mortalität eingegangen.

Entsprechende Berechnungen im Hinblick auf die Sterblichkeit wurden vor allem für die Gesamtmortalität, die kardiopulmonale und die Lungenkrebsmortalität durchgeführt.

Es werden hierbei zum einen Berechnungen von zusätzlichen Todesfällen bzw. der Lebenserwartung, welche prinzipiell dem jeweiligen Luftschadstoff zuzuschreiben ist, vorgenommen. Hierzu wird zumeist die Differenz zwischen einer (durchschnittlichen) Belastungssituation und einer Basislast angesetzt. Zum anderen werden Berechnungen für konkrete Minderungsszenarien durchgeführt.

Die Ergebnisse vorliegender Risikoberechnungen unterscheiden sich dabei zum Teil deutlich, da diesen unterschiedliche Annahmen (verwendete relative Risiken, betroffene Personen usw.) zugrunde liegen.

In den vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen konnte keine Wirkschwelle für diese Wirkendpunkte ermittelt werden, da bei den vorherrschenden Feinstaubkonzentrationen noch Effekte festgestellt werden konnten. Gleiches gilt für N02als Indikator für Immissionen aus dem Straßenverkehr. Eine Konzentration, unterhalb derer keine gesundheitsschädlichen Wirkungen mehr auftreten, kann daher derzeit zumindest weder für PM 10 oder PM 2.5, noch für N02 angegeben werden.

Es ist jedoch möglich, aufgrund linearer Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen zu berechnen, mit welchem Anstieg der entsprechenden Luftschadstoffkonzentrationen eine Zunahme vorzeitiger Todesfälle oder wirkungsbezogener Effekte einhergeht.

Umgekehrt wurde festgestellt, dass bereits geringe Absenkungen der langfristigen Belastung, ebenso wie eine Verringerung der Anzahl von Tagen mit hohen Schadstoffkonzentrationen, zu einer Verbesserung der Gesundheit führen. So verringert sich die Rate v. a. von Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen, und es ist mit einer Abnahme der Zahl vorzeitiger Sterbefälle zu rechnen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Szenarien für Immissionsminderungsmaßnahmen ableiten.

Für das Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit NRW (APUG NRW) hat Voss (MUNLV 2009) eine statistische Berechnung des gesundheitlichen Benefits entsprechender Minderungsmaßnahmen mit Bezug auf die spezifische Situation in NRW vorgenommen.

Außer zur Quantifizierung der Mortalität in Zusammenhang mit N02 wurden dabei Effektschätzer aus früheren APUG NRW-Gutachten herangezogen (MUNLV 2004). Sowohl für PM 10 als auch für N02 wurde eine Abschätzung über die Zahl der jährlich mit den Zusatzimmissionen assoziierten (vorzeitigen) Todesfälle vorgenommen, im Falle von N02jedoch nur für Frauen, da für Männer keine entsprechenden Risikoschätzer vorlagen. Dennoch war somit zumindest ein orientierender Vergleich der Fallzahlen möglich, die mit beiden Leitsubstanzen verknüpft sind,2

Tabelle 1: Positive gesundheitliche Auswirkungen bei Minderung der PM 10- bzw. NOrlmmissionen (MUNLV 2009)

Die für die jeweiligen PM 10- bzw. berechneten Fallzahlen dürfen nicht addiert werden, denn PM 10 und N02 stellen Leitsubstanzen für ähnliche Immissionen dar.

Ein solches Ergebnis kann jedoch keinesfalls als konkrete Zahlenangabe über konkrete Lebenserwartungen in der realen Bevölkerung (oder gar als Aussage über einzelne Personen) vor Ort verstanden werden. Es dient lediglich der orientierenden Einschätzung für Szenarien der Immissionsminderung.

Die NRW-spezifische Risikoabschätzung von Voss steht im Einklang mit anderen Berechnungen, die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO, der EU und anderer Organisationen in Europa durchgeführt wurden, sowie mit einer Berechnung von Wichmann (2003) im Auftrag des Umweltbundesamtes (Übersicht in MUNLV 2009). Für N02 liegen vergleichbare Abschätzungen von anderen Autoren bisher nicht vor.

Für N02 existieren jedoch Risikoberechnungen, wie stark sich eine angenommene Verringerung der Belastung auf das Krankheitsgeschehen in der.Bevölkerung auswirkt (Dockery et al.

1989, Braun-Fahrländer et al. 1995, et al. 2003) Dabei wurden diese Auswirkungen sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene abgeschätzt. Die Ergebnisse wurden jeweils auf eine angenommene Population von 100.000 Menschen bezogen. Demnach zeigt sich, dass bei Kindern und Jugendlichen insgesamt 300 Bronchitis-Fälle vermieden werden könnten, wenn die langfristige Stickstoffdioxid-Belastung in der Außenluft von 40 IJg/m3 auf 20 IJg/m3 abgesenkt würde. Bei Erwachsenen würde dieser Rückgang sogar zu einer Vermeidung von insgesamt 320 Fällen führen (Kraft et al. 2005, Künzli et al.

1996, Zemp et al. 1999). Werden diese Werte zum Beispiel auf das Ruhrgebiet mit einer Bevölkerung von ca. 5 Millionen Einwohnerinnen übertragen, würde die langfristige Reduzierung um 10 IJg/m3 die Vermeidung von ca. 7500 Bronchitisfällen bei Kindern und von ca. 8000 solcher Fälle bei Erwachsenen pro Jahr bedeuten. Auch wenn die Belastung mit Stickstoffdioxid in den großen Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet nicht gleichmäßig verteilt ist, zeigen diese Untersuchungen sehr eindrucksvoll, welch großes gesundheitsförderndes Potential in der Reduzierung der Stickstoffdioxid-Belastung steckt.

Auch für PM 2.5 liegen verschiedene Risikoabschätzungen vor. Nach Pope (2009) ist eine Minderung der Feinstaub-Konzentration mit einem Anstieg der Lebenserwartung um 0,61 Jahre verknüpftierzu kompilierte er Daten aus den USA zur Lebenserwartung, zum sozioökonomischen Status und zu demographischen Charakteristiken mit Daten zur Feinstaub-Belastung.

Für Nordrhein-Westfalen wurde im Rahmen des 2.5-Regelungen der EU und deren Auswirkungen auf die Umwelt- und Gesundheitssituation in NRW das gesundheitliche Risiko für die Bevölkerung über die PM 2.5-lmmissionsbelastung abgeschätzt (APUG NRW 2010). Dieses wurde anhand der flächenbezogenen PM 2.5 Immissionskonzentrationen und der dort lebenden Einwohnerinnen berechnet. Die Immissionskonzentration wurde in Belastungskategorien mit 5 Ilg/m3-Schritten eingeteilt. Die oberste Kategorie hat den Wert > 25 IJg/m3 und zeigt somit Überschreitungen des Grenzwertes an. Aus den Flächennutzungsdaten und den Bevölkerungszahlen für die einzelnen Landkreise ergibt sich die Personenzahl in NRW in den einzelnen Belastungskategorien. Daraus ergibt sich der Anteil Menschen in hoch belasteten bzw. kaum belasteten Gebieten. Es wurden Risikoberechnungen für verschiedene Wirkendpunkte und unterschiedliche Minderungsszenarien durchgeführt. Ein Ergebnis dieser Berechnungen besagt, dass bei Reduzierung der Immissionsbelastung (mittleres Szenario) über alle Belastungskategorien auf den WHO-AQG von 10 IJg/m3 in Bezug auf die Gesamt-Mortalität in NRW insgesamt 8.303 Todessfälle vermieden werden können.

Die Absenkung von Feinstaub- und Stickoxidbelastungen in der Außenluft ist mit einem konkreten Gewinn für die Gesundheit und die Lebensdauer der Bevölkerung verbunden. Stickstoffdioxid stellt dabei einen relevanten Indikator für verkehrsbedingte Emissionen dar.

Selbst kleine Maßnahmen zur Reduzierung dieser Belastung sind für die Gesundheit der Betroffenen von großem Nutzen, obgleich sich keine individuellen Rückschlüsse aus den statistischen Berechnungen ziehen lassen.

Eine Verringerung der bestehenden Immissionsbelastung insbesondere in Ballungsgebieten und in der näheren Umgebung von Straßen mit hohem Verkehrsaufkommen ist daher dringend anzustreben.