Wenige Tage vor der geplanten Abschiebung ist ein Strafbefehl ergangen der noch nicht rechtskräftig war

B2.1995 bezüglich des sogenannten Kirchenasyls: In einem Rechtsstaat dürfe es keine rechtsfreien Räume geben; weder ein Kirchenvorstand noch ein Pfarrgemeinderat stünden über den Gerichten. Dagegen erklärte Innenminister Beckstein ­ nachzulesen gleich im Süddeutschenartikel daneben ­ in bezug auf den Fall Fariz Simsek, dass der von Bund und Ländern vereinbarte Abschiebestopp für Kurden nicht gilt, wenn es sich um Straftäter handelt. In den Augen des Innenministers ist Simsek ein Straftäter, weil er an einer Kurdendemonstration in Augsburg teilgenommen hatte. In dieser Angelegenheit ist es nie zu einem Prozeß gekommen.

Wenige Tage vor der geplanten Abschiebung ist ein Strafbefehl ergangen, der noch nicht rechtskräftig war. Der Anwalt des Kurden betonte mehrfach, sein Mandant dürfte nicht als Straftäter bezeichnet werden. Dagegen erklärte der Innenminister: Eine Verurteilung durch Strafgerichte oder gar die Rechtskraft solcher Verurteilungen ist für die ausländerrechtliche Beurteilung nicht maßgebend. Die Ausländerbehörden beurteilten in eigener Zuständigkeit, wer Straftaten begangen hat.

Ich frage daher die Staatsregierung:

Wie erklärt sich die Staatsregierung den Widerspruch zwischen der Feststellung des Bayerischen Ministerpräsidenten und der Erklärung wie auch der Handlungsweise des Herrn Innenministers Beckstein?

Antwort des Staatsministeriums des Innern Zwischen den zitierten Erklärungen besteht kein Widerspruch.

Zur Frage, wer Straftäter im ausländerrechtlichen Sinn ist, teile ich folgendes mit:

Nach § 46 Nr. 2 kann insbesondere ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Dabei braucht eine Bestrafung, Verwarnung oder eine andere Ahndung (noch) nicht erfolgt zu sein.

Da der Ausweisung eine Verurteilung nicht vorauszugehen braucht, trifft die Ausländerbehörde die Pflicht zu eigenen Ermittlungen und Feststellungen. Sie kann sich hierzu der Erkenntnisse aus einem Ermittlungsverfahren oder Strafprozeß bedienen, ist aber nicht auf diese Hilfe angewiesen. Erforderlichenfalls ist auf Antrag oder von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen nicht anderweitig festgestellt oder fremde Feststellungen angezweifelt oder anzuzweifeln sind. Die Feststellungen der Ausländerbehörden unterliegen der umfassenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.

Dementsprechend haben die Ausländerbehörden auch beurteilt, wer von der Empfehlung des Bundesministeriums des Innern zur zeitweiligen Aussetzung von Abschiebungen türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit als Straftäter nicht begünstigt war.

Im Falle des Herrn Simsek wurde die entsprechende Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde verwaltungsgerichtlich überprüft und bestätigt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluß vom 31.03.1995 dazu folgendes ausgeführt: Die Erfüllung des Ausweisungstatbestandes des § 46 Nr. 2 setzt nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift keine vorherige strafgerichtliche Verurteilung, schon gar nicht eine rechtskräftige Verurteilung voraus. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention steht dem nicht entgegen, weil sie sich auf den subjektiven Schuldvorwurf im Rahmen eines Strafverfahrens bezieht. Denn sie schützt nur den wegen einer strafbaren Handlung Angeklagten. Sie hat keine Auswirkung auf den Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 2 weil dieser einen subjektiven Schuldvorwurf nicht notwendig einschließt, sondern lediglich objektiv einen Sachverhalt konkretisiert, der im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Anlaß für die Entfernung eines Ausländers aus dem Bundesgebiet bieten kann.

Von einem Handeln in rechtsfreiem Raum kann deshalb nicht die Rede sein.