Progressive Kundenwerbung nach § 6 c UWG in Bayern (sittenwidrige Schneeballsysteme)

Aus den USA kommen immer wieder sog. Multi-Level-Marketing-Systeme nach Deutschland und Bayern. Sie beruhen darauf, dass Waren aus der Kosmetikbranche, diätetische Lebensmittel oder sonstige kurzlebige Konsumgüter über ein gestuftes Verteilersystem an den Kunden gelangen sollen.

Der Hersteller oder Systemträger sorgt lediglich für die Absatzorganisation auf der höchsten Stufe, die Verteiler auf den mittleren und unteren Stufen sind selbständig. Systeme dieser Art haben sich in der Praxis als betrügerische Schneeballsysteme entpuppt und stellen einen Verstoß nach § 6 c UWG dar (vgl. BGH GR 55, 346 ­ Progressive Kundenwerbung). In letzter Zeit ist eine Zunahme dieser Verkaufssysteme, z. B. Herbalife Intemational Deutschland zu beobachten.

Ich frage daher die Staatsregierung:

1. Welche Firmen, die ein derartiges Verkaufssystem betreiben, sind derzeit in Bayern aktiv?

a) Wie groß ist der Umsatz und die Zahl der Mitarbeiter derartiger Firmen?

b) Wie viele Vertriebsebenen sind jeweils festzustellen?

c) Werden Verkaufsschulungen oder Kongresse derartiger Firmen in Bayern abgehalten?

d) Sind Anhaltspunkte zur Höhe der verursachten Schäden sowohl auf der Ebene der Mitbewerber, der untersten Stufe der Kette als auch bei den Endverbrauchern bekannt?

2. Zivilrechtliche Sanktionen seit dem l. l.

a) Verfügt die Staatsregierung über statistisches Material in dieser Hinsicht?

b) Wie viele Klagen sind bei den entsprechenden Kammern der Landgerichte anhängig?

c) Wie viele Urteile sind bei den entsprechenden Kammern der Landgerichte entschieden worden und mit welchem Ergebnis?

d) Sind Verfahren beim Oberlandesgericht anhängig und wurden Urteile (mit welchem Ergebnis) gefällt?

3. Strafrechtliche Sanktionen seit dem 1.1.

a) Wurden Verfahren nach dem UWG und dem von den Staatsanwaltschaften eingeleitet?

b) Wieviele Verfahren und mit welchem Ergebnis wurden zum Abschluß gebracht?

4. Liegen Erkenntnisse vor, dass eine oder mehrere der einschlägigen Firmen in Verbindung mit der stehen?

a) Bei welcher Firma liegen derartige Anhaltpunkte vor?

b) Bestehen bei den Firmen Herbalife International Deutschland 77694 Kehl oder NSA Öko Filtersysteme, Deutschland, 65719 Diedenbergen/Hofheim derartige Anhaltspunkte?

5. Welche Möglichkeiten werden seitens der Staatsregierung gesehen, die Verteiler auf der unteren Stufe und Endverbraucher gegen betrügerische Schneeballsysteme zu schützen?

Antwort des Staatsministeriums der Justiz

Eine exakte Beantwortung der vom Abgeordneten Dr. Schade gestellten Anfrage würde umfangreiches statistisches Material über Firmen, die Multi-Level-Marketing-Systeme betreiben, und zu Verfahren betreffend § 6 c UWG voraussetzen. Solches Zahlenmaterial liegt der Staatsregierung nicht vor. Die für Straf- bzw. Zivilsachen geführten einschlägigen Statistiken weisen Verfahren betreffend § 6 c UWG nicht gesondert aus.

Im einzelnen beantworte ich die gestellten Fragen wie folgt:

Zu 1.: Konkrete Erkenntnisse hierzu liegen nicht vor.

Zu 2.: a) Nein.

b) bis d) Seit dem 1. Januar 1993 anhängige Verfahren und/oder ergangene Entscheidungen sind nicht bekannt.

Zu 3.: Für den Zeitraum ab 1. Januar 1993 wurden von Staatsanwaltschaften vereinzelt Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit sittenwidrigen Schneeballsystemen eingeleitet. Derzeit ist ein Ermittlungsverfahren anhängig. Im übrigen erbrachten die Verfahren keinen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so dass sie nach § 170 Abs. 2 eingestellt wurden. Eine zahlenmäßige Nennung der eingestellten Verfahren unter Angabe der jeweiligen Beschuldigten ist mir nicht möglich.

Zu 4.: Zusätzliche, über Veröffentlichungen von Privatpersonen hinausgehende, konkrete Erkenntnisse über Verbindungen von Firmen, die sittenwidrige Schneeballsysteme betreiben, insbesondere der Firma Herbalife oder der Firma NSA Öko Filtersysteme, mit der sogenannten Church of Scientology liegen nicht vor.

Zu 5.: Bei einem Verstoß gegen § 6 c UWG kann nach § 13 Abs. 2 UWG von den dort genannten Personen ein Anspruch auf Unterlassung oder nach § 13 Abs. 6 Nr. 2 UWG ein Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht werden. Ferner ist die progressive Kundenwerbung regelmäßig nach §§ 1 und 3 UWG wettbewerbswidrig, so dass sich auch hieraus ein Anspruch auf Schadensersatz und Unterlassung ergeben kann.

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat sich über die in der Schriftlichen Anfrage genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 1954 (GRUR 1955, 346) hinaus wiederholt mit auf progressiver Kundenwerbung basierenden Vertriebsformen zu befassen. In dem Urteil vom 22. Mai 1978 (WM 1978, 875) wurden vom Bundesgerichtshof die mit einer Vertriebsfirma geschlossenen Verträge, einschließlich der Kreditverträge, für sittenwidrig (§ 138 BGB) gehalten und die Rückforderung der Valuta aus dem Darlehensvertrag, der ausschließlich mit dem Ziel der Finanzierung des Einstandspreises für die Aufnahme in die Vertriebsorganisation abgeschlossen worden war, abgelehnt. In ähnlicher Weise hat das Oberlandesgericht München in seinem Urteil vom 12. September 1985 (NJW 1986, 1880) den Geschädigten einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung der aufgrund der mit der Vertriebsfirma geschlossenen Verträge bewirkten Leistungen zugestanden.

Strafrechtlich können Multi-Level-Marketing-Systeme insbesondere den Straftatbeständen des § 6 c UWG und des § 263 unterfallen.

Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen:

Die Bundesregierung hat unlängst mitgeteilt, dass in eine allgemeine Überprüfung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, die in Zusammenarbeit mit Sachverständigen aus der Wirtschaft, der Justiz und der Wissenschaft durchgeführt wurde, auch § 6 c dieses Gesetzes einbezogen wurde (BT-Drs. 13/1031).