Vorsorge

Das Polizeirecht ist zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung auf eine wirksame Gefahrenabwehr ausgerichtet. Der Staat hat gegenüber seinen Bürgern Schutzpflichten zu erfüllen. Dieser Verpflichtung kann er nicht vollumfänglich nachkommen, da das präventiv-polizeiliche Eingriffsrecht eine Befugnisbestimmung zur Telekommunikationsüberwachung nicht kennt. Als erstes Bundesland hat deswegen Thüringen mit Gesetz vom 27. Juni 2002 (GVBl. S. 247) die präventiv-polizeiliche Datenerhebung durch Telekommunikationsüberwachung - allerdings viel weitergehend, nämlich zu dem derzeit in Hessen nicht angestrebten Zweck der vorbeugenden Überwachung zur Verhinderung möglicherweise geplanter Straftaten - geregelt (§ 34a des Polizeiaufgabengesetzes). Rheinland-Pfalz hat eine Regelung erlassen, die der geplanten hessischen Regelung vergleichbar ist.

Soweit das verfassungsrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis reicht, geht

§ 15a allen anderen Bestimmungen des HSOG vor.

In der Vergangenheit hat sich das Fehlen polizeirechtlicher Vorschriften über die Telekommunikationsüberwachung vor allem dann für die Praxis negativ bemerkbar gemacht, wenn es darum ging, den Standort von Personen festzustellen, die über Mobiltelefon einen Suizid angekündigt haben. Ein weiterer praktischer Anwendungsfall ist die Androhung einer Entführung oder Geiselnahme, der nicht mit einer Überwachung nach § 100a StPO begegnet werden kann, da die Androhung noch keine Versuchstat darstellt, mithin noch keine Katalogtat i.S.d. § 100a StPO vorliegt. Die mit dem Hessischen Gesetz zur Umorganisation der Polizei vom 22. Dezember 2000 (GVBl. I S.577) aus anderen Gründen in § 10 aufgenommene Einschränkung des Art. 10 GG hat wegen der unklaren Rechtslage nicht die in der Begründung zum Ausdruck gebrachte Erwartung erfüllt, dass sich damit zugleich die Problematik der Suizid-Fälle erledigen werde (vgl. Drucks. 15/1571, S. 15).

Die Entschädigung der in Anspruch genommen TK-Unternehmer richtet sich nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, das über den ebenfalls neu gefassten § 3 Abs. 2 entsprechend anwendbar ist.

Zu Abs. 1 Abs. 1 behandelt die Telekommunikationsüberwachung durch Mithören bzw. Mitlesen des Fernmeldeverkehrs. Er gestattet sie unter denselben strengen Voraussetzungen, unter der das nicht öffentlich gesprochene Wort nach § 15 Abs. 4 abgehört werden darf. Im Vergleich zu der in § 15 Abs. 4 getroffenen Regelung, wonach in einem der dort genannten Räumlichkeiten beispielsweise ein Mikrofon stehen darf, um das nicht öffentlich gesprochene Wort abzuhören, stellt es keinen weitergehenden Eingriff in Rechte des Bürgers dar, wenn unter denselben engen Voraussetzungen der Fernmeldeverkehr mitgehört bzw. mitgelesen werden darf.

Umfasst sind sowohl die Inhaltsdaten der Kommunikation (Gesprächsinhalte, Töne, Bilder, Zeichen) als auch Verbindungsdaten (Beginn und Ende der Verbindung nebst Datum und Uhrzeit, Positionsmeldungen im Stand-byBetrieb), vgl. auch § 2 Nr. 4 und § 6 Abs. 1 der TelekommunikationsDatenschutzverordnung (TDSV) vom 18. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1470, geändert durch Gesetz vom 9. August 2003, BGBl. I S. 1590).

Zu Abs. 2 Im Gegensatz zu Abs. 1, der das Mithören und Mitlesen der Kommunikation durch die Polizei zum Gegenstand hat, begründet Abs. 2 einen Auskunftsanspruch der Polizei gegenüber TK-Unternehmern im Hinblick auf die Umstände der Kommunikation, die in der Vergangenheit stattgefunden hat oder erst in einem zukünftigen Zeitpunkt stattfinden wird. Außerdem erstreckt sich die Auskunftspflicht auf Kommunikationsinhalte, die im Netz gespeichert sind (Mailboxen). Abs. 2 verpflichtet die Unternehmen nicht zur Speicherung von Daten, sondern ermöglicht der Polizei lediglich den Zugriff auf Daten, soweit und solange sie gespeichert sind.

Im Strafprozessrecht ist dieser Fall mittlerweile in den §§ 100g und 100h StPO geregelt. Abs. 2 schafft eine entsprechende Rechtsgrundlage zur Gefahrenabwehr. Anders als in der Strafprozessordnung erfasst die Bestimmung dabei die Funksignale aktiv geschalteter Mobiltelefone (vgl. § 100g Abs. 3 StPO). Angeknüpft wird auch in diesem Fall an § 15 Abs. 4.

Zu Abs. 3:

Durch weitreichende technische Fortschritte auf dem Gebiet der Telekommunikation, insbesondere der Nutzung von Mobilfunktelefonen, ist der Einsatz des so genannten IMSI-Catchers zur Ermittlung der Geräte- und Kartennummern von Telefonen sowie zur Lokalisierung des Standorts des Gerätes dringend notwendig geworden. Die Strafprozessordnung und das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz wurden deshalb bereits entsprechend ergänzt (§ 100i StPO bzw. § 9 Abs. 4 BVerfSchG). Eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zum Einsatz dieses Gerätes ist auch zur Abwehr von akuten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit von Menschen erforderlich. Nicht selten werden Mobiltelefone benutzt, deren Herkunft nicht bekannt ist. Die Telefonnummer solcher Geräte kann deshalb auch über einen Provider nicht festgestellt werden. Mithilfe der Kartennummer lässt sich die zugehörige Telefonnummer in der Regel problemlos ermitteln. Kennt die Polizei die Hardware-Kennung (IMEINummer) des benutzten Telefons aus anderweitigen Ermittlungen, kann sie diese ohne Umweg über Abs. 3 unmittelbar zur Beantragung einer Telekommunikationsüberwachung verwenden, weil Abs. 4 hierfür im Gegensatz zu § 100b StPO die Angabe der Kennung des Telekommunikationsgerätes genügen lässt.

Der IMSI-Catcher kann auch zur Feststellung des Standorts eines Mobiltelefons benutzt werden, dessen Daten bekannt sind. Dies würde es gegebenenfalls ermöglichen, den genauen Aufenthaltsort einer suizidgefährdeten Person festzustellen, nachdem der Provider die Funkzelle mitgeteilt hat, in der sie sich befindet.

Zulässig ist der Einsatz des IMSI-Catchers unter den Voraussetzungen des

§ 15 Abs. 4.

Zu Abs. 4 In formeller Hinsicht übernimmt § 15a uneingeschränkt die strengen Anforderungen des § 15 Abs. 5, die lediglich in Bezug auf den Inhalt der richterlichen Anordnung den technischen Gegebenheiten angepasst werden.

Zu Abs. 5 Abs. 5 regelt die Verwertung von so genannten Zufallserkenntnissen, das heißt Tatsachen, die sich bei Gelegenheit der Auswertung ergeben und einen anderen Sachverhalt betreffen. Die Regelung hat zur Folge, dass die so gewonnenen Erkenntnisse verwertet werden dürfen, wenn der Sachverhalt, wäre er von Anfang an im Blickfeld der Polizei gewesen, eine Telekommunikationsüberwachung gerechtfertigt hätte. Bundesrechtliche Übermittlungspflichten bleiben unberührt. Sofern sich die Zufallserkenntnisse auf eine Straftat beziehen, ergibt sich eine Übermittlungspflicht daher aus § 163 StPO.

Ein besonderes Verwertungsverbot für Gesprächsinhalte, die sich auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung beziehen, bedarf es nicht, weil Erkenntnisse, die sich auf eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder auf eine Straftat beziehen, diese Voraussetzung ohnehin nicht erfüllen (vgl. bezüglich der Strafverfolgung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004, Absatz-Nr. 137).

Zu Abs. 6 Der Verweis auf § 17 G 10-Gesetz begründet Mitteilungsverbote für den TK-Unternehmer.

Zu Nr. 7 (§ 16)

Der Telekommunikationsüberwachung nach § 15a kommt kein Vorrang gegenüber § 16 zu, sodass die Subsidiaritätsklausel in Abs. 3 entsprechend abzuändern ist. Abs. 6 wird aufgehoben, weil die Regelung, soweit sie mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist, in die §§ 27 und 29 übernommen wird.

Zu Nr. 8 (§ 17)

Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Aufhebung von § 15 Abs. 7 und 8.

Zu Nr. 9 (§ 19)

Die DNA-Analyse hat in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden mittlerweile eine Bedeutung gewonnen, die derjenigen der klassischen erkennungs dienstlichen Maßnahmen in nichts nachsteht. Auch die DNA-Analyse, die der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung dient, ist in ihren wesentlichen Teilen bundesgesetzlich geregelt (§ 81g StPO, DNA-Identitätsfeststellungsgesetz). Soweit die Voraussetzungen des § 81g StPO gegeben sind, dürfen auch die zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durchzuführenden Maßnahmen nur auf diese Vorschriften gestützt werden. Allerdings hat der Bundesgesetzgeber die DNA-Analyse zur Vorsorge für die Strafverfolgung nicht abschließend regeln wollen. Insoweit unterscheidet sich diese Regelung von den Straftäterunterbringungsgesetzen der Länder, die Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834/02 und 2 BvR 1588/02 - waren. Sowohl § 81g StPO als auch das DNAIdentitätsfeststellungsgesetz knüpfen an den Status der betroffenen Person als Beschuldigter bzw. Verurteilter in einem Strafverfahren an. Für den vergleichbaren Fall der erkennungsdienstlichen Behandlung ist es in der Rechtsprechung unbestritten, dass die Länder befugt sind, diese zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten zuzulassen, soweit es sich um Personen handelt, die nicht Beschuldigte sind. Entsprechende Vorschriften finden sich in allen Polizeigesetzen der Länder. Für landesgesetzliche Regelungen bleibt demzufolge ein schmaler Rahmen, der ausgeschöpft werden soll. Der Anwendungsbereich der Erstreckung des § 19 auf die DNA-Analyse ist noch geringer als bei den erkennungsdienstlichen Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, da die DNA-Analyse verurteilter Straftäter bereits Gegenstand des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes ist. Praktische Relevanz hat die Gesetzesänderung daher nur bei Kindern unter 14 Jahren, weil diese noch nicht strafmündig sind. Insbesondere kommt die Maßnahme bei Kindern in Betracht, die in bandenmäßiger oder sonst organisierter Form Straftaten begehen. Nach geltendem Recht können von den Kindern Lichtbilder gefertigt und Fingerabdrücke genommen werden. Die Gesetzesänderung ermöglicht zusätzlich eine DNA-Analyse, um den Kindern später DNASpuren, die z. B. an Tatorten von Einbruchsdiebstählen gesichert worden sind, zuordnen zu können.

Der neue Abs. 3 lehnt sich an Abs. 2 Nr. 2 an, der die erkennungsdienstliche Behandlung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten regelt. In beiden Fällen wird vorausgesetzt, dass die betroffene Person im Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben (so genannte Anlasstat) und dass daraus die Gefahr abzuleiten ist, dass sie (erneut) straffällig werden wird (so genannte Negativprognose). Die Anforderungen des neuen Abs. 3 gehen jedoch insoweit über diejenigen des Abs. 2 Nr. 2 hinaus, als Anlasstat eine Straftat mit erheblicher Bedeutung (§ 13 Abs. 3) sein muss und künftig eine Straftat mit erheblicher Bedeutung zu erwarten sein muss. Zudem sind für die Anordnung der Entnahme der Körperzellen und auch für die Anordnung der Untersuchung richterliche Entscheidungen erforderlich. Die Anforderungen entsprechen damit insoweit denjenigen des § 81g StPO.

Wie im Strafprozessrecht sieht auch der Entwurf vor, dass das entnommene Zellmaterial unverzüglich nach der Analyse zu vernichten ist, sofern es nicht noch aufgrund anderer Rechtsvorschriften aufzubewahren ist.

Für die Anordnung der Materialentnahme wird auf die Vorschriften für die körperliche Untersuchung in § 36 Abs. 5 verwiesen, da die zwangsweise Durchsetzung üblicherweise im Wege einer Blutentnahme erfolgt.

Die Speicherung der DNA-Identifizierungsmuster richtet sich, ebenso wie diejenige erkennungsdienstlicher Maßnahmen, die nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 erhoben worden sind, nach § 20; die gespeicherten Daten von Kindern sind nach der Prüffristenverordnung grundsätzlich nach zwei Jahren zu löschen.

Eine Speicherung in der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamts würde demgegenüber eine Änderung der Errichtungsanordnung voraussetzen, die die Zustimmung der zuständigen Innenministerien und Senatsinnenverwaltungen der Länder erfordert (§ 34 Abs. 2 BKAG). Zusätzliche Erkenntnisgewinne für die hessische Polizei würden sich aus der Erweiterung der Speicherungsmöglichkeiten in der Verbunddatei allerdings erst dann ergeben, wenn auch andere Bundesländer vergleichbare Fälle nach ihrem Landesrecht einstellen dürften.

Die Änderungen in den bisherigen Abs. 3 und 4 sorgen dafür, dass die dortigen datenschutzrechtlichen Regularien auch für die DNA-Analyse gelten.