Einhaltung der 15-Minuten-Hilfsfrist

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Ettengruber das Wort. Bitte, Herr Kollege. Die Redezeit beträgt 30 Minuten pro Fraktion.

Ettengruber (CSU): Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir heute in die Zielgerade für die Beratung und die Verabschiedung des neuen Bayerischen Rettungsdienstgesetzes eintreten, so muss zunächst die Ausgangssituation gesehen werden. Das Rettungswesen in Bayern befindet sich auf einem hohen Niveau. Wer sich gelegentlich im Ausland aufhält und die dortigen Rettungssysteme betrachtet, besonders in Ost- und Südosteuropa, der kann in den meisten Ländern nur hoffen, dass er niemals in die Lage gerät, einen Rettungsdienst zu benötigen.

Wir haben in Bayern ein flächendeckendes Rettungswesen in allen Landesteilen, zuverlässig, rund um die Uhr, mit Einhaltung der 15-Minuten-Hilfsfrist auch in den ländlich strukturierten Gebieten. Dies trägt wesentlich zur Chancengleichheit aller Bürger Bayerns bei.

Alle, die an diesem System beteiligt sind, können sich darauf viel zugute halten. Es wird vom Engagement aller, die daran mitwirken, getragen, weil das beste System nur so gut ist wie die Menschen, die es tragen und mit Leben erfüllen. Das gilt sowohl für diejenigen, die das berufsmäßig tun, als auch für diejenigen, die ehrenamtlich im Rahmen der Hilfsorganisationen tätig sind. Das sind beträchtlich und erfreulich viele. Sie tragen damit nicht nur zur Kostendämpfung bei, sondern sie verwirklichen damit in einem besonders wichtigen Bereich viel Bürgersinn. Es ist hier und heute eine gute Gelegenheit, allen zu danken, die das Rettungswesen in Bayern mit ihrer Arbeit aufgebaut haben und lebendig erhalten und zu einem der besten machen, die es überhaupt gibt.

Der Rettungsdienst ist ein zentrales Anliegen innerhalb unserer Gesellschaft. Die Qualität des Rettungsdienstes und seine Funktionsfähigkeit sind für jeden Bürger lebenswichtig, da sich jeden Tag ein Unfall ereignen kann.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Unfall unseres Kollegen Dressler aus dem Bundestag erinnern.

Hier hat sich das Rettungswesen wieder bewährt.

Die Struktur unseres Wirtschaftslebens und unserer Gesellschaft erfordert von jedem Bürger Beweglichkeit und Mobilität und bringt damit auch erhöhte Risiken für Leben und Gesundheit mit sich. Schauen Sie sich an, was sich tagtäglich auf unseren Verkehrswegen abspielt. Es liegt auf der Hand, dass an die gesetzliche Regelung des Rettungswesens nur mit größtem Verantwortungsbewußtsein und größter Sorgfalt herangegangen werden kann. Ich bin sicher, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Staatsregierung, der nach langen und intensiven Beratungen nun in dieser Form vorliegt, diesen Anforderungen entspricht.

Es ist unbestreitbar, dass die Erfahrungen und die Entwicklungen, die sich seit der Änderung des Rettungsdienstgesetzes von 1990 ergeben haben, eine Überarbeitung des bestehenden Rechtszustandes erfordern.

Dies muss behutsam und sorgfältig geschehen, weil sich das System insgesamt bewährt hat und niemand Bewährtes ohne Not über Bord wirft.

Das gilt ganz besonders für den Kernbereich des Rettungsdienstes, nämlich die Notfallrettung. Es bleibt bei der Verantwortlichkeit der Rettungszweckverbände. Diese Gremien, die maßgeblich von den Landkreisen und kreisfreien Städten getragen werden, haben ohne Zweifel durch ihre Arbeit und ihre Autorität das Rettungswesen in ganz Bayern federführend aufgebaut. Die Einführung des Verwaltungsmonopols baut darauf auf und stärkt die Stellung der Rettungszweckverbände. Sie stellt mit der Festlegung der Bedarfsprüfung in der Notfallrettung den mancherorts eingetretenen ruinösen Wettbewerb zwischen Hilfsorganisationen und privaten Unternehmen endgültig ab. Dieser Wettbewerb hätte bei weiterem Ausufern das gesamte System gefährdet. Die Beseitigung dieses ungeordneten Nebeneinanders ist das wichtigste Anliegen dieses Gesetzes, weil hier das Rettungswesen im Kern in Gefahr stand. Mit der Neuregelung kann es dauerhaft gesichert werden.

Die Anbindung der gesamten Notfallrettung, auch die der mitwirkenden Privatunternehmer, an die Vermittlung der Rettungsleitstellen ist dabei notwendig und unverzichtbar.

Der Krankentransport bleibt öffentlich-rechtlicher Bestandteil des Rettungsdienstes. Dabei ist wie bisher im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung die Zulassung privater Unternehmer möglich, wenn und soweit dadurch die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes nicht beeinträchtigt wird.

Der Vorrang der Hilfsorganisationen, die eine lange Tradition im Rettungswesen aufweisen und bereits jahrzehntelang ehrenamtlich und ohne Vergütung tätig waren, bevor überhaupt gesetzliche Regelungen eingeführt worden sind - also lange vor dem Jahr 1974-, bleibt bestehen.

Die Regelung für den Bereich des Krankentransportes ist auch deswegen vertretbar und richtig, weil die Notfallrettung unter Einbeziehung der neuesten medizinischen Erkenntnisse neu definiert wird und nunmehr auch den Sekundärtransport unter primär notfallmedizinischen Aspekten erfaßt.

Eine wesentliche Stärkung der Sozialversicherungsträger und gleichzeitig den Abbau staatlicher Reglementierung stellt die Einführung des Zustimmungserfordernisses dar.

Das gilt ebenso für die Entscheidung von Landesschiedsstellen, wenn sich bei strukturellen Festlegungen in der Notfallrettung keine Einigung zwischen den Beteiligten ergibt. Hier werden die Sozialversicherungsträger als wesentliche Kostenträger in die Entscheidung gesetzlich eingebunden.

Die Bestimmungen zur Dokumentation und zur Erprobung des ärztlichen Leiters Rettungsdienst schaffen die rechtlichen Grundlagen für ein effektives Qualitätsmanagement in der Notfallrettung.

Neben der notwendigen Qualitätssicherung wird durch Vermeidung von Fehlsteuerungen auch eine wirtschaftliche Verbesserung des Systems angestrebt und erreicht.

In der Diskussion über diesen Gesetzentwurf sind von seiten der SPD im wesentlichen drei Gesichtspunkte angeführt worden, die im Entwurf der SPD enthalten sind: die Struktur des Rettungswesens, die Erreichbarkeit des Rettungsdienstes und die Qualifikation des Personals.

Bezüglich der Struktur des Rettungswesens schlägt die SPD die Einführung einer Bedarfsprüfung vor, wobei offen bleibt, ob sie sich für ein Integrationsmodell oder für ein Separationsmodell entscheidet, denn Anknüpfungstatbestand für die Erteilung einer Genehmigung ist neben dem Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages kumulativ ein zusätzlicher Bedarf.

Unabhängig vom Strukturmodell muss die jeweilige Ausgestaltung jedenfalls dem Artikel 12 des Grundgesetzes Rechnung tragen. Eine objektive Berufszulassungsbeschränkung ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie der Schutz eines überragenden Gemeinschaftsgutes zwingend erfordert. Die bestehende Verträglichkeitsprüfung reicht nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes aus, um einerseits den Bestand des öffentlichen Rettungsdienstes zu schützen und andererseits auch die Kosten des Gesamtsystems in einem für die Sozialversicherungsträger annehmbaren Rahmen zu halten. Aus verfassungsrechtlichen Gründen muß daher dieser Teil des Änderungsantrages abgelehnt werden.

Hinsichtlich der Erreichbarkeit des Rettungsdienstes ist der SPD-Antrag aus dem Vorentwurf der Staatsregierung abgeschrieben. Mit dem Bayerischen Roten Kreuz, dem Landesfeuerwehrverband und den kommunalen Spitzenverbänden ist auf Ministerebene abgesprochen, daß dieses Thema bis zum Vorliegen der Studie über die Mitbenutzung der Rufnummer 112 zurückgestellt wird.

Bezüglich einer einheitlichen Notrufnummer ist klarzustellen, dass der Gesetzentwurf der Staatsregierung diese für den Bereich der Notfallrettung ohnehin vorsieht.

Für den Krankentransport wird von einem Leitstellenzwang der Unternehmer aus mehreren Gründen abgesehen. Anforderungen zum Krankentransport erfolgen in der Praxis ganz überwiegend durch Ärzte, Krankenhäuser oder medizinisches Hilfspersonal und nur in sehr geringem Umfang durch den Bürger selbst. Zudem bedürfen Krankentransporte nach den Krankentransportrichtlinien des Bundesausschusses der Ärzte- und Krankenkassen einer vorherigen ärztlichen Verordnung.

Der Bürger weiß also genau Bescheid, wann er einen Krankentransport braucht.

Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass der Verteilungskampf um die Krankentransporte bei einer Realisierung dieses Vorschlags in die Rettungsleitstellen hineingetragen würde. Damit wäre eine große Zahl von Rechtsstreitigkeiten mit größter Wahrscheinlichkeit programmiert. Dies kann jedoch nicht im Interesse einer funktionsfähigen Leitstelle liegen.

Bezüglich der Qualifikation des Personals lässt der Entwurf alle wesentlichen Fragen unbeantwortet. Ungeklärt bleibt zum Beispiel, wem die Pflicht zur Fort- und Weiterbildung überhaupt auferlegt werden soll. Soll es der Unternehmer sein oder das im Rettungsdienst tätige ärztliche oder nichtärztliche Personal, oder soll es jede Person sein, die die Voraussetzungen zur Mitwirkung im Rettungsdienst erfüllt? Der Vorschlag würde zwangsläufig dazu führen, daß die Meßlatte für die Teilnahme ehrenamtlicher Kräfte am Rettungsdienst noch höher gelegt wird. Allein das Bayerische Rote Kreuz gibt für die Ausbildung der Einsatzkräfte jährlich rund 2,5 Millionen DM aus. Die anderen Hilfsorganisationen tun dies ebenfalls. Das geschieht sowohl für die ehrenamtlichen als auch für die hauptberuflichen Mitarbeiter. Einer weitergehenden gesetzlichen Regelung bedarf es daher nicht. Auf Artikel 28 Absatz 1 Nummer 4 darf ich hinweisen.

Meine Damen und Herren, aus vorgenannten Gründen mußte der Änderungsantrag der SPD abgelehnt werden.

Ich meine, dass der vorliegende Gesetzentwurf eine vernünftige Grundlage für die gute und sinnvolle Weiterentwicklung des bayerischen Rettungswesens darstellt.

Unser gesetzgeberisches Ermessen ist dabei meines Erachtens so eingeschränkt, dass es nur auf Zustimmung lauten kann. Darum möchte ich Sie bitten.

(Beifall bei der CSU) Frau Zweite Vizepräsidentin Fischer: Ich erteile Herrn Kollegen Wahnschaffe das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Wahnschaffe (SPD): Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: Der vorliegende Entwurf wird kein Gesetz werden, das Ewigkeitswert besitzt, denn die Halbwertzeit von Gesetzen wird immer kürzer. Dieser Satz stammt nicht etwa von mir, sondern von meinem Vorredner, Herrn Kollegen Ettengruber. Er hat diesen Satz bei der Beratung des uns vorliegenden Entwurfs eines Rettungsdienstgesetzes im Ausschuß geprägt.

Diese Bemerkung drückt treffend, wenn auch verklausuliert aus, was die SPD-Fraktion von Anfang an gesagt hat.

Dieser Gesetzentwurf ist ein fauler Kompromiß, der wohl eine noch kürzere Halbwertzeit haben wird, Herr Kollege Ettengruber, als Sie damals bei der Ausschußberatung vermutet haben. Wir sind aber inzwischen in dieser Hinsicht von Ihnen und von der Bonner Koalition einiges gewöhnt. Es ist zum Beispiel bezeichnend, dass Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig kürzlich vorgeschlagen hat, man solle künftig Gesetze auf Probe erlassen.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Ritzer (SPD)) Lassen Sie mich zum vorliegenden Gesetzentwurf zurückkommen. Mit dieser Vorlage wurde die Chance vertan, ein mißglücktes Gesetz von 1990 dahin gehend fortzuentwickeln, dass es von der breiten Mehrheit dieses Hauses getragen wird. Die Grundpositionen von CSU und SPD liegen nämlich nicht so Weit auseinander, Herr Kollege Ettengruber. Deshalb sollte ein praktikables und zukunftssicheres Gesetz gemacht werden, das folgenden Ansprüchen gerecht wird, nämlich den Rettungsdienst so zu optimieren, dass in kürzester Zeit an jedem Ort in Bayern mit qualifiziertem Personal und unter Beachtung von Wirtschaftlichkeitsprinzipien lebenserhaltende Hilfe geleistet werden kann.

Die CSU-Fraktion hat in der Beratung bedauerlicherweise alle Vorschläge rundweg abgelehnt, die die SPD aufgrund von Anhörungen mit Leistungserbringern, Krankenkassen und Personalvertretungen entwickelt hat. Dabei weiß ich von einzelnen CSU-Kollegen, dass diese bestimmte Positionen, die wir entwickelt haben, für durchaus sinnvoll halten. Das betrifft nicht etwa irgendwelche marginalen Dinge, sondern zentrale Positionen.

Heute wird nun ein mehrfach gewendeter Gesetzentwurf der Staatsregierung verabschiedet werden, von dem wir wissen, dass die Staatsregierung im Vorfeld ihre Position mehrfach geändert hat. Das verdeutlicht, dass bei der Erarbeitung des Entwurfs nicht zielgerichtet, sondern nach dem Prinzip verfahren worden ist, wie man es möglichst allen recht machen kann.

Herausgekommen ist leider eine Korrektur eines verunglückten Gesetzes von 1990 mit untauglichen Mitteln. Stall dessen ist das auch von der Staatsregierung erkannte Übel im geltenden Gesetz, nämlich das ungeregelte Nebeneinander bei der Notfallrettung und beim Krankentransport, nicht beseitigt worden. Wir haben jetzt zwei Gebilde, die nebeneinander operieren. Auf der einen Seite

- das ist ein wesentlicher Fortschritt, den wir auch anerkennen - gibt es in Zukunft einen Rettungsdienst, der von den Hilfsorganisationen und den Privaten getragen ist, die bisher, bis 1995 jedenfalls, bereits im Rettungsdienst tätig waren. Sie bilden die Einheit von Notfallrettung und Krankentransport. Dies ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht, weil jetzt das Nebeneinander beseitigt ist, von dem wir alle wissen, dass es zu extremen Situationen geführt hat.

Aber die Staatsregierung ist auf halbem Wege stehengeblieben. Neben diesem Rettungsdienst, der der Bedarfsprüfung unterliegt, der eine einheitliche Rettungsleitstelle hat, gibt es in Zukunft einen weiteren Sektor, nämlich den des privaten Krankentransports. Dort kann jeder zugelassen werden wie nach dem Taxi-Prinzip. Das heißt, hier gibt es nur eine Verträglichkeitsprüfung, keine Bedarfsprüfung. Damit ist zumindest für den Krankentransport die jetzige unbefriedigende Lösung fortgeschrieben, und das ohne Not.

Wir haben zu dieser sehr prinzipiellen Frage einen sehr einfachen Vorschlag gemacht. Herr Kollege Ettengruber, insofern lassen wir uns den Vorwurf des Abschreibens durchaus gefallen. Denn die Organisation, der auch Sie angehören, nämlich das Bayerische Rote Kreuz, hat einen sehr vernünftigen, einfachen, verfassungskonformen Vorschlag gemacht. Es hat gesagt: Laßt uns die Einheit von Notfallrettung und Krankentransport im Rettungsdienst erhalten; dies hat sich in der Vergangenheit im Prinzip bewährt und hat dazu geführt, dass wir ein flächendeckendes Angebot in Bayern haben. Laßt uns das so organisieren, dass es nicht eine Trennung dieser beiden Systeme gibt, sondern nur ein System, zu dem dann alle zugelassen werden - wohlgemerkt ohne Vorrang, nämlich die Rettungsorganisationen und die Privaten.