Kolo SPD Zitieren Sie doch das Gutachten Lassen Sie mich zu Ende sprechen

Herr Kollege Kolo, angesichts dessen, was Sie eben vorgetragen haben, muss ich Sie wiederum der Unwahrheit zeihen. Ich will hier vier Zitate vortragen. Ich kann dabei nicht auf die Details eingehen. Warum gehe ich nicht auf Details dieser vierstündigen akademischen Diskussion ein? Ich tue es nicht, meine werten Kolleginnen und Kollegen, weil wir, die Gesprächsteilnehmer uns zum Schluß einig waren. Ich will, wie gesagt, vier Zitate anführen. Herr Prof. Lerche sagte - ich habe wörtlich mitgeschrieben -:

Wir haben den Auftrag gesehen, zu versuchen, Signifikanzen zu finden. Wir haben keine Signifikanz gefunden. - Herr Prof. Lerche ist der von Herrn Kollegen Kolo gewünschte Experte. Herr Kollege Lerche sagte weiter wörtlich: Die Diskussion auch mit Herrn Webb bringt nichts.

(Kolo (SPD): Zitieren Sie doch das Gutachten!)

- Lassen Sie mich zu Ende sprechen. Ich habe Ihnen auch zugehört. - Prof. Lerche fuhr fort: Webb ist Autodidakt. Herr Webb ist der Kronzeuge von Herrn Kolo.

Herr Prof. Neiß sagte: Im großen und ganzen kommen wir zum gleichen Ergebnis wie Herr Lerche. Wir sehen beide nichts Großes im Ergebnis der Beurteilung der Gutachter.

Jetzt zitiere ich Herrn Kollegen Kolo wörtlich: Jeder soll sich zurücknehmen bei der Interpretation der Ergebnisse dieser beiden Expertengruppen, weil sich kein Zusammenhang mit Tschernobyl herstellen läßt.

(Zuruf des Abgeordneten Kolo (SPD))

Ich habe dieses Zitat, als ich es niedergeschrieben habe, noch einmal wörtlich vorgelesen und gefragt: Herr Kolo, haben Sie das gesagt? - Jawohl, er hat es so gesagt. Herr Kolo hat es so gesagt.

Nach der Aussage von Herrn Kolo habe ich ihn gefragt: Herr Kolo, was machen wir nun mit Ihrem Antrag, nachdem Sie das gesagt haben? In Frau Sturm habe ich eine Zeugin dafür. Herr Kollege Kolo hat gesagt: Ich bin damit einverstanden, dass Sie als Vorsitzender des Ausschusses über dieses Gespräch berichten und ich nur sage, damit wäre mein Antrag erledigt. - Herr Kollege Kolo hat das so in aller Deutlichkeit gesagt.

Dann habe ich erklärt, nach 28 Jahren Kolo wäre das etwas ganz Neues; Herr Kollege Kolo wird das sicher trotzdem noch im Ausschuß breittreten; ich gehe davon aus, dass er das sogar im Plenum tun wird. Sehen Sie, ich habe recht behalten. Jetzt ist genau das geschehen, was ich vorausgesagt habe.

Meine Damen und Herren, wir haben es aber nicht dabei belassen, auch wenn Herr Kollege Kolo in der Expertenberatung gesagt hat, er sieht die Sache für erledigt an. Wir haben trotzdem gesagt, wir geben die Stellungnahme der beiden Expertengruppen zurück an diejenigen, auf die wir uns berufen haben. Das heißt, wir lassen die Experten noch einmal durch Experten, die wir berufen haben, kontrollieren.

Das haben wir getan und Herrn Dr. Scherb und Frau Weigelt von der GSF die Unterlagen wieder zur Verfügung gestellt. Ich zitiere nun, was Herr Dr. Scherb und Frau Weigelt uns daraufhin mitgeteilt haben:

Ein Indiz für die Parteilichkeit des Neißschen Gutachtens ist das Ignorieren unseres oben genannten Leserbriefes mit der wichtigen Kritik an Arbeiten der Bundesanstalt für Strahlenschutz.

Das bedeutet, die beiden GSF-Experten konzentrieren sich darauf, zu behaupten, Herr Neiß und sein Kollege seien parteiisch. Die inhaltliche Aussage lautet:

Wir beschäftigen uns nicht hauptsächlich mit der bayerischen Perinatalsterblichkeit. Unsere detaillierte Analyse der bedingten statistischen Trennschärfe der verschiedenen Verfahren belegt, dass man in Bayern allein wegen zu geringen Populationsumfangs im Verhältnis zur Effektstärke den zur Diskussion stehenden Effekt nicht ohne weiteres als signifikant erkennen kann.

Das sind die Kronzeugen des Herrn Kolo. Eigentlich könnte ich hier schon meine Rede beenden.

(Dr. Hahnzog (SPD): Das wäre schön!)

- Das würde Ihnen von der SPD so passen. Ich spreche aber weiter.

Gleichzeitig haben wir zusätzlich Herrn Neiß gebeten, zur Rechenmethode von Herrn Lerche Stellung zu nehmen.

Herr Kolo, Sie können sich sicher daran erinnern. Herr Neiß hat dann noch einmal die gleiche Rechenmethode benutzt wie Herr Lerche und schreibt:

Es sei noch angemerkt, dass sich hier durch geeignete Stratifizierungen stets hohe bzw. niedrige P-Werte ergeben.

Hören Sie jetzt bitte zu:

Eine dahinterstehende Systematik war für uns bei den vorliegenden Daten und dem heutigen Kenntnisstand nicht zu erkennen. Ferner bedeuten niedrige P-Werte allein noch keine Kausalität.

Nach unserer Meinung ist der Auftrag im Antrag von Herrn Kolo nicht nur durch diese Aussagen, sondern vor allem durch die Kontrollen der Experten und durch die gegenseitige Kontrolle der Experten erfüllt. Die Experten sind von Experten überprüft worden, und die überprüften Experten konnten wiederum Stellung nehmen.

Ich meine, die Kontroverse geht nun allenfalls darum, wie solid oder unparteiisch - Kollege Kolo hat eben selbst gesagt, er sieht die GSF als parteiisch an - die einzelnen Autoren und amtlichen Experten an diesen Studien gearbeitet haben. Ich denke aber, es kann nicht Aufgabe dieses Parlaments sein, im Streit der Experten, die sich gegenseitig in Frage stellen, die Wahrheit herauszufinden.

(Kolo (SPD): Eine Äußerung muss doch möglich sein!)

- Herr Kollege Kolo, Sie können doch dem Parlament nicht vorwerfen, dass innerhalb der GSF irgendwelche Dinge untersagt werden.

(Kolo (SPD): Das darf uns nicht unberührt lassen!)

- Ich habe mich bei der GSF erkundigt.

(Zuruf des Abgeordneten Kolo (SPD))

- Hören Sie mir doch zu.

Ich habe Ihnen daraufhin gesagt - bestätigen Sie das jetzt oder nicht? -: Herr Kollege Kolo, rufen Sie die Führung der GSF an, und erkundigen Sie sich, warum dieses angebliche Veröffentlichungsverbot ausgesprochen worden ist. Habe ich das zu Ihnen gesagt oder nicht? Was haben Sie getan? - Nichts haben Sie getan. Wahrscheinlich wäre Ihnen die Antwort peinlich gewesen. Sie hätten dann hier keinen solchen Auftritt gehabt. Sie hätten die Wahrheit herausfinden können; Sie haben es aber nicht getan. Warum haben Sie es nicht getan? - Um hier weiterhin Ihre Vorwürfe vortragen zu können.

Mir erscheint es wichtig, dass wir das Thema wieder der freien wissenschaftlichen Diskussion übergeben. Diese Diskussion - ich komme auf das zurück, was ich am Anfang gesagt habe - ist seit 1987 mit allen möglichen Aussprachen auch hier im Parlament geführt worden. Tun Sie doch nicht so, als wäre die Diskussion erst durch Herrn Webb angestoßen worden.

(Kolo (SPD): Es ist leider so!)

Da jede wissenschaftliche Diskussion neue Fragen aufwirft, lade ich alle an dieser Frage wissenschaftlich Interessierten in Bayern ein, die Unterlagen hier im Parlament einzusehen. Sie liegen bei mir im Büro aus. Es handelt sich um Papier kiloweise. Ich lade Sie ausdrücklich zu diesem Dialog ein.

Den Antrag können wir in allen Punkten, die uns vorliegen, begründet für erledigt erklären. Ich bitte das Parlament um ein entsprechendes Votum.

(Beifall bei der CSU) Präsident Böhm: Als nächste hat Frau Kollegin Sturm das Wort.

Frau Sturm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kaul, als Zeugin stehe ich Ihnen nicht so zur Verfügung, wie Sie das meinen. Zu der genannten Sitzung sind Sie eine halbe Stunde zu spät gekommen.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich habe auch den Eindruck, als wären Sie auf einer anderen Sitzung gewesen. Die Konsequenz aus dem GAU von Tschernobyl kann doch nicht Akteneinsicht im Büro Kaul sein. Die Konsequenz aus Tschernobyl muß sein, dass wir sofort aus der Atomkraft aussteigen.

Ich erinnere daran, am 26. April 1986 kam es in Tschernobyl zum Super-GAU. Es gab nicht 29 Tote, wie von der IAEO, dem Bundesamt für Strahlenschutz und der Strahlenschutzkommission beteuert wird, sondern es gab 15 000 Tote und 200 000 verstrahlte Menschen. 800 000 sogenannte Liquidatoren mußten sich in das hochverstrahlte Gebiet begeben, um zu retten, was zu retten war.

Das war eine Katastrophe sondergleichen. Die Menschen sterben heute noch. Das ignorieren Sie seit 1987, seit Sie den Fall untersuchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1987 wurde im Landtag der einstimmige Beschluß gefaßt, die Auswirkungen der Niedrigstrahlung von Tschernobyl auf Kinder zu untersuchen. 1994 legte das Bundesamt für Strahlenschutz - Schötzer, Grosche und andere - die Studie betreffend Säuglingssterblichkeit und angeborene Fehlbildungen in Bayern nach Tschernobyl vor. Die heißdiskutierte Studie besagt, dass es keine Effekte durch die zusätzliche Strahlenbelastung durch Tschernobyl gebe. Die Belastung wird ignoriert. Ich sage, dieses Ergebnis ist bestellt, und das kann man auch dokumentieren.

Die Studie wies erhebliche Mängel auf. Darauf hat Herr Kollege Kolo hingewiesen. Der Untersuchungszeitraum ist falsch gewählt worden. Der hauptbelastete Monat Mai wurde nicht mit einbezogen. Untersucht wurde nur die Gesamtmortalität, ein Mischmasch aus Frühsterblichkeit, Totgeborenen und Perinatalverstorbenen. Ich erinnere nur daran, (Hofmann (CSU): Das hat Prof. Lerche doch mit einbezogen!) daß bis zum 1. April 1985 sogenannte Frühchen, Kinder mit einem Geburtsgewicht von bis zu 500 Gramm, gar nicht als Kinder registriert wurden und ihnen sogar ein Begräbnis verwehrt wurde. Erst nach 1995 wurden totgeborene Kinder bis 1000 Gramm als Kinder angesehen.

Auch hier gab es eine Verfälschung. Aborte beispielsweise wurden grundsätzlich nicht in diese Statistiken aufgenommen.

Ziel war es also, keine Kausalität zwischen den zusätzlichen radioaktiven Strahlungen aus Tschernobyl und den Effekten festzustellen, die wir hinsichtlich Totgeburten und der Gesamtsterblichkeit von Kindern haben und die tendenziell durch die Studien auch bewiesen sind.

(Hofmann (CSU): Das ist doch nicht wahr! Sie lügen doch!)

- Herr Hofmann, ich möchte Ihnen dazu sagen, dass Herr Grosche vom Bundesamt für Strahlenschutz - das ist eigentlich das Wesentliche, Herr Kolo hat darauf hingewiesen - 1997 in der Zeitschrift Radiation Environmental Biophysics gesagt hat: Es gibt eine signifikante Zunahme der Perinatalsterblichkeit während der ersten drei Monate nach Tschernobyl.

Präsident Böhm: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hofmann?

Hofmann (CSU): Frau Kollegin, nachdem Sie zum wiederholten Male die Untersuchungsergebnisse im Bayerischen Landtag falsch darstellen, frage ich: Wären Sie bereit, die Schlußbemerkung von Herrn Prof. Lerche und Herrn Dr. Beibel, Universität Freiburg, auf Seite 40 dem Hause zur Kenntnis zu geben, nach der Folgerungen über einen Kausalzusammenhang zwischen einer Erhöhung der Kindersterblichkeit in Bayern und dem Reaktorunfall von Tschernobyl unseres Erachtens aus den vorliegenden statistischen Ergebnissen weder bejahend noch verneinend gezogen werden können? Sind Sie bereit, dies im Hohen Haus zu bestätigen?

(Kolo (SPD): Das stimmt, das steht so da, Frau Sturm!) Frau Sturm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht so da (Hofmann (CSU): Aber Sie zitieren falsch!)

- Nein, das steht so da. Herr Hofmann, Sie waren leider nicht bei der Sitzung. Es wurde gesagt, er lässt es offen.

Es kann sein, kann aber auch nicht sein.

(Hofmann (CSU): Und Sie ziehen den Schluß daraus, dass es nicht zutrifft!) Aber Sie müssen eines bedenken, Herr Hofmann - Sie sind doch lange genug im Geschäft -, (Hofmann (CSU): Ja!) daß sogenannte seriöse Wissenschaftler (Hofmann (CSU): Das ist Herrn Kolos Wissenschaftler!) nur die Effekte darstellen, aber die Konsequenzen müssen wir ziehen. Das kann nicht ein Mathematiker tun, sondern das müssen wir tun.

(Kaul (CSU): Was ist denn Ihre Konsequenz?)

Was sonst als Tschernobyl soll denn die Ursache für die Erhöhung der Zahl der Totgeburten gewesen sein? Sie weigern sich regelrecht, andere Effekte zu untersuchen.

Ich hatte eine Anfrage gestellt zu der Studie Leukämie und Fehlbildungen um Atomanlagen und geplante Atomstandorte, in der es geheißen hatte, die Fehlbildungen um geplante Standorte von Atomanlagen herum seien signifikant erhöht. Ich habe gefragt: Ist die Staatsregierung bereit, wenn schon keine Radioaktivität an geplanten Atomanlagenstandorten die Ursache sein kann, zu untersuchen, was es denn sonst sein könnte? Dann hat es geheißen: Nein, sie ist dazu nicht bereit.

(Kaul (CSU): Es gibt doch genügend Untersuchungen!)

Der Personal- und der Zeitaufwand seien zu hoch. - Sie sind gar nicht gewillt, der Sache auf den Grund zu gehen, (Beifall der Frau Abgeordneten Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) und die Effekte, die es gibt, verneinen Sie. Das ist eine alte Sache.

(Kaul (CSU): Sie lesen die Expertisen nicht, das ist das Problem!)

- Besser als Sie. Sie haben sie pfundweise in den Regalen, und ich habe sie in meinem Kopf.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Kaul (CSU): Sie stellen nur Anfragen und lesen die Antworten nicht!)

Ich möchte jetzt dennoch fortfahren.

(Hofmann (CSU): Fahren Sie!)

- Herr Hofmann, hören Sie zu. Herr Grosche hat 1997 zugegeben, dass es eine Signifikanz bei der Perinatalsterblichkeit gibt, und zwar drei Monate nach Tschernobyl.

Er hat zugegeben, dass es eine Zunahme an Totgeburten in Südbayern während der folgenden zwei Jahre nach Tschernobyl gegeben hat. Damit ist an sich alles gesagt.

(Dr. Weiß (CSU): Für euch schon, das ist klar!

Bloß nicht wissenschaftlich etwas aufarbeiten!

- Hofmann (CSU): Vorurteile pflegen!)

Es gibt diese erschreckenden Effekte, und wir müssen darüber nachdenken, woher sie kommen. Jeder, der normal und logisch denkt, weiß, was 1986 in Tschernobyl passiert ist. Aber, wie gesagt, die sogenannten seriösen Wissenschaftler wollen eben diesen Effekt bestreiten. Alle atomfreundlichen Gutachter weigern sich beharrlich, einen Zusammenhang zwischen Niedrigstrahlung, Radioaktivität und den furchtbaren Effekten der Totgeburten und Fehlbildungen zu sehen.

Dieser Zusammenhang wird von kritischen Wissenschaftlern in Gutachten dargelegt, wenn auch mit dem Hinweis: Es gibt ein Indiz, es gibt einen Trend, es gibt einen Hinweis, es liegt auf der Hand. Da sind zu nennen

- das wurde auch schon getan - Herr Dr. Webb, Herr Dr. Körblein und Herr Dr. Scherf. Herr Dr. Webb hat festgestellt, dass die Zahlen der Totgeburten 1987 in Südbayern signifikant erhöht waren. Er hat von 1988 auf 1989 einen Anstieg der Gesamtsterblichkeit in den am stärksten betroffenen Gebieten Bayerns festgestellt.