Sozialversicherung

14. Wahlperiode Drucksache 14/876

Interpellation der Abgeordneten Schmidt Renate, Straßer, Starzmann, Gartzke, Schieder Marianne und Fraktion SPD vom 4. 2. 1999

Werden Fördergelder aus der Staatskasse richtig verwendet?

Beim Landeskuratorium katholischer Dorfhelferinnen und Betriebshelfer ist es zu erheblichen Unregelmäßigkeiten gekommen, die zu einem finanziellen Schaden von bis zu 20 Millionen DM geführt haben können. Über 18 Jahre lang wurde unseres Erachtens die Überprüfung des Kuratoriums durch den ORH verhindert und die Aufdeckung des Skandals wurde 18 Monate hinausgezögert. Da die Staatsregierung damit offensichtlich nicht in der Lage ist, das eigene Finanzgebaren zu kontrollieren, müssen jetzt die Vorgänge in schonungsloser Offenheit rückhaltlos aufgeklärt werden. Insbesondere muss aufgeklärt werden, wie die Prüfung durch den Bayerischen Obersten Rechnungshof zeitlich abgelaufen ist, welche Beamte aus welchen Gründen von der Bearbeitung abgezogen worden sind und warum die Prüfung so lange gedauert hat.

Geklärt werden muss auch, ob die Staatsanwaltschaft beabsichtigt hatte, das Verfahren einzustellen und warum erst nach der Selbstanzeige des Kuratoriums eine Steuerprüfung veranlaßt worden ist.

Da versucht worden ist, die Schuld auf einzelne Beamte abzuwälzen, muss offengelegt werden, welche Beamte im Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in dieser Sache seit 1980 wann schriftlichen oder telefonischen Kontakt mit den früheren Staatsministern Nüssel, Maurer und Bocklet, dem früheren Staatssekretär und jetzigen Staatsminister Miller und der Staatssekretärin Deml und sonstigen Mitgliedern der CSU-Landtagsfraktion hatten. Da es nicht ohne politische Konsequenzen bleiben darf, wenn Minister oder Staatssekretäre von den Vorgängen Kenntnis hatten, ohne Sofortmaßnahmen einzuleiten, muß im einzelnen untersucht werden, welche Beamte und welche Personen an der politischen Spitze des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Vorgänge Bescheid wußten.

1. Die Aufdeckung des Skandals

a) Warum ist beim Kuratorium Katholischer Dorfhelferinnen und Betriebshelfer nicht intensiv geprüft worden, obwohl es bereits 1980 Anlaß zur Kritik an der Abrechnungspraxis des ehemaligen Geschäftsführers gegeben hat?

b) Welche Beamte waren seit 1980 in welchen Abteilungen des Landwirtschaftsministeriums für die Auszahlung der Zuschüsse und die Überprüfung der Abrechnungen zuständig?

c) Wer waren seit 1980 die Ansprechpartner beim Landeskuratorium?

d) Wer war seit 1980 seitens der politischen Führung des Landwirtschaftsministeriums zuständig für den Bereich der Selbsthilfeeinrichtungen?

e) Sind Mitarbeiter/Beamte des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der langen Zeit, in der nahezu keine Kontrolle erfolgt ist, an Vorgesetzte herangetreten, um auf das Problem aufmerksam zu machen, und falls ja, welche?

f) Welche politischen Amtsträger wurden aus dem Ministerium wann und von wem über das Problem informiert?

g) Was haben diese politischen Amtsträger unternommen bzw. angeordnet?

2. Wer ist verantwortlich, Beamte oder Minister bzw. Staatssekretäre?

a) Wurde seitens politischer Amtsträger Einfluß auf die Bearbeiter genommen? Wenn ja, in welcher Form und welche politischen Vorgaben wurden den dafür zuständigen Beamten gemacht?

b) Wurde den zuständigen Mitarbeitern im Ministerium zu irgendeinem Zeitpunkt die Verantwortung dafür entzogen? Wenn ja, was waren die Gründe dafür?

c) Welche Überprüfungen bzw. welche disziplinarrechtlichen Schritte wurden gegen welche Beamte zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Ergebnis eingeleitet? Wie sind dabei aufgetretene Verzögerungen begründet?

d) Was ist unter der von Staatsminister Miller verwendeten Formulierung zu verstehen, er habe seine mit der Sache befaßten Mitarbeiter von ihrer Aufgabe entbunden?

e) Wie ist zu erklären, dass der damals zuständige Minister Bocklet erst im Februar 1998 von den 2 Bayerischer Landtag 14. Wahlperiode Drucksache 14/876 gelmäßigkeiten erfahren haben will, obwohl er nach eigenen Worten immer auf eine besonders strenge und sorgsame Amtsführung bedacht war?

f) Welchen Inhalt hat das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 14. Mai 1998 an den Bayerischen Obersten Rechnungshof, auf das Minister Miller in seinem Bericht am 9. Dezember 1998 vor dem Haushaltsausschuß des Bayerischen Landtags Bezug genommen hat?

3. Ausbleibende Reaktionen auf die Prüfungsergebnisse des ORH

a) In welcher Weise haben Staatssekretärin Deml, Ex-Staatssekretär Miller, Staatsminister Bocklet und/oder der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion auf die Prüfungstätigkeit im Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie die Stellungnahme zum ORH-Bericht Einfluß genommen?

b) Trifft es zu, dass das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bereits im Jahr 1997 nicht mehr bereit war, Zuschüsse auszuzahlen, und falls ja, warum?

c) Wer hat denn auf politischem Wege für einen weiteren Geldfluß gesorgt?

d) Warum hat das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1997 erneut Prüfungen vorgenommen, obwohl der Bayerische Oberste Rechnungshof bereits geprüft und dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfohlen hatte, die Staatsanwaltschaft einzuschalten?

e) Warum wurden die bereits 1997 möglichen und nötigen Schritte nicht sofort eingeleitet?

f) Zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Ergebnis ist im Kabinett über Unregelmäßigkeiten beim Landeskuratorium berichtet oder beraten worden?

g) Wie wird die Staatsregierung für die Wiedergutmachung des Schadens sorgen?

4. Einschaltung der Steuerbehörden und der Staatsanwaltschaft

a) Warum hat das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die vom ORH bereits 1997 geforderte Strafanzeige gegen den ehemaligen Geschäftsführer erst im März 1998 erstattet, nachdem der ORH von sich aus die Staatsanwaltschaft informiert hatte?

b) Wurde die Staatsanwaltschaft mit dem Ansinnen konfrontiert, die Ermittlungen einzustellen? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt und von wem?

c) Welchen Inhalt hat der Briefwechsel zwischen dem Staatsministerium der Finanzen und dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, in dem die Einstellung des Verfahrens mit einer gewünschten Stundung in Verbindung gebracht wird?

d) Welche Kontakte gab es zwischen dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem Staatsministerium der Finanzen und/oder CSU-Mandatsträgern mit dem Ziel der Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen?

e) Gegen welche Personen wurden wann auf wessen Veranlassung und wegen welcher Verdachtsmomente staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet?

f) Was hat dazu geführt, dass die Absicht, die Ermittlungen einzustellen, fallengelassen worden ist?

g) Auf wessen Veranlassung und in welcher Form wurden die Finanzbehörden aktiv, um die Gemeinnützigkeit und andere steuerrelevante Aspekte zu überprüfen?

h) Warum wurde bei den vorangegangenen Prüfungen der Gemeinnützigkeit nichts festgestellt?

5. Die interne Behandlung des Skandals in der Staatsregierung

a) Welche Besprechungstermine innerhalb des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zwischen Vertretern des Staatsministeriums der Finanzen und politischen Amtsträgern der CSU gab es zu diesem Gesamtkomplex?

b) Was waren die Inhalte und Ergebnisse dieser Besprechungstermine?

c) Welcher Schriftverkehr, welche Aktenvermerke mit welchem Inhalt existieren zu diesem Komplex?

d) Welche Maßnahmen hat das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten getroffen, damit keine Akten unterdrückt werden?

e) Gab es in letzter Zeit Kontakt zwischen dem Katholischen Landvolk bzw. Kuratorium einerseits und Staatssekretärin Deml und/oder Staatsminister Miller, und falls ja, welchen Inhalt und welche Ergebnisse hatten diese Gespräche?

6. Finanzielle Verbindungen zwischen dem Kuratorium und dem Landvolk mit öffentlichen Mitteln

a) Wie hätten die Behörden überprüfen können, ob die Katholische Landvolkbewegung bzw. dessen Bildungswerk Gelder direkt oder indirekt vom Kuratorium erhalten haben?

b) Welche Verbindungen gibt es zwischen dem Katholischen Landvolk/Bildungswerk und dem Kuratorium in finanzieller und personeller Hinsicht?

Drucksache 14/876 Bayerischer Landtag 14. Wahlperiode Seite 3

c) Welche Überprüfungen werden beim Katholischen Landvolk in der Zeit von 1988 bis 1990 vorgenommen?

d) Welche Überprüfungen werden vorgenommen, um festzustellen, ob Gelder des Kuratoriums zur Finanzierung des Katholischen Landvolks und dessen Tätigkeit verwendet werden?

e) Welche Erkenntnisse erbrachten diese Überprüfungen beim Katholischen Landvolk?

f) Hat Staatssekretärin Deml über diese Verknüpfungen Bescheid gewußt?

g) Hat Staatssekretärin Deml auf die Prüfungstätigkeit des Ministeriums und die Erstellung der Stellungnahme zum ORH-Bericht Einfluß genommen?

Und falls ja, wann und in welcher Form?

h) Wie erklärt sich die Staatsregierung, dass offensichtlich das Landeskuratorium der evangelischen Dorfhelferinnen wesentlich kostengünstiger als das katholische Kuratorium gearbeitet hat?

Antwort des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 23.4. in Abstimmung mit den Staatsministerien der Finanzen, der Justiz sowie für Unterricht und Kultus beantworte ich die Fragen der o. g. Interpellation wie folgt:

Zu 1. a):

Der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) hatte 1980/81 für den Prüfungszeitraum 1975 bis 1979 den Abrechnungsmodus des Landeskuratoriums der Kath. Dorfhelferinnen Bayerns (seinerzeitige Bezeichnung des Kuratoriums vor seinem Zusammenschluß mit dem Kuratorium der Betriebshelfer) beanstandet, weil nicht entsprechend dem Wortlaut des Art. 13 anrechnungspflichtige Leistungen der Sozialversicherungsträger in voller Höhe vom notwendigen Aufwand abgezogen worden waren. Das vorgenannte Kuratorium wurde in einer Besprechung über den zukünftigen Abrechnungsmodus am 6. April 1981 und mit LMS vom 13. April 1981 eindeutig darauf hingewiesen, daß die Erstattungen der Sozialversicherungsträger ungekürzt vom notwendigen Aufwand abzuziehen sind. Außerdem wurde der zuviel ausbezahlte Betrag bei der Auszahlung der Fördermittel für das Jahr 1981 einbehalten.

In der Folgezeit ging das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufgrund der deutlichen Belehrungen des Geschäftsführers sowie der Rückzahlungsverpflichtung des Landeskuratoriums von einer korrekten Absetzung der anrechnungspflichtigen Leistungen der Sozialversicherungsträger aus. Im Verwendungsnachweis wurden jedes Jahr die Ausgaben im Zusammenhang mit dem geförderten Tätigkeitsbereich anhand entsprechender Belege geprüft. Es bestand damals kein Anlaß zu der Annahme und es gab auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Kuratorium zukünftig bewußt unrichtige Angaben zu den förderungsrelevanten Einnahmen, d. h. zu den Leistungen der Sozialversicherungsträger machen würde. Schließlich wurde dem Geschäftsführer des Kuratoriums 1981 kein strafbares Handeln vorgeworfen, weil das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erst im Zuge des damaligen ORH-Prüfungsverfahrens den Abrechnungsmodus entsprechend den Vorgaben des ORH eindeutig festgelegt hat.

Das staatliche Rechnungsprüfungsamt München hat beim Landeskuratorium Katholischer Dorfhelferinnen und Betriebshelfer e. V. (Kuratorium) im Jahr 1994 für die Jahre 1991, 1992 und 1993 geprüft. Im Jahr 1996 führte dann der ORH die Prüfung weiter. Dabei wurde ­ wie erstmals Ende April 1997 dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten durch den ORH vorläufig mitgeteilt ­ aufgedeckt, dass sich das Kuratorium nicht an die ihm 1981 auferlegte Abrechnungsweise gehalten hat.

Zu 1. b):

Seit 1980 bis heute waren im Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Abteilungsleiterebene zwei Personen, auf Referatsleiterebene drei Personen sowie auf Sachbearbeiterebene zwei Personen für die Förderung des Kuratoriums zuständig. Die Prüfung der Verwendungsnachweise ist Aufgabe des Referates. Zur konkreten Benennung der Beamten wird auf die Beantwortung der Frage 2 c verwiesen.

Die Auszahlungen wurden jeweils vom Haushaltsreferat des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Veranlassung des Fachreferats angeordnet und von der Staatsoberkasse München ausgeführt.

Zu 1. c): Ansprechpartner beim Kuratorium war bis zu seinem Ausscheiden Ende 1997 in erster Linie der seinerzeitige Geschäftsführer, ab 1997 auch der neue Vorsitzende und ab Juni 1998 die neue Geschäftsführerin des Kuratoriums, jeweils bis zur Einsetzung eines Sequesters als Folge des Konkursantrages des Kuratoriums im Dezember 1998.

Zu 1. d):

Entsprechend Art. 51 der Bayer. Verfassung führten die jeweils amtierenden Ressortminister, im Falle deren Verhinderung die jeweils amtierenden Staatssekretärinnen und Staatssekretäre den Geschäftsbereich. Eine etwaige Arbeitsteilung der politischen Führung und damit eine besondere Zuständigkeit für den Bereich der Selbsthilfeeinrichtungen bestand nicht.