Die europäische Dimension in der Verwaltung der Freien Hansestadt Bremen

Der Senat beantwortet die Große Anfrage wie folgt:

1. Wie beurteilt der Senat die politische und wirtschaftliche Bedeutung der EU für die gegenwärtige Situation und die zukünftige Entwicklung des Landes Bremen?

Das europäische Aufbau- und Einigungswerk hat sich in den vergangenen knapp fünfzig Jahren zu einem bislang nicht gekannten Stabilitätsfaktor für die politischen Beziehungen der Staaten Europas untereinander entwickelt. Im Zeitalter politischer und wirtschaftlicher Globalisierung werden nationalstaatliche Einzelkonzepte keine hinlänglichen Lösungen mehr bieten können. Diese Einschätzung gilt auch und insbesondere für die Freie Hansestadt Bremen. Im Vergleich zu anderen deutschen Ländern profitiert Bremen nicht nur überdurchschnittlich von den Mittelzuflüssen aus den europäischen Strukturfonds, sondern unterhält auch traditionell besonders enge Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland. So konzentrieren sich die Direktinvestitionen Bremens und Bremerhavens im Ausland zu 65 % auf die EU-Staaten. Die entsprechende Quote für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt beträgt 44 %. Das Verhältnis der ausländischen Direktinvestitionen aus EU-Staaten ist mit 61 % im Lande Bremen und 60 % in der gesamten Bundesrepublik nahezu identisch. Rund 45 % des gesamtbremischen Handelsvolumens wurden im vergangenen Jahr mit den Mitgliedstaaten der EU abgewickelt. Die außenwirtschaftliche Bedeutung der EU für die Freie Hansestadt Bremen wird durch die anstehende Erweiterung ab 2004 noch weiter wachsen.

Zum Projekt Europa gibt es keine ernstzunehmende Alternative mehr. Doch mehr noch eröffnet eine aktive, von Mitwirkungs- und Gestaltungswillen geleitete Europapolitik überdies eine Fülle positiver Entwicklungschancen und Förderimpulse für das Land Bremen als dauerhaft selbstständige und starke Region in Europa.

2. Wie bewertet der Senat die bestehenden Informations- und Arbeitsstrukturen der Ressorts in EU-Angelegenheiten? Welche Maßnahmen plant der Senat, um dem Bedeutungszuwachs der EU zukünftig gerecht zu werden?

Zu Beginn der laufenden Legislaturperiode wurde bereits die Präsenz der Freien Hansestadt Bremen in Brüssel durch Abordnungen und Stellenverschiebungen nach Brüssel sowie eine Verschmelzung von Europaabteilung in Bremen und EUVertretung in Brüssel wirkungsvoll verstärkt. Im Ergebnis wurde dadurch eine Organisationsform geschaffen, die das in anderen Ländern vorherrschende Nebeneinander von politischer Willensbildung in der Landeshauptstadt und bloßer Repräsentanz in Brüssel vermeidet und die knappen Personalressourcen optimal nutzt.

Als Querschnittseinrichtung verfügt der Senat mit dem Ständigen Arbeitskreis der EU-Referenten unter Vorsitz der EU-Abteilung der Bevollmächtigten über ein bewährtes Koordinationsgremium, das einen wichtigen Beitrag zum regelmäßigen Informationsfluss innerhalb der Ressorts und von und nach Brüssel leistet.

Der Senat ist darüber hinausgehend der Auffassung, dass im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Europäischen Union in naher Zukunft ergänzende Maßnahmen erforderlich sein werden, um die Europafähigkeit der Verwaltung zu verbessern. Dazu sind insbesondere folgende Maßnahmen erforderlich:

- Optimierung der Zusammenarbeit zwischen EU-Abteilung und LV Berlin im Hinblick auf die frühestmögliche Identifizierung und kontinuierliche Begleitung bremenrelevanter Rechtsetzungsakte der EU.

- Verbesserung der verwaltungsinternen Informationsströme hinsichtlich EUbezogener Vorgänge und Fragestellungen, um noch frühzeitigere Recherchen bzw. Interventionen bei den europäischen Institutionen zu ermöglichen.

- Erarbeitung einer ressortbezogenen Bestandsaufnahme im Hinblick auf die Ausrichtung auf EU-Politiken, mögliche Defizite, vorhandene Kapazitäten bzw. Ressourcen und Verbesserungsvorschläge als Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage für eine Staatsrätebefassung.

- Passgenauer Ausbau des EU-bezogenen Fortbildungsangebotes für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung (vgl. Antwort zu Frage 6).

3. Auf welche Weise wirken die öffentlichen Einrichtungen in Bremen und Bremerhaven mit den europäischen Institutionen zusammen? Welche Bedeutung kommt dabei der Bremischen Landesvertretung in Brüssel zu?

Die öffentlichen Einrichtungen im Land Bremen unterhalten vielfältige, gewachsene Kontakte und Netzwerke mit den europäischen Institutionen und nehmen auf dieser Grundlage ihre Aufgabe wahr, unter Einbeziehung der Bremer Vertretung in Brüssel Informationen über bremenrelevante Vorgänge zu beschaffen bzw. Einfluss darauf zu nehmen.

Die zum Geschäftsbereich der Bevollmächtigten der Freien Hansestadt Bremen beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit gehörende Vertretung bei der Europäischen Union in Brüssel hat in diesem Zusammenhang eine Schlüsselfunktion. Ihre Kernaufgaben umfassen:

- Umfassende Vertretung bremischer Interessen im Prozess der europäischer Gesetzgebung durch Beobachtung, Begleitung und Einwirkung auf den Willensbildungsprozess in den Organen und Institutionen der EU.

- Laufende Unterrichtung und Beratung des Senats, der Verwaltung und der Bremischen Bürgerschaft hinsichtlich übergeordneter und fachspezifischer Vorhaben und Maßnahmen der EU, Koordinierung der europabezogenen Ressortabstimmung, Unterstützung bei der Akquisition europäischer Fördermittel.

- Vertretung der Interessen der Freien Hansestadt Bremen in europäischen Institutionen, Vorbereitung der Sitzungen für die bremischen Vertreter im Mitwirkung in interregionalen Netzwerken und in Bund-Länder- und Ländergremien.

- Repräsentanz des Landes Bremen, Präsentation seines wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Potenzials gegenüber den europäischen Partnern in Brüssel.

4. In welchem Umfang nutzt der Senat in der laufenden Legislaturperiode die Möglichkeit, durch die befristete Entsendung so genannter Sachverständiger (Expert national detache) oder Zeitbeamter (Agent temporaire) die Präsenz der Freien Hansestadt Bremen in den Institutionen der EU zu verstärken? Wie kann sichergestellt werden, dass nach deren Rückkehr die erworbenen Qualifikationen zielgerichtet zur Verbesserung der Europakompetenz in der Verwaltung genutzt werden?

Der Senat hat in der Vergangenheit bereits verschiedentlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Landesbedienstete als Nationale Sachverständige (Expert national detache) oder Zeitbeamte (Agent temporaire) gezielt in die Institutionen der EU zu entsenden. Die Erfahrungen zeigen, dass solche Entsendungen grundsätzlich gut geeignet sind, gezielt bremische Expertise und Belange in Schlüsselpositionen der EU einzubringen.

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden EU-Erweiterung sind außerdem gegenwärtig zwei Angehörige des Finanzressorts im Rahmen des EU-Förderprogramms CAFAO (Customs and Fiscal Assistance Office) zum Zwecke der Mitarbeit beim Aufbau der Steuerverwaltung in Bosnien tätig.

Für die Zukunft beabsichtigt der Senat das Instrument der zeitweiligen Entsendung von Landesbediensteten in die europäischen Institutionen intensiver zu nutzen, um die Präsenz Bremens und Bremerhavens dort weiter zu stärken. Dazu sollen insbesondere kurzzeitige Hospitationen (Kontakte und Fachgespräche) von Landesbediensteten in Brüssel verstärkt werden. Bremenrelevante Stellenangebote für Nationale Sachverständige sollen gezielt an die Ressorts weitergeleitet werden zur Prüfung der Möglichkeiten eines Personaleinsatzes. Nach Rückkehr von längerfristigen Entsendungen zu den EU-Institutionen sollen die Landesbediensteten in einschlägigen Bereichen der bremischen Verwaltung eingesetzt werden, damit ihre Kenntnisse, Erfahrungen und die von ihnen geknüpften Netzwerke unmittelbar nutzbringende Verwendung finden können.

5. Wie bewertet der Senat den in den meisten anderen Ländern bestehenden Stellenpool als ein geeignetes Instrument, um damit die wesentliche personalwirtschaftliche Voraussetzung für Entsendungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schaffen? Wie beurteilt der Senat darüber hinaus die Möglichkeit, Landesbedienstete als Bundesbeauftragte in Ratsarbeitsgruppen zu entsenden oder am so genannten Twinning-Programm der Europäischen Kommission teilnehmen zu lassen?

Der Senat prüft gegenwärtig, welche personalwirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Freien Hansestadt Bremen optimal angepasste Voraussetzungen für zeitlich befristete Entsendungen von Landesbediensteten in die europäischen Institutionen zu schaffen.

Der bereits bei anderen deutschen Ländern bestehende Stellenpool kann hierfür ein geeignetes Modell sein.

Auch von der Möglichkeit der Entsendung von Landesbediensteten als Bundesratsbeauftragte in Ratsarbeitsgruppen hat der Senat in den vergangenen Jahren Gebrauch gemacht. Am Twinning-Programm beteiligt sich das Land Bremen gegenwärtig mit einem Landesbediensteten als Leiter eines Projekts zu Maritime Safety in Lettland und mit einem Landesbediensteten als Langzeitexperten zur Einführung der EU-Strukturfonds in Bulgarien.

Der Senat beabsichtigt, im Rahmen der vorhandenen Ressourcen diese Möglichkeiten zur gestaltenden Einbringung bremischer Fachkompetenz und zum Erwerb neuer Qualifikationen zukünftig verstärkt in Betracht zu ziehen.

6. Wie sind die Erfahrungen des Senats mit der zeitweiligen Entsendung von Ressortbediensteten an die Bremer Vertretung in Brüssel? Legen die Erkenntnisse eine Fortsetzung dieses Modells nahe? Was sieht der Senat darüber hinaus als erforderlich an, um die EU-bezogene Qualifikation der Landesbediensteten zu erhöhen?

Rechtzeitig vor Ende der laufenden Abordnungen von Mitarbeiterinnen in die Bremer Vertretung nach Brüssel werden diese Modellprojekte dahingehend evaluiert, auf welche Weise die Kontinuität von Ressortpräsenz in Brüssel ermöglicht werden kann. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt kann festgestellt werden, dass auf diesem Wege eine stärkere Verzahnung der Ressorts mit den EU-Institutionen und der Vertretung Bremens in Brüssel ermöglicht werden kann.

Der Senat hält darüber hinaus folgende Maßnahmen für erforderlich:

- Weitere Entwicklung EU-bezogener Qualifizierungsmaßnahmen auf Grundlage der von den Ressorts zu erhebenden konkreten fach- und ressortspezifischen Bedarfe.

- Einplanung einer Ausbildungsstation für z. A. Beamte und Nachwuchskräfte aus dem Pool für die Laufbahn des höheren allgemeinen Verwaltungsdienstes unter Berücksichtigung der technischen und personellen Ressourcen der Vertretung(en) in Brüssel (und Berlin).

- Verstärkte Berücksichtigung von Fremdsprachenkenntnissen, studien- und/ oder arbeitsbedingten Auslandsaufenthalten, Erfahrungen in supranationalen Organisationen und ggf. Kenntnisse des internationalen und europäischen Rechts bei Stellenbesetzungen.

- Ermunterung besonders qualifizierter Praktikantinnen und Praktikanten der Vertretung in Brüssel zur Bewerbung auf Stellen in der öffentlichen Verwaltung der Freien Hansestadt Bremen.