Vorkommnisse bei der Bayerischen Polizei

Im Zusammenhang mit den jüngsten Vorkommnissen bei der Bayerischen Polizei fragen wir die Staatsregierung:

1. a) Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über das dienstliche Fehlverhalten von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen sowie über diesbezügliche Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern als auch von Kolleginnen und Kollegen?

b) Betreibt die Staatsregierung eine landesweite systematische Erhebung der eingehenden Beschwerden und wenn ja, welche Daten liegen hier im Einzelnen für die letzten fünf Jahre vor, und wenn nein, warum werden solche Erhebungen nicht geführt?

c) Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Bearbeitung derartiger Beschwerden und den Ausgang dienst- und strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte in Bayern in den vergangenen fünf Jahren?

2. a) Sieht die Staatsregierung aufgrund der ihr vorliegenden Erkenntnisse in diesem Bereich unmittelbaren Handlungsbedarf für entsprechende organisatorische Maßnahmen, für Initiativen im Bereich der Personalentwicklung, Rekrutierung, Aus- und Fortbildung von Polizeibeamtinnen und -beamten?

b) Wie steht die Staatsregierung zu Personalbetreuungsmaßnahmen z. B. in Form von Supervisionsangeboten?

c) Was unternimmt die Staatsregierung für psychologische Betreuungsmaßnahmen, um auffällige Polizeibeamte frühzeitig erkennen zu können?

3. Wie steht die Staatsregierung zu Ombudsstellen für Bürgerinnen und Bürger und Polizistinnen und Polizisten bzw. Polizeibeauftragte oder Polizeikommissionen, wie sie in Hamburg und skandinavischem Vorbild bereits verwirklicht sind?

4. a) Welche Informationen hat die Staatsregierung über besondere Streß- und Gefährdungssituationen bei der polizeilichen Tätigkeit?

b) Wie stellt sich das Streß- und Gefährdungspotential auf der Grundlage einer Analyse der polizeilichen Einsatzstatistik (unter Einschluß der durch die Inanspruchnahme des polizeilichen Notrufs ausgelösten Einsätze) dar?

c) Welche sonstigen Erkenntnisse hat die Staatsregierung über besonders streß- und gefährdungsrelevante Situationen im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit und welchen Anteil haben diese im polizeilichen Alltag?

5. a) Wo sieht die Staatsregierung (über die unter Frage 2. fallenden Maßnahmen hinausgehenden) konkreten Handlungsbedarf zur mittel- und langfristigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Polizei, insbesondere unter prävantiven Gesichtspunkten der Vermeidung zukünftigen Fehlverhaltens einzelner Beamter?

b) Welche Bestrebungen der Staatsregierung gibt es, die bayerische Polizei den Erfordernissen an eine moderne Dienstleistungsorganisation zur Bereitstellung des öffentlichen Guts Sicherheit entsprechend zu reformieren?

c) Welche Überlegungen existieren auf Seiten der Staatsregierung, für die bayerische Polizei ein ziviles Leitbild zu entwickeln und welche konkreten Maßnahmen erscheinen der Staatsregierung hier in absehbarer Zeit zielführend zu sein?

6. a) Wie hat das Staatsministerium des Innern den Einsatz von Polizeibeamtinnen in den Polizeidienst vorbereitet?

b) Sieht die Staatsregierung die mobile Reserve als ausreichend an oder müßten dafür weitere Stellen zur Verfügung gestellt werden?

c) Was wird die Staatsregierung unternehmen, um gezieltes frauenfeindliches Verhalten innerhalb der Polizei zu vermeiden?

7. a) Seit wann liegen der Staatsregierung bzw. nachgeordneten Behörden Erkenntnisse darüber vor, dass ein Beamter bereits seit Jahren stiller Teilhaber an einem Münchner Bordell ist?

b) Wie steht die Staatsregierung nach den bekanntgewordenen Fällen zu Verstrickungen von Polizeibeamten in Drogengeschäfte und im Rotlichtmilieu zum weiteren großzügigen Einsatz verdeckter Ermittler?

c) Ist nach Ansicht der Staatsregierung die Versuchung für verdeckte Ermittler nicht zu groß, sich aufgrund ihrer Kenntnisse und Kontakte ein Zubrot zu verdienen und damit die Gefahr besteht, dass in einigen Fällen die Kriminalität eher gefördert als bekämpft wird?

8. Welche Gefahren sieht die Staatsregierung durch verdeckte Ermittlungstätigkeit erst Andockstellen der organisierten Kriminalität an die Ermittlungsbehörden zu schaffen, dass also, wie wohl im vorliegenden Falle, durch Doppeltätigkeit von Ermittlern der organisierten Kriminalität Zugang zu Daten im Polizeicomputer und Kenntnisse über bevorstehende Ermittlungsmaßnahmen gegeben wird?

Antwort des Staatsministeriums des Innern vom 07.06.

Zu 1. a):

Die disziplinarrechtlichen Befugnisse werden im Bereich der Bayerischen Polizei von den Präsidien, dem Bayerischen Landeskriminalamt und dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt ausgeübt.

Das Staatsministerium des Innern ist unverzüglich, spätestens bei Einleitung disziplinarrechtlicher Vorermittlungen zu unterrichten, wenn gegen einen Beamten der Verdacht, ein Dienstvergehen begangen zu haben, entsteht und wenn eine schwere strafbare Handlung oder ein Dienstvergehen, das geeignet ist, öffentliches Aufsehen zu erregen oder die Belange der Allgemeinheit in besonderer Weise zu berühren, in Frage steht.

Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Kolleginnen und Kollegen werden von den Präsidien, dem Bayerischen Landeskriminalamt und dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt in eigener Zuständigkeit bearbeitet. Nur auf Nachfrage wird das Staatsministerium des Innern über entsprechende Vorgänge informiert. Eine zentrale Erfassung der in der Fragestellung genannten Vorfälle durch das Staatsministerium des Innern findet nicht statt (vgl. dazu 1. b)).

Zu 1. b):

Das Staatsministerium des Innern betreibt keine landesweite systematische Erhebung der eingehenden Beschwerden über Polizeibeamte.

Beschwerden werden von den Präsidien, dem Bayerischen Landeskriminalamt und dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt in eigener Zuständigkeit bearbeitet. Eine personenbezogene Erhebung wäre nach den rechtlichen Vorgaben über Datenschutz und Personalakten nicht zulässig. Eine anonymisierte Erhebung brächte ­ abgesehen von dem immensen Verwaltungsaufwand ­ keine verwertbaren Erkenntnisse über das Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter mit sich.

Zu 1. c): Beschwerden werden von den unmittelbar nachgeordneten Behörden in eigener Zuständigkeit bearbeitet. Die in den Personalakten enthaltenen Eintragungen über die Disziplinarmaßnahmen sind gemäß Art. 109 Abs. 2 nach Eintritt des Verwertungsverbotes (3 Jahre bei Verweis und Geldbuße, 5 Jahre bei Gehaltskürzung, Art. 109 Abs. 1 bei Verhängung von Verweis oder Geldbuße auf Antrag des Beamten zu vernichten, in allen anderen Fällen mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen, aus den Personalakten zu entfernen und gesondert aufzubewahren.

Das Staatsministerium des Innern hat keinen Anlaß, an der Sorgfalt der zuständigen Behörden bei der Bearbeitung von Beschwerden zu zweifeln. Eine Aufstellung über den Ausgang aller dienst- und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen bayerische Polizeibeamte in den letzten fünf Jahren liegt dem Ministerium nicht vor.

Zu 2. a):

Das Staatsministerium des Innern hat am 17.03.1999 einen 9-Punkte-Maßnahmen-Katalog vorgestellt. Dieser enthält u.

a. die Neukonzeption des Einstellungsverfahrens für den mittleren Polizeivollzugsdienst, die Steigerung der Attraktivität des polizeilichen Außendienstes, den verstärkten Einsatz von berufserfahrenen Beamten im Wach- und Streifendienst, den Ausgleich der Altersstruktur zwischen dem Ballungsraum München und den nord- und ostbayerischen Regionen sowie eine verstärkte Nachwuchswerbung für München.

Zu 2. b):

Im Bereich der Bayerischen Polizei werden zur Förderung der sozialen Kompetenz und damit zur Betreuung der Beamten im Sinne der Fragestellung folgende umfangreiche Maßnahmen angeboten:

­ Verhaltenstraining PAKET

Der Erfolg polizeilichen Handelns hängt wesentlich davon ab, ob der Polizeibeamte in der Lage ist, nicht nur rechtlich und taktisch, sondern in besonderem Maße auch in psychologischer Hinsicht richtig bzw. angemessen zu reagieren. Fach- und Sozialkompetenz, Streßbewältigung und Konfliktfähigkeit sowie die weitgehende Eigenverantwortlichkeit prägen heute das Berufsbild der Polizei und fördern die Akzeptanz durch den Bürger.

Deshalb hat der Zentrale Psychologische Dienst der Bayerischen Polizei (ZPD) bereits im Jahre 1990 im Auftrag des Staatsministeriums des Innern ein Trainingsprogramm zur Verbesserung der professionellen Handlungskompetenz und damit zur Verbesserung der Sicherheit sowie der Förderung der sozialen Kompetenz der Beamtinnen und Beamten des mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienstes entwickelt.

Dieses Trainingsprogramm soll den Teilnehmern helfen, ihre berufliche Zufriedenheit zu steigern, ein gutes Verhältnis zum Bürger zu finden, ihr berufliches Selbstbewußtsein zu erhöhen, menschliches Handeln verstehbar zu machen, psychologische Kenntnisse anwendbar zu machen, positive Gesprächstechniken anzubieten, Lösungen für Konflikte anzubieten, das Betriebsklima zu verbessern und dadurch ihre Arbeit positiv zu gestalten.

In dieses inhaltlich und methodisch breit angelegte Programm wurden alle wesentlichen Verhaltensaspekte des polizeilichen Konfliktmanagements integriert, was auch in der Bezeichnung dieses Trainingsprogramms als sog. PAKET Seminar zum Ausdruck kommt. PAKET steht dabei für Polizeiliches, Antistreß-, Kommunikationsund Einsatzbewältigungstraining und beschäftigt sich auch mit Mobbing sowie der Integration von Frauen am Arbeitsplatz Polizei, ohne dies jedoch in den Seminarbeschreibungen zu thematisieren.

Die Seminare dauern jeweils zwei Wochen und sind auf eine maximale Teilnehmerzahl von 12 Beamten ausgerichtet, die von zwei Trainern betreut werden. Seit dem Jahre 1990 wurde in 744 Veranstaltungen insgesamt 8.738 (Stand: 31.12.1998) Teilnehmer trainiert.

­ Führungskräftetraining:

Für Beamte der Führungsebene des gehobenen Polizeivollzugsdienstes, die als Dienststellenleiter, Leiter der Verfügungsgruppe, Hundertschaftsführer, Kommissariatsleiter, Dezernatsleiter bestellt sind, wird im Rahmen des Fortbildungsprogramms der Bayerischen Polizei seit Herbst 1995 außerdem eine vom ZPD in Zusammenarbeit mit dem Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei entwickeltes Führungskräftetraining angeboten. Dieses Training soll den Beamtinnen und Beamten nicht nur dazu verhelfen, ihre soziale Kompetenz zu steigern, ihre polizeiliche Arbeit professioneller zu gestalten, ihre berufliche Zufriedenheit zu erhöhen und das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei zu verbessern, sondern sie darüber hinaus dazu befähigen, ihr Führungshandeln durch Weiterentwicklung ihrer persönlichen und sozialen Kompetenz im Interesse der Konfliktminimierung im Innenverhältnis zu optimieren.

Diese Führungskräfte beschäftigen sich im Rahmen dieses Trainings mit den Themenbereichen Kommunikation, Streß, Gruppendynamik und Selbstreflexion.

Eng verbunden mit diesem Training ist ferner auch das Beherrschen und die Fähigkeit zur Umsetzung der Grundsätze des kooperativen Führungsstils.

Für Beamte des höheren Polizeivollzugsdienstes, die bereits im Rahmen ihrer Ausbildung an der Polizeiführungsakademie in Münster im Führungshandeln unterwiesen werden, besteht die Möglichkeit, sich den laufenden Führungskräftetrainings anzuschließen.

Darüber hinaus wird für die Zielgruppe des höheren Polizeivollzugsdienstes im Fortbildungsprogramm der Bayer. Polizei seit 1997 eine eigene Veranstaltungsreihe mit den bereits angeführten Inhalten des Führungskräftetrainings durchgeführt.

Seit dem Jahre 1995 haben in 72 Führungskräftetrainings insgesamt 808 Beamte teilgenommen, davon 67 des höheren Polizeivollzugsdienstes. Auch diese Trainings dauern zwei Wochen, in denen maximal 12 Teilnehmer von zwei Trainern betreut werden.

Zu 2. c):

Es ist Aufgabe der Dienstvorgesetzten, problematische Entwicklungen auf Dienststellen oder einzelner Beamter frühzeitig zu erkennen. Soweit Auffälligkeiten bekannt werden, bieten der ZPD und der Ärztliche Dienst der Bayer. Polizei für Dienststellen oder auch für einzelne Beamte geeignete Betreuungsmaßnahmen an.

Ferner werden Beamte der Führungsebene im Rahmen des Führungskräftetrainings (vgl. dazu 2.b)) geschult, um auffällige Polizeibeamte frühzeitig zu erkennen.

Zu 3.: Für die Schaffung von Ombudsstellen, die Einführung eines beim Landtag angesiedelten Polizeibeauftragten, ähnlich der Funktion eines Wehrbeauftragten für den Bereich der Bundeswehr oder der Schaffung einer Polizeikommission, wie sie seit Sommer vergangenen Jahres bei der Freien und Hansestadt Hamburg eingerichtet ist, wird keine Notwendigkeit gesehen, weil die bestehenden Gremien und Möglichkeiten, die jeweiligen Anliegen vorzubringen, ausreichend sind.

Für alle Bürgerinnen und Bürger des Freistaates besteht die Möglichkeit, Petitionen an den Landtag zu richten oder sich an die Mitglieder des Landtags persönlich zu wenden. Darüber hinaus kann jedermann von den verfassungsrechtlich garantierten Möglichkeiten Gebrauch machen, im Rahmen der Rechtsweggarantie polizeiliche Eingriffsmaßnahmen bei den zuständigen Gerichten überprüfen zu lassen oder auf dem Beschwerdeweg (z. B. über eine Dienstaufsichtsbeschwerde) die Überprüfung des Verhaltens oder Auftretens von Beamten zu veranlassen. Im Innenverhältnis stehen dem Dienstvorgesetzten die rechtlichen Instrumentarien der strafrechtlichen und/oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen zur Verfügung; diese wurden bei den Vorfällen der letzten Zeit im Bereich des PP Münchens auch unverzüglich eingeleitet.

Unabhängig davon können sich Polizeibeamtinnen und ­beamte mit dienstlichen Problemen an die Polizeiseelsorger, den ZPD, die Gleichstellungsbeauftragten des jeweiligen Polizeipräsidiums, ggf. an Suchtberater, an einen der Personalräte vom örtlichen Personalrat bis zum Hauptpersonalrat oder die Berufsvertretungen wenden.

Zu 4. a) bis c):

Zur Beantwortung der Fragestellungen wird weitgehend auf empirische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse des ZPD und der Kriminologischen Forschungsgruppe des Bayer. Landeskriminalamtes zurückgegriffen.

So ist völlig unbestritten, dass ein Großteil der Polizeiarbeit in seinen vielfältigen Ausgestaltungen und Anforderungen in hohem Maße streßbehaftet ist. Begrifflich ist dabei aber zwischen negativem Streß (Distreß) und positivem Streß (Eustreß) zu unterscheiden. Ob ein Polizeibeamter beim Tätigwerden Streß als positiv oder negativ empfindet und verarbeitet, hängt von mehreren, sich gegenseitig bedingenden Faktoren ab, beispielsweise von der Persönlichkeit des Beamten, seiner momentanen körperlichen und psychischen Verfassung, der Berufserfahrung sowie Routine im Umgang mit polizeilichen Streßsituationen und von den Anforderungen, die aus der jeweiligen Situation erwachsen.