Echte und unechte Freigänger

Vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgenichts vom 01.07.1998 ­ Az.: 2 441/90 u.a. ­ in bezug auf die echte und unechte Freigänger fragen wir die Staatsregierung:

1. Die Staatsregierung möge Auskunft darüber geben, wie viele Strafgefangene in den Jahren 1994, 1995, 1996, 1997, 1998 in den einzelnen bayerischen Anstalten ein freies Beschäftigungsverhältnis eingehen durften und damit als echte Freigänger galten und wie viele Strafgefangene in diesen Jahren als unechte Freigänger zur Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt herangezogen wurden?

2. Welche Bemühungen haben die bayerischen Anstalten unternommen, um der verfassungsgerichtlichen Forderung nach Förderung der freien Beschäftigungsverhältnisse (§§ 39 Abs. 1, 11 ­ echter Freigang) mit Fristsetzung 31. Dezember 1998 nachzukommen?

3. Wie viele Zuweisungen zur Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt (unechter Freigang) konnten in der Zwischenzeit durch Vermittlung der Vollzugsbehörden bzw. durch Eigeninitiative in freie Beschäftigungsverhältnisse (echter Freigang) umgewandelt werden?

4. a) Wie viele Arbeitsverhältnisse mit Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt existieren zur Zeit noch in den einzelnen bayerischen Anstalten?

b) Ist in absehbarer Zukunft die Umwandlung der Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt (und damit des unechten Freigangs) in freie Beschäftigungsverhältnisse (und damit echten Freigang) möglich bzw. abgeschlossen?

5. a) Welche besonderen Schwierigkeiten traten bei der Umwandlung der Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt in freie Beschäftigungsverhältnisse auf und wie konnten diese beigelegt werden?

b) Wie reagierten die mit Arbeitsverhältnissen/-verträgen der Arbeitsverwaltung der Justizvollzugsanstalten ausgestatteten Unternehmer auf die Umwandlung in freie Beschäftigungverhältnisse?

6. Gibt es bei der Staatsregierung bereits eine Festlegung der Haftkostenbeiträge in Abhängigkeit von der Höhe des Entgelts aus freien Beschäftigungsverhältnissen?

Wenn ja erbitten wir um Auflistung der Haftkostenbeiträge in Abhängigkeit von der Höhe der Entlohnung aus freien Beschäftigungsverhältnissen.

Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 02. 07. 1999

Zu 1.: In den Jahren 1994, 1995, 1996, 1997 und 1998 ging insgesamt die folgende Anzahl von Gefangenen in den einzelnen bayerischen Justizvollzugsanstalten ein freies Beschäftigungsverhältnis ( Für die Justizvollzugsanstalt Würzburg sind aus den Jahren 1994, 1995, 1996 und 1997 keine Zahlen verfügbar.

In den Jahren 1994, 1995, 1996, 1997 und 1998 leistete in den einzelnen bayerischen Justizvollzugsanstalten insgesamt folgende Anzahl von Gefangenen Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt ( Für die Justizvollzugsanstalt Würzburg sind aus den Jahren 1994, 1995 und 1996 keine Zahlen verfügbar.

Zu 2.: Die bayerischen Justizvollzugsanstalten nahmen mit denjenigen Unternehmern, welche Gefangene im Rahmen des unechten Freigangs beschäftigten, Kontakt auf, unterrichteten die Unternehmer über die Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 und wirkten eindringlich darauf hin, die betroffenen Gefangenen für die Zukunft in einem freien Beschäftigungsverhältnis zu beschäftigen. Gegenüber Unternehmen, die erstmals den Wunsch äußerten, Gefangene zu beschäftigen, wurde die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundlage der Verhandlungen gemacht.

Ergänzend wurden die Gefangenen über die Möglichkeit der Eingehung eines freien Beschäftigungsverhältnisses belehrt und bei der Arbeitsplatzsuche sowie dem Kontakt mit den zuständigen Arbeitsämtern umfassend unterstützt.

Zu 3.: Seit dem 1. Januar 1999 konnten in den bayerischen Justizvollzugsanstalten 22 Zuweisungen zu Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt (unechter Freigang) in freie Beschäftigungsverhältnisse (echter Freigang) umgewandelt werden.

Zu 4. a):

In den einzelnen bayerischen Justizvollzugsanstalten bestehen zur Zeit folgende Arbeitsverhältnisse mit Pflichtarbeit in Betrieben außerhalb der Anstalt (unechter Freigang):

Zu 5.: Der erhöhte Verwaltungsaufwand in den Justizvollzugsanstalten bei freien Beschäftigungsverhältnissen konnte durch den engagierten Einsatz der Bediensteten aufgefangen werden.

Zu besonderen Schwierigkeiten bei der Umwandlung von unechtem Freigang in freie Beschäftigungsverhältnisse führten jedoch die für die Unternehmen damit verbundene Erhöhung der Lohn- und Lohnnebenkosten, die verstärkte rechtliche Bindung der Unternehmen in Fragen des Kündigungsschutzes und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die verringerte Flexibilität bezüglich Ort und Zeit der Beschäftigung und der erhöhte administrative Aufwand bei den betroffenen Unternehmen. Außerdem zeigten die Unternehmen ­ auch in Abhängigkeit von kurzfristigen Veränderungen der Auftragslage je nach Unternehmensart ­ zum Teil kein Interesse an einer längerfristigen Beschäftigung von Gefangenen. Umgekehrt wurde andererseits von manchen Unternehmen auch eine kurzfristige Haftzeit als Hinderungsgrund für eine Umwandlung angesehen, da in diesen Fällen keine hinreichend konstante Tätigkeit erwartet werden könne. Bedeutsam war in diesem Zusammenhang auch die Wahrscheinlichkeit des Wohnsitzwechsels eines Gefangenen nach Haftentlassung und damit einer unerwünschten Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Gefangenen.

Diese von den Unternehmen vorgetragenen Bedenken gründen auf der Struktur des freien Beschäftigungsverhältnisses und konnten deshalb nicht beseitigt werden.

Von Unternehmen, welche einen Gefangenen bereits vor seiner Inhaftierung beschäftigt hatten, wurde die Möglichkeit eines freien Beschäftigungsverhältnisses begrüßt. Die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen reagierte jedoch auf den Vorschlag einer Umwandlung des unechten Freigangs in ein freies Beschäftigungsverhältnis ­ insbesondere unter dem Kostengesichtspunkt ­ mit deutlicher Ablehnung. Häufig wurde angedroht, bei der Notwendigkeit einer Umwandlung in ein freies Beschäftigungsverhältnis die Arbeitsplätze den Justizvollzugsanstalten vollständig zu entziehen. In einem Einzelfall wurde diese Drohung verwirklicht, was den Verlust von zehn Arbeitsplätzen für Gefangene zur Folge hatte.

Da im Interesse des Resozialisierungsgebots des Strafvollzuges eine weitgehende Erhaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Strafgefangene erforderlich ist und auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine Beschäftigung im unechten Freigang jedenfalls mehr zur Resozialisierung beiträgt als eine Arbeitslosigkeit von Gefangenen, konnte in der Regel nur unter Beibehaltung des unechten Freigangs mit ausdrücklicher Zustimmung der betreffenden Gefangenen eine Fortsetzung der Beschäftigung erreicht und ein endgültiger Verlust der Arbeitsplätze vermieden werden. Diese Vorgehensweise führte im Übrigen bei einigen Unternehmen zumindest dazu, die Tätigkeit im unechten Freigang als eine Art Probearbeitsverhältnis anzusehen und dem Gefangenen nach der Haftentlassung einen echten Arbeitsvertrag anzubieten.

Zu 6.: Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 richtet sich die Höhe eines Haftkostenbeitrags nach dem Betrag, der nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge festgesetzt ist. Dieser Durchschnittsbetrag wird gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 für jedes Kalenderjahr durch den Bundesminister der Justiz nach den am 1. Oktober des vorangegangenen Jahres geltenden Bewertungen der Sachbezüge jeweils getrennt für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet und für das Gebiet, in dem das Strafvollzugsgesetz schon vor dem Wirksamwerden des Beitritts gegolten hat, festgestellt und im Bundesanzeiger bekanntgemacht.

Im Jahr 1999 beträgt dieser Betrag in Bayern gemäß der Bekanntmachung der Festsetzung der Haftkostenbeiträge im Kalenderjahr 1999 vom 5. November 1998 (BAnz. Nr. 215 vom 14. November 1998)

1. für Gefangene bis zur Vollendung des 18. Für kürzere Zeiträume ist für jeden Tag ein Dreißigstel der aufgeführten Beträge zugrundezulegen.

Die Höhe der Haftkostenbeiträge ist von der Höhe des Entgelts aus dem freien Beschäftigungsverhältnis unabhängig.