Wanderfalkenschutz in der Burgruine Ehrenfels im Rheingau

Presseberichten im November 2005 war zu entnehmen, dass das Umweltministerium im Juni 2005, basierend auf Stellungnahmen der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde, des Regierungspräsidiums Darmstadt und der Staatlichen Vogelschutzwarte, die Nutzung der Burg Ehrenfels im Rheingau durch die Stadt Rüdesheim für touristische Veranstaltungen aus Gründen des Naturschutzes abgelehnt hat. Damals vertrat die Landesregierung die Auffassung, der Schutz des seltenen und europarechtlich geschützten Wanderfalken habe Vorrang vor der gewünschten Erschließung der Burgruine und der Durchführung von Veranstaltungen der Rittervereinigung "Manus dominus". Mittlerweile rückt die Landesregierung von ihrer im Frühsommer fachlich und rechtlich begründeten Haltung ab und will aus dem zuerst ausgesprochenen Nutzungsverbot ein fünfjähriges Pilotprojekt machen, welches die touristische Nutzung der Burg erlauben soll und gleichzeitig neue Angebote als alternative Brutplätze für den Falken vorsieht. Fachleute fürchten allerdings, dass dies dazu führen könnte, dass das letzte im Rheingau lebende und nach EU-Recht streng geschützte Wanderfalkenpärchen vollständig vertrieben wird.

Vorbemerkung des Ministers für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz:

Es ist zutreffend, dass die Landesregierung in Fortentwicklung einer früheren Einschätzung dem angesprochenen fünfjährigen Pilotprojekt inklusive eines naturschutzfachlichen Aufwertungskonzeptes den Vorzug gibt. Diese Neubewertung erfolgte auf der Basis einer Reihe von Ortsterminen, der Befragung weiterer Wanderfalkenspezialisten und der Auswertung neuerer Literatur.

Die bisherigen schlechten Brutergebnisse machen deutlich, dass der derzeitige Brutplatz wie auch Teile des Lebensraumes aus einer ganzen Reihe von Gründen suboptimal sind und Störungen der eigentlichen Brutphase durch landwirtschaftliche Nutzung und Wanderer auf den nahen, in Nesthöhe gelegenen Wegen vorprogrammiert sind.

Im Rahmen eines Aufwertungskonzeptes werden der Brutstandort selbst und weitere mögliche Brutstandorte im zukünftigen Vogelschutzgebiet optimiert.

Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und erst nach der Auswertung der Ergebnisse wird entschieden werden, ob Veranstaltungen in der Burg dauerhaft durchgeführt werden können.

Es ist nicht zutreffend, dass das letzte im Rheingau lebende Wanderfalkenpärchen vertrieben werden kann. Seit der Wiederansiedlung von Wanderfalken im Jahre 1981 ist der Bestand im Lande durch die Bemühungen des ehrenamtlichen und amtlichen Naturschutzes ständig gestiegen und beträgt derzeit ca. 50 bis 60 Brut-/Revierpaare. Im Rheingau befinden sich zwei Wanderfalkenbrutpaare im Bereich des Vogelschutzgebietes "Weinberge zwischen Rüdesheim und Lorchhausen", wobei auch die rheinland-pfälzische Rheinseite mit benutzt wird. Darüber hinaus gibt es seit Jahren eine weitere Brut im Bereich von Schlangenbad.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung wie folgt.

Frage 1. Aufgrund welcher Rechtsvorschriften lehnten die Untere Naturschutzbehörde Rüdesheim, das Regierungspräsidium Darmstadt und das Hessische Umweltministerium im Sommer 2005 den Auftrag der Stadt Rüdesheim zur Erschließung und Nutzung der Burg Ehrenfels ab?

Die ablehnenden Bescheide der drei Behörden stützten sich auf § 42 in Verbindung mit § 62 des Bundesnaturschutzgesetzes. Der Regierungspräsident Darmstadt verweist in seinem Schreiben vom 6. Oktober 2004 noch auf

§ 20d Abs. 2 Hessisches Naturschutzgesetz und stellt fest, dass die Zulassung einer Ausnahme in einem faktischen Vogelschutzgebiet, wie es hier derzeit vorliegt, nicht möglich ist (Art. 4 Abs. 4 Vogelschutzrichtlinie).

Frage 2. Trifft es zu, dass die Staatliche Vogelschutzwarte in Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren sowie auf weitere Fragen des Umweltministeriums immer wieder feststellte, dass Wanderfalken in der Regel ganzjährig an ihre Brutplätze gebunden sind und die beantragten Vorhaben zur Aufgabe des Brutplatzes führen können?

Wenn ja, wie bewertet die Landesregierung die Aussagen der Staatlichen Vogelschutzwarte?

Es ist zutreffend, dass die Staatliche Vogelschutzwarte im Verlauf des Verfahrens bei Fragen zu unterschiedlichen Fallkonstellationen durch das Umweltministerium immer wieder auf Risiken einer touristische Nutzung der Burgruine Ehrenfels hingewiesen hat.

Diese Position bezog sich allerdings auf den Status quo im Brutgebiet, also einen suboptimalen Brutplatz mit hohem Störpotenzial, das unter anderem für den Ausfall der Brut im Jahre 2004 und 2005 verantwortlich war. Für die Wanderfalkenpopulation lässt sich somit für den Erhaltungszustand nur die Wertstufe "C" angeben. Durch das derzeit in Aufstellung befindliche Aufwertungskonzept (vorläufiger Maßnahmenplan) für das Gebiet wird die Situation des Wanderfalken deutlich optimiert. Bei einem Ortstermin am 1. November 2005 wurden die Inhalte des Pilotprojektes zusammen mit der Vogelschutzwarte diskutiert und die nun eingeschlagene Vorgehensweise wird von der Vogelschutzwarte mitgetragen.

Frage 3. Hält die Landesregierung an der Auffassung fest, dass die Aufgabe des Wanderfalkenbrutplatzes als Folge der beantragten Vorhaben vermieden werden muss?

Wenn nein, was sind die Gründe für die Meinungsänderung?

Der erste Punkt des von der Landesregierung erstellten 12 Punktekataloges zur Vorgehensweise im Pilotprojekt lautet: "Das Ziel, Brutmöglichkeiten des Wanderfalken auf der Ruine Ehrenfels zu erhalten, wird mit hoher Priorität weiterverfolgt". Der Terminus "Wanderfalkenbrutplatz" der Fragestellung ist allerdings zu relativieren, denn in diesem suboptimalen Brutfenster hat der Falke erst dreimal (davon zweimal erfolglos) gebrütet. Das Ziel ist also eine Optimierung des gesamten Brutrevieres, um nicht nur anthropogene, sondern auch natürliche Störungen weitgehend auszuschließen.

Frage 4. Ist der Landesregierung bekannt, dass es sich bei dem fraglichen Vogelschutzgebiet um ein faktisches Vogelschutzgebiet handelt, in dem noch strengere Anforderungen an Vorhaben gelten als in ordentlichen Vogelschutzgebieten, sodass nahezu jegliche Störung und Beeinträchtigung des Wanderfalken verboten ist?

Der Landesregierung sind die Regularien, die für ein faktisches Vogelschutzgebiet gelten, bekannt.

Die Vorgehensweise der Beteiligten wird im Rahmen des Pilotprojektes in einem multilateralen Vertrag geregelt werden, der sicherstellt, dass Veranstaltungen nur außerhalb der Brutzeit stattfinden und im Rahmen des optimierten Brutrevieres keine erhebliche Störung bewirkt werden kann.

Frage 5. Ist der Landesregierung bekannt, dass der Europäische Gerichtshof im Urteil "Herzmuschel-Fischer" (Az. C-127/02) entschieden hat, dass bei wissenschaftlichen Zweifelsfällen die Verbotsvorschriften der FFH- und der VogelschutzRichtlinie greifen?

Welche Konsequenzen zieht sie daraus im Fall der Burgruine Ehrenfels?

Zunächst ist festzustellen, dass das angesprochene Urteil auf der Basis des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie ergangen ist, der jedoch in der Frage faktischer Vogelschutzgebiete nach Art. 7 noch keine Anwendung findet. Wenn jedoch das Vogelschutzgebiet rechtswirksam ausgewiesen sein wird und die Regelungen des Pilotprojektes greifen, besteht kein wissenschaftlicher Zweifel mehr, dass von den Nutzungen keine erhebliche Beeinträchtigung ausgehen wird.

Frage 6. Wer hat zu welchem Zeitpunkt welches Gutachten vorgelegt, wodurch sich die Landesregierung zur Änderung ihrer Meinung veranlasst sah?

Zur Beantwortung wird auf die Vorbemerkung Bezug genommen.

Frage 7. Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich die Landesregierung bei dem vorgesehenen "Pilotverfahren"?

In einem bürgerlichen Rechtsstaat gilt der Grundsatz, dass erlaubt ist, was nicht verboten ist. Die Landesregierung sieht unter der Berücksichtigung des Art. 2 der Vogelschutzrichtlinie und Art. 2 Abs. 3 der FFH-Richtlinie keine rechtliche Grundlage für ein Verbot einer Nutzung, ohne die Möglichkeiten des geplanten Pilotprojektes auszuloten.

Frage 8. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen hätte die Aufgabe des Brutplatzes in der Ruine Ehrenfels durch den Wanderfalken?

Rechtliche Folgen werden für den Fall einer Aufgabe des Brutplatzes in der Ruine Ehrenfels nicht gesehen, weil durch den vorläufigen Maßnahmenplan die Funktionalität des Gebietes deutlich verbessert wird und es zu einer Aufwertung der möglichen Brutstandorte für den Wanderfalken kommt. Die tatsächlichen Folgen beruhen nach Umsetzung der Planung nicht mehr auf antropogenen Folgen, sondern könnten bestenfalls auf natürlichen Wirkungen wie z. B. einer Verdrängung des Wanderfalken durch den Uhu beruhen.

Frage 9. Welche Kosten wird der vorgesehener Pilotversuch verwaltungsintern und verwaltungsextern durch Gutachten auslösen und wer soll die Kosten tragen?

Der Grundlagenteil und NATURA 2000-Aufwertungskonzept wurde verwaltungsintern erstellt und ist somit als vorläufiger Maßnahmenplan ein Teil des Maßnahmenplanes, der für das Vogelschutzgebiet ohnehin erstellt werden müsste. Die weiteren Arbeiten, hier insbesondere die Freistellung einer weiteren Brutwand im Steinbruch König, sind Teil der NSG-Pflegeplanung.

Die Arbeiten innerhalb der Burgruine Ehrenfels und an den weiteren Brutfelsen des Gebietes werden auf ehrenamtlicher Basis durchgeführt. Über die Notwendigkeit einer Fremdvergabe eines begleitenden Gutachtens wird derzeit noch verhandelt.

Frage 10. Wie beurteilt die Landesregierung die Kritik des BUND, dass das geplante fünfjährige Pilotprojekt gegen die EU-Vogelschutzrichtlinie verstoße, weil es die Vertreibung des Wanderfalken provoziere, da aus Sicht des BUND zuerst abgewartet werden müsse, ob sich der Falke an alternative Brutplätze gewöhnen würde?

Die Landesregierung teilt die Ansicht des BUND, dass eine Vertreibung des Wanderfalken provoziert wird, nicht. Im Gegenteil ist das gesamte Projekt darauf abgestellt, eine gleichzeitige verträgliche Nutzung der Burgruine für Wanderfalken und Menschen zu ermöglichen.