Führung der Einsatzkräfte und Benachrichtigung der bedrohten Bevölkerung bei der katastrophalen Überschwemmung in Augsburg

Am Samstag vor Pfingsten und am Pfingstsonntag wurden Straßenzüge in den Augsburger Stadtteilen Göggingen und Pfersee sowie in der Schafweidsiedlung überschwemmt. Aus der Bürgerschaft werden schwere Vorwürfe gegen die zentrale Leitung der Katastrophenhilfskräfte erhoben.

1. Ablauf der Katastrophe

a) Wann wurde für die Wertach im Bereich Göggingen und Pfersse eine Gefahrenlage von wem festgestellt?

b) Welche Maßnahmen wurden dann von wem angeordnet und verantwortet?

c) Wann wurde eine Gefährdung der Bevölkerung für möglich gehalten, und wie wurde die Bevölkerung vorgewarnt?

2. Dammbruch

Ab welchem Zeitpunkt ist ein Bruch des westlichen Wertachdammes im Bereich des alten Wehres als mögliche Gefahr einkalkuliert worden?

a) Was hat man unternommen, um diesen Dammbruch zu verhindern?

b) Wie hat man sich auf den Fall vorbereitet, dass der Damm brechen würde? War den Einsatzkräften wenigstens bekannt, dass in den 60er Jahren bei einer ähnlichen Situation (unter und vor der Wertachstraßenbrücke an der Wellenburger Allee stauten sich Bäume) ebenfalls das Wasser der Wertach durch alte Wege (Brunnenbach) nach Pfersee geströmt ist?

3. Waren die städtischen und staatlichen Stellen sich ihrer besonderen Verpflichtung zur Vorwarnung und Akutwarnung der Bevölkerung bewußt, nachdem noch am Pfingstsamstag auf der Hauptseite des Lokalteils der Augsburger Allgemeinen eine Entwarnung gegeben worden war. (AZ 22.5.99: Keine großen Sorgen bereitet derzeit die Wertach den Experten. Der Pegelstand beträgt derzeit 1,70 Meter, die Hochwassergrenze liegt bei 2,50

Meter, rechnet R. vor. Weil die Wertach nicht im Hochgebirge entspringt und deshalb keine Schmelzwasser mehr mitführt, steige der Pegel nicht so stark an.)

4. Zu welcher Uhrzeit ist der Damm gebrochen, und wann erreichte dann die Flut die Bundesstraße 17, wann die Neubausiedlung Uhlandwiese und wann die Straßen im alten Stadtteil Pfersee-Süd?

a) Wie wurde in der Nacht die Bevölkerung vor der herannahenden Flut gewarnt?

5. Wer hatte in der Nacht die Weisungsbefugnisse über die städtischen Einsatzkräfte und wer über die Katastrophenhilfskräfte?

a) Wer hat wann den Katastrophenalarm ausgelöst?

b) Wer hat wann den Katastrophenalarm aufgehoben?

Warum zu diesem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt?

6. Wie konnte es passieren, dass noch am Nachmittag des Pfingstsonntags die Bürger in den überschwemmten Straßenzügen, die infolge Stromabschaltung weder Radio hören noch telefonieren konnten, von befragten Polizeibeamten und Feuerwehrleuten keine zutreffenden Informationen erfahren konnten, ob die Überschwemmung noch andauern würde und ob die angekündigte neue Hochwasserwelle noch kommen würde?

7. Hat nach Einschätzung der Staatsregierung das Management der Einsatzkräfte während der Augsburger Überschwemmungskatastrophe entsprechend den Zielsetzungen und Bestimmungen des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes von 1996 seine Arbeit gemacht oder sind gravierende und folgenreiche Managementfehler begangen worden?

Antwort des Staatsministeriums des Innern vom 19. 07. 1999

Die Anfrage betrifft einen Sachverhalt, der Gegenstand einer Strafanzeige wegen Herbeiführung einer Überschwemmung gem. § 313 ist. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb Ermittlungen eingeleitet, die wegen des komplexen Geschehens während der Hochwasserkatastrophe sehr umfangreich und daher noch nicht abgeschlossen sind.

Im Hinblick darauf beantworte ich die schriftliche Anfrage im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen nach derzeitigem Sachstand wie folgt:

Zu 1. a):

Am Vormittag des 21.05.1999 wies das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth die betroffenen Kreisverwaltungsbehörden auf erhöhte Wasserstandspegel für Lech und Wertach hin und empfahl die Einrichtung entsprechender Katastrophenschutzstäbe. Wie die Stadt Augsburg berichtet, wurde dieser Hinweis zum Anlaß genommen, einer möglichen Hochwassergefährdung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Am 22.05.1999 verhängte sich gegen 15:30 Uhr Treibgut im Ackermannwehr. Gegen 16 Uhr verständigte deshalb der Betreiber des Wehres die Berufsfeuerwehr der Stadt Augsburg.

Zu 1. b):

Die Stadt Augsburg berichtet, dass das verklauste Wehr als zentraler Problempunkt erkannt wurde. Deshalb habe man mit einem eigens zugezogenen Sprengmeister die Möglichkeit erwogen, das Wehr freizusprengen, jedoch wegen der von einer solchen Sprengung ausgehenden Gefahren, die nicht genau abgeschätzt werden konnten, verworfen. Die sonstigen Versuche der Einsatzkräfte, das Wehr freizulegen und damit den freien Abfluß der Wertach zu ermöglichen, seien gescheitert.

Zu 1. c):

Wie die Stadt Augsburg mitteilt, ist vor einer Überschwemmung gerade im Raum Göggingen/Pfersee Süd durch Mitteilungen der zuständigen Polizeidirektion am 22.05.1999 von 19:06 Uhr und 21:22 Uhr an die Rundfunksender gewarnt worden (siehe auch 4. a)).

Zu 2. und 2. a):

Wie die Stadt Augsburg berichtet, wurde nicht mit einem Bruch des westlichen Wertachdammes gerechnet. Deshalb habe man zunächst den Damm lediglich mit Sandsäcken erhöht und hinterbaut. Gegen 22:00 Uhr habe sich die Lage am Westdamm vor dem Wehr verschärft, weshalb mit mehreren LKW schwere Steine auf und hinter den Damm zur weiteren Sicherung aufgeschüttet worden seien. Zusätzlich habe man schwere Flußbausteine auch vor dem Damm aufgeschüttet, um dort den Wasserdruck wegzunehmen. Um 22.23 Uhr sei die Dammkrone überspült worden, was zu einem verstärkten Verbau mit Steinen und Aushubmaterial geführt habe.

Zu 2. b):

Es ist möglich, dass sich einige der älteren Einsatzkräfte an den damaligen Dammbruch erinnern konnten. Die Stadt Augsburg weist jedoch darauf hin, dass die Situation an Pfingsten nicht mit 1965 vergleichbar gewesen sei; seinerzeit sei Wasser über eine Dammöffnung zum sogenannten Radegundisbach und von dort in die dann überfluteten Gebiete ausgetreten.

Zu 3.: Das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth hatte am Vormittag des 21.05.99 die Stadt Augsburg vor dem zu erwartenden Hochwasser gewarnt. Allerdings war der Wasserstand der Wertach noch am Nachmittag des 21.05.99 mit ca. 1,70 Meter unproblematisch und deutlich unterhalb der Meldegrenze von 2,50 Meter. Bereits 5 Stunden später war der Wasserstand jedoch auf 2,74 Meter und weitere 5 Stunden später auf 3,79 Meter angestiegen. Am 22.05.1999 in der Zeit zwischen 13:45 und 14:15 Uhr sank der Wasserspiegel wieder um über 20 cm. Gegen 18:00 Uhr wurde der Hochwasserscheitel mit einem Pegelstand von 5 Metern am Pegel Oberhausen erreicht. Ein derartiges Abflußverhalten ist für Gewässer wie die Wertach in ihrem Unterlauf völlig untypisch und konnte damit von den städtischen und staatlichen Stellen nicht vorhergesehen werden. Dementsprechend war eine frühzeitigere Warnung der Bevölkerung nicht möglich.

Zu 4.: Die Stadt Augsburg berichtet, dass die erste Meldung, dass ein Teilstück aus dem Damm gebrochen sei, am 23.05.1999 um 0:01 Uhr eingegangen sei. Nachfolgend seien weitere Stücke des Dammes gebrochen. Insgesamt sei der Damm auf einer Strecke von ca. 100 m abgerutscht.

Ein Polizeibeamter habe um 02:57 Uhr gemeldet, dass die Bundesstraße 17 überflutet sei. Die Hochwasserwelle habe die Uhlandstraße gegen 03.20 Uhr erreicht und sich dann über die Max-Pechstein-Straße (Meldung: 03:41 Uhr), die Otto-Nikolai-Straße (Meldung: 04:03 Uhr), die Chemnitzstraße (Meldung: 04:28 Uhr), die Droste-Hülshoff-Straße (Meldung: 04.43 Uhr), die Rupprechtstraße (Meldung 05:24 Uhr), die Färberstraße (Meldung: 06:30 Uhr) bis zur Kirchbergstraße (Meldung: 07.26 Uhr) ausgebreitet.

Zu 4. a):

Ab ca. 03:00 Uhr warnte die Polizei im Uhlandviertel durch Lautsprecherdurchsagen mit fünf Dienstfahrzeugen. Zusätzlich wurde von 05:40 Uhr bis 06:45 Uhr im Uhlandviertel mit einem Polizeihubschrauber etwa 20 Mal mittels Sirene und anschließendem Durchsagetext gewarnt.

Zu 5.: Die Weisungsbefugnisse lagen bei der Stadt Augsburg.

Zu 5. a):

Der Katastrophenfall wurde am 23.05.1999 um 02:10 Uhr vom Ordnungsreferenten der Stadt Augsburg auf Vorschlag des Leiters der Berufsfeuerwehr festgestellt. Der Oberbürgermeister wurde kurz nach der Ausrufung des Katastrophenfalles vom Leiter der Berufsfeuerwehr telefonisch informiert.

Zu 5. b):

Der Katastrophenfall wurde am 23.05.1999 um 12:00 Uhr auf Vorschlag des Leiters der Berufsfeuerwehr vom Oberbürgermeister aufgehoben. Nach Einschätzung des Leiters der Berufsfeuerwehr bestand wegen des stark sinkenden Wassers im Bereich der Uhlandwiese, des bis dahin gestoppten Wasseraustritts am Dammbruch und wegen des Rückzugs der Bundeswehrkräfte kein besonders erhöhter Koordinierungsbedarf mehr.

Zu 6.: Aufgabe der am Einsatzort eingesetzten Helfer ist es, die angeordneten Katastrophenschutzmaßnahmen umzusetzen.

Prognosen über die Lageentwicklung sind ihnen dagegen nicht möglich, da sie keinen Überblick über die Gesamtlage haben können.

Zu 7.: Diese Frage kann im Hinblick auf die laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen derzeit nicht abschließend beantwortet werden.