Sicherheit zukünftiger Atommülltransporte

Der Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltragen fordert die Wiederaufnahme von Atomtransporten, die seitdem aufgrund von Behälterkontaminationen 1998 verhängten Transportstopp ausgesetzt sind.

Wir fragen daher die Staatsregierung:

1. Wie wurden die Mängel, die 1998 zur Einstellung der Transporte geführt haben, abgestellt? Insbesondere:

a) Inwieweit wurden die Kontrollmessungen der atomrechtlichen Aufsicht intensiviert?

b) Was hat die Staatsregierung getan, um die Sensibilität der Betreiber bei Meldungen zu erhöhen?

c) Was wurde unternommen, um die Organisationsstruktur in den kerntechnischen Anlagen zu verbessern mit dem Ziel, beispielsweise, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu bündeln sowie weitergehende Informationspflichten einzuführen?

d) Inwieweit wurde ein betreiberunabhängiges Informationssystem bezüglich der Transportvorgänge aufgebaut, die Kontrollmessungen durch die atomrechtliche Aufsicht sowohl bei Leerbehältern, als auch beim Beladungsvorgang und der Transportbereitstellung intensiviert und Dekontaminationsverfahren sowie Verfahren der Kontaminationsvermeidung verbessert?

e) Wie hat die Staatsregierung mitgewirkt, um die Transportmessprogramme sicherer zu machen?

f) Wie wurden die Energieversorgungsunternehmen überzeugend und zuverlässig dazu gebracht, die bayerischen und die Bundesbehörden in Zukunft über Messergebnisse an Transportbehältern umfassend und so früh als möglich zu unterrichten?

g) Wie hat die Staatsregierung sichergestellt, dass ein Informationsfluss innerhalb des Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen über Vorkommnisse gewährleistet ist, der zur Ergreifung entsprechender Maßnahmen unabdingbar ist?

h) Was hat die Staatsregierung getan, damit eine Überprüfung hereinkommender Transportbehälter stattfindet?

2. Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um Polizeikräfte zukünftig vor einer Kontamination zu schützen?

3. Welche Maßnahmen wurden getroffen, um in Gochsheim Umladungen von Transportbehältern mit radioaktivem Material in gemeindlichen Wohngebieten zu verhindern?

4. Welche Maßnahmen wurden aufgrund des Programms Nukleare Transporte ergriffen und wie tragen diese Maßnahmen zur Senkung des Kontaminationsrisikos bei?

5. Wie gedenkt die Staatsregierung die beachtliche Zahl von Verstößen besonders bei Straßentransporten einzudämmen?

6. Welche rechtlichen Schritte wurden aufgrund der Kontaminationen ergriffen?

7. Welche Schritte hat die Staatsregierung unternommen, um eine höchstmögliche und effektive Kooperation, Abstimmung und Information zwischen dem Bundesministenium für Umwelt. Naturschutz und Reaktorsicherheit und den zuständigen Staatsministerien der Länder mit dem Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen zu erreichen?

8. Warum hält der jetzige Umweltminister Schnappauf eine Wiederaufnahme der Castor-Transporte für möglich, obwohl die vom früheren Umweltminister Goppel als Bedingung für die Wiederaufnahme der Transporte geforderte restlose Aufklärung und Abstellung der Oberflächenkontamination der Castor-Behälter wegen eines noch nicht vorliegenden Gutachtens nicht erfolgt ist?

Antwort des Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 28. 02. 2000

Die schriftliche Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit den Staatsministerien des Innern (Frage 2) und der Justiz (Frage 6) wie folgt:

Zu 1.: Unmittelbar nachdem Ende April 1998 Überschreitungen von Kontaminationsgrenzwerten des Gefahrgutrechts im Zusammenhang mit den Transporten abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich und England bekannt geworden waren, wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die Beförderung von abgebrannten Brennelementen, von entleerten Brennelementbehältern und von verglasten hochradioaktiven Abfällen ausgesetzt (Transportstopp). In einem sog. 10-Punkte-Plan des BMU wurden die Bedingungen für die Wiederaufnahme der Transporte zusammengefasst.

In Konkretisierung und Ergänzung des vorgenannten 10 Punkte-Plans forderte das Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen von den Betreibern der bayerischen Kernkraftwerke zusätzliche Maßnahmen gegen eine Wiederholung ähnlicher Vorfälle.

In Gutachten und Stellungnahmen der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) vom September 1998 für das Eisenbahnbundesamt (EBA), des Öko-Instituts vom November 1998 für die niedersächsische Aufsichtsbehörde und der TÜV Energie- und Systemtechnik (TÜV ET) vom Dezember 1998 für das wurden die Ursachen umfassend untersucht und geklärt. In den Gutachten wurde eine Vielzahl von Empfehlungen und Hinweisen zu technischen sowie zu den administrativen Verbesserungen bei künftigen Transporten vorgeschlagen.

Aus den vorgenannten Gutachten und Stellungnahmen wurde vom BMU zunächst ein Maßnahmenkatalog mit Empfehlungen und Hinweisen zur Qualifizierung künftiger Transporte zusammengestellt. Die Vielzahl der Einzelmaßnahmen dieses Katalogs wurde in einem sog. Kriterienkatalog konzentriert. Die Einhaltung dieser Kriterien soll gewährleisten, dass künftige Transporte mit hinreichender Sicherheit ohne Grenzwertüberschreitungen durchgeführt werden können.

Zu 1. a): Ein erweitertes Messprogramm wurde von den Kernkraftwerksbetreibern in kraftwerks- und behälterunabhängigen sog. Master-Schrittfolgeplänen festgeschrieben. Darin sind die Überwachung aller wesentlichen Arbeitsschritte und die Durchführung von Kontrollmessungen (insbesondere Kontaminationsmessungen) von der Ankunft des leeren bis zum Abtransport des beladenen Behälters festgelegt. Auf der Grundlage dieser Master-Pläne werden zur Abwicklung eines konkreten Transports jeweils anlagen- und behälterspezifische Schrittfolgepläne erstellt.

Die Kontrollmessungen werden von einem von der Aufsichtsbehörde zugezogenen Sachverständigen durchgeführt.

In Ergänzung dazu ist in Bayern eine Erweiterung und Intensivierung der aufsichtlichen Probenahmen und Messungen durch das vorgesehen.

Zu 1. b) und 1. f): Das hat die bayerischen Kernkraftwerksbetreiber aufgefordert, ein Meldesystem zu installieren, das die rechtzeitige und umfassende Weitergabe von Informationen an alle zuständigen Aufsichtsbehörden ­ insbesondere bei Abweichungen beim Transportablauf und bei Grenzwertüberschreitungen ­ sicherstellt.

Die Betreiber der bayerischen Kernkraftwerke haben sich verpflichtet, alle im Zusammenhang mit einem Transport stehenden Ereignisse mit Überschreitung von Dosisleistungs- oder Kontaminationsgrenzwerten den Aufsichtsbehörden zu melden. Meldekategorien und -kriterien sowie Meldefristen wurden von ihnen vorgeschlagen.

Das ist der Auffassung, dass besondere Vorkommnisse bei Nukleartransporten nach den Grundsätzen bereits bestehender Regelungen zur Meldung von Störfällen und sonstigen Ereignissen (Atomrechtliche Sicherheitsbeauftragten ­ und Meldeverordnung ­ nebst Meldekriterien) bundesweit nach einheitlichen Kriterien gemeldet werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag wurde vom im Fachausschuss Brennstoffkreislauf des Länderausschusses für Atomkernenergie (LAFAB) eingebracht, der weitgehend ­ auch bei den übrigen Bundesländern ­ Zustimmung fand.

Am 10./11.11.99 hat der Länderausschuss für Atomkernenergie ­ Hauptausschuss ­ die probeweise Anwendung des vom LAFAB erarbeiteten Meldeverfahrens mit dem Ziel der späteren Einbindung in die gebilligt.

Zu 1. c): Vom wurde die Einführung eines Betriebsbeauftragten für nukleare Transporte gefordert. Die Kraftwerksbetreiber haben dieser Forderung entsprochen und dazu Aufgaben und Funktion eines Nukleartransportbeauftragten in der jeweiligen Firmenorganisation festgelegt. Konkrete Anträge zur kraftwerksspezifischen Umsetzung dieser Festlegungen wurden beim eingereicht. Im Übrigen sind die Aufgaben des Gefahrgutbeauftragten im Gefahrgutrecht (Gefahrgutbeauftragtenverordnung) konkret festgelegt.

Zu 1. d): Die Kernkraftwerksbetreiber haben eine bundesweit einheitliche, EDV-gestützte Erfassung und Verarbeitung transportrelevanter Daten zugesagt. Eine konzeptionelle Beschreibung dazu wurde vorgelegt (Transport-, Kontroll- und Informationssystem TKI der Gesellschaft für Nuklear-Service Die Bereitstellung aller daraus benötigten Daten für und wurde von den Betreibern der bayerischen Kernkraftwerke zugesagt.

Von der TÜV ET wurde im Auftrag des ein Modul zur Übernahme der Daten in das bestehende Anlagen- und Sicherheitsüberwachungssystem für atomrechtliche Aufsicht (ASA) entwickelt. Anhand von Testdaten wurde die Datenübernahme aus TKI in das ASA erfolgreich erprobt. In dem Transportmodul werden neben Angaben zur Behälterkonstruktion und -wartung, zu Verlader, Empfänger und Transporteur beispielsweise auch die Ergebnisse aller radiologischen Messungen (Dosisleistung, Kontamination), die Prüfabläufe beim Be- und Entladen sowie der Zustand der Beförderungsmittel und Behälterverpackung erfasst.

Parallel zum Messprogramm der Betreiber werden im Rahmen der atomrechtlichen Aufsicht Kontrollmessungen durch einen zugezogenen Sachverständigen durchgeführt. Daneben werden vom schwerpunktmäßig Messungen

­ nach Ankunft des Leerbehälters auf dem Kraftwerksgelände am Behälter sowie am Transportfahrzeug,

­ während der Handhabung des Transportbehälters im Kontrollbereich des Kraftwerks,

­ vor Transportbeginn auf dem Kraftwerksgelände am Behälter und am Transportfahrzeug sowie

­ bei Straßentransporten am entladenen Straßenfahrzeug nach Beendigung der Transportkampagne durchgeführt.

Zur Kontaminationsvermeidung beim Beladen des Transportbehälters im Brennelementlagerbecken sind je nach Behälter vorgesehen

­ Plastik-Kontaminationsschutzhemden (PKS) und/oder

­ 3-teilige metallische Kontaminationsschutzhemden (MKS).

Bei allen Beladevorgängen wird eine großflächige Abdeckung für den oberen Kopfbereich des Behälters zum Schutz vor radioaktiven Partikeln aus dem Lagerbeckenwasser eingesetzt.

Zur Verbesserung der Dekontamination des Behälters werden vorgesehen:

­ Einsatz von Hochdruckreinigungsgeräten,

­ Anwendung von Dekontmitteln,

­ Einsatz eines fest zusammengesetzten Teams bei den Beladevorgängen und

­ Erfahrungsaustausch zwischen den Teams der einzelnen Anlagen.

Zu 1. e): In dem vom in Auftrag gegebenen und dem BMU übermittelten Gutachten der TÜV ET vom Dezember 98 sind eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen zu den Messprogrammen enthalten, die in den Maßnahmenkatalog des BMU aufgenommen und in den Gutachten zur Wiederaufnahme der Transporte berücksichtigt wurden.

Die bayerischen Kernkraftwerksbetreiber wurden vom aufgefordert, das bisherige Messprogramm zum Nachweis der Kontaminationsfreiheit der Behälter durch zusätzliche Messpunkte ­ insbesondere auch an schwer zugänglichen Stellen ­ zu erweitern.

Das hat bei den Beratungen zur Verbesserung der Transportmessprogramme im Länderausschuss für Atomkernenergie mitgewirkt.

Zu 1. g): Durch die Einbindung der atomrechtlichen Aufsicht des und in das TKI (siehe Antwort zu Frage 1. d)) und in das Meldeverfahren (siehe Antwort zu Frage 1. f)) ist sichergestellt, dass die zuständigen Stellen in Bayern rechtzeitig über Überschreitungen von gefahrgutrechtlichen Grenzwerten und sonstigen Vorkommnissen unterrichtet werden.

Zu 1. h): Die ankommenden leeren Transportbehälter wurden bisher schon von den Kraftwerksbetreibern durch Wischtestnahme auf Kontamination überprüft. Künftig werden, wie zu 1.d) ausgeführt, Eingangsmessungen auch vom bzw. vom zugezogenen Sachverständigen durchgeführt.

Das bisher angewandte Wischtestverfahren erlaubt keine 100%-Prüfung der gesamten Behälteroberfläche. Daher fördert das die Entwicklung direkt messender Verfahren am Institut für Radiochemie der Technischen Universität München in Garching und bei der TÜV ET, die eine 100%Prüfung der Behälteroberfläche ermöglichen sollen.

Zu 2.: Mit der Frage der möglichen gesundheitlichen Gefahren durch die bei den Transporten abgebrannter Brennelemente festgestellten Kontaminationen hat sich am 03.06.98 die Strahlenschutzkommission (SSK) in ihrer Eigenschaft als unabhängiges Beratergremium des BMU befasst. Auf der Grundlage einer Dosisabschätzung, die sowohl die mögliche Inhalation und Ingestion der Kontaminationen als auch die aus den Kontaminationen resultierende direkte Bestrahlung des Körpers berücksichtigt, kam die SSK zu folgender Bewertung: Die Kontaminationen, die bei diesen Transporten festgestellt wurden, verursachen keine Erhöhung der Strahlenbelastung für die Bevölkerung und damit keine Gesundheitsgefährdung. Diese Kontaminationen stellen ebenso keine Erhöhung der Strahlenbelastung für das Begleitpersonal der Transporte dar, eine Gesundheitsgefährdung ist damit ausgeschlossen.

Auch die Überprüfungen durch das bei denen zusätzlich Inkorporationsmessungen durchgeführt wurden, erbrachten keine Hinweise, dass die in Bayern durchgeführten Transporte abgebrannter Brennelemente bei den begleitenden Polizeikräften Inkorporationen mit radioaktiven Stoffen verursacht haben könnten.

Durch die festgelegten Maßnahmen zur Verbesserung der Kontaminationsschutzmaßnahmen beim Beladen der Behälter, der Dekontaminationsverfahren und der messtechnischen Überwachung wird die Wahrscheinlichkeit, dass zukünftig Kontaminationen am Behälter oder Transportfahrzeug vorhanden sind, auf ein Minimum reduziert. Ein direkter Kontakt mit dem Behälter wird darüber hinaus durch die Abdeckhauben des Transportfahrzeugs verhindert. Damit ist eine Strahlenbelastung der Polizeikräfte durch eine abwischbare Kontamination praktisch ausgeschlossen.

Ein Austrag von radioaktiven Partikeln über die Lüftungsschlitze der Abdeckhauben durch strömungstechnische Vorgänge ist bei der langsamen Fahrt während der Polizeibegleitung oder bei Stillstand des Fahrzeugs ebenfalls auszuschließen. Das Vorhandensein solcher Partikel am Behälter ist auf Grund der getroffenen vorbeugenden Schutzmaßnahmen äußerst unwahrscheinlich.

Zu 3.: Der Betreiber des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld plant eine Gleisanbindung des Kernkraftwerks. Eine Machbarkeitsstudie wurde bereits erstellt und den Verfahrensbeteiligten vorgestellt.