Elektronische Post und Videokonferenz an bremischen Gerichten

Mit dem Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren und dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr hat der Bundesgesetzgeber erste Schritte zur Öffnung der Justiz für den elektronischen Rechtsverkehr unternommen. Das Zustellungsreformgesetz ist am 1. Juli 2002 in Kraft getreten, das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts am 13. Juli 2001. Die Gesetze enthalten die rechtlichen Grundlagen dafür, dass Schriftsätze in Form von elektronischen Dokumenten bei Gericht eingereicht werden und elektronische Zustellungen vom Gericht an einen festgelegten Personenkreis erfolgen können. Ergänzend liegt ein Entwurf des Bundesministeriums der Justiz zu einem Gesetz über die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten vor, das in den einzelnen Verfahrensordnungen nähere Regelungen zur elektronischen Aktenbearbeitung innerhalb des Gerichts treffen wird.

Im Auftrag der Justizministerkonferenz hat die Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung in der Justiz (BLK) organisatorisch-technische Leitlinien für den elektronischen Rechtsverkehr mit Gerichten und Staatsanwaltschaften (OT-Leit-ERV) und technische Rahmenvorgaben für den elektronischen Rechtsverkehr entworfen. Diese Leitlinien enthalten insbesondere Regelungen über

- die technischen Möglichkeiten der Übermittlung elektronischer Erklärungen wie den E-Mail-Verkehr, Punkt zu Punkt-Verbindungen oder ­ bei großen Datenmengen ­ die Übersendung von Datenträgern,

- die Form und Kennzeichnung sowie die durch einen Grunddatensatz vorgegebene Struktur der elektronischen Erklärungen, um diese lesen, weiterverarbeiten und darin enthaltene Daten in IT-Fachverfahren der Justiz übernehmen zu können,

- den Einsatz von E-Mail und elektronischen Formularen für den elektronischen Rechtsverkehr,

- die Überprüfung, Quittierung und sichere Speicherung von im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Erklärungen durch die Gerichte und Staatsanwaltschaften,

- Besonderheiten bei der Einrichtung von Kommunikationsstellen (z. B. elektronischer Postfächer in Justizzentren) durch die Justiz,

- die Kommunikationsinfrastruktur sowie die beim elektronischen Rechtsverkehr zu beachtenden technischen Standards und Formate,

- die Sicherstellung von Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit durch Verwendung digitaler Signaturen und Verschlüsselungen sowie über Besonderheiten bei der Speicherung elektronischer Erklärungen und bei der Aktenführung.

Auf ihrer Frühjahrskonferenz vom 10. bis 12. Juni 2002 hat die Justizministerkonferenz diese Leitlinien sowie die technischen Rahmenvorgaben den Ländern und dem Bund als Grundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und zur Anwendung beim Einsatz des elektronischen Rechtsverkehrs empfohlen.

Parallel zu den Arbeiten der Bund-Länder-Kommission haben einige Länder und der Bund mit der Planung von Pilotvorhaben begonnen und diese, wie etwa das Projekt beim Finanzgericht Hamburg, zum Teil auch schon begonnen. Die Bundesregierung hat am 26. November 2001 auf der Grundlage des § 130 a Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof erlassen.

B. Zu den einzelnen Fragen:

1. Welche Überlegungen gibt es an den bremischen Gerichten für die Klageeinreichung per elektronischer Post?

Auch in Bremen bestehen Planungen zu einem Pilotprojekt. Sowohl wegen des technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwands als auch wegen der Notwendigkeit, zunächst Erfahrungen zu sammeln, kommt ein flächendeckender Einsatz des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz zurzeit nicht in Betracht.

Wie in Hamburg ist auch in Bremen das Finanzgericht als Pilotgericht in Aussicht genommen worden. Das Finanzgericht Bremen verfügt über eine hochwertige EDV-Ausstattung, ein für die Verbindung mit dem elektronischen Rechtsverkehr geeignetes Fachverfahren und mit den Finanzämtern auf der einen Seite und den Steuerberatern und Rechtsanwälten auf der anderen Seite um einen überschaubaren Kreis von professionellen Verfahrensbeteiligten, die eher über eine entsprechende technische Ausstattung verfügen als Verfahrensbeteiligte in anderen Gerichtsbarkeiten.

Folgende Schwerpunkte sind für das Pilotprojekt vorgesehen:

- Der medienbruchfreie Austausch strukturierter Daten zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten unter Nutzung qualifizierter elektronischer Signaturen,

- die Prüfung der Einsatzmöglichkeit von Dokumentenmanagementsystemen zur Weiterverarbeitung elektronischer Dokumente,

- die Entwicklung von Möglichkeiten zur langfristigen Archivierung elektronischer Dokumente.

2. Welche Überlegungen gibt es für eine diesbezügliche Regelung in Form einer Verordnung, wie z. B. für das Hamburger Finanzgericht?

Mit dem in der Vorbemerkung erwähnten Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften hat der Gesetzgeber in allen gerichtlichen Verfahrensordnungen und so auch in der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit § 77 a FGO Verordnungsermächtigungen für die Bundesregierung und die Landesregierungen geschaffen, auf deren Grundlage der Zeitpunkt der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und die dafür geeignete Form der elektronischen Dokumente festzulegen sind. Beides ist weniger eine Rechtsfrage als vielmehr abhängig vom Fortschritt der Planungen zur technischen und organisatorischen Seite eines solchen Vorhabens. Der Erlass der Rechtsverordnung kann dann sehr kurzfristig erfolgen.

Wie weit ist die technische Ausstattung wie z. B. E-Mail-Zugang, Möglichkeit einer elektronischen Signatur und Einführung von Verschlüsselungsverfahren an den bremischen Gerichten?

Im Jahr 2001 wurden erhebliche finanzielle Anstrengungen unternommen, die Mitarbeiter mit neuester Technik am Arbeitsplatz auszustatten. Damit einher ging der Anschluss an E-Mail und Internet. In der bremischen Justiz gibt es derzeit ca. Internet-Nutzer sowie ca. 600 E-Mail-Nutzer.

Die meisten der im Einsatz befindlichen Arbeitsplatzrechner können nach entsprechender Einrichtung mit der elektronischen Signatur sowie mit Verschlüsselungsverfahren arbeiten.

3. Inwieweit gibt es Überlegungen, ein Pilotprojekt zur mündlichen Verhandlung per Videokonferenz am Amtsgericht bzw. Landgericht Bremen zu starten?

Die Möglichkeiten zum Einsatz von Videokonferenzen im zivilgerichtlichen Verfahren sind in Bremen bereits 1996 anhand eines in Baden-Württemberg durchgeführten Modellversuchs diskutiert worden. Im Ergebnis ist der Einsatz von Videokonferenzen damals als für das zivilgerichtliche Verfahren nicht geeignet eingeschätzt worden. Kritisiert wurden das Fehlen des unmittelbaren persönlichen Kontakts zu den Verfahrensbeteiligten und die fehlende Möglichkeit des Gerichts, einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von den Verfahrensbeteiligten zu bekommen. Kritisch gesehen wurde auch das Verhältnis zwischen einerseits dem Nutzen und andererseits den hohen Kosten der einzusetzenden Technik. Als denkbar sinnvolle Einsatzmöglichkeit blieb nur die Erstattung oder Erläuterung derzeit schriftlicher Gutachten auswärtiger Sachverständiger.

Inzwischen hat die Verbreitung von Videokonferenzen in anderen Bereichen zugenommen. Auch die einzusetzende Technik ist weiter entwickelt worden. Vertreter der bremischen Justiz haben sich zuletzt beim Verwaltungsgericht Freiburg vor Ort den Einsatz von Videotechnik im verwaltungsgerichtlichen Verfahren demonstrieren lassen. Ergebnis der jüngeren Überlegungen ist, in die Planungen zu einem Justizzentrum im ehemaligen Polizeihaus Am Wall auch die Schaffung der Voraussetzungen für den Einsatz von Videokonferenzen einzubeziehen. Zunächst ist dabei an die Verfahren der Fachgerichte gedacht und in erster Linie an Verfahren mit Verfahrensbeteiligten in Bremerhaven. Der Zusammenhang mit den Planungen zum Justizzentrum ist schon deshalb erforderlich, weil sowohl die einzusetzende Video- und Übertragungstechnik als auch die Voraussetzungen zur Raumakustik einen erheblichen baulichen Aufwand verlangen, der in dem neuen Justizzentrum eher zu leisten ist als in den derzeit genutzten Gerichtsgebäuden.

4. Welche Verfahren wären für eine Videokonferenz mit Webcams geeignet?

Eine sinnvolle Videokonferenztechnik setzt garantierte Bandbreiten für die Datenübertragung voraus, um die notwendige Qualität in der Übertragung und Wiedergabe von Bild und Ton sicherzustellen. Beim Einsatz von Webcams kann dies nicht gewährleistet werden. Auch die in der Antwort zu Frage 6 angesprochene Datensicherheit stellt weitaus höhere Anforderungen an die einzusetzende Sicherheitstechnik als bei einem Einsatz von Webcams erreichbar.

5. Wie schätzt der Senat die Bereitschaft und das Interesse der Richterschaft bzw. der Anwaltschaft für ein solches Pilotprojekt ein?

Anders als noch 1996 ist davon auszugehen, dass sowohl die Richterschaft als auch die Anwaltschaft und nicht zuletzt die Behörden der Stadtgemeinde Bremerhaven Interesse an der Durchführung eines Pilotprojekts zum Einsatz von Videokonferenzen haben.

6. Welche Datenschutzaspekte sind berührt?

Datenschutzrelevant sind Aspekte der Datenübermittlung sowie der Datenerhebung und -speicherung. Zur Datenübermittlung zwischen den zur Videokonferenz zusammengeschalteten Verhandlungsorten muss sichergestellt sein, dass Dritte keinen Zugriff auf die Übertragung haben. Zu berücksichtigen ist dies sowohl bei der Auswahl des Übertragungswegs als auch bei der Entscheidung über eine Verschlüsselung der Übertragungsinhalte. Zur Datenerhebung und -speicherung ergeben sich die Rechtsgrundlagen aus den allgemeinen Bestimmungen der Verfahrensordnungen der Gerichte. Der Einsatz der Videokonferenz darf nicht zu darüber hinausgehender Datenerhebung und -speicherung führen.

So enthalten § 128 a Abs. 3 ZPO und § 91 a FGO bereits die Bestimmung, dass die Übertragung nicht oder nach § 93 a FGO nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgezeichnet werden darf. Die gesetzlichen Regelungen müssen bei Errichtung einer Videokonferenzanlage durch technische Vorkehrungen flankiert werden, die die Einhaltung dieser Vorgaben gewährleisten.

7. Gibt es in Bremen schon Strafgerichtsprozesse mit solcher oder ähnlicher Videotechnik, und welche Erfahrungen hat man damit gemacht?

Mit dem am 1. Dezember 1998 in Kraft getretenen § 247 a der Strafprozessordnung hat der Gesetzgeber die Rechtsgrundlage für Bild-Ton-Übertragungen von Aussagen besonders schutzbedürftiger Zeugen geschaffen.

Videokonferenz-Anlagen stehen in den Räumen der Staatsanwaltschaft, der Amtsgerichte Bremen und Bremerhaven und des Landgerichts zur Verfügung.

Praktische Erfahrungen sind in Ermittlungsverfahren und in mehreren Hauptverhandlungen gemacht worden. Abgesehen von einem Fall, in dem Probleme mit der Tonqualität aufgetreten sind, verlief der Technikeinsatz jeweils reibungslos.

8. Wie hoch werden die tatsächlich anfallenden Kosten pro technische Ausstattung geschätzt?

Eine genaue Angabe der Kosten für die technische Ausstattung ist derzeit nicht möglich. Die denkbaren Kosten sind breit gefächert und von vielen zurzeit noch nicht feststehenden Faktoren abhängig. Dazu gehören neben den baulichen Verhältnissen unter anderem auch die Anzahl der einbezogenen Teilnehmer, die eingesetzte Hardware, die Verschlüsselungskomponenten und die Zusatzeinrichtungen sowie die Bandbreite und Länge der Verbindung.