Geburtstagswünsche für die Abgeordneten RolfJürgen Picker Ludwig Wörner und Vizepräsident Dr Helmut Ritzer

Ich eröffne die 118. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Aufnahmegenehmigung wurde erteilt.

Wir kommen zur Gedenkveranstaltung aus Anlass des 50. Jahrestages des 17. Juni 1953

Meine Damen und Herren! Am 17. Juni hat sich der Volksaufstand der DDR zum 50. Mal gejährt. Das gibt uns Anlass, heute eine Gedenkstunde abzuhalten.

In der Geschichte unseres Volkes gibt es Situationen, die Trauer und Scham hervorrufen, und es gibt Ereignisse, auf die wir mit Stolz zurückblicken können. Der 17. Juni 1953 gehört zur zweiten Kategorie. Was sich damals in der DDR ereignete, war ein landesweiter Aufschrei gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gegen Spaltung und Teilung. Der Volksaufstand scheiterte zwar in seinen wesentlichen Zielen. Vor der Geschichte jedoch haben sich der Wille zu Freiheit und Selbstbestimmung und das Streben nach Einheit durchgesetzt.

Am 17. Juni 1953 fand die erste Volks-Erhebung im eigentlichen Sinne des Wortes in einem Land des kommunistischen Ostblocks statt, das Wetterleuchten einer neuen Zeit, das Menetekel eines Emanzipationsprozesses, der Ost- und Südeuropa erfassen sollte, zuletzt die Sowjetunion selbst, so schreibt der Historiker Karl Wilhelm Fricke. Der 17. Juni 1953 wurde zu einem Symbol des Widerstands gegen Diktatur und Unrechtsherrschaft. Albert Camus stellte einmal fest, die Deutschen hätten sich durch die Ereignisse des 17. Juni 1953 rehabilitiert, denn sie setzten sich für die Freiheit ein. Diese Worte haben nach wie vor Gültigkeit.

Die tiefere Bedeutung, die mit dem 17. Juni 1953 verbunden ist, fordert uns auf, das Geschehen von damals als ein Stück gemeinsamer deutscher Geschichte zu begreifen. Unter diesem Motto steht die heutige Gedenkstunde. Wir konnten einen renommierten evangelischen Theologen, Politiker und Zeitzeugen gewinnen, der unter der SED-Diktatur Repressalien ausgesetzt war und nach deren Scheitern maßgeblich zur deutschen Einheit beigetragen hat: Prof. Dr. Richard Schröder.

(Allgemeiner Beifall) Prof. Schröder wird den geistigen Bogen über rund vier Jahrzehnte Nachkriegszeit spannen und zum Thema Vom 17. Juni zum 3. Oktober ­ Der Weg zur Deutschen Einheit sprechen. Im Namen des gesamten Hohen Hauses und persönlich heiße ich Herrn Prof. Schröder sehr herzlich willkommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wissen wir über das Geschehen vor 50 Jahren ziemlich genau Bescheid. Die Archive von SED, Roter Armee und Staatssicherheit wurden geöffnet und haben das früher geheime Herrschaftswissen dem Volk zurückgegeben. Es seien exemplarisch einige Fakten genannt: In über 700 Orten in der DDR kam es im Juni 1953 zu Kundgebungen, Demonstrationen und Streiks, mancherorts auch zu vorübergehenden Machtübernahmen und zur Erstürmung von SED-Zentralen und Stasi-Gefängnissen. In Görlitz und Bitterfeld wurden die Bürgermeister abgesetzt und durch Arbeitervertreter ersetzt.

Über diesen spektakulären Ereignissen dürfen wir den Widerstand vieler nicht vergessen, den sie in ihrem Umkreis geleistet haben ­ als einen Aufstand des Gewissens gegen Geheimdienst und Staatsapparat. Wir wissen von zahlreichen Frauen und Männern, die Zivilcourage im Alltag zeigten und ihre Ablehnung des Regimes durch Einzelaktionen zum Ausdruck brachten ­ zu ihnen zählt auch Prof. Dr. Richard Schröder, der sich als junger bekennender Christ weigerte, den Jungen Pionieren beizutreten, und der die Jugendweihe ablehnte; ferner sei erinnert an den Vorsitzenden eines Ortsvereins der Nationalen Front, der sein Parteibuch verbrannte; an den Pfarrer, der in seiner Predigt die SED als Verbrecherpartei bezeichnete; an den Drehorgelspieler, der Schmählieder gegen die Regierung sang; an die FDJ-Mitglieder, die SED-Fahnen und Bilder der Parteiführung verbrannten. Diese und zahlreiche andere Menschen, deren Namen im SED-Staatsapparat aktenkundig waren und deren Schicksale erst allmählich wieder ans Tageslicht treten, haben ganz bewusst Zeichen gesetzt und dafür gesellschaftliche Nachteile in Kauf genommen. Sie haben der Welt gezeigt, dass Freiheit und Menschenwürde unbezwingbar sind. Ihnen allen bezeugen wir unseren Dank und unseren Respekt.

Über eine Million Menschen solidarisierte sich damals mit den Zielen der Aufständischen, etwa die Hälfte davon in den mitteldeutschen Wirtschaftsregionen zwischen Leipzig, Halle und Magdeburg. Es war mehr als nur ein Arbeiteraufstand: Bauern, Angestellte, Akademiker, Angehörige von Kirchen und Jugendgruppen und sogar vereinzelt Mitglieder von SED und Volkspolizei schlossen sich an. Aus dem massiven Protest gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen und gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen wurde binnen kurzer Zeit eine Erhebung für Freiheit, Menschenrechte und Einheit. Kollegen, reiht euch ein, wir wollen freie Menschen sein, erscholl der Ruf auf der Stalinallee in Ostberlin und wurde durch ein ganzes Land getragen.

Daneben wurden Forderungen nach dem Rücktritt der Regierung, nach freien Wahlen, nach Zulassung demokratischer Parteien erhoben. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes forderte Opfer, deren Zahl wir nicht genau kennen: Menschen wurden getötet, verletzt, verhaftet, angeklagt, zu Gefängnisstrafen verurteilt, oder sie kehrten der DDR den Rücken. Allein im ersten Halbjahr 1953 sahen rund 230000 Menschen in der Flucht den letzten Ausweg.

Um ihre Verbundenheit und Solidarität mit den mutigen Frauen und Männern im östlichen Teil Deutschlands zu bekunden, gedachten die bayerischen Landtagsabgeordneten in der Sitzung vom 23. Juni 1953 in einer Schweigeminute der Opfer von Unterdrückung und Gewaltherrschaft.