Verhalten der Polizei bei Entmietung von Wohnungen

Bereits zum wiederholten Male wurde in den Medien (zuletzt SZ vom 18.11.2003) über Fälle berichtet, in denen Vermieter ohne gerichtlichen Beschluss und ohne die Hilfe eines Gerichtsvollziehers bis dahin vermietete Wohnungen eigenmächtig räumten.

Jüngst war davon eine junge Frau im Münchner Umland betroffen. Besonders skandalös an den angesprochenen Sachverhalten ist, dass die von den Opfern dieser Selbstjustiz umgehend alarmierte Polizei beharrlich darauf verwies, es handle sich um private Streitigkeiten; sie sei deswegen nicht zuständig. ­ In ähnlicher Weise wurde Mietern der Erzgießereistraße in München am 15.5.2003 von der Polizei nicht geholfen, auch in dem Fall, der der Akte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I 252 Js 213808/02 zugrunde liegt, wurden die Mieter trotz offenkundigen Hausfriedensbruches durch den Vermieter von der Polizei alleine gelassen.

Dem steht jedoch Art. 2 Abs. 2 des Polizeiaufgabengesetzes entgegen. Danach ist die Polizei sehr wohl verpflichtet, den Schutz privater Rechte zu gewährleisten, sofern gerichtlicher Schutz nicht zu erlangen ist. Das Recht zum Besitz der Wohnung durch die Mieterin ist ein solches privates Recht im Sinne des Art. 2 Abs. 2 PAG. Ferner sind die Mieter auch vor dem ganz offensichtlichen Hausfriedensbruch zu schützen.

Aufgrund dieser Vorfälle frage ich den Bayerischen Staatsminister des Inneren:

1. Ist dem Ministerium diese augenscheinliche Praxis der bayerischen Polizei bekannt?

2. Teilt das Ministerium die Auffassung, dass es sich hier um einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 PAG handelt?

3. Falls ja: Wie gedenkt das Staatsministerium des Innern derartige Vorfälle künftig zu unterbinden und eine Hilfe durch die Polizei zu gewährleisten?

Die schriftliche Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Justiz wie folgt:

Zu 1.: Die Präsidien der Bayer. Landespolizei haben zur Frage der polizeilichen Praxis bei so genannten Entmietungen aktuell Stellung genommen. Mit Ausnahme des Polizeipräsidiums München sind bei keinem Polizeipräsidium Fälle in der von Herrn Abgeordneten Rainer Volkmann beschriebenen Art bekannt.

Der Schutz privater Rechte ist nach herrschender Meinung grundsätzlich nicht Aufgabe der Polizei, da der Bürger durch andere Rechtsvorschriften selbst in die Lage versetzt wird, seine privaten Rechte ­ grundsätzlich auch in dringenden Fällen ­ mit Hilfe der Gerichte durchzusetzen.

Mit dieser Blickrichtung schränkt Art. 2 Abs. 2 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) die Aufgabe der Polizei auch in der Weise ein, dass der Schutz privater Rechte nur dann der Polizei obliegt, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.

Wie die beiden von Herrn Abgeordneten Rainer Volkmann konkret geschilderten Fallbeispiele zeigen, bereiten Maßnahmen in der polizeilichen Praxis auf Grund des Art. 2 Abs. 2 PAG gerade in den Fällen Probleme, in denen die Rechtsposition der beteiligten Parteien (Mieter / Vermieter bzw. Hauseigentümer) unklar und vor Ort nicht anhand vorliegender Unterlagen oder richterlicher Verfügungen überprüfbar ist. Insbesondere schwierig ist eine Klärung der Rechtslage dann, wenn von den Vermietern / Hauseigentümern bereits Fakten durch Wohnungsräumungen oder Schlossauswechslungen geschaffen wurden und keine relevanten schriftlichen Unterlagen zur Prüfung vorliegen.

Zudem haben bereits vor dem Hinzuziehen der Polizei meist beide Parteien Rechtsanwälte eingebunden und richterliche Verfügungen eingeholt. Die Feststellung, wer gerade zum Zeitpunkt der polizeilichen Einbindung rechtlich gesicherte Ansprüche hat, gestaltet sich oftmals äußerst schwierig bis unmöglich. Die Polizei ist tatsächlich nur dann in der Lage, strittige Rechtsverhältnisse zu klären, wenn das zu schützende Recht als solches ohne weiteres erkennbar und anerkennbar ist.

Vor dem Hintergrund, dass lediglich beim Polizeipräsidium München Vorfälle in der von Herrn Abgeordneten Rainer Volkmann geschilderten Art bekannt sind, kann nur anhand dieser Beispiele konkret auf das polizeiliche Einschreiten eingegangen und aufgezeigt werden, dass Mieter in derartigen Situationen keineswegs alleine gelassen werden.

1. Fall Neukeferloh (SZ-Artikel vom 18.11.2003):

Am Einsatzort in Neukeferloh schilderte die Wohnungsmieterin den Polizeibeamten, dass ihre Möbel aus ihrer Wohnung entfernt worden seien und der Wohnungsschlüssel nicht mehr sperren würde. An der Wohnungstür befand sich ein Zettel mit einer Telefonnummer.

Auf Befragung der Beamten gab die Mieterin an, dass ihr der Mietvertrag auf Grund bestehender Mietrückstände gekündigt und ihr eine Räumungsfrist eingeräumt wurde, die allerdings zwischenzeitlich auch verstrichen war.

Die Mieterin konnte sich nicht als berechtigte Wohnungsnutzerin legitimieren. Sie hatte weder Personaldokumente noch Mietvertrag oder ähnliche Schriftstücke bei sich. Auch konnte sie den bis zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Schriftverkehr zwischen ihr, ihrer Anwältin und der Vermieterpartei nicht vorweisen.

Aus diesem Grunde mussten weitere polizeiliche Maßnahmen vor Ort unterbleiben.

Von den Polizeibeamten wurde der telefonische Kontakt der Mieterin zu ihrer bereits involvierten Rechtsanwältin sowie zu ihrer Vermieterin geknüpft. Der Rechtsanwältin wurde die am Einsatzort vorgefundene Situation sowie die Nichtöffnung der Wohnung durch die Polizei ­ mangels Legitimation und der ungeklärten Rechtssituation ­ erläutert.

Die Rechtsanwältin zeigte Verständnis und wies darauf hin, dass auch ihr selbst nicht der gesamte Schriftverkehr zur Verfügung stehen würde.

Von den Polizeibeamten wurde keine fallbezogene Bewertung abgegeben oder gar die polizeiliche Zuständigkeit verneint. Man kam vielmehr überein, dass zur Klärung der Rechtslage von der Rechtsanwältin ein richterlicher Bescheid eingeholt und beim Verdacht auf strafbare Handlungen ggf. die Polizei verständigt wird.

Nach Kenntnisstand des Polizeipräsidiums München ist die Mieterin zwischenzeitlich wieder im Besitz ihrer Möbel.

2. Fall Erzgießereistraße:

In der Nacht vom 14./15.05.2003 kamen Mieter von einem längeren Auslandsaufenthalt wieder zu ihrem Wohnanwesen in der Erzgießereistraße zurück.

Ihre seit 27 Jahren angemietete Erdgeschosswohnung war zu diesem Zeitpunkt komplett ausgeräumt und zum Teil bereits renoviert. Ihre ursprüngliche Wohnungseingangstüre war zugemauert und eine neue Türe bereits durchs Mauerwerk gebrochen.

Die Mieter stellten daraufhin die Hausbesitzerin zur Rede, die sich aber unzugänglich zeigte.

Gegen 01.00 Uhr kamen die Eheleute zur Polizeiinspektion 42 (Neuhausen) und teilten den Sachverhalt mit.

Da zu diesem Zeitpunkt keinerlei Unterlagen über rechtmäßige Mietverhältnisse bzw. richterliche Verfügungen bzgl. Räumungen oder Einsprüche dagegen vorlagen und die Recht-/Unrechtmäßigkeit der baulichen Veränderungen zur Nachtzeit völlig unklar war, konnte eine Klärung der Gesamtumstände erst tagsüber unter Einbeziehung der Hauseigentümerin und der Mieter erfolgen.

Am Morgen des 15.05.2003 wandten sich die Eheleute an den Mieterverein München e.V., der in der Folgezeit diesen Fall zusammen mit weiteren Entmietungsfällen in verschiedenen Pressepublikationen als eine übergreifende Wohn-Mobbing-Situation in München anprangerte.

In Vertretung des Ehepaares erstattete der Mieterverein München e.V. am 27.05.2003 gegen die Hausbesitzerin Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München I. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Einbruchdiebstahls wurde eingeleitet.

Nach Kenntnisstand des Polizeipräsidiums München wurde zwischenzeitlich eine einmalige Zahlung an die Mieter geleistet und dadurch die beiderseitigen Ansprüche aus dem Mietverhältnis erledigt und abgegolten sowie das Mietverhältnis aufgehoben.

Zu 2.: Sofern sich bei eskalierenden Mietauseinandersetzungen fallbezogen Anhaltspunkte für strafbare Handlungen, wie beispielsweise Hausfriedensbruch, Nötigung oder Sachbeschädigung, ergeben, erfolgt in enger Abstimmung mit der zuständigen Staatsanwaltschaft die polizeiliche Ermittlungsarbeit.

Dem Staatsministerium des Innern ist kein Fall bekannt, in dem der Schutz privater Rechte im Sinne des Art. 2 Abs. 2 PAG von der Bayer. Polizei in Fällen mit erkennbaren und nachweisbaren Rechtsverhältnissen verweigert worden wäre.

Sind allerdings durch strittige Rechtsverhältnisse die tatsächlichen Eigentums- / Nutzungsrechte zum Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens nicht nachvollziehbar geklärt, sind den polizeilichen Möglichkeiten Grenzen gesetzt.

Zu 3.: Entfällt.