Elektroimpulsgeräte und vergleichbare Waffen

In dem Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes schlägt die Staatsregierung vor, Elektroimpulsgeräte oder vergleichbare Waffen in Art. 61 Abs. 4. Satz 1 nach dem Schlagstock einzufügen, sowie Waffen auf Anforderung des Staatsministeriums des Inneren zeitlich befristet als Einsatzmittel zu erproben. Daher beantragen wir die Beantwortung folgender Fragen:

1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Folgen, die der Einsatz von Elektroimpulswaffen unterschiedlicher Arten bei Herzkranken, Schwangeren, gesundheitlich Beeinträchtigten oder Drogensüchtigen auslösen könnte und können die Gefahren unkontrollierter Stürze der Getroffenen, Augenverletzungen und gesundheitliche Spätfolgen ausgeschlossen werden?

2. Welche unabhängige Gutachten ­ abgesehen von den Gutachten der Herstellerfirmen stehen der Staatsregierung zur Verfügung, um die gesundheitlichen Folgen von Elektroimpulswaffeneinsätzen abschätzen und Spätfolgen ausschließen zu können und wo wurden aufgrund welcher Untersuchungen etwaige Gutachten erstellt?

3. Ist zu befürchten, dass angeblich nichttödliche Waffen schneller und häufiger als Schusswaffen eingesetzt werden?

4. Kann nach Einführung dieses Gesetzes ausgeschlossen werden, dass Elektroimpulswaffen in Bayern auch zum Aufhalten bzw. Zerstreuen von Menschenmengen und bei Demonstrationen eingesetzt werden?

5. Kann ausgeschlossen werden, dass diese Elektroimpulswaffen mit einer Videokamera verbunden automatisch oder aus der Ferne ausgelöst werden?

6. Nachdem laut Problembeschreibung des Gesetzesentwurfs die Spezialeinheiten bei den Direktionen mit diesen Elektroimpulsgeräten ausgestattet werden sollen, und diese Waffen angeblich in Bayern nur bei Extremsituationen, z. B. wenn jemand mit dem Messer bedroht wird, oder sich umzubringen droht, eingesetzt werden sollen, fragen wir, wie lange das bei einem der angedachten 10

Schutzbereiche in Bayern angesiedelte mobile Einsatzkommando brauchen würde, um den Tatort zu erreichen und ob nicht davon auszugehen ist, dass gerade in solchen Extremsituationen mit gewaltbereiten Einzeltätern die Polizeibeamtlnnen vor Ort mit konventionellen Mitteln die Situation bewältigen und lösen müssen?

7. Gehört es nach Auffassung der Staatsregierung zu den Aufgaben des Innenministeriums oder der Polizei, Waffen als Einsatzmittel zu erproben, und wie will die Staatsregierung die durch solche Versuche entstehenden Risiken für Beamte und Bürger ausschließen und in welchem Umfang entstünden Kosten durch solche Versuche, die dann an anderer Stelle fehlen würden?

Antwort des Staatsministeriums des Innern vom 26.11.

Vorbemerkung:

Bei der ständigen Forschung nach geeigneten Einsatzmitteln für die Polizei unterhalb der Schwelle des Schusswaffengebrauchs haben sich unter dem Begriff Non-Letal-Weapons (NLW) insbesondere Elektroimpulsgeräte als geeignet erwiesen, als Distanzeinsatzmittel die Gefährdung von Polizeibeamtinnen oder -beamten beim Einschreiten gegen bewaffnete Personen zu minimieren und zugleich den Einsatz von in den Folgen schwerwiegenderen Einsatzmitteln oder Waffen (Schusswaffen) möglichst zu verhindern.

Elektroimpulsgeräte sind mittlerweile weltweit in über 40

Ländern und ca. 4.000 Organisationen mit Sicherheitsaufgaben eingeführt oder zumindest in der Erprobungsphase und kamen dabei über 40.000 Mal zum Einsatz. In Deutschland sind Elektroimpulsgeräte in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bei den dortigen Spezialeinheiten eingeführt und befinden sich bisher in fünf weiteren Ländern im Rahmen von Erprobungsphasen im Einsatz. Die hierbei gesammelten Erfahrungen sind als positiv zu bewerten. In Bayern scheiterte die Erprobung bisher an der fehlenden rechtlichen Grundlage.

Die Wirkungsweise der aktuell verwendeten Elektroimpulsgeräte beruht auf einem Elektroimpuls. Aus einem pistolenähnlichen Gerät werden Pfeile verschossen, welche mittels Kabel mit dem Gerät verbunden sind und beim Getroffenen schlagartig einen kurzfristig auf das motorische Nervensystem wirkenden Elektroimpuls auslösen, der starke Muskelkontraktionen und Verkrampfungen verursacht, was zu einer willentlich nicht zu beeinflussenden Handlungsunfähigkeit führt.

Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen sowie Langzeiterfahrungen aus dem Echteinsatz, insbesondere aus den USA, haben ergeben, dass durch einen Treffer mit dem Elektroimpulsgerät weder gravierende Verletzungen noch letale Folgen zu erwarten sind.

Vor diesem Hintergrund besteht bei den Polizeidirektionen Spezialeinheiten Nord- und Südbayern der Bayerischen Polizei, die insbesondere im Rahmen der Bekämpfung der besonders schweren Gewaltkriminalität eingesetzt werden, Bedürfnis an diesem effektiven Einsatzmittel, das es erlaubt, in geeigneten Fällen eine Lagebereinigung aus der Distanz ohne Einsatz der Schusswaffe herbeizuführen. Eine Ausstattung anderer Kräfte ist nicht zuletzt wegen der notwendigen technischen Wartung und Pflege dieser Geräte sowie des umfangreichen Schulungs- und Übungsaufwandes für deren Einsatz nicht vorgesehen.

Wegen der Einstufung der Elektroimpulsgeräte als Waffe und der in Art. 61 Abs. 4 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) abschließend geregelten Auflistung von Waffen zur Durchsetzung des unmittelbaren Zwangs durch die Polizei, ohne Nennung von Elektroimpulsgeräten, konnten Elektroimpulsgeräte in Bayern bisher weder erprobt noch eingeführt werden. Es ist deshalb beabsichtigt, Art. 61 Abs. 4 PAG um Elektroimpulsgeräte und vergleichbare Waffen zu ergänzen. Damit wird die notwendige Rechtssicherheit hergestellt und die Einführung von Elektroimpulsgeräten ermöglicht. Durch die Erweiterung auf vergleichbare Waffen wird die Möglichkeit eröffnet, technischen Weiterentwicklungen oder Neuentwicklungen, die in ähnlicher Weise wirken und gleichartige Folgen bei einem Angreifer hervorrufen, ohne erneute Gesetzesänderung zumindest zu erproben und ggf. auch einzuführen. Durch die gleichzeitige Ergänzung des Art. 61 Abs. 4 PAG um den Satz 2 Waffen können auf Anordnung des Staatsministeriums des Innern zeitlich befristet als Einsatzmittel erprobt werden wird sichergestellt, dass derartige Weiterentwicklungen bzw. auch neu entwickelte Waffentechniken nur unter Federführung des zuständigen Fachministeriums erprobt und wenn notwendig eingeführt werden können.

Zu 1.: Im Auftrag des Arbeitskreises II der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder wurde durch die Polizei-Führungsakademie bei der Medizinischen Fakultät, Institut für Gerichtliche Medizin, der Eberhard Karls Universität Tübingen, eine Gefährdungseinschätzung von Elektroimpulsgeräten in Auftrag gegeben. Im Abschlussbericht vom 30.07.2001 wurde hierzu unter anderem ausgeführt, dass umfassende medizinische Studien, die es erlauben, mögliche direkte elektrische Folgen der Elektroeinwirkung der Geräte auf den Organismus, insbesondere auf die Herztätigkeit von gesunden Personen und von Personen in vorbelastetem Zustand sicher abschätzen zu können, noch nicht vorliegen. Neuere medizinische Studien liegen nicht vor.

Bisher sind keine Todesfälle bekannt, die ursächlich auf die Verwendung von Elektroimpulsgeräten zurückzuführen sind. Dies wurde sowohl im Rahmen der letzten internationalen Taser-Konferenz in Leipzig als auch im Rahmen der Fachkonferenz der Polizei-Führungsakademie in Münster zum Thema Elektroimpulsgerät Advanced Taser M 26 bestätigt.

Lediglich bei einem Treffer im Bereich des menschlichen Auges kann die Gefahr einer Schädigung nicht gänzlich ausgeschlossen werden, wobei der Kopfbereich grundsätzlich nicht als Haltepunkt für die Schussabgabe geeignet ist und insofern die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Treffers als äußerst gering eingestuft werden kann. Unabhängig davon können durch unkontrollierte Stürze Sekundärverletzungen auftreten, die jedoch im Regelfall nicht mit den Folgen eines Schusswaffengebrauchs zu vergleichen sind.

In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs ­ ob durch bloße körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffen ­ zur Durchsetzung einer polizeilichen Maßnahme niemals jegliches Verletzungsrisiko für den Betroffenen ausgeschlossen werden kann.

Zu 2.: Siehe hierzu auch Frage 1.

Der Abschlussbericht der Universität Tübingen rät von einer allgemeinen Freigabe von Elektroimpulsgeräten für alle Polizeibeamte ab. Da aber das Risiko eines tödlichen Ausgangs beim Einsatz von Schusswaffen gegenüber dem Einsatz von Elektroimpulsgeräten in konkreten Fällen, in denen die Notwendigkeit einer möglichst schnellen Aktionsunfähigkeit der betroffenen Person besteht, zweifellos weitaus überwiegt, wäre in derartigen Fällen eine probeweise Anwendung durch speziell geschulte und unter Einsatzbedingungen trainierte Polizeibeamte durchaus zu empfehlen.

Zu 3.: Der Einsatz von Schusswaffen ist neben den allgemeinen Grundsätzen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs an die zusätzlichen gesetzlichen Vorgaben der Art. 66 ff. PAG gebunden. Da es sich bei den Elektroimpulsgeräten nicht um Schusswaffen handelt, sind diese Vorschriften bei dessen Anwendung nicht einschlägig. Insofern eröffnet sich grundsätzlich ein größeres Einsatzspektrum der Elektroimpulsgeräte gegenüber Schusswaffen. Unabhängig davon gelten die Vorschriften für die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit uneingeschränkt. Darüber hinaus ist ein unkontrollierter Einsatz der Elektroimpulsgeräte insbesondere durch die Reduzierung der Beschaffung ausschließlich für die in diesem Bereich besonders geschulten Beamten der Polizeidirektionen Spezialeinheiten nicht zu befürchten.

Unabhängig davon lassen die vorliegenden Erfahrungen in anderen Ländern grundsätzlich den Schluss zu, dass durch die Möglichkeit des gezielten Einsatzes von Elektroimpulsgeräten ein Rückgang beim polizeilichen Schusswaffengebrauch erzielt werden kann.

Zu 4.: Aufbau, Wirkungsweise, rechtliche Einstufung und die beabsichtigte Anbindung der Elektroimpulsgeräte nur bei den Spezialeinheiten schließen den Einsatz bei den beschriebenen Einsatzlagen von vorneherein aus.

Zu 5.: Hierzu bestehen keine Überlegungen.

Zu 6.: Es ist beabsichtigt, die Elektroimpulsgeräte den Polizeidirektionen Spezialeinheiten Süd- und Nordbayern zuzuweisen. Diese Einheiten werden auch nach der Organisationsreform wie bisher im Bereich der Ballungsräume München und Nürnberg situiert sein. Die Einsatzkräfte sind so ausgestattet und ausgebildet, dass sie ­ ggf. auch luftverlastet ­ sehr schnell einsatzbereit sind. Unabhängig davon wird es Gefahren-/Einsatzsituationen geben, die ein sofortiges Handeln von Erstzugriffsbeamten zwingend erfordern.

Zu 7.: Durch die gleichzeitige Ergänzung des Art. 61 Abs. 4 PAG um den Satz 2 Waffen können auf Anordnung des Staatsministeriums des Innern zeitlich befristet als Einsatzmittel erprobt werden wird sichergestellt, dass derartige Weiterentwicklungen bzw. auch neu entwickelte Waffentechniken nur unter Federführung des zuständigen Fachministeriums erprobt und wenn notwendig eingeführt werden können. Gerade durch die Möglichkeit, Waffen erproben zu können, wird sichergestellt, dass Risiken für Beamte und Bürger minimiert und unnötige Kosten vermieden werden.