Umstände des jüngsten Münchner Sexualmordes klären
Der erschreckende Mord am neunjährigen Peter A. aus München hat in der Öffentlichkeit zahlreiche offene Fragen aufgeworfen, deren Klärung wichtig ist, um in Zukunft ähnliche Taten so weit wie möglich zu verhindern.
Ich frage daher die Staatsregierung: 1.
Welche Therapie/n hat der mutmaßliche Täter im Rahmen seiner Haftstrafe mit welchem Erfolg und welcher/n Prognose/n absolviert?
Mit welchen Maßnahmen haben die zuständigen Stellen auf die Warnungen des ehemaligen Leiters der Regensburger Mordkommission, Herr Furtner, reagiert, der bereits im Jahre 2002 auf die bleibende Gefährlichkeit des mutmaßlichen Täters hingewiesen hat?
Welche aufsichtlichen Maßnahmen, Auflagen und Weisungen wurden anlässlich der Strafentlassung z. B. auch nach § 145a (in Verbindung mit § 68b Abs. 1) mit Strafandrohung angeordnet?
Welche aufsichtlichen Maßnahmen, Auflagen und Weisungen wurden vom mutmaßlichen Täter nicht erfüllt?
Wem waren solche Verstöße bekannt, an welche Stellen wurden sie gemeldet und welche Konsequenzen wurden daraus unter anderem von der Aufsichtstelle, der Polizei und der Staatsanwaltschaft gezogen?
3. Wie laufen in der Regel die Absprachen zwischen der Justiz und städtischen Einrichtungen in Fällen, in denen aufsichtliche Maßnahmen, Auflagen und Weisungen verhängt aber nicht ein gehalten werden?
4. Folgt die Staatsregierung der Ansicht des Präsidenten der Münchener Amtsgerichte, Gerhard Zier, dass die Instrumente der Justiz hinsichtlich der Durchsetzbarkeit von Auflagen und Weisungen nach der Haftentlassung einem stumpfen Schwert gleichen, und wenn ja, welche Initiativen hat sie in der Vergangenheit ergriffen, diese Instrumente zu verbessern?
Wann hat die Bewährungshelferin des mutmaßlichen Täters die Meldung an das zuständige Gericht getätigt, dass der mutmaßliche Täter nach seiner Haft erneut Kontakt mit Kindern gesucht und aufgenommen hat und hat das Gericht darauf reagiert?
Wenn nein, warum nicht?
Wie viele Klienten hatte die Bewährungshelferin des mutmaßlichen Täters zum 31. Januar 2005 zu betreuen?
Welche Umstände haben dazu geführt, dass der mutmaßliche Täter trotz bestätigter Triebtätereigenschaften nicht als krankhafter Triebtäter eingestuft wurde?
Wie steht die Staatsregierung zu der Auffassung des Strafrechtsexperten Prof. Heinz Schöch, dass die Anordnung von Zwangstherapien in der Regel als nicht Erfolg versprechend gilt?
Wie steht die Staatsregierung zur Linie des Ministerpräsidenten, wonach alle Sexualstraftäter von der vollen Härte des Gesetzes zu treffen sind, wenn sich zeigt, dass, unter anderem nach Worten des Anwalts Steffen Ufer, über die Zuschreibung der vollen Schuldfähigkeit rechtliche Möglichkeiten der Sicherungsverwahrung verbaut werden?
Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung von Joachim Herrmann, Gutachter, die falsche Prognosen stellen, zukünftig nicht mehr mit gerichtlichen Gutachten zu beauftragen?
Wie hoch ist die Zahl der Therapieplätze für nach dem Jugendstrafrecht verurteilte Sexualstraftäter?
Wie hoch ist der Bedarf an Therapieplätzen für solche Straftäter?
Wie lange sind die durchschnittlichen Wartezeiten auf Therapieplätze für solche Straftäter?
Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 30.03.
Zu 1.1.:
Die durch Urteil des Landgerichts Regensburg am 5. April 1995 verhängte Jugendstrafe verbüßte der mutmaßliche Täter des am 17. Februar 2005 begangenen Verbrechens 19.04. zunächst in der Justizvollzugsanstalt Ebrach. Dort erhielt er seit Sommer 1997 eine Einzeltherapie bei einem externen Therapeuten aus dem Bezirkskrankenhaus Werneck und Einzelgespräche bei den Anstaltspsychologen. 1998 hat die Justizvollzugsanstalt Ebrach eine Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt München angeregt und dabei bestätigt, dass der Gefangene die an ihn herangetragenen Behandlungsangebote bisher bereitwillig angenommen habe.
Nach erfolgreichem Abschluss der in der Justizvollzugsanstalt Ebrach begonnenen Bäckerlehre wurde er am 9. August 1999 in die sozialtherapeutische Abteilung für Sexualtäter der Justizvollzugsanstalt München verlegt. Diese Abteilung vertritt ein integratives Behandlungskonzept, d.h. dass kognitiv-verhaltens-therapeutische, psychodynamische und sozialpädagogische Therapieansätze
- abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen der Gefangenen
- jeweils im Einzelgespräch und in der Gruppe konsekutiv, z.
T. auch nebeneinander durchgeführt und kombiniert werden.
Der mutmaßliche Täter nahm dort 4 Jahre und 8 Monate bis zu seiner Entlassung an der Sozialtherapie teil, wobei er das übliche Behandlungsprogramm der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter durchlaufen hat.
Im Zusammenhang mit den zur Entlassungsvorbereitung notwendigen Lockerungen hat die Justizvollzugsanstalt München ein externes Gutachten bei Herrn Prof. Dr. Nedopil, Universität München, in Auftrag gegeben, das in Kenntnis der beiden Straftaten am 27. September 2001 zu dem Ergebnis kommt, dass es noch erheblicher therapeutischer Arbeit bedarf: In Anbetracht der schwerwiegenden Defizite und Deformationen, die er vor seiner Inhaftierung aufwies, bis zum Zeitpunkt der jetzigen Begutachtung erhebliche Fortschritte gemacht..... Lockerungen im Sinne von Ausgang verantwortbar..., weitergehende Lockerungen äußerst behutsam vorbereitet und durchgeführt werden sollten... Die Offenlegung eines weiteren Deliktes... spricht für das ernsthafte Bemühen um therapeutische Fortschritte und das Bewusstsein des Probanden um die Risiken, die in seiner Person stecken.
Allerdings spricht der Gutachter auch davon: ....Nach einer Haftentlassung die Therapie fortzusetzen... ...dass die verbleibende Haftzeit kaum ausreichen dürfte, um die schwerwiegenden Defizite des Probanden nachhaltig therapeutisch auszugleichen.
Dieses Gutachten bestätigte die Einschätzung der in der Justizvollzugsanstalt mit dem Gefangenen befassten erfahrenen Fachleute, die die Entlassung des Gefangenen intensiv vorbereiteten: Dem Gefangenen wurden eine externe Therapie und ein Platz in einer Einrichtung für betreutes Wohnen vermittelt. Ziel beider Maßnahmen war es, die Entlassung in die Freiheit begleitend zu gestalten, den Gefangenen in einen geordneten sozialen Empfangsraum zu entlassen und insbesondere die für notwendig gehaltene Fortführung der Therapie sicherzustellen. Bereits sechs Monate vor Strafende wurde daher mit einer parallelen ambulanten externen Psychotherapie bei einem Facharzt für therapeutische Medizin im Rahmen von Sonderausgängen begonnen. Justizvollzugsanstalt, Gericht und Staatsanwaltschaft arbeiteten Hand in Hand, die Anregungen der Justizvollzugsanstalt zu Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht wurden vom Gericht übernommen, insbesondere die Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen und keine Beschäftigungen, Ausbildungen, Beherbergungen oder Aufsichten von Minderjährigen zu übernehmen. Der Gefangene wurde am 8. April 2004 nach vollständiger Verbüßung der Strafe aus der Justizvollzugsanstalt München entlassen.
Zu 1.2.: Erster Kriminalhauptkommissar Furtner war Unterzeichner eines Schreibens der Kriminalpolizeiinspektion Regensburg vom 11. Februar 2002 an die Justizvollzugsanstalt München.
Darin teilte Herr Furtner im Wesentlichen mit, dass er bei einer Fortbildungsveranstaltung bereits im Jahr 1995 im Anschluss an ein Referat des österreichischen Polizeipsychologen Thomas Müller zum Thema Täteranalyse den Fall Martin P. vorgetragen habe. Der Polizeipsychologe habe die Tathandlung als eine sexuelle Perversion bewertet, die zur Lustgewinnung und nicht zur Verdeckung einer Straftat geschehen sei. Ferner habe er den Täter als wandelnde Zeitbombe bezeichnet, bei dem damit zu rechnen sei, dass er weitere Straftaten mit sexuellem Hintergrund begehen werde.
Diese Einschätzungen basierten allein auf der Schilderung der Tat vom 13. Oktober 1994 durch Herrn Furtner. Selbst exploriert hatte Herr Müller den Verurteilten nicht.
Das Schreiben vom 11. Februar 2002 an die Justizvollzugsanstalt München enthielt keine Informationen, die den Verantwortlichen im Vollzug nicht schon bekannt gewesen und gewissenhaft berücksichtigt worden wären. Bereits während des Strafvollzugs in der Justizvollzugsanstalt Ebrach wurde erkannt, dass der Gefangene der therapeutischen Behandlung bedarf, er wurde deshalb in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt München verlegt und dort intensiv behandelt (s.o. unter 1.1.).
Das Schreiben der Kriminalpolizeiinspektion Regensburg vom 11. Februar 2002 wurde zur Ermittlungsakte genommen. Es lag damit auch dem Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil vor, der mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 18. Februar 2002 beauftragt wurde, zur Schuldfähigkeit von Martin P. bei Begehung der während der Haftzeit offenbarten Tat am 15. Oktober 1992 sowie ggf. zur Gefahr erneuter Straffälligkeit und zum Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Stellung zu nehmen.
Zu 2.1.:
Der betreffende Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts München I vom 25. Februar 2004 zu der nach Vollverbüßung der Jugendstrafe kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht lautete hinsichtlich der Weisungen wie folgt:
Der Verurteilte wird angewiesen,
a) sich unverzüglich nach seiner Entlassung beim Bewährungshelfer zu melden in der Goethestraße 64 in München,
b) sofort nach seiner Entlassung im Einvernehmen mit dem Bewährungshelfer im Bodelschwingh-Haus Wohnsitz zu nehmen und sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen,
c) stets einer vom Bewährungshelfer gebilligten Arbeit nachzugehen,
d) den Anordnungen des Bewährungshelfers und der Aufsichtsstelle Folge zu leisten, insbesondere den Vorladungen nachzukommen,
e) jeden Wechsel des Wohnsitzes sowie des Arbeitsplatzes nur mit vorheriger Zustimmung des Bewährungshelfers vorzunehmen,
f) Alkohol zu meiden,
g) sich unverzüglich im Benehmen mit dem Bewährungshelfer einer Psychotherapie (ohne körperlichen Eingriff) zu unterziehen und den Therapeuten gegenüber Gericht und Bewährungshelfer von der Schweigepflicht zu entbinden.
Dem Verurteilten werden ferner folgende strafbewehrte Weisungen erteilt:
h) sich im Falle der Erwerbslosigkeit beim zuständigen Arbeitsamt oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden,
i) sich mindestens einmal pro Monat beim zuständigen Bewährungshelfer zu melden
j) jeden Wechsel des Wohnortes oder des Arbeitsplatzes unverzüglich der Führungsaufsichtsstelle zu melden,
- sich an Orten, an denen sein früheres Opfer Christoph T. anwesend ist, nicht aufzuhalten bzw. diese Orte sofort zu verlassen,
- außerhalb seiner Wohnung bzw. seines Arbeitsplatzes keine Messer oder (auch erlaubnisfreie) Waffen oder sonstige waffenähnliche Gegenstände (z.B. Baseballschläger, Ketten, Eisenrohre, Knüppel, Drahtseile) mit sich zu führen,
- keine Beschäftigungen, Ausbildungen, Beherbergungen oder Aufsichten von Minderjährigen zu übernehmen.
Zu 2.2.: Weisung, sich unverzüglich im Benehmen mit dem Bewährungshelfer einer Psychotherapie zu unterziehen
Der Verurteilte war bereits zur Haftentlassung bei Herrn Dr. von G. in therapeutischer Behandlung. Mit Schreiben vom 9. August 2004, eingegangen am 12. August 2004, teilte dieser der Bewährungshelferin mit, dass er die Behandlung als abgebrochen betrachtet, weil der Verurteilte mehrere Termine nicht eingehalten hat. Am 16. August erhielt der Verurteilte bei einem Sprechstundenbesuch die Adresse des Therapeuten Herrn W. in München mit der Vorgabe, sich dort zu melden. Ab dem 27. August 2004 war der Verurteilte zusätzlich in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim therapeutisch angebunden. Am 24. September 2004 teilte der Verurteilte bei einer Vorsprache mit, dass Herr W. die Behandlung ablehnt. Der Verurteilte erhielt daraufhin die Adresse des Therapeuten T. in Ingolstadt.
Am 19. Oktober 2004 berichtete eine Therapeutin der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim, Frau L., der Bewährungshelferin telefonisch, dass sie die Behandlung aufgrund der Tatsache, dass der Verurteilte am gleichen Tag in Begleitung zweier Kinder im Einkaufszentrum PEP gesehen worden war, und aufgrund fehlender Motivation beendet.
Der Verurteilte hatte auch Termine bei der Therapeutin unentschuldigt nicht wahrgenommen.
Der Verurteilte berichtete der Bewährungshelferin dann wieder über mehrere Vorgespräche mit Herrn T. Diese mussten zum Teil wegen Erkrankung des Therapeuten verschoben werden, bis auch dieser Therapeut die Behandlung ablehnte.
Dies teilte der Verurteilte am 9. Dezember 2004 mit. Er wurde daraufhin von der Bewährungshelferin verpflichtet, sich beim MIM (Männer-Informationszentrum) für die Sexualstraftätergruppe zu melden. Bei einem Gespräch mit der Bewährungshelferin am 10. Januar 2005 stellte sich heraus, dass er keine Gruppentherapie absolvieren wollte. Die Bewährungshelferin verpflichtete den Verurteilten dennoch zu einem Vorgespräch dort, da es nach ihrer Kenntnis nur zwei Verhaltenstherapeuten gab, die Sexualstraftäter mit einer entsprechenden Weisung behandeln.
Am 27. Januar 2005 rief die Bewährungshelferin bei einem Psychologen der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim an, mit dem sie vereinbarte, dass dieser erneut Kontakt mit dem Verurteilten aufnimmt, um ein neues Therapieangebot zu machen, bis ein fester externer Therapeut gefunden ist.
Am 3. Februar 2005 wurde mit dem Verurteilten beim Sprechstundenbesuch vereinbart, dass er bis spätestens 21. Februar 2005 beim MIM einen Termin wahrgenommen haben muss. Andernfalls erginge eine Mitteilung an das Gericht.
Die Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen, setzt unter anderem voraus, dass der Betroffene mitwirkt, Termine nicht unentschuldigt versäumt bzw. ihm vorgeschlagene Therapieangebote auch wahrnimmt, so dass das Verhalten des Verurteilten nach Auffassung des Staatsministeriums der Justiz als Verstoß gegen die Therapieweisung zu qualifizieren ist.
Weisung, keine Beschäftigungen, Ausbildungen, Beherbergungen oder Aufsichten von Minderjährigen zu übernehmen
Der Verurteilte wurde am 23. August 2004 im Bodelschwingh-Haus mit einem kleinen Jungen gesehen sowie am 19. Oktober 2004 im PEP-Einkaufszentrum mit zwei Kindern.
Der Begriff Aufsichten muss nach hiesiger Auffassung weit verstanden werden und betrifft auch die Beaufsichtigung von Kindern im Rahmen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses. Aus diesem Grund wird man beide Vorfälle als Weisungsverstoß ansehen müssen.