Erhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs durch Marktorientierte Direktvergabe

Der Landtag wolle beschließen:

1. Der Landtag kritisiert, dass die Landesregierung - entgegen der Praxis nahezu aller Bundesländer und des Bundes - die so genannte Marktorientierte Direktvergabe im ÖPNV-Ausschreibungsverfahren nicht zulässt und dadurch die kleinen und mittelständischen sowie die kommunalen Verkehrsunternehmen vorwiegend des Busverkehrs massiv in ihrer Existenz gefährdet.

2. Der Landtag kritisiert des Weiteren, dass die Landesregierung durch ihre Vorgaben den Konkurs vieler Unternehmen und den Verlust von Hunderten Arbeitsplätzen billigend in Kauf nimmt.

3. Der Landtag begrüßt, dass der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 23. Juli 2003 zum Fall Altmark Trans GmbH das deutsche System der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs im Grundsatz bestätigte. Der EuGH hat durch klare Bedingungen, die er an die öffentliche Finanzierung von Nahverkehrsleistungen knüpfte, vermieden, dass es zu unkalkulierbaren und chaotischen Entwicklungen im Nahverkehr Deutschlands durch weitere Gerichtsverfahren kommt. Länder und Kommunen können damit auch weiterhin durch öffentliche Zuschüsse einen leistungsfähigen und für die Kunden erschwinglichen ÖPNV sicherstellen.

4. Der Landtag fordert die Landesregierung auf dieser Grundlage auf, in der gegenwärtigen Wettbewerbspraxis im ÖPNV, speziell im Busverkehr, die so genannte Marktorientierte Direktvergabe unter Beachtung der vom EuGH im oben genannten Altmark-Trans-Urteil aufgestellten vier Kriterien als gleichwertige Alternative zur europaweiten Ausschreibung zuzulassen.

Begründung: Wettbewerb im ÖPNV ist willkommenes Instrument zur Erstellung kundengerechter Leistungen. Transparenz und Wettbewerb sind deshalb für den ÖPNV unabdingbar. Jedoch muss damit zum einen untrennbar die Beachtung insbesondere der notwendigen Qualitäts- und Sozialstandards verbunden sein, zum anderen darf der Wettbewerb nicht zulasten der Kommunen gehen. Besonders die kommunalen Verkehrsunternehmen sowie kleine und mittelständische Busunternehmen werden in extremer Weise durch die gegenwärtige Ausschreibungspraxis benachteiligt. Bewährte Strukturen werden durch einen grenzenlosen Wettbewerb innerhalb kurzer Zeit zerstört, da viele Verkehrsunternehmen dem ruinösen Wettbewerb nicht standhalten können. Konkurse alteingesessener Betriebe, die Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung und eine erhebliche finanzielle Belastung der Kommunen werden die unausweichliche Folge sein. Da in den Unternehmen keine weiteren Einsparpotenziale mehr zu generieren sind, gehen die angestrebten Preissenkungen einzig über Dumpinglöhne und eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zulasten der Beschäftigten.

Deshalb darf ein verstärkter Wettbewerb nur stufenweise und mit längeren Übergangsfristen eingeführt werden.

Zur Behandlung im Plenum vorgesehen

Durch die Zulassung der Marktorientierten Direktvergabe von Verkehrsdienstleistungen als gleichwertige Alternative zur europaweiten Ausschreibung erhalten kleine und mittelständische sowie kommunale Verkehrsunternehmen die lebensnotwendige Zeit, sich auf den Wettbewerb einzustellen.

Derzeit fehlt ihnen dazu jegliche Chance.

Die Verordnung 1191/69 (EWG) des Rates der Europäischen Union, die die europaweite Ausschreibung vorsieht, und das Personenbeförderungsgesetz des Bundes lassen die Marktorientierte Direktvergabe als Ausnahmen für Vorort-, Stadt- und Regionalverkehre zu.

In seinem Urteil zum Fall Altmark Trans GmbH vom 23. Juli 2003 widmet sich der Europäische Gerichtshof in positiver Weise der Frage, ob deutsche Behörden anordnen können, dass gemeinwirtschaftlich erbrachte Regionalverkehrsdienste nicht unter die Verordnung 1191/69 (EWG) über "die Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes" fallen: "Der deutsche Gesetzgeber kann von der in der Gemeinschaftsverordnung vorgesehenen Ausnahme für den Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr grundsätzlich auch teilweise Gebrauch machen, wenn er sich dadurch den Zielen der Verordnung annähert und der Grundsatz der Rechtssicherheit gewahrt ist."

Mit Urteil vom 11. Januar 2005 schließt der EuGH zwar eine Marktorientierte Direktvergabe bei Beteiligung privater Partner grundsätzlich aus, gleichwohl bleibt der gesetzliche Ausnahmetatbestand für verbundene Unternehmen im Sektorenbereich weiterhin ausdrücklich gültig: Öffentliche Auftraggeber, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder im Verkehrsbereich (Sektorenbereiche) tätig sind, können verbundene Unternehmen unmittelbar ohne vorheriges Ausschreibungsverfahren mit der Erbringung von Dienstleistungen beauftragen.

Fast alle Bundesländer haben zwischenzeitlich die europäische Position und die des Bundes übernommen und stellen deren Praktikabilität zum Vorteil ihrer Kommunen und der Verkehrsbetriebe unter Beweis. Hessen tut dies bislang nicht. Der ÖPNV muss jedoch Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben.