Privatschule

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Unerhört!)

Das ist ein Ausmaß an Arroganz, an Überheblichkeit und an schulpolitischer Blindheit, das nicht mehr zu überbieten ist.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich mit den Realitäten an den Schulen (Dr. Heinz Kaiser (SPD): Zurücktreten!) und mit den Ergebnissen von Pisa ernsthaft beschäftigen und auseinandersetzen wollen, müssen auch Sie erkennen, dass wir mehr für Bildung und Ausbildung unserer Jugend tun müssen, dass wir mehr finanzielle Mittel für die Bildung, für mehr Lehrer und für kleinere Klassen ausgeben, und so mehr individuelle Förderung erreichen müssen. Vor allem ein Problem müssen Sie endlich auch erkennen: Die Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder in Bayern sind abhängig von der sozialen Stellung und vom Geldbeutel ihrer Eltern. Das ist der Befund von Pisa, und das ist eine schreckliche Erkenntnis.

(Beifall bei der SPD)

Die Schule, meine Damen und Herren, (Dr. Heinz Kaiser (SPD): Wir brauchen einen neuen Kultusminister!) gleicht diese Unterschiede nicht aus, sondern sie verstärkt sie sogar noch. Dieser Befund ist eigentlich das schlimmste Pisa-Ergebnis, weil damit individuelle Lebenschancen zerstört werden, weil damit Begabungs- und Bildungsreserven vergeudet werden, und weil damit unser aller wirtschaftliche Zukunft verspielt wird. Die Zahlen sind eindeutig und ernüchternd: 90 % der Kinder von Freiberuflern, die von ihren Noten her auf das Gymnasium wechseln könnten, tun das auch. 78 % der Kinder von Beamten, die von den Noten her aufs Gymnasium wechseln könnten, tun das auch. Nur 60 % der Kinder von Angestellten, die wechseln könnten, tun das auch. Und nur 27 % der Kinder von Landwirten, die die Noten fürs Gymnasium hätten, wechseln auch.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sauerei!)

Das heißt: Die soziale Herkunft, die soziale Stellung, der Bildungshintergrund der Eltern sind entscheidend für die Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder. Regionale Unterschiede kommen noch hinzu. In Oberbayern treten 37,8 % von der vierten Klasse aufs Gymnasium über. In Niederbayern sind es nur noch 27 % ­ doch nicht, Herr Kollege Schneider, weil die Kinder dort dümmer sind als in Oberbayern, (Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD)) sondern weil die Bildungschancen regional unfair verteilt sind.

(Beifall bei der SPD) Herr Schneider, Sie sagen, die Kinder müssen sich schon auch noch anstrengen. Strengen sich denn die Kinder in Starnberg mehr an als die Kinder in Deggendorf?

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sie kommen ja gar nicht erst dazu!)

Ich sage Ihnen: Wenn die Kinder aus dem Landkreis Starnberg zu 55 % ins Gymnasium übertreten, während es im Landkreis Deggendorf nur 22 % sind, (Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Dann stimmt doch was nicht!) dann liegt das nicht an den Anstrengungen, die die Kinder unternehmen, oder am Intelligenzquotienten, sondern dann liegt es an der sozialen Stellung der Eltern in diesen verschiedenen Landkreisen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der springende Punkt. Diese Unterschiede müssen Sie in unserem Schulsystem zumindest auszugleichen versuchen. Sie dürfen diese sozialen Unterschiede nicht auch noch verstärken und verschärfen. Das ist unsere Kritik an unseren Bildungseinrichtungen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sagen: Die Ursachen für diese Bildungsungerechtigkeit und auch Bildungsarmut in vielen Teilen unserer Bevölkerung sind hausgemacht und von der Bildungspolitik der CSU verschuldet.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne nur einige wenige Punkte. Sie tun zu wenig im Vorschulalter, wo man noch bilden und erziehen könnte.

Da passiert nichts. Sie betrachten Kindertagesstätten als Betreuungseinrichtungen, nicht als Bildungseinrichtungen. Das ist ein folgenschwerer Fehler.

(Beifall bei der SPD) Zweitens. Sie statten ausgerechnet die Grundschulen finanziell schlechter aus als die Realschulen und Gymnasien. Gerade an den Grundschulen werden aber die Schlüsselqualifikationen vermittelt, wird das Fundament gelegt für den späteren schulischen Erfolg. In Finnland, Herr Kollege Herrmann, (Joachim Herrmann (CSU): Das hat doch mit dem Unterschied zwischen Starnberg und Deggendorf überhaupt nichts zu tun! ­ Gegenruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das sollten Sie einmal untersuchen, Herr

Herrmann! ­ Joachim Wahnschaffe (SPD): Das wäre die Fortschreibung des Sozialberichts!) ist in den meisten Klassen eine zweite Lehrkraft vorhanden, gerade in der Grundschule, um dort die individuellen Stärken und Schwächen der Kinder zu bearbeiten und zu fördern, wo immer das möglich ist.

Ich will das nicht propagieren, weil ich weiß, was es kostet. Sie sehen aber daran, wie es möglich ist, Pisa-Sieger zu werden, und wie notwendig es ist, gerade in den Grundschulen mehr zu tun.

Drittens. Sie lesen zu früh aus, statt lange genug zu fördern. Die von Ihnen beschworene Durchlässigkeit des Schulsystems ist blanke Ideologie, Herr Kollege Schneider.

(Beifall bei der SPD ­ Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Zynismus ist das!) Niemand, der heute von der vierten Klasse Grundschule auf die Hauptschule wechselt, hat eine reale Chance, noch auf das Gymnasium oder auf die Realschule zu wechseln. Oft passiert das Gegenteil; jemand wird von oben nach unten durchgereicht. Der Weg andersherum ist in Bayern aber versperrt. Durch die Einführung der R 6 und des G 8 ist er noch viel schwerer geworden, als er es ohnehin schon gewesen ist.

(Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben auch zu geringe Übertrittsquoten und demzufolge zu niedrige Schulabschlüsse in unserem Land. Die relativ guten Pisa-Testergebnisse sind in dieser mangelnden Durchlässigkeit begründet. Wenn Sie eine Gymnasialklasse oder Realschulklasse testen, welche sehr viel homogener ist als in Bundesländern mit einer größeren Durchlässigkeit im Schulsystem, erreichen Sie zwangsläufig bessere Ergebnisse.

Das ist keine Kunst. Das ist das Ergebnis eines Schulsystems, in dem Sie eine soziale Auslese in einem Ausmaß betreiben, wie es sonst nirgendwo in Deutschland der Fall ist.

(Beifall bei der SPD) Sie haben zu wenige Ganztagsschulen und zu wenige Lehrerinnen und Lehrer. Sie haben zu große Klassen und deswegen auch zu wenig individuelle Förderung.

Wie reagieren jetzt die Eltern auf diese Situation? Diese Reaktion macht auch den tatsächlichen Unterschied in unserem Land deutlich. Natürlich sind auch die Eltern gefordert. Eltern, die sich um ihre Kinder bemühen und ihren Kindern Aufmerksamkeit schenken, die zu Hause vielleicht bei den Hausaufgaben helfen oder helfen können, die über einen Bildungshintergrund und über ein Bildungsverständnis verfügen und die Sinn und Geld für Nachhilfestunden haben, kümmern sich um ihre Kinder und helfen ihnen in diesem schwierigen Schulsystem weiter. Sie helfen ihnen sozusagen auf eigene Kappe und eigene Kosten. Was aber ist mit den Kindern all der Eltern, die weder die Erfahrung, noch die Aufmerksamkeit, das Geld und das Interesse für ihre Kinder aufbringen? Wollen Sie die Kinder dieser Eltern verloren geben und ihnen die Verantwortung dafür zuschieben, dass sie keine Zukunftschance haben? Oder wollen Sie endlich ein Schulsystem, in dem diese negativen Ausgangsbedingungen ausgeglichen werden, damit Kinder aus allen sozialen Schichten in unserem Land den gleichen Zugang zu unseren Bildungseinrichtungen haben?

(Beifall bei der SPD) Letzteres wollen wir. Wir wollen es im öffentlich-rechtlichen Schulsystem. Wir wollen nicht, dass die Eltern, die für ihre Kinder eine Chance suchen, zunehmend auf Privatschulen ausweichen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die öffentlichen Schulen stärken.

(Beifall bei der SPD) Präsident Alois Glück: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Unterländer.

Joachim Unterländer (CSU): Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich drei kurze Bemerkungen zu den Beiträgen meiner Vorredner machen.

Erstens. Herr Kollege Maget, Sie haben der Bayerischen Staatsregierung und der Mehrheitsfraktion attestiert, dass sie die Kinderbetreuungseinrichtungen, also die Kindergärten in Bayern nur als ein Betreuungsangebot ansehe.

Damit liegen Sie völlig daneben.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das hat er nicht gesagt!)

In keinem anderen Land ist mit einer solchen Intensität ein Bildungs- und Erziehungsplan entwickelt, erprobt und umgesetzt worden wie in Bayern.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das hilft überhaupt nichts, wenn er nicht weiter umgesetzt wird!) Daran nehmen sich jetzt andere Länder ein Beispiel und folgen dem bayerischen Weg. Daran sehen Sie, dass die Kindergärten in Bayern auf einem vorbildlichen Weg sind.

Zweitens. Frau Kollegin Bause, zum Sozialbericht. Ich glaube, es ist in der gegenwärtig schwierigen finanziellen Situation, in der wir in allen Bereichen einzusparen versuchen müssen, (Margarete Bause (GRÜNE): Aber 10 Millionen pro Jahr für Gutachten! ­ Dr. Sepp Dürr (GRÜNE):

Das ist doch Quatsch, das ist wissenschaftsfeindlich!) der völlig falsche Weg, die Prioritäten auf irgendwelche Statistiken zu setzen. Wir müssen den Menschen helfen und nicht in Statistiken das Geld investieren.

(Beifall bei der CSU)

Im Übrigen haben Sie mit Statistiken wie Pisa, der und anderen wissenschaftlichen Untersuchungen, auf die Sie sich ständig berufen, heute schon Grundlagen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Warum tun Sie dann nichts? ­ Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist doch wissenschaftsfeindlich!) Daher muss das Rad nicht mehr neu erfunden werden. Ich halte die Prioritäten für völlig falsch gesetzt.

Drittens. Als Sozialpolitiker maße ich es mir nicht an, über die Bildungspolitik und schulische Fragen zu reden. Allerdings möchte ich folgendes sagen: Aus den Ausführungen von Kollegin Bause und Kollegen Maget gewinne ich den Eindruck, dass bei ihnen Bildung ausschließlich mit einem gymnasialen Abschluss verbunden ist.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): So ein Schmarrn! Das ist Ihre Vorstellung!)

Ich glaube, dass es notwendig ist, die Realität im Freistaat Bayern wieder einmal zurechtzurücken. Hauptschulabschüsse und mittlere Bildungsabschlüsse haben weiterhin ihren Stellenwert, und ich halte es für dringend notwendig, auch darauf einmal hinzuweisen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Sie lassen doch die Hauptschule im Stich! ­ Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Warum haben Sie dann das zehnte freiwillige Hauptschuljahr jahrelang nicht eingeführt?)

Eine bestmögliche frühkindliche Förderung im Vorschulalter ist die beste Voraussetzung dafür, Bildungsarmut überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wo gibt es die in Bayern?) Ursachen für Bildungsarmut können das familiäre Umfeld, finanzielle Rahmenbedingungen, Defizite bei der Lernkompetenz oder die Situation von Kindern mit Sprachdefiziten oder Migrationshintergrund sein, wie verschiedene Studien zeigen. Auch wenn die Bildungsinstitutionen alleine nicht in der Lage sind, die Probleme zu lösen, vorschulische Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sind ein entscheidender Ansatzpunkt. Die Investitionen des Freistaats Bayern in diese Einrichtungen haben absoluten Vorrang. Für das bedarfsgerechte Ausbauprogramm stehen bis 2006 insgesamt 313 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Der laufende Ansatz für die Einrichtungen ist seit 2002 um rund 100 Millionen Euro gestiegen, obwohl in Zukunft auf die Neuverschuldung im Staatshaushalt verzichtet wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie, wo die rot-grün regierten Bundesländer bleiben, die die Zuschüsse für diese Einrichtungen kürzen und damit den Eltern höhere Beiträge zumuten. Dies ist auch ein nicht vorbildlicher Beitrag gegen Bildungsarmut.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): In diesen Ländern gibt es viel mehr Ganztagsplätze!)

Wir brauchen in diesem Zusammenhang einen inhaltlichen Rahmen für die Arbeit in den bayerischen Kindertagesstätten, um präventiv gegen Bildungsarmut vorzugehen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Und Geld brauchen wir!)

­ Herr Kollege Dürr, ich gehe ungern auf Ihre ständigen Zwischenrufe ein. Eines muss ich aber schon sagen: Nicht immer ist eine Qualitätssteigerung allein dadurch zu erreichen, dass wir reflexartig nach mehr Geld rufen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Bei den Kindergärten aber schon! Da fehlt es an allem!)

Es gibt Prozessbegleitungen, es gibt Veränderungen in der Struktur, und deshalb reicht es nicht, nur immer mit hoch gehobenem Finger nach mehr Geld zu rufen. Das ist der falsche Weg, Politik zu betreiben.

(Susann Biedefeld (SPD): Qualität gibt es aber nicht zum Nulltarif!)

Der Bildungs- und Erziehungsplan, den wir in 106 bayerischen Kindertagesstätten insgesamt erprobt haben, hat Vorbildfunktion. Dabei ist es mir wichtig, zwei Grundvoraussetzungen zu erwähnen.

Nicht mit einer reinen Vorschule und einer sturen Wissensvermittlung alleine wären wir auf dem richtigen Weg. Es ist erforderlich, dass Kindertagesstätte und Grundschule noch besser miteinander verknüpft werden, weil der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule ebenso zentral ist wie die anderen Übergänge in einer Kinderbiographie.

Dieses Ziel ist sowohl im Bildungs- und Erziehungsplan als auch im Entwurf des Bayerischen Kindertagesstättengesetzes enthalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die frühkindliche Erziehung ist ein Schwerpunkt, um präventiv Bildungsarmut zu verhindern. Mit diesem Konzept kann nicht erst in der Schule begonnen werden. Bayern ist in der vorschulischen Förderung auf dem richtigen Weg. Wir werden ihn konsequent weiter beschreiten.

(Beifall bei CSU) Präsident Alois Glück: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Pfaffmann; anschließend Frau Staatsministerin Hohlmeier.

Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schneider, Sie haben uns eben mitgeteilt, dass in Bayern alles wunderbar sei und Sie sehr zufrieden mit der Bildungspolitik seien.