Engelbert Kupka CSU Zunächst sind die Eltern verantwortlich nicht die Politiker Wir sind für all diese Kinder verantwortlich

Bayerischer Landtag · 15. Wahlperiode9142 Plenarprotokoll 15/125 v. 10.06. vestiert, ist nicht so hoch wie die Folgekosten. Wenn man hier nicht investiert, wird das sehr viel teurer. Es geht aber vor allem um das Leben der Kinder. Erst in zweiter Linie geht es um Investitionen. Wir sind für diese Kinder verantwortlich.

(Engelbert Kupka (CSU): Zunächst sind die Eltern verantwortlich, nicht die Politiker!)

­ Wir sind für all diese Kinder verantwortlich. Wie wir in allen Sonntagsreden sagen, sind diese Kinder doch unsere Zukunft. Wenn Herr Huber in Berlin großkotzig von mehr Netto vom Brutto redet, dann möchte ich wissen, wie das den armen Familien zugute kommen soll, denn diese armen Familien zahlen gar keine Steuern. Sie werden also genau wieder diejenigen sein, die durch die Maschen fallen.

(Joachim Unterländer (CSU): Kindergeld!) Streichen Sie lieber Ihr Betreuungsgeld, denn dieses Betreuungsgeld ist kontraproduktiv, und es hindert Familien und Kinder, an frühkindlicher Bildung teil zu haben. Gott sei Dank haben Sie es beim Büchergeld endlich eingesehen, lange genug hat es gedauert. Streichen Sie Ihre Studiengebühren, dann kommen wir der Sache näher.

Wir brauchen in diesem Land ein Netz von Einrichtungen, das Familien unterstützt, das Kinder bildet, das Angebote schafft auch für Kinder, die weniger gute Startvoraussetzungen haben. Dann wird sich auch ein Erfolg einstellen.

Machen wir uns endlich auf den Weg. Einer der ersten Schritte ist auch die Verbesserung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes, das noch immer ein Verhinderungs- statt ein Fördergesetz ist.

(Beifall bei den GRÜNEN) Bayern ist ein reiches Land. Bayern will Spitze sein.

Lassen wir es nicht zu, dass unter uns noch immer Kinder in Armut leben.

(Beifall bei den GRÜNEN) Zweiter Vizepräsident Prof. Dr. Peter Paul Gantzer: Frau Kollegin, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Imhof.

Hermann Imhof (CSU): Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich nur eine Nebenbemerkung zu Frau Ackermann machen. Es war, glaube ich, der vorletzte Punkt in Ihrer Rede, Frau Ackermann.

Da ging es um den Aspekt: nicht nur Transferleistungen.

Ich würde einmal, wenn wir unsere Familienpolitik im Vergleich zu Ihrer kennzeichnen wollen, vor allem sagen, der signifikante Unterschied ist, dass Sie ausschließlich auf institutionelle Förderung setzen, während wir dies als ein Gesundheitsrisiko. Es geht um 700 000 Zeitungsausträger, um unfreiwillige Kinderarbeit, um Null Euro für die Pause und so weiter, und so weiter. Das alles sind Beispiele, wie Kinder in Bayern in Armut leben müssen.

Wir wissen es längst, die Start- und Lebenschancen hängen von der sozialen Herkunft ab. Das Armutsrisiko, das ist gerade geschildert worden, liegt insbesondere bei Ein-Eltern-Familien, aber auch bei Familien mit Migrationshintergrund, bei Familien mit mehr als drei Kindern und bei Familien, wenn die Eltern erwerbslos sind oder einen niedrigen Bildungsabschluss haben. Nachdem der Status der Eltern weitestgehend verantwortlich ist für den Bildungserfolg ihrer Kinder, was die Pisa-Studie nachgewiesen hat, ist eine Vererbung dieses Status bereits vorprogrammiert. Es geht aber nicht nur darum, dass arme Kinder wenig Geld haben. Arme Kinder haben auch eine unzureichend kognitive Entwicklung, ein niedriges Selbstwertgefühl, schlechtere schulische Leistungen, mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten, beengte Wohnverhältnisse, ein höheres Krankheitsrisiko. Es gibt wesentlich mehr psychische Erkrankungen bei armen Kindern.

Und diese Kinder sind deutlich häufiger übergewichtig.

All das verstößt gegen Artikel 3 der UN-Konvention für die Rechte des Kindes, der da lautet:

Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Ich frage mich, wo dies bei diesen Kindern der Fall ist.

Was ist nun zu tun? ­ In erster Linie wäre es ganz schön, wenn wir endlich den Sozialbericht vorliegen hätten, denn dann wüssten wir genau, wo wir anpacken müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist aber auch wichtig, die Qualität der Strukturen in diesem Land zu verbessern. Herr Unterländer, Sie haben wieder einmal sehr viel von Transferleistungen gesprochen. Die Transferleistungen kommen aber erst in zweiter Linie.

(Joachim Unterländer (CSU): Das habe ich doch gesagt!)

Die Menschen brauchen Einrichtungen. Sie brauchen ein flächendeckendes Netz an Kinderkrippen, sie brauchen eine hochwertige Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Sie brauchen Ganztagsschulen. Sie brauchen kostenlose, hochwertige Verpflegung in den Schulen. Sie brauchen ein Netz von Sozialarbeitern, von Schulsozialarbeitern. Sie brauchen familienbegleitende Beratung im Sinne von Prävention. Das, was man in diese Kinder um die Kinder, die ganz knapp über dem Hartz-IV-Satz liegen. In Deutschland sind das mehrere zehntausend Kinder, in Bayern einige Tausend.

Denn wir sind der Meinung: Die Kinder aus den Familien mit diesem geringen Erwerbseinkommen brauchen das warme Mittagessen genauso wie Hartz-IV-Kinder.

Wenn die Bayerische Staatsregierung ­ sprich: Kultusund Sozialministerium ­ ein schlüssiges, fundiertes Konzept ausarbeitet, wie es uns gelingen kann, auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Strukturen ­ ich denke an das Ehrenamt, an angesiedelte Kochkurse ­ all diese Dinge in das Konzept einzubinden, dann erwarten wir ein Konzept, das wenig Bürokratie hat und auf diese Strukturen Rücksicht nimmt. Ende Juni/Anfang Juli muss eine Idee, ein Vorschlag präsentiert werden, mit dem Sie und wir leben können.

Das war mein Beitrag zum warmen Mittagessen.

(Beifall bei der CSU) Zweiter Vizepräsident Prof. Dr. Peter Paul Gantzer: Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Pranghofer.

Karin Pranghofer (SPD): Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Wahnschaffe hat zu Anfang gesagt: Arme Kinder in Bayern sind für ein so reiches Land eine Schande. Ich finde, noch viel schlimmer ist, dass der Bildungserfolg der Kinder in der Schule heute mehr denn je entscheidend vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

(Eduard Nöth (CSU): Das ist eine Behauptung!)

­ Natürlich ist das so, Herr Nöth; es ist keine Behauptung. Ich werde das Gesagte hier auch noch belegen.

Das Schlimmste ist: Wer nichts im Geldbeutel hat, findet für seine Kinder immer weniger die besten Bildungsvoraussetzungen. Das Schlimmste ist, das heute Kinder auf Bildung verzichten müssen, weil die Rahmenbedingungen in den Schulen heute so sind, dass diese Kinder an dem Bildungserfolg nicht teilhaben können.

Herr Unterländer, wenn Sie an den Schulen wirklich etwas für arme Kinder tun wollten, müssten Sie eigentlich dafür sorgen, dass die Staatsregierung Ganztagsschulen ausbaut. Denn dort bezahlen die Eltern nur das Mittagessen und nicht das Bikini-Modell mit der Ganztagsbetreuung, bei dem es die Eltern sind, die alles finanzieren.

(Beifall bei der SPD)

Damit besteht natürlich auch die Gefahr, dass Eltern, weil sie das erforderliche Geld nicht haben, ihre Kinder zur Ganztagsbetreuung überhaupt nicht anmelden. ein sehr wichtiges Standbein ansehen, die institutionelle und qualitative Förderung, (Zuruf der Abgeordneten Renate Ackermann (GRÜNE)) dass wir aber auch meinen: Familien brauchen Transferleistungen, damit Armut bekämpft wird. Deshalb brauchen Familien auch steuerliche Entlastungen. Familien brauchen auch das Landeserziehungsgeld, welches Sie abschaffen wollen. Sie brauchen das nicht nur, um über die Runden zu kommen, sondern auch, um das Leben zu bewältigen, wenn sie ein Kind bekommen haben. Was das Betreuungsgeld anbelangt, so darf man denjenigen, der es in Anspruch nimmt, nicht stigmatisieren.

(Renate Ackermann (GRÜNE): Nach dem Landeserziehungsgeld sitzen die Familien auf dem Trockenen!)

Wir wollen die breite Mittelschicht auch steuerlich entlasten, denn Familien sind auch Leistungsträger in unserer Gesellschaft.

Mein Redebeitrag greift aber vor allem einen Teilaspekt auf, den Sie, Herr Wahnschaffe, vorhin aufgegriffen haben: Warme Mahlzeiten für alle Kinder. Ich gehe davon aus, Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie kennen unseren Antrag.

(Simone Tolle (GRÜNE): Ja!)

Deshalb geht es mir langsam schlicht auf die Nerven, wenn Sie dieses Thema alle zwei Wochen, in regelmäßiger Abfolge, in einer Art ritualisierter Form auf die Tagesordnung setzen, ja wenn Sie es geradezu zelebrieren.

(Karin Radermacher (SPD): Sonst geht ja nichts vorwärts!)

Ich habe eher den Verdacht, Sie schielen damit vielmehr auf die Öffentlichkeit. Denn, Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie unseren Antrag kennen, dann wissen Sie, dass dieser Antrag die Staatsregierung beauftragt, (Unruhe ­ Glocke des Präsidenten) ein fundiertes, ein schlüssiges Konzept zusammen mit den Kommunen in den nächsten Wochen vorzulegen, (Joachim Wahnschaffe (SPD): Aber die Staatsregierung kommt nicht zu Potte! Dazu war eine Frist gesetzt!) ein Konzept, das Ihrem Begehren gerecht wird. Es soll ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder geben. Vielleicht unterscheiden wir uns in diesem Fall, Herr Wahnschaffe, denn wir meinen wirklich alle Kinder. Es geht uns auch Bayerischer Landtag · 15. Wahlperiode9144 Plenarprotokoll 15/125 v. 10.06. enthaltsmöglichkeit erzählt und diese anpreist oder vom nächsten Klassenausflug spricht. Ich hatte die Gelegenheit, jüngst einen solchen Fall live mitzuerleben. Da ist ein Gymnasiast. Seine Mutter ist Hartz-IV-Empfängerin.

Er konnte sich einen solchen Auslandsaufenthalt nicht leisten. Er hat nirgendwo das dafür erforderliche Geld auftreiben können. Er hätte das zwar sagen können, hat sich aber geschämt, seine Armut öffentlich zu machen.

Hier liegt ein Problem, das wir sehen müssen. Wir dürfen Kinder nicht beschämen, sondern müssen in der Bildungspolitik und den Schulen die Rahmenbedingungen schaffen, damit auch arme Kinder in einem so reichen Land wie Bayern eine wirkliche Bildungschance haben.

(Beifall bei der SPD) Zweiter Vizepräsident Prof. Dr. Peter Paul Gantzer: Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Kupka.

Engelbert Kupka (CSU): Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut beginnt mit der Armut der Familie und der alleinerziehenden Frauen und Männer. Es ist zwar alles richtig, was hier gesagt worden ist, aber man darf bei diesem Thema die steuerliche Seite nicht ausklammern.

Als ich am 6. Mai von dieser Stelle aus zu unserem Programm Mehr Netto für alle sprach, ist mir vonseiten der Opposition viel Hohn entgegengebracht worden. Ich habe damals gesagt: Der Ärger mag darin liegen, dass wir die Ersten sind, die dieses Thema erwähnen. Ich habe auch gesagt ­ Sie können es im Protokoll nachlesen ­, dass Sie noch staunen werden, wie alle Fraktionen neue Programme auf den Tisch legen werden.

(Beifall bei der CSU)

Dieses Programm, das Steuererleichterungen für alle bringen soll, ist jetzt zu einem Renner geworden. Wir werden in Bayern die Meinungsführerschaft auf diesem Sektor behalten. Wir werden vor allem ­ das gilt für die Zeit ab 1. Januar 2009 ­ das Kindergeld erhöhen und den Freibetrag anheben. Wir wollen, dass dieses Ziel bereits bei der Haushaltsaufstellung berücksichtigt wird.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist nicht Ihre Erfindung!)

­ Dann sind wir beieinander. Ich kann nicht mehr erwarten als Ihre Zustimmung. Ich bedanke mich dafür.

Kernpunkte des Gesamtprogramms, das eine Entlastung um fünf Milliarden Euro bringen wird. (Zuruf des Abgeordneten Eike Hallitzky (GRÜNE))

Es ist nicht so, dass sie das Ganztagsbetreuungsmodell so toll fänden, sondern sie sparen sich die Kosten der echten Ganztagsschule. Weil der Staat diese Schule nicht finanzieren will, müssen die Eltern die Finanzierung aufbringen. Wenn man dies ändert, wäre es ein echter Beitrag zugunsten armer Kinder.

Zweiter Vizepräsident Prof. Dr. Peter Paul Gantzer: Frau Kollegin, einen Augenblick bitte! Ich bitte das Fotostudio Scharf-Gerlspeck, seine Arbeiten draußen weiterzuführen. Danke schön.

Entschuldigung, Frau Kollegin.

Karin Pranghofer (SPD): Den zweiten Umstand habe ich schon genannt. Die Rahmenbedingungen an den Schulen haben sich so verschlechtert, dass die Eltern immer mehr Bildung zukaufen müssen. Das heißt, es muss immer mehr von Nachhilfe Gebrauch gemacht werden.

Man braucht immer mehr Übungshefte, immer mehr Unterrichtsmaterialien, damit zu Hause das nachgelernt werden kann, was an den Schulen infolge der schlechten Versorgung mit Lehrern leider nicht geleistet werden kann. Auch hier könnte ein wichtiger, guter Beitrag zur Stärkung der Familien geleistet werden.

(Widerspruch des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

­ Herr Nöth, ich weiß nicht, wo Sie leben. Ich kenne Familien, die sich die Nachhilfe leisten, und Familien, die sie sich nicht leisten können. Aber leider ist der Bildungserfolg heute auch von Nachhilfestunden abhängig.

All das zeigt auch, dass arme Kinder nicht von sich aus bildungsarm sind, sondern bildungsarm gemacht werden.

Deswegen können wir etwas dagegen tun.

Damit die Schule Schutzfaktor gegen Kinderarmut sein kann, muss die Bildungspolitik, müssen aber auch die Schulen vor Ort sofort und konsequent Maßnahmen ergreifen. Ich nenne Ihnen einige. Eine Maßnahme habe ich schon genannt. Das ist der Ausbau der echten Ganztagsschule. Weiter nenne ich den Ausbau einer kostenfreien vorschulischen Bildung, die Schaffung kleinerer Klassen, mehr individuelle Förderung, auch den Verzicht auf Selektion, ebenso ein positives Klassenklima, welches Diskriminierungen ausschließt.

Natürlich brauchen wir auch soziale Netzwerke in den Schulen. Ich denke an Netzwerke, die nicht nur Kinder, sondern auch Familien unterstützen.

Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, das mit Bildung nur indirekt zu tun hat.

Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal Gelegenheit hatten, Kinder zu beobachten, die in einer Klasse sitzen und sich nicht zucken.