Hartz IV passgenau weiterentwickeln, weitere Verschlechterungen verhindern

Der Landtag wolle beschließen:

I. Die Landesregierung wird aufgefordert, alles Notwendige zu veranlassen, um monatlich die Daten über die Häufigkeit der Beratungskontakte, die der Vermittlungen in beschäftigungspolitische Maßnahmen sowie die der Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt von Langzeitarbeitslosen in den mit der Hartz-IV-Umsetzung befassten Optionskommunen und den Arbeitsgemeinschaften (unter anderem im Internet) zu veröffentlichen.

II. Der Landtag stellt fest:

1. Das Ziel der Arbeitsmarktreformen - insbesondere von Hartz IV war es, die Zugangschancen von Langzeitarbeitslosen zum ersten Arbeitsmarkt durch umfangreiche Betreuung, passgenaue Hilfsangebote und eine effektive Vermittlung zu verbessern. Dieses Ziel muss auch ein Jahr nach Beginn der "Hartz IV"- Gesetzgebung verbindliche Leitlinie der Arbeitsmarktpolitik bleiben. Eine Rückkehr zu Transfersystemen, die auf Aktivierung verzichten und durch den Versuch der Lebensstandardsicherung Arbeitslosigkeit zementieren, statt sie zu überwinden, würde demgegenüber einen Rückschritt bedeuten.

2. Das jetzt beschlossene Fortentwicklungsgesetz konterkariert die Bemühungen, alles zu unternehmen, um langzeitarbeitslosen Menschen umfangreiche Hilfe zu bieten, um sie wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Schon die im Optimierungsgesetz Anfang 2006 beschlossenen und nun die darüber hinaus gehenden über 50 Leistungsbeschränkungen im "Fortentwicklungsgesetz" führen zu weiteren Ungerechtigkeiten. Für Herbst 2006 hat die Bundesregierung weitere Verschärfungen in der Hartz-Gesetzgebung angekündigt. Diese Beschlüsse und Ankündigungen verschärfen die Sorgen und schmälern damit die Akzeptanz der Arbeitsmarktreformen. So weckt zum Beispiel die beschlossene Absenkung des Rentenbeitrages für Erwerbslose bei den Betroffenen noch größere Ängste vor Altersarmut.

3. Die im Zusammenhang mit den Leistungseinschränkungen von der Großen Koalition forcierte Missbrauchsdebatte hat zusätzlich zu einer Stigmatisierung von Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfängern geführt. Der Zweck der kurzfristigen Mitteleinsparung darf nicht das Ziel in den Hintergrund drängen, Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren und Brücken in Erwerbstätigkeit zu bauen.

4. Die Träger des SGB II müssen die Hilfeempfängerinnen und Hilfeempfänger besser als bisher umfassend unterstützen, passgenaue und qualifizierte Beratung für Notlagen und soziale Probleme anbieten, den Weg in den Arbeitsmarkt durch Qualifizierung, Vermittlung und Fördermaßnahmen ebnen und Hilfebedürftigkeit präventiv verhindern. Mit einer qualifizierten Hilfeplanung und dem Vorrang von Qualifizierung und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsgelegenheiten vor Ein-Euro-Jobs muss Beschäftigungsfähigkeit hergestellt.

Zur Behandlung im Plenum vorgesehen die Überwindung von individuelle Problemlagen unterstützt werden.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, im Bundesrat eine Bundesratsinitiative einzuleiten mit folgenden Anforderungen und Zielsetzungen:

1. Das ALG II muss so ausgestaltet werden, dass es dem sozialstaatlichen Gebot der Deckung des Existenzminimums für alle Menschen Rechnung trägt.

a) Dafür muss eine generelle Überprüfung der Regelleistung im SGB II und im SGB XII auf Grundlage der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2003 für Gesamtdeutschland die Regelleistung in einem transparenten Verfahren im Diskurs mit den Wohlfahrtsverbänden angepasst werden.

b) Die mit der Gesundheitsreform 2004 gesetzlich vorgegebenen Zuzahlungen und Leistungsausschlüsse müssen nachvollziehbar in der Regelleistung berücksichtigt werden.

c) Durch eine gesetzliche Regelung muss sichergestellt werden, dass atypische Bedarfe nach dem Vorbild des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch im SGB II berücksichtigt werden können. Dies betrifft unter anderem eine eindeutige Regelung zur Finanzierung der Babyerstausstattung im SGB II, hier muss die notwendige Unterstützung für junge Familien sichergestellt werden.

2. Zur Verringerung der finanziellen Abhängigkeit in Partnerschaften ist eine stärkere Entkoppelung des Hilfebezugs vom Partnereinkommen erforderlich. In eheähnlichen Gemeinschaften dürfen Lebensgefährten nicht gezwungen werden, ihr Einkommen für den Bedarf der Kinder der Partner einzusetzen, wenn es nicht die gemeinsamen sind.

3. Erwerbslose, die aufgrund der Anrechnung von Partnereinkommen kein ALG II bekommen, müssen an allen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilhaben können, um ihre Rückkehr in die Erwerbstätigkeit unabhängig vom Leistungsbezug zu fördern und Hilfebedürftigkeit präventiv zu vermeiden.

4. Altersvorsorgevermögen muss umfassender geschützt werden, um eine verlässliche Lebensplanung zu ermöglichen. Dafür muss das Konzept des Altersvorsorgekontos eingeführt werden, das nicht mehr zwischen unterschiedlichen Vorsorgearten unterscheidet und so angelegtes Vorsorgevermögen von der Anrechnung ganz freistellt.

5. Begleitende soziale Hilfen müssen von den Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden. So muss beispielsweise Schuldenberatung auch für diejenigen Leistungsempfänger gewährt werden, die aufgrund von Kindererziehung oder der Pflege Angehöriger nicht unmittelbar dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

6. Für ältere Arbeitslose müssen gezielte Vermittlungsaktivitäten und Qualifizierungen zur Verfügung gestellt werden, die an die Berufserfahrungen der Betreffenden anknüpfen und auf den Arbeitskräftebedarf von Betrieben ausgerichtet sind. Sie müssen die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeiten von Älteren bis zum Eintritt der Rente verbessern.

7. Geduldeten Ausländerinnen und Ausländern muss Zugang zu Leistungen zur Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt nach dem SGB II eingeräumt werden. Asylsuchende und Geduldete während des ersten Jahres ihres Aufenthalts (absolute Sperrfrist gem. §§ 61 AsylVfG, 10

BeschVerfV) und Geduldete bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 BeschVerV sind bisher von der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Es ist integrationspolitisch sinnvoll und verfassungsrechtlich erforderlich, zumindest Ausländerinnen und Ausländern mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder seit langer Zeit Geduldeten Zugang zu Leistungen zur Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt nach dem SGB II einzuräumen.

8. Für Auszubildende muss in Zukunft in Härtefällen die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II möglich sein. Insbesondere in Großstädten mit hohen Lebenshaltungskosten führt die jetzige Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II, die nur Hilfen als Darlehen vorsieht, oftmals zu Überschuldung und Abbruch der Ausbildung.

9. Das Zustimmungserfordernis des kommunalen Trägers für alle Umzüge von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre, das mit dem SGB II Änderungsgesetz eingefügt wurde, ist zu restriktiv und bedeutet einen Rückschritt für junge Erwachsene. Sie dürfen bei Hilfebedürftigkeit nicht wieder auf ihr Elternhaus zurückverwiesen werden.

10. Ehrenamtliche Tätigkeiten und bürgerschaftliches Engagement dürfen keinen Leistungsausschluss rechtfertigen. SGB-II-Leistungsbezieher müssen sich freiwillig engagieren können, ohne ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu verlieren oder anderweitig von Leistungen des SGB II ausgeschlossen zu werden.

11. Die Träger des SGB II müssen ihre Verantwortung vor Ort in Zukunft vollständig wahrnehmen und ihren Aufgaben ungehindert nachgehen können. Vielfältige Lösungen, die den individuellen und regionalen Besonderheiten gerecht werden, müssen den Vorrang vor bundeseinheitlichen Standardlösungen haben. Dafür müssen dezentrale Handlungsspielräume erweitert und gestärkt werden. Die so genannte Umsetzungsverantwortung der Bundesagentur für Arbeit darf nicht zum zentralistischen Zwangskorsett für die Arbeitsgemeinschaften werden.

12. Die im Bereich des SGB II zum Einsatz kommende Software A2LL muss so schnell wie möglich überarbeitet oder ersetzt werden, um den Trägern des SGB II eine vollfunktionsfähige Software zur Verfügung stellen zu können, die den Anforderungen an eine schnelle und transparente Antragsbearbeitung, zuverlässige Leistungsauszahlung, Flexibilität in der Anpassung, bundesweite Vernetzung und an den Datenschutz gerecht wird.