Bombendrohung

Nach Presseberichten waren die beiden Hauptbegründungen für die Aktion eine Bombendrohung vom Nachmittag des gleichen Tages sowie die Vermutung massiver Störungen durch Demonstranten während der Sitzung. Das Hausrecht übten der Stadtverordnetenvorsteher Dieter Gail (CDU) sowie der Bürgermeister Heinz-Peter Haumann (CDU) aus.

Bereits während der anschließenden öffentlichen Diskussion wurden Zweifel an einer konkreten Bombendrohung, wie sie von Bürgermeister Haumann verkündet wurde, laut. Anders war und ist die Nicht-Räumung der Dienstgebäude Berliner Platz 1 und 3 nach Eingang der "Bombendrohung" nicht zu erklären.

Inzwischen hat Bürgermeister Haumann öffentlich eingeräumt, dass es keine konkrete Bombendrohung gegeben hat und die Öffentlichkeit durch den Bürgermeister falsch informiert wurde.

Darüber hinaus wurde eine Reihe von Maßnahmen (Hausdurchsuchung in der so genannten Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen, Feststellung von Personalien im Seltersweg), die im Vorfeld oder während weiterer Protestaktionen gegen einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Gießen stattgefunden haben, durch das Amtsgericht Gießen als rechtswidrig eingestuft.

Vorbemerkung des Ministers des Innern und für Sport:

Der amtierende Magistrat der Stadt Gießen hat sich im Rahmen seiner politischen Tätigkeit dem Ziel zu einem Mehr an "Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit" verschrieben.

In diesem Zusammenhang wurde Mitte des Jahres 2002 der Entwurf einer Gefahrenabwehrverordnung für die Stadt Gießen vorgestellt, deren Verabschiedung auf der Tagesordnung der Stadtverordnetensitzung am 12. Dezember 2002 stand.

Die Gefahrenabwehrverordnung wurde im Vorfeld der terminierten Stadtverordnetensitzung in der Öffentlichkeit und in den Medien kontrovers diskutiert. Politisch Andersdenkende, insbesondere aus dem linksautonomen Bereich, machten mit anonymen Flugblattaktionen, Farbschmierereien und Internetveröffentlichungen bereits seit mehreren Wochen Front gegen die geplante Verabschiedung und Einführung dieser Verordnung.

Am gleichen Tag der Stadtverordnetensitzung, am 12. Dezember 2002, hatte der Juso-Unterbezirk Gießen für 17.00 Uhr am Stadthaus, in unmittelbarer Nähe zum Stadtverordnetensitzungssaal, zu einer Protestkundgebung aufgerufen.

Noch während der Einlassphase zur Stadtverordnetensitzung wurde die Kundgebung für beendet erklärt und dazu aufgerufen, die öffentliche Sitzung zu besuchen.

Wegen der begrenzten Aufnahmekapazität des Zuschauer- und Zuhörerbereiches im Stadthaus konnte nur einem Teil der Einlassbegehrenden nach durchgeführten Kontrollen durch städtische Bedienstete der Zutritt gewährt werden. Eingelassene sowie abgewiesene Kundgebungsteilnehmer solidarisierten sich daraufhin und versuchten, mit Pfeifen sowie Schlagen und Treten gegen die Glasfronten des Eingangsbereiches auf das Ordnungspersonal der Stadt einzuwirken. Es lag augenscheinlich in ihrer Absicht, einen unkontrollierten Einlass aller Kundgebungsteilnehmer zu bewirken.

Die Lage beruhigte sich, als der Stadtverordnetenvorsteher einer Delegation der Kundgebungsteilnehmer ein Rederecht vor der Stadtverordnetenversammlung einräumte.

Die Gefahrenabwehrverordnung wurde mehrheitlich verabschiedet, jedoch hatten die Fraktionen der SPD, der PDS und der Grünen vor der Abstimmung aus Protest wegen des kontrollierten Zuganges und der Anwesenheit der Polizei den Sitzungssaal verlassen.

In der Vorbemerkung zu dieser Kleinen Anfrage führt Herr Abgeordneter Schäfer-Gümbel aus, dass die Polizei am Rande der Stadtverordnetenversammlung massive Eingangs- und Personenkontrollen durchgeführt habe.

Diese Aussage ist unzutreffend. Richtig ist, dass die Kontrollen der einlassbegehrenden Personen und der von ihnen mitgeführten Gegenstände und Taschen von Bediensteten der Stadt Gießen im Rahmen des Hausrechts eigenverantwortlich durchgeführt wurden.

Die eingesetzten Polizeibeamtinnen und ­beamten hielten sich währenddessen in der Nähe der Eingangstüren auf, um die Verantwortlichen bei der Ausübung ihres Hausrechts unterstützen zu können.

Die Polizei wurde im Vorfeld der Stadtverordnetensitzung präventiv tätig.

U.a. wurden die jedermann zugänglichen Räumlichkeiten und Flure des Stadthauses mit einem Sprengstoffsuchhund abgesucht. Der Einsatz des Sprengstoffsuchhundes erfolgte nach Büroschluss der Stadtverwaltung gegen 16.30 Uhr. Nach polizeilicher Lageeinschätzung - die sich im Nachhinein als zutreffend erwies - musste befürchtet werden, dass es zu massiven Störungen der öffentlichen Stadtverordnetensitzung durch Protestierende kommen könnte. Es lag auf der Hand, dass Gegner der Gefahrenabwehrverordnung der Stadt Gießen alles daran setzen würden, die Gefahrenabwehrverordnung nicht zur Abstimmung gelangen zu lassen. Indiz dafür waren entsprechende Internetaufrufe, in denen zu "kreativen Aktionen" aufgerufen wurde, und die unmittelbar vor Beginn der Stadtverordnetensitzung anberaumte Protestkundgebung. Die Möglichkeit des Eingangs einer anonymen Bombendrohung wurde hierbei als äußerst wahrscheinlich erachtet. Um in einem solchen Fall nicht die Räumung des Gebäudes veranlassen zu müssen, wurden geeignete Vorsorgemaßnahmen (Absuche mit Sprengstoffsuchhund, kontrollierter Zugang) getroffen.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. a) Wie beurteilt die Landesregierung als oberste Kommunalaufsicht das Verhalten von Bürgermeister Hein-Peter Haumann im Umgang mit der "Bombendrohung"?

b) Welche Konsequenzen sind aus der Beurteilung gezogen worden?

Das Regierungspräsidium Gießen nimmt in eigener Zuständigkeit die Aufgaben des Dienstvorgesetzten gegenüber dem Bürgermeister der Stadt Gießen wahr (§ 3 Abs. 1 Kommunale Dienstaufsichtsverordnung). Es hat mit Schreiben vom 8. Juli 2003 berichtet, seine dienstaufsichtsrechtliche Prüfung habe ergeben, dass unter Würdigung aller berücksichtigungsfähigen Gesichtspunkte disziplinarrechtliche Maßnahmen gegenüber dem Bürgermeister entbehrlich seien.

Frage 2. Wann, von wem und mit welchen Gründen wurde die Polizei vor Ort zur "Absicherung" der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Gießen eingeschaltet?

Die Polizei wurde aufgrund eigener Entschließung und nach eigener Lagebeurteilung tätig. Die ersten Informationen hinsichtlich der Gefährdungserkenntnisse und der zu erwartenden Störungen bei der Stadtverordnetensitzung wurden bereits ca. zwei Wochen vor dem Sitzungstermin durch Herrn Polizeioberrat Wiese an Herrn Bürgermeister Haumann, den Leiter des Ordnungsamtes, Herrn Winkler, und den Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Herrn Gail, übermittelt. Bis zum Tag des Sitzungstermins erfolgte ein ständiger Informationsaustausch zwischen Vertretern der Stadt und der Polizei, wobei die notwendigen polizeilichen Einsatzmaßnahmen und die von der Stadt zu ergreifenden Präventivmaßnahmen einvernehmlich abgesprochen wurden.

Darüber hinaus hatten POR Wiese und EKHK Puff Gelegenheit, den Ältestenrat der Stadt Gießen am 3. Dezember 2002 über die der Polizei vorliegenden Informationen und die beabsichtigten polizeilichen Maßnahmen zu unterrichten.

Frage 3. Wie viele Beamtinnen und Beamte waren zur "Absicherung" der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Gießen im Einsatz?

Das polizeiliche Einsatzkonzept und die Kräfteplanung orientierten sich in einsatztaktischer Hinsicht zunächst an der angemeldeten Protestkundgebung des Juso-Unterbezirkes Gießen am Stadthaus unterhalb des Stadtverordnetensitzungssaals, zu der bis zu 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedener politischer Gruppierungen erwartet wurden. Tatsächlich nahmen an der Kundgebung ca. 250 Personen teil.

Während dieser Einsatzphase wurde ein Teil der Kräfte am Rande der Kundgebung und in unmittelbarer Nähe zum Eingangsbereich des Stadtverordnetensitzungssaals platziert, um die Bediensteten der Stadt bei ihren Kontrollmaßnahmen zur beginnenden Stadtverordnetensitzung im Rahmen des Hausrechts unterstützen zu können.

Weitere Einsatzkräfte wurden in einem Sitzungszimmer im Stadthaus als Reserve vorgehalten, um diese zeitgerecht bei Bedarf an die Kundgebung heranführen zu können.

Insgesamt kamen rund 80 Beamtinnen und Beamte zum Einsatz.

Frage 4. a) Wie hoch belaufen sich die Kosten für diesen Einsatz?

Wie sich aus der Antwort zu Frage 3 bereits ergibt, kann eine klare Trennung der Einsatzanlässe nicht vorgenommen werden. Daher können die Kosten des Einsatzes im Zusammenhang mit der eigentlichen Stadtverordnetensitzung nicht eindeutig beziffert werden.

b) Wer trägt die Kosten für einen Polizeieinsatz, der unter Vorspiegelung wahrheitswidriger Umstände initiiert wurde?

Nr. 5322 des Verwaltungskostenverzeichnisses zur Verwaltungskostenordnung für meinen Geschäftsbereich (VwKostO-MdI) vom 20. August 2001 (GVBl. I S. 342) sieht für Polizeieinsätze bei missbräuchlicher Alarmierung oder Vortäuschen einer Gefahrenlage oder einer Straftat eine Kostenerhebung vor. Die Kosten (z.B. Personalkosten, Fahrzeugkosten) werden von der nach § 6 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung verantwortlichen Person erhoben.

Im vorliegenden Fall ist der oben angegebene Kostentatbestand jedoch nicht erfüllt, da nach Auskunft des Polizeipräsidiums Mittelhessen der Polizeieinsatz am 12. Dezember 2002 nicht unter Vorspiegelung wahrheitswidriger Umstände initiiert wurde, sondern vielmehr aus dortiger eigener Entschließung und Lagebeurteilung erfolgte.

c) Wer trägt die Kosten beim konkreten Einsatz am 12. Dezember 2002?

Das Land Hessen.

Ein Tatbestand nach der Hessischen Polizeikostenverordnung liegt nicht vor.

Frage 5. a) Wie beurteilt die Landesregierung das Urteil des Amtsgerichts Gießen?

b) Welche Konsequenzen wurden und werden aus diesem Urteil gezogen?

Ein Urteil des Amtsgerichts Gießen, in dem eine Reihe von Maßnahmen (Hausdurchsuchung in der Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen, Feststellung von Personalien im Seltersweg) als rechtswidrig eingestuft wird, die im Vorfeld oder während weiterer Protestaktionen gegen einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Gießen stattgefunden haben, gibt es nicht.

Die Hausdurchsuchung in der Projektwerkstatt Reiskirchen-Saasen erfolgte aufgrund mündlicher Anordnung des Amtsgerichts Gießen vom 10. Januar 2003 und wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 16. Januar 2003 in der Fassung vom 27. Januar 2003 richterlich bestätigt und ergänzt.

Dieser Beschluss des Amtsgerichts Gießen wurde vom Landgericht Gießen am 26. Februar 2003 (Az.: Qs 44/03 ­ 501 Js 881/03 StA Gießen) aufgehoben.

Konsequenzen bedarf es daher nicht.