Untersuchungsgefangenen

Der Vollzug der Untersuchungshaft dient dem Zweck, durch sichere Unterbringung der Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und den in den gesetzlichen Haftgründen zum Ausdruck kommenden Gefahren zu begegnen.

Art. 3

Stellung der Untersuchungsgefangenen:

(1) Die Untersuchungsgefangenen gelten als unschuldig und sind entsprechend zu behandeln.

(2) Annehmlichkeiten und Beschäftigungen dürfen sie sich auf ihre Kosten verschaffen, soweit sie mit dem Zweck der Untersuchungshaft vereinbar sind und nicht die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt stören.

(3) Soweit Bundes- oder Landesrecht eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen den Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung von Anordnungen nach § 119 zur Bekämpfung einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (verfahrenssichernde Anordnungen) unerlässlich sind.

(4) Die Beschränkungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Anordnung stehen und dürfen die Untersuchungsgefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.

(5) Das Verteidigungsinteresse der Untersuchungsgefangenen ist angemessen zu berücksichtigen.

Art. 4

Gestaltung des Vollzugs:

(1) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen, soweit der Zweck der Untersuchungshaft und die Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens in der Anstalt dies zulassen.

Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.

Den Untersuchungsgefangenen sollen Hilfen zur Verbesserung ihrer sozialen Situation angeboten werden, soweit es die besonderen Bedingungen der Untersuchungshaft zulassen.

(3) Die Persönlichkeit der Untersuchungsgefangenen ist zu achten und ihr Ehrgefühl zu schonen.

Art. 5

Trennung des Vollzugs

Die Untersuchungsgefangenen dürfen nicht mit Gefangenen anderer Haftarten in demselben Raum untergebracht werden.

Sie sind auch sonst von Gefangenen anderer Haftarten zu trennen.

Art. 11 Abs. 2 bleibt unberührt.

Ausnahmen sind zulässig, wenn die Untersuchungsgefangenen zustimmen.

Ausnahmen sind ferner jeweils vorübergehend zulässig, wenn dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder anderen dringenden Gründen der Vollzugsorganisation erforderlich ist.

Männliche und weibliche Untersuchungsgefangene sind getrennt voneinander in gesonderten Anstalten oder Abteilungen unterzubringen.

Ausnahmen sind zulässig, um den Untersuchungsgefangenen die Teilnahme an Behandlungsangeboten in einer anderen Anstalt oder einer anderen Abteilung zu ermöglichen.

Art. 6

Zuständigkeit

Die nach diesem Gesetz notwendigen Entscheidungen trifft der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin unter Beachtung der Belange des Strafverfahrens.

Art. 7

Zusammenwirken der beteiligten Stellen:

(1) Der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin hat verfahrenssichernde Anordnungen zu beachten und umzusetzen.

Der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin unterrichtet das Gericht oder die Staatsanwaltschaft über Erkenntnisse oder Maßnahmen, die aus Sicht der Anstalt für das Verfah ren von Bedeutung sein können.

Die beteiligten Stellen arbeiten eng zusammen, um den Zweck des Untersuchungshaftvollzugs zu erfüllen und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt sowie die Wahrung der Rechte der Untersuchungsgefangenen zu gewährleisten.

Teil 3

Vollzugsverlauf Art. 8

Aufnahme in die Anstalt:

(1) Die Untersuchungsgefangenen werden auf Grund eines schriftlichen Aufnahmeersuchens in die nach dem Vollstreckungsplan (Art. 42 Satz 1 dieses Gesetzes in Verbindung mit Art. 174 zuständige Anstalt aufgenommen, soweit das Gericht nicht im Einzelfall eine andere Anstalt bestimmt hat.

Die neu aufgenommenen Untersuchungsgefangenen werden über ihre Rechte und Pflichten in einer für sie verständlichen Form unterrichtet.

Mit ihnen wird ein Zugangsgespräch geführt.

Die Untersuchungsgefangenen werden alsbald ärztlich untersucht.

(3) Beim Aufnahmeverfahren ist das Persönlichkeitsrecht der Untersuchungsgefangenen in besonderem Maße zu wahren.

Art. 9

Verlegung, Überstellung:

(1) Untersuchungsgefangene können in eine andere Anstalt verlegt oder überstellt werden, wenn es aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt, der Vollzugsorganisation oder anderen wichtigen Gründen erforderlich ist.

(2) Art. 67 gilt entsprechend.

Vor einer Verlegung oder Überstellung ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Hiervon kann bei Gefahr im Verzug abgesehen werden; in diesem Fall sind das Gericht und die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten.

Die Verteidigung ist von einer Verlegung oder Überstellung unverzüglich zu unterrichten.

Den Untersuchungsgefangenen ist vor ihrer Verlegung oder Überstellung Gelegenheit zu geben, Angehörige oder eine Vertrauensperson zu benachrichtigen, soweit die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt dadurch nicht gefährdet wird.

Art. 10

Beendigung der Untersuchungshaft:

(1) Auf Anordnung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft gemäß § 120 Abs. 3 Satz 2 entlässt der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin die Untersuchungsgefangenen unverzüglich aus der Haft, es sei denn, es ist in anderer Sache eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung zu vollziehen.

Aus fürsorgerischen Gründen und auf Kosten der Anstalt kann Untersuchungsgefangenen auf Antrag der freiwillige Verbleib in der Anstalt bis zum Vormittag des zweiten auf den Eingang der Entlassungsanordnung folgenden Werktags gestattet werden.

Der freiwillige Verbleib setzt das schriftliche Einverständnis der Untersuchungsgefangenen voraus, dass die bisher bestehenden Beschränkungen bis zur Entlassung aufrechterhalten bleiben.

Ein Widerruf des Antrags darf nicht zur Unzeit erfolgen.

Bei Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe, Sicherungsverwahrung oder Strafarrest, bei denen die Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, sind die Untersuchungsgefangenen mit Rechtskraft des Urteils nach den Vorschriften des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes zu behandeln, soweit sich dies schon vor der Aufnahme zum Strafvollzug durchführen lässt.

Der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin wirkt auf eine umgehende Verlegung in die zuständige Anstalt hin. Satz 1 gilt nicht, wenn auf Grund eines anderen Haftbefehls weiterhin Untersuchungshaft zu vollziehen ist.

(4) Abs. 3 gilt bei rechtskräftiger Anordnung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregel nach § 63 oder § 64 des Strafgesetzbuchs entsprechend.

Teil 4

Gestaltung des Lebens in der Anstalt Art. 11

Unterbringung

Während der Ruhezeit werden die Untersuchungsgefangenen allein in ihren Hafträumen untergebracht.

Mit ihrer Zustimmung können sie mit anderen Untersuchungsgefangenen gemeinsam untergebracht werden.

Auch ohne ihre Zustimmung ist eine vorübergehende gemeinsame Unterbringung zulässig,

1. bei Gefahr für Leben oder Gesundheit oder bei Hilfsbedürftigkeit von Untersuchungsgefangenen oder

2. wenn und solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies zwingend erfordern.

Art. 5 Abs. 1 bleibt unberührt.

(2) Den Untersuchungsgefangenen kann Gelegenheit gegeben werden, sich außerhalb der Ruhezeiten in Gemeinschaft mit anderen Gefangenen, auch anderer Haftarten, aufzuhalten, soweit es die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt gestatten.

(3) Soweit es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert, kann

1. die gemeinschaftliche Unterbringung während der Ruhezeit eingeschränkt oder ausgeschlossen werden,

2. der gemeinschaftliche Aufenthalt außerhalb der Ruhezeit eingeschränkt oder ausgeschlossen werden sowie

3. die Trennung von einzelnen anderen Gefangenen angeordnet werden.

(4) Art. 20 Abs. 3 gilt entsprechend.

Art. 12

Beschäftigung, Bildungsmaßnahmen:

(1) Die Untersuchungsgefangenen sind nicht zur Arbeit oder zu einer sonstigen Beschäftigung verpflichtet.

Ihnen soll auf Verlangen nach Möglichkeit eine wirtschaftlich ergiebige Arbeit angeboten werden, die ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigt.

Untersuchungsgefangenen, die zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig sind, kann eine sonstige geeignete Beschäftigung angeboten werden.

Die Untersuchungsgefangenen können sich auf ihre Kosten innerhalb der Anstalt selbst beschäftigen, soweit die Selbstbeschäftigung nicht die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt beeinträchtigt.

Mit ihrer Zustimmung können Untersuchungsgefangene zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt herangezogen werden.

Üben die Untersuchungsgefangenen eine ihnen angebotene Arbeit, Beschäftigung oder Hilfstätigkeit aus, so erhalten sie ein nach Art. 46 Abs. 2 bis 5 sowie der Verordnung über die Vergütungsstufen des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe nach dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz (Bayerische Strafvollzugsvergütungsverordnung ­ vom 15. Januar 2008 (GVBl S. 25, 312-2-3-J) in der jeweils geltenden Fassung zu bemessendes und bekannt zu gebendes Arbeitsentgelt.

Der Bemessung des Arbeitsentgelts sind 5 v.H. der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zugrunde zu legen (Eckvergütung).

Geeigneten Untersuchungsgefangenen kann Gelegenheit zum Erwerb oder zur Verbesserung schulischer und beruflicher Kenntnisse gegeben werden, soweit es die besonderen Bedingungen der Untersuchungshaft zulassen.

Art. 41 gilt entsprechend.

(5) Art. 39 Abs. 5 und Art. 44 gelten entsprechend.

Art. 13

Freizeit

Den Untersuchungsgefangenen ist Gelegenheit zu geben, sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen.

Insbesondere sollen Sportmöglichkeiten, Freizeitgruppen, Gemeinschaftsveranstaltungen, Veranstaltungen zur Weiterbildung und die Benutzung einer Anstaltsbücherei angeboten werden.

Dieses Recht kann eingeschränkt oder aufgehoben werden, soweit die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet ist.

Die Untersuchungsgefangenen dürfen durch Vermittlung der Anstalt auf eigene Kosten in angemessenem Umfang Zeitungen und Zeitschriften beziehen.

Ausgeschlossen sind Zeitungen und Zeitschriften, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist.

Einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeitschriften können den Untersuchungsgefangenen vorenthalten werden, wenn sie die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden.

Die Untersuchungsgefangenen dürfen durch Vermittlung der Anstalt auf eigene Kosten im Haftraum ein eigenes Hörfunk- und Fernsehgerät unter Rücksichtnahme auf die Belange der Mitgefangenen betreiben.

Der Hörfunk- und Fernsehempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen Untersuchungsgefangenen untersagt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerlässlich ist.

Die Untersuchungsgefangenen dürfen durch Vermittlung der Anstalt in angemessenem Umfang Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung besitzen.

Dieses Recht kann eingeschränkt oder aufgehoben werden, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands

1. mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre oder

2. die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde.

(5) Art. 73 gilt entsprechend.

Art. 14

Lebenshaltung

Die Untersuchungsgefangenen dürfen eigene Kleidung und Wäsche tragen sowie eigenes Bettzeug benutzen, soweit sie auf eigene Kosten für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel sorgen.

Hierzu dürfen für die Untersuchungsgefangenen Kleidung, Wäsche und Bettzeug in der Anstalt abgegeben und dort abgeholt werden.

Der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin kann anordnen, dass Reinigung und Instandsetzung nur durch Vermittlung der Anstalt erfolgen dürfen.

(2) Die Untersuchungsgefangenen dürfen ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten, die ihnen mit Zustimmung oder auf Vermittlung der Anstalt überlassen worden sind.

Sie dürfen durch Vermittlung der Anstalt regelmäßig Nahrungs- und Genussmittel sowie andere Gegenstände des persönlichen Bedarfs in angemessenem Umfang kaufen.

Die Anstalt soll für ein Einkaufsangebot sorgen, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen Rücksicht nimmt.

Die Untersuchungsgefangenen dürfen sich in angemessener Weise auf eigene Kosten durch Vermittlung der Anstalt selbst verpflegen.

Die Verpflegung darf nur von Speise- oder Gastwirtschaften bezogen werden, die der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin bestimmt.

(5) Soweit es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert, können

1. die Rechte aus Abs. 1 ausgeschlossen oder eingeschränkt und

2. die in Abs. 2, 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 genannten Rechte eingeschränkt werden.

(6) Art. 24 Abs. 2 Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.