Lehrerin mit familiärer Erbbelastung wurde Verbeamtung verweigert

Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat am 24. Juni 2004 der Klage einer angestellten 36-jährigen Lehrerin auf Einstellung als Beamtin auf Probe stattgegeben. Das Staatliche Schulamt für den Landkreis Offenbach und die Stadt Offenbach am Main hatten eine Verbeamtung der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, dass die nach dem Beamtengesetz erforderliche gesundheitliche Eignung fehle. Es gäbe begründeten Zweifel, ob die Lehrerin bis zur Erreichung der Altersgrenze dienstfähig bleibe. Die Lehrerin hatte auf Befragen der Amtsärztin eine familiäre Belastung durch die Erbkrankheit Chorea Huntington angegeben.

Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Wird die Landesregierung dieses Urteil akzeptieren und auf weitere Rechtsmittel verzichten?

Falls nein, warum nicht?

Die Lehrkraft wurde zwischenzeitlich in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen. Das Land Hessen hat kein Rechtsmittel eingelegt.

Frage 2. Wie beurteilt die Landesregierung insbesondere die Tatsache, dass praktisch jeder Mensch an einem bekannten oder auch noch nicht erforschten genetischen Risiko leidet? Der Wissenschaft sind mehrere Tausend veränderte Gene bekannt, die vererbt werden und Krankheiten verursachen können.

Es handelt sich hierbei um eine allgemeine wissenschaftliche Erkenntnis, die keiner Bewertung bedarf.

Frage 3. Sieht die Landesregierung vor diesem Hintergrund Klärungsbedarf in der Frage, inwieweit genetische Vorbelastungen ein Hinderungsgrund für Verbeamtung bzw. Einstellung als Angestellter/Angestellte sein könnten?

Nein. In keinem Fall wurden Gentests im Rahmen von Einstellungsverfahren für den öffentlichen Dienst durchgeführt oder veranlasst. Auch für die Zukunft ist die Durchführung von Gentests nicht geplant. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen.

Frage 4. Wie ist die Landesregierung in der Vergangenheit mit Beamtenbewerberinnen und -bewerbern verfahren, in deren Gesundheitsgutachten ebenfalls auf familiäre Erbbelastungen hingewiesen wurde?

Wie geht sie bei Eingangsuntersuchungen von Angestellten damit um, wenn diese familiär vorbelastet sind?

Gibt es insbesondere weitere Fälle, bei denen aufgrund familiärer Erbbelastungen eine Verbeamtung bzw. die Einstellung als Angestellter verweigert wurde?

Amtsärztliche Gutachten dienen lediglich als Grundlage für beamtenrechtliche Entscheidungen. Zwar werden in der Regel, wenn in einem amtsärztlichen Gutachten die Dienstfähigkeit trotz vorhandener Erkrankung bejaht und eine ungünstige Prognose über den zeitlichen Verlauf der Erkrankung nicht gestellt wird, durchgreifende Bedenken von der Dienstbehörde nicht geltend gemacht werden können. Jedoch entbindet das Vorliegen eines amtsärztlichen Gutachtens die für die beamtenrechtlichen Entscheidungen zuständigen Stellen nicht von einer selbstständigen Entscheidung über die Eignung der Bewerberin oder des Bewerbers.

Wenn Zweifel an der Prognose über die Dienstfähigkeit bestehen, z. B. weil das amtsärztliche Gutachten keine Prognose über die zukünftige Dienstfähigkeit enthält oder die Erkrankung und ihr möglicher Verlauf die Zweifel begründen, ist es geboten, gegebenenfalls durch Einholung weiterer ärztlicher Gutachten die beamtenrechtliche Entscheidung abzusichern. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Insbesondere ist es nicht Sache des amtsärztlichen Dienstes zu entscheiden, ab welchem Grad einer Zukunftsprognose die gesundheitliche Eignung als Tatbestandsmerkmal des § 8 Hessisches Beamtengesetz zu verneinen ist. Diese juristische Beurteilung ist im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auf der Grundlage der medizinischen Feststellungen Aufgabe der zuständigen Dienstbehörden, die dabei der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegt.

In der Frage umschriebene "weitere Fälle" einer Verweigerung der Verbeamtung bzw. Einstellung sind hier nicht bekannt geworden. Eine verlässliche Aussage könnte nur durch eine umfangreiche Abfrage bei den nachgeordneten Behörden erreicht werden.

Frage 5. Falls ja, um wie viele Fälle und um welche Arten familiärer Erbbelastungen handelte es sich hierbei jeweils?

Wie hoch wird bezüglich dieser Erbkrankheiten von Fachleuten die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung eingeschätzt?

Auf die Antwort auf Frage 4 wird verwiesen.

Frage 6. Gibt es bei den Staatlichen Schulämtern eine einheitliche Praxis des Umgangs mit Bewerbungen von Personen, die durch familiäre Erbkrankheiten belastet sind?

Frage 7. Welcher Art sind im Rahmen gesundheitlicher Eignungsprüfungen die Anweisungen an die Amtsärzte bezüglich der Feststellung familiärer Erbkrankheiten und wie lauten diese konkret (gegebenenfalls differenzieren nach Eingangsuntersuchungen für Angestellte, Eignungsuntersuchungen für Beamtenbewerberinnen und -bewerber etc.)?

Frage 8. Wird von allen Amtsärzten regelmäßig bei allen Eignungsuntersuchungen die familiäre Gesundheitsbelastung erfragt?

Frage 9. Gibt es bei den Amtsärzten eine einheitliche Praxis des Umgangs mit Erkenntnissen aus der amtsärztlichen Untersuchung, die sich auf familiäre Erbbelastungen beziehen (insbesondere: Verwertung beim Gesundheitsgutachten, das an das Staatliche Schulamt weitergeleitet wird)? Oder wird hier unterschiedlich verfahren, sodass Angestellte bzw. Beamtenbewerberinnen und -bewerber, je nachdem, welcher Amtsarzt die Untersuchung durchführt, beim Vorliegen einer Vorbelastung unterschiedliche Konsequenzen zu erwarten haben?

Frage 10. Sind die Bewerberinnen und Bewerber verpflichtet, bei der amtsärztlichen Untersuchung nicht nur Fragen zum eigenen Gesundheitszustand, sondern auch Fragen zur familiären Gesundheitsbelastung vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten, und falls ja, auf welcher rechtlichen Grundlage?

Frage 11. Wie beurteilt die Landesregierung die Feststellung der Landesvorsitzenden des Verbandes der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens, dass nicht deutlich geregelt sei, inwieweit die Amtsärzte die familiäre Anamnese abfragen dürfen? Deren Ergebnisse fließen mit in die gesundheitliche Beurteilung ein, die dann zur Entscheidung an das Staatliche Schulamt weitergeleitert wird.

Frage 12. Ist eine Konkretisierung dieser Regelungen geplant und falls ja, mit welchem Ziel, welchen Maßnahmen und in welchem zeitlichen Rahmen?

Der vom Hessischen Sozialministerium überarbeitete Erlass zur Ärztlichen Begutachtung in Personalangelegenheiten des Öffentlichen Dienstes ist im Staatsanzeiger vom 27. Oktober 2003 - geringfügige Änderungen im Staatsanzeiger vom 16. Februar 2004 - veröffentlicht. Danach ist die Durchführung von Einstellungsuntersuchungen im Öffentlichen Dienst Dienstaufgabe der Gesundheitsämter, wenn die Durchführung durch den Amtsarzt gesetzlich vorgeschrieben ist oder in besonderen Fällen verlangt wird.

Durch die Einstellungsuntersuchung soll die Frage beantwortet werden, ob der Gesundheitszustand des Bewerbers eine Dienstausübung bis zum vorgesehenen Dienstende erwarten lässt.

Der in der Anlage befindliche Musteranamnesebogen dient der Dokumentation der Untersuchung (Anlage 1). Zu einer solchen Untersuchung gehört die Anamnese-Erhebung, d.h. Fragen nach der gesundheitlichen Vorgeschichte des Bewerbers und nach den bekannten Erkrankungen in der Familie (siehe Anlage 1). Dabei können genetisch bedingte vererbbare Erkrankungen zur Sprache kommen. Sollte es sich dabei um eine Erkrankung han deln, bei der ein Risiko besteht, dass die genetische Konstellation auf den Bewerber vererbt wurde, ohne dass die Krankheit bisher ausgebrochen ist, muss der Amtsarzt das Risiko für die zukünftige Dienstausübung des Bewerbers bewerten und übermitteln. Über die Einstellung oder Nichteinstellung entscheidet der jeweilige Arbeitgeber.

Im Übrigen wird auf die Anlagen 1, 2 und 3 verwiesen.

Wiesbaden, 18. Oktober 2004

Karin Wolff Anlagen 1 und 2

Das Gesundheitsamt verwendet für die Dokumentation der ärztlichen Untersuchung und Begutachtung sowie die Ausstellung des amtsärztlichen Gesundheitszeugnisses die Vordrucke nach den Mustern der Anlagen 1 und 2 zu § 18 a der DVO zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens.

Erlass des Hessischen Sozialministeriums betr. Ärztliche Begutachtung in Personalangelegenheiten des Öffentlichen Dienstes, Staatsanzeiger für das Land Hessen, 27. Oktober 2003.