Einheitliche Vollzugskonzeption im hessischen Jugendvollzug

Im Mai 2004 hat der Justizminister ein neues Konzept für den Jugendstrafvollzug vorgestellt, mit dem er die Rückfallquote junger Straftäter verringern will. Dabei sollen die Haftanstalten Wiesbaden und Rockenberg ein einheitliches, gemeinsames Angebot zur Aufarbeitung der kriminalitätsauslösenden bzw. -aufrechterhaltenden Wahrnehmungs-, Verarbeitungs-, und Verhaltensdispositionen junger Gefangener entwickeln und vorhalten.

Diese Vorbemerkung des Fragestellers vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Wie viele Gefangene wurden in die Jugendstrafe in Rockenberg und Wiesbaden seit Mai 2004 eingewiesen und wie viele Förderpläne wurden seitdem durch die paritätisch besetzte Einweisungskonferenz beschlossen?

Vom 1. Mai 2004 bis 1. Dezember 2004 hatte die Justizvollzugsanstalt Rockenberg 105 Zugänge zur Strafhaft und die Justizvollzugsanstalt Wiesbaden 97.

Die gemeinsame Einweisungskommission tagt seit dem 1. September 2004.

Bis zum heutigen Zeitpunkt wurden 37 Förderpläne durch die gemeinsame Einweisungskommission beschlossen.

Frage 2. Auf welche Parameter einer einheitlichen Zugangsdiagnostik haben sich die Leiter der beiden hessischen Jugendanstalten für die zukünftig einheitliche Zugangsdiagnostik verständigt?

Die unter Nr. 5 des ihnen vorliegenden Vollzugskonzepts angeführten und ausführlich dargelegten 14 Parameter werden von beiden Anstalten beachtet und durch unterschiedliche Diagnoseverfahren erreicht: Justizvollzugsanstalt Rockenberg: RODIMA (Rockenberger Diagnosemanual) und Justizvollzugsanstalt Wiesbaden: MIVEA (Methode der idealtypisch vergleichenden Einzelfallanalyse).

Frage 3. Wie wird seit Mai 2004 das gemeinsame und einheitliche Angebot der beiden Haftanstalten zur Aufarbeitung kriminalitätsauslösender bzw. kriminalitätsaufrechterhaltender Dispositionen junger Gefangener entwickelt und vorgehalten und was unterscheidet die Angebote beider Haftanstalten grundsätzlich voneinander?

Das gemeinsame und einheitliche Angebot der beiden Haftanstalten zur Aufarbeitung kriminalitätsauslösender bzw. kriminalitätsaufrechterhaltender Dispositionen ist in gemeinsamen Besprechungen beider Jugendanstalten entwickelt worden. Die Entwicklung der Angebote ist verbunden mit den Zugangserhebungen bezüglich der kriminogenen Faktoren.

Seit Mai 2004 werden aufgrund gemeinsamer Absprachen die derzeit vorhandenen Behandlungs-, Schul- und Ausbildungsangebote in einer Anstalt für die jeweils andere Anstalt vorgehalten.

Grundsätzliche Unterschiede im Bildungsbereich: Justizvollzugsanstalt Rockenberg:

- Schwerpunkt Metallausbildung (Vollausbildung, Schweißerkurs),

- Kfz-Werkstatt (Vollausbildung),

- Maurerwerkstatt (Vollausbildung),

- Maler- und Lackierer (Vollausbildung),

- Kochausbildung (Vollausbildung). Justizvollzugsanstalt Wiesbaden:

- Schwerpunkt Holzausbildung (Vollausbildung, Teilqualifikation und Qualifizierungsbausteine),

- Fachkraft im Gaststättengewerbe (Qualifizierungsbausteine, Teilqualifikationen und Prüfung zur Fachkraft),

- Elektrovollausbildung sowie Teilqualifikation und Qualifizierungsbausteine,

- Lagerfachkraft (Qualifizierungsbausteine, Teilqualifikation und Abschluss als Fachkraft),

- Garten- und Landschaftsbau (Teilqualifikation),

- Gebäudereiniger (Fachkraft, Teilqualifikation und Qualifizierungsbausteine). Grundsätzliche Unterschiede im Behandlungsangebot: Justizvollzugsanstalt Rockenberg:

- Anti-Aggressivitäts-Training (AAT),

- Tai-Chi Förderkurse,

- Sonderprogramm für Jugendliche von 14 bis 16 Jahren - Vollzugspatenprogramm.

Justizvollzugsanstalt Wiesbaden:

- Medienpädagogische Arbeit (Forschungsprojekt der Gesamthochschule Kassel, das im Jahre 2005 mit Kräften aus der Gesamthochschule Kassel fortgesetzt werden wird),

- Anti-Gewalttraining (zwei Sozialarbeiterinnen der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden sind als Anti-Gewalttrainerinnen zertifiziert),

- Norm-Akzeptanztraining (durchgeführt von dem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter Rechtsanwalt Schallert sowie Mitarbeitern des Lehrstuhls von Prof. Dr. Dr. Bock, Universität Mainz),

- vielgestaltige Angebote aus dem Binnendifferenzierungskonzept vor Ort,

- ehrenamtliche Mitarbeiter und Künstler mit besonderen Angeboten werden in die Arbeit der Anstalt einbezogen.

Frage 4. Welche Bereiche gehören zu denjenigen, die nach den Aussagen des Konzepts zur elementaren Förderung der jungen Gefangenen in beiden Haftanstalten erhalten werden müssen?

Es geht darum, möglichst viele Bildungs- und Behandlungsangebote in jeder Anstalt aufrechtzuerhalten, nur unnötige Dopplungen sind zu meiden. So gilt der Grundsatz, dass bei den wichtigen Ausbildungsgängen wie Holz, Metall, Maler sowie Berufsfindungslehrgängen und Elementarunterrichten in beiden Anstalten auf jeden Fall Grundkenntnisse an Gefangene zu vermitteln sind.

Auch die oben beschriebenen sozialen Trainings kommen für die meisten Gefangenen als sinnvolle Angebote in Betracht.

Die Angebote werden in einem kontinuierlichen Prozess ergänzt und erweitert.

Frage 5. Wie ist das einheitliche Angebot der beiden Haftanstalten bisher angewandt worden und welche Ergebnisse können mitgeteilt werden?

In der gemeinsamen Einweisungskommission wird auf die vorgenannten Aspekte entsprechend Rücksicht genommen. Unter Abweichung vom Vollstreckungsplan sind bisher drei Gefangene, die formal in der Justizvollzugsanstalt Rockenberg unterzubringen wären, der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden zugewiesen worden.

Frage 6. Welche quantitativen und qualitativen Kriterien wurden zur verbesserten Erfassung des emotionalen, schulischen und beruflichen Förderbedarfs entwickelt und in welcher Weise wurde die verbesserte Erfassung des emotionalen, schulischen und beruflichen Förderbedarfs umgesetzt?

Auf die Antwort zu Frage 2 wird Bezug genommen. Sie wird wie folgt ergänzt:

Jede Zugangsdiagnostik enthält Aussagen zur Persönlichkeitsentwicklung, zum Leistungsbereich, zum Freizeitverhalten und besonderen Neigungen und Fähigkeiten, zum Suchtmittelgebrauch, zum Delinquenzbereich und zur

Lebensorientierung. Diese Bereiche bilden sich entsprechend in den Vorschlägen zu den Behandlungsmaßnahmen bzw. im Förderplan ab.

Justizvollzugsanstalt Rockenberg:

Der Bedarf bei jedem Zugang wird aufgrund des angewandten Diagnosemanuals festgestellt und in die Förderplanung mit einbezogen.

Justizvollzugsanstalt Wiesbaden:

Seit zwei Jahren wird in der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden ein Forschungsprojekt mit dem Titel "Neue Wege der Berufsausbildung für junge Migranten - Verbesserung der Wiedereingliederungschancen junger Strafgefangener" durchgeführt. Hierbei wurde deutlich, dass die Erkenntnisse aus diesem Forschungsprojekt allgemein auf die Gefangenenarbeit zu übertragen sind. Dies sind im Wesentlichen drei Schwerpunkte:

a) Alle neu aufgenommenen Gefangenen werden im handwerklichmotorischen Bereich getestet (Hamet). Durch ein spezifisches InterviewVerfahren werden so genannte soziale Kompetenzen diagnostisch erfasst.

Das diagnostische Verfahren MIVEA (Methode der idealtypisch vergleichenden Einzelfallanalyse) kommt insbesondere bei längerstrafigen Gefangenen zum Einsatz (ca. 20 bis 30 v.H. der Zugangsgefangenen).

b) Die Erkenntnisse aus der Diagnostik sind insbesondere im beruflichen Bereich durch die Entwicklung von so genannten Qualifizierungsbausteinen und Teilqualifikationen zur Umsetzung gelangt.

c) In einer dritten Stufe wird derzeit die Konzeption eines neuen und möglichst effektiven Übergangsmanagements entwickelt.

Aufgrund der Entwicklung in der Diagnostik und der Fortentwicklung der Ausbildungsplanung (Qualifizierungsbausteine und Teilqualifikationen) wurde im Laufe der letzten Jahre eine Erfolg versprechende Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Verein Jugendberatung und Jugendhilfe, einem der großen Träger im Bereich der Suchthilfe, entwickelt. So ist beabsichtigt, dass auch im Suchtbereich das MIVEA-Verfahren Anwendung findet und soweit Datenschutzbestimmungen nicht entgegenstehen - ein Informationsaustausch über diagnostische Erkenntnisse erfolgt. Ebenso ist die Übertragung der hier entwickelten Qualifizierungsbausteine in Therapieeinrichtungen, die vergleichbare Ausbildungsgänge aufweisen, angedacht.

Im Rahmen der Fortentwicklung des Ausbildungsbereichs hat sich die Justizvollzugsanstalt Wiesbaden in ein Forschungsprojekt zum so genannten Weiterbildungspass eingebunden. Einem Teil der Gefangenen, aber auch Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden, ist dieser Pass ausgehändigt worden. Die Mitarbeiter sind in diesem Bereich fortgebildet worden.

Aus der Diagnostik heraus wurde ferner ein qualitativ hochwertiger Beurteilungs- und Beobachtungsbogen entwickelt, der praktisch von allen Berufsgruppen, die in die Behandlung des Gefangenen eingebunden sind, verwendet wird.

Durch die Erkenntnisse der Diagnostik ist es möglich, die zum Vollzugsplan dazugehörigen Zielvereinbarungen mit dem Gefangenen präziser und passgenauer zu formulieren.

Frage 7. Welcher emotionale, soziale, schulische und berufliche Förderbedarf bezogen auf die Anzahl der Zugänge in die Jugendstrafe seit Mai 2004 wurde erfasst?

Eine konkrete statistische Erfassung des emotionalen, sozialen, schulischen und beruflichen Förderbedarfs wurde bisher nicht vorgenommen und ist auch künftig nicht beabsichtigt.

Folgende Bereiche werden jedoch im Zugang, bei der Förderplanung und während der Vollzugszeit intensiv beobachtet: Bereich Erziehung: Erfasst werden Auffälligkeiten, die über das Maß üblicher Erziehungsschwierigkeiten deutlich hinausgehen: früh auftretende Verhaltensauffälligkeiten wie häufiges Weglaufen von Zuhause, Herumstreunen, Familiendiebstähle, aggressive Verhaltensweisen bereits im Grundschulalter. Die zugrunde liegende Problematik reicht von erlittener Misshandlung und entsprechenden Traumata über ein nicht erkanntes oder nicht erfolgreich behandeltes Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom bis hin zu Auffälligkeiten aufgrund mangelnder oder inkonsistenter Erziehung.