Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)

Vorbemerkung der Fragesteller:

Nicht nur Gerichte, Behörden, Ärzte, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen, sondern auch zunehmend die breite Öffentlichkeit beschäftigen sich mit der Abschiebung von psychisch traumatisierten Flüchtlingen aus Hessen.

Die Krankheitsbilder von traumabedingten psychischen Störungen, Diagnoseschemata und Traumafolgestörungen sind heute gut erforscht und können entsprechend eingeordnet werden. Allerdings wird die Frage nach dem Stellenwert und der Bedeutung von ärztlichen Gutachten und die Qualifizierung von Gutachterinnen und Gutachtern kontrovers diskutiert.

Fraglich ist auch - so sieht es im Übrigen auch die Bundesärztekammer -, ob Verantwortliche den Betroffenen gerecht werden, wenn lediglich die Flugtauglichkeit begutachtet wird und dann unter Begleitung eines Arztes und der Mitnahme entsprechender Medikamente in das Land abgeschoben wird, in dem diese Menschen ihre traumatisierenden Erlebnisse durchleben mussten.

Auch die hessischen Wohlfahrtsverbände sowie Diakonie und Caritas haben sich in einem Positionspapier mit der Thematik Trauma und Abschiebung befasst.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Aufgrund der Rechtslage ist es nicht vermeidbar, in Fällen, in denen ausreisepflichtige Ausländer nicht freiwillig ausreisen, Abschiebungen auch dann zu vollziehen, wenn die Betroffenen physisch oder psychisch erkrankt sind und ärztlicherseits die Flugtauglichkeit durch Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung bejaht wird. In der Regel muss und wird in solchen Fällen eine ärztliche Begleitung zum Schutz des Betroffenen erfolgen und gegebenenfalls ein Vorrat benötigter Medikamente mitgegeben. Falls Veranlassung dazu besteht, werden auch die Heimatbehörden informiert und um Inempfangnahme gebeten.

Grundlage dieser alle Beteiligten belastenden Verfahrensweise, die durch eine freiwillige Ausreise natürlich jederzeit abgewendet werden könnte, ist

§ 49 AuslG, künftig § 58 AufenthG, wonach die Ausländerbehörden zur Durchsetzung der Ausreisepflicht mittels Abschiebung verpflichtet sind.

Von dieser Verpflichtung können die Ausländerbehörden nur dann absehen, wenn entweder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis oder ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorliegt. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich aus einer im Zielstaat drohenden konkreten und erheblichen Gefahr für Leib und Leben z. B. deshalb ergeben, weil es im Heimatland an einer Behandlungsmöglichkeit fehlt. Allein ein schlechteres Niveau des dortigen Gesundheitssystems als in Deutschland führt aber nicht zu solch einem Abschiebungshindernis.

Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis liegt dagegen vor, wenn durch den Abschiebungsvorgang selbst eine konkrete und erhebliche Gesundheitsgefährdung bis zur Ankunft im Zielstaat droht. Ein solches Vollstreckungshindernis kann sich beispielsweise aus einer Flugreiseuntauglichkeit ergeben. Eine Reiseuntauglichkeit infolge einer Erkrankung steht in der Regel, allerdings grundsätzlich nur vorübergehend, dem Vollzug der Abschiebung entgegen, wenn ein Flugtransport wegen aktuell bestehender Erkrankung nicht ohne das beachtliche Risiko von erheblichen gesundheitlichen Schäden durchgeführt werden kann.

Seitdem im Herbst des Jahres 2000 die Rückführungen in den Kosovo begonnen haben und im Herbst des Jahres 2001 die Rückführungen nach Serbien und Montenegro wieder aufgenommen wurden, ist zu beobachten, dass

- mit stark zunehmender Tendenz - von Rückzuführenden psychische Erkrankungen, insbesondere eine PTBS, geltend gemacht wird, um damit die (Flug-)Reisetauglichkeit infrage zu stellen. Auffällig ist dabei der häufig späte Zeitpunkt dieses Vorbringens. Das Vorliegen einer solchen Erkrankung wird gegenüber der Ausländerbehörde in sehr vielen Fällen erstmals nach Erlass der Abschiebungsandrohung bekannt gegeben.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantwortet der Minister des Innern und für Sport im Einvernehmen mit der Sozialministerin die Große Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:

Frage 1. Wie viele Menschen haben in den letzten fünf Jahren aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen, Folter, politischer Verfolgung usw. in Hessen Asyl beantragt?

In den letzten fünf Jahren haben in Hessen insgesamt 28.641 Personen AsylErstanträge gestellt. Die Zahlen haben sich dabei wie folgt entwickelt:

a) Wie viele von ihnen haben angegeben, mit ein Trauma auslösenden Ereignissen konfrontiert worden zu sein?

Diese Frage kann von der Landesregierung nicht beantwortet werden. Für die Durchführung von Asylverfahren ist eine Bundesbehörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), zuständig. Nach Mitteilung des BAMF ist dort entsprechendes Zahlenmaterial bisher nicht vorhanden. Künftig werden solche Daten insbesondere im Hinblick auf die in § 60 Abs. 1 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote bei der Bearbeitung der Asylverfahren aber erfasst werden.

Auch wenn die Landesregierung die erbetenen Zahlen zurzeit also nicht zur Verfügung stellen kann, hat sie zumindest einen zahlenmäßigen Überblick, in wie vielen Fällen ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer in Hessen angeben, psychisch erkrankt - meist posttraumatisch belastet - und/oder suizidgefährdet zu sein.

Mit Stand 8. November 2004 sind dies 963 Personen. Dabei wird allerdings nicht danach unterschieden, ob es sich um abgelehnte Asylbewerber oder aus sonstigen Gründen um Ausreisepflichtige handelt. Zu dieser Zahl von Geduldeten kommen noch 1.493 Familienangehörige hinzu, die ebenfalls geduldet werden.

b) Bei wie vielen von ihnen entwickelten sich diagnostizierte Traumastörungen?

c) Bei wie vielen wurden posttraumatische Belastungsstörungen durch einen Gutachter festgestellt?

Zu diesen Fragen liegen entsprechende statistische Angaben hier nicht vor und sind mit vertretbarem Aufwand auch nicht zu beschaffen.

Frage 2. Teilt die Landesregierung die Auffassung seriöser wissenschaftlicher Untersuchungen, dass verspätetes Vorbringen einer PTBS nicht ohne weiteres auf fehlende Glaubwürdigkeit schließen lässt, sondern ein solches Verhalten krankheitstypisch ist, und wenn nein, warum nicht?

Vom Grundsatz her wird diese Ansicht geteilt. Wenn man aber bedenkt, dass in der wissenschaftlichen Erforschung des Krankheitsbildes der posttraumatischen Belastungsstörung die Meinung überwiegt, dass in der Regel spätestens sechs Monate nach dem traumatisierenden Ereignis behandlungsbedürftige Symptome auftreten, liegt der Verdacht nahe - und so sehen es auch die Gerichte -, dass verspätetes Vorbringen einer PTBS auch dem Zweck der Aufenthaltsverlängerung dienen kann.

So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht Gießen in einem Beschluss vom Dezember 2003 (17. Dezember 2003, Az: 7G 5673) festgestellt, dass es aus zahlreichen ausländerrechtlichen Verfahren die Erkenntnis gewonnen hat, dass es unter ausreisepflichtigen Ausländern keinesfalls unbekannt sei, dass eine psychische Erkrankung oft schwer fassbar und deshalb besonders geeignet zur Begründung eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG ist. Der erst späte Vortrag der Notwendigkeit einer Behandlung - in diesem Fall nach negativen Eil- und Petitionsverfahren - müsse nicht gewissermaßen naturgemäß mit der Art der Erkrankung zu tun haben, sondern lasse sich auch - anders als in den ärztlichen Stellungnahmen - damit erklären, dass der Antragsteller psychische Probleme als taugliches Instrument für seinen weiteren Aufenthalt erkannt habe.

Frage 3. Werden die Befragungen im Flughafenverfahren von uniformiertem Personal durchgeführt?

a) Wenn ja, teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die Befragung durch uniformierte Personen gerade für Menschen mit PTBS, also für Menschen, die erheblich psychisch erkrankt sind, ein weiteres Angst auslösendes Moment ist und damit die Krankheit weiter verstärkt wird?

b) Wenn nein, warum nicht?

Zuständig für diese Befragungen sind der Bundesgrenzschutz und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über Einzelheiten vor.

Frage 4. Wie hoch war die durchschnittliche Verweildauer von Flüchtlingen in den ihnen zugewiesenen Gemeinschaftsunterkünften?

In Hessen wird zwischen der Unterbringung in Landesobhut (Erstunterbringung zur Aufnahme und Verteilung in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung Gießen, HEAE) und der Unterbringung durch die kommunalen Gebietskörperschaften (Zweitunterbringung) unterschieden.

In der HEAE beträgt die durchschnittliche Verweildauer von Flüchtlingen 34 Kalendertage. In der Außenstelle der HEAE auf dem Flughafen (Unterkunft nach § 18a AsylVfG) beträgt die Unterbringungsdauer durchschnittlich 30 Kalendertage (einschließlich der abgelehnten Asylbewerber, die sich aufgrund einer Freiwilligkeitserklärung bis zu ihrer Rückführung in der Einrichtung aufhalten).

Die durchschnittliche Verweildauer von Flüchtlingen in den ihnen zugewiesenen Gemeinschaftsunterkünften auf kommunaler Ebene kann nur in einem aufwendigen Verfahren ermittelt werden, weil die zur Aufnahme verpflichteten Landkreise und kreisfreien Städte nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten selbst bestimmen, ob Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften oder in Privatwohnungen untergebracht werden. Daher wurde darauf verzichtet.

a) Sieht die Landesregierung einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Aufenthaltes in den Gemeinschaftsunterkünften und der Zahl der Selbsttötungen unter den Flüchtlingen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben mussten?

Nein.

b) Wie hoch war die Zahl der Selbsttötungen unter den Flüchtlingen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben mussten, in den vergangenen fünf Jahren?

Es gab eine Selbsttötung in der Außenstelle der HEAE auf dem Flughafen im Jahre 2000. Über Selbsttötungen von Flüchtlingen, die sich in kommunaler Obhut befunden haben, liegen keine statistischen Angaben vor.

Frage 5. Wie viele Personen haben in den Jahren 1999 bis 2003 einen Antrag auf psychotherapeutische Hilfe gestellt?

a) Wie viele der oben genannten Anträge wurden bewilligt?

b) Wie lange war die durchschnittliche Behandlungsdauer?

Frage 6. Wie viele Fälle von PTBS wurden in den Jahren 1999 bis 2003 bekannt?

Zu den Fragen 5 und 6 liegen bei der Landesregierung keine Erkenntnisse vor.

Frage 7. Wie erfolgt die Begutachtung einer PTBS-Therapieindikation durch den medizinischen Fachdienst der Sozialämter bzw. Gesundheitsämter und in welcher Form erfolgt die Unterstützung bei Beantragung und während der Behandlung (Fahrtkosten, Dolmetscher)?