Weitergabe von Meldedaten durch die Kommunen an Dritte

Vor den Wahlen werden vermutlich wieder eine Reihe von Kommunen Adressdaten - beispielsweise von Erstwähler(n)/-innen ­ an Parteien weitergeben. Hierbei sind die Kommunen an den Gleichheitsgrundsatz gebunden, d. h. wenn Daten an die CSU oder eine andere Partei weitergegeben werden, können sie auch beispielsweise der NPD nicht verwehrt werden. Daneben werden Adressdaten auch an andere Gruppierungen oder Organisationen weitergeben, es sei denn, der Bürger/die Bürgerin hat ausdrücklich erklärt, dass er/sie nicht mit der Weitergabe der Daten einverstanden ist.

Eine Lösung, wonach nur die Daten von Bürger(n)/-innen weitergegeben werden, die ausdrücklich ihre Bereitschaft zur Weitergabe erklärt haben, wäre wünschenswert. Die Gesetzgebungskompetenz ist in dieser Frage im Rahmen der Föderalismusreform aber auf die Bundesebene übergegangen, sodass die bestehenden Landesregelungen nur bis zu einer Neuregelung auf Bundesebene weitergelten. Zu befürchten ist, dass es zu keiner Neuregelung des Bundesmeldegesetzes vor der Bundestagswahl und einer diesbezüglichen Stärkung des Datenschutzes kommt.

Ich stelle folgende Anfrage:

1. Aus welchen Gründen kann eine Gemeinde entscheiden, an keine Partei und keine politische Gruppierung die Adressdaten weiterzugeben? Ab welcher Widerspruchsanzahl wäre es der Gemeinde möglich, die Weitergabe der Adressdaten aus organisatorischen Gründen zu verweigern? Gibt es eine diesbezügliche Empfehlung des Innenministeriums an die Gemeinden?

2. Wird bei Bürgerinnen und Bürgern, die bei ihrer Geburt / als Kinder selbst keine Daten an die Gemeinde gemeldet haben, also auch nicht selbst ihr Nichteinverständnis zur Weitergabe der Daten an Dritte verweigern konnten, bei Erlangung des 18. Lebensjahres automatisch davon ausgegangen, dass ein solcher Widerspruch nicht erteilt worden wäre?

3. Wie steht die Staatsregierung zu der Forderung, nicht automatisch ­ also sofern nichts anderes geregelt ist ­ vom Einverständnis des Bürgers/der Bürgerin auf Datenweitergabe auszugehen, sondern nur dann, wenn der Bürger/die Bürgerin aktiv und bewusst ihr Einverständnis erklärt hat? Wie steht die Staatsregierung zu dem Vor28.04. schlag der Konkretisierungsmöglichkeit, das Weitergaberecht zu präzisieren (beispielsweise die CSU bekommt die Adressdaten, die NPD nicht, Klassentreffenorganisatoren auch, aber andere Private nicht?

4. Ist die Staatsregierung bereit, auf den Bundesgesetzgeber einzuwirken, um die Datenschutzrechte der Bürger durch ein verbessertes Meldeauskunftsgesetz zu stärken?

5. Kann bei einer Weitergabe der Adressdaten aufgrund öffentlichen Interesses ausgeschlossen werden, dass Adressdaten ­ beispielsweise von Senioren ­ an bestimmte Trickbetrüger weitergegeben werden können?

6. Sieht die Staatsregierung bei einer vorsätzlich oder fahrlässig nicht innerhalb der Monatsfrist des Art. 31. Abs. 1 S. 5 erfolgten Löschung einer nach Art. 32 Abs. 1 Meldegesetz erteilten Melderegisterauskunft den Tatbestand des Art. 36 Meldegesetz erfüllt? Falls nein, sieht die Staatsregierung hier Handlungsbedarf?

Vorbemerkung:

Nach Art. 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Meldewesen (Meldegesetz ­ vom 8. Dezember 2006 (GVBl S. 990) können Dritte von den Meldebehörden Auskunft über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschrift einzelner bestimmter Einwohner verlangen (sog. einfache Melderegisterauskünfte). Zum allgemeinen Zweck der in allen Meldegesetzen der Länder bestehenden Melderegisterauskünfte hat das Bundesverwaltungsgericht zuletzt in seinem Urteil vom 21. Juni 2006 (Az. 6 C 05.05) festgestellt, dass sich der Einzelne nicht ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann, sondern erreichbar bleiben und es hinnehmen muss, dass andere ­ auch mit staatlicher Hilfe ­ mit ihm Kontakt aufnehmen. Was die im Recht auf informationelle Selbstbestimmung angelegte Interessenabwägung anbelangt, ist das vom Gesetz [hier: das mit dem übereinstimmende Hamburger MG] unterstellte Informationsbedürfnis hinsichtlich der Basisdaten Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschrift grundsätzlich ein überwiegendes, die Grundrechtseinschränkung rechtfertigendes Allgemeininteresse, falls nicht die [...] Voraussetzungen einer Auskunftssperre gegeben sind und soweit nicht eine ergänzende Abwägung nach Maßgabe des § 6 MRRG (§ 6 im Einzelfall oder in einer Gruppe von Einzelfällen etwas anderes ergibt.

Bei der einfachen Melderegisterauskunft muss die anfragende Person stets mindestens folgende Angaben zu der gesuchten Person geben können: Vor- und Familienname, sowie eine Anschrift, die zu einem früheren Zeitpunkt richtig war.

Nur wenn aufgrund der von der anfragenden Person gelieferten Daten eine eindeutige Identifizierung der gesuchten Person möglich ist, wird auch eine Melderegisterauskunft erteilt. Reichen diese Daten zur Identifizierung einer Person nicht aus, ist es notwendig, weitere Daten, in der Regel das Geburtsdatum ebenfalls der Meldebehörde zu nennen, um die eindeutige Identifizierung zu ermöglichen. Ist keine eindeutige Identifizierung möglich, wird die Melderegisterauskunft abgelehnt.

Die Meldebehörden haben darüber hinaus bestehende Auskunftssperren zu beachten. Nach Art. 31 Abs. 7 Satz 1 darf eine Melderegisterauskunft nicht erteilt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass dem Betroffenen oder einer anderen Person durch die Auskunftserteilung eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann. Das Vorliegen einer Gefährdung muss vom Betroffenen bei der Meldebehörde glaubhaft gemacht werden, es sei denn, die Auskunftssperre ist von Amts wegen einzutragen. Dabei ist von der Meldebehörde ein strenger Maßstab anzulegen und ggf. eine Überprüfung der Angaben in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei zu veranlassen.

Liegt eine Auskunftssperre nach Art. 31 Abs. 7 vor, dürfen keine elektronischen Melderegisterauskünfte nach Art. 31 erteilt werden. Schriftliche Melderegisterauskünfte sind im Einzelfall dann möglich, wenn nach Anhörung des Betroffenen eine Gefahr ausgeschlossen werden kann.

Darüber hinaus haben Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, jederzeit und ohne Angabe von Gründen, in folgenden Fällen durch einen einfachen, form- und voraussetzungslosen Widerspruch eine Weitergabe ihrer Daten an Private zu verhindern:

­ Melderegisterauskünfte über Alters- und Ehejubiläen an Parteien, Wählergruppen, Mitglieder parlamentarischer Vertretungskörperschaften und Bewerber für diese, sowie Presse und Rundfunk nach Art. 32 Abs. 2

­ Melderegisterauskünfte im Zusammenhang mit Wahlen an Parteien, Wählergruppen und andere Träger von Wahlvorschlägen nach Art. 32 Abs. 1

­ Melderegisterauskünfte an Adressbuchverlage nach Art. 32 Abs. 3

­ Melderegisterauskünfte über das Internet nach Art. 31 Abs. 3

­ Melderegisterauskünfte, wenn diese erkennbar für Zwecke der Direktwerbung begehrt werden nach Art. 7 (vgl. Urteil des vom 21. Juni 2006, Az. 6 C 05.05).

Gruppenauskünfte im Zusammenhang mit allgemeinen Wahlen und Abstimmungen - Nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 dürfen die Meldebehörden an Parteien, Wählergruppen und andere Träger von Wahlvorschlägen im Zusammenhang mit allgemeinen Wahlen und Abstimmungen auf staatlicher oder kommunaler Ebene in den sechs der Stimmabgabe vorausgehenden Monaten Auskunft über Gruppen von Wahlberechtigten erteilen, für deren Zusammensetzung das Lebensalter der Betroffenen bestimmend ist. Der Gesetzgeber hat in Art. 32 Abs. 1 Satz 1 abschließend festgelegt, dass die Meldebehörden immer nur Auskunft über Gruppen von Wahlberechtigten erteilen dürfen. Damit sind vor allem Jung- und Erstwähler oder Senioren gemeint. Auskünfte über mehrere Gruppen sind zulässig, soweit dies nicht dazu führt, dass letztlich doch Auskunft über alle Wahlberechtigten erlangt wird. Die Wahlberechtigten sind rechtzeitig vor Wahlen auf ihr Recht, der Datenweitergabe zu widersprechen, durch öffentliche Bekanntmachung hinzuweisen (Art.

32 Abs. 1 Satz 4 Der Empfänger der Meldedaten hat die Daten spätestens einen Monat nach der Wahl oder der Abstimmung zu löschen, vgl. Art. 31 Abs. 1 Satz 5

Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu 1.: Satz 1 Über die Herausgabe von Wählerdaten an Parteien und Wählergruppen nach Art. 32 Abs. 1 entscheidet die jeweilige Meldebehörde nach pflichtgemäßem Ermessen.

Entscheidet sie sich für die Herausgabe von Daten, darf sie die Wähleradressen nur Parteien verweigern, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sind, oder Wählergruppen, gegen die eine Verbotsverfügung nach dem Vereinsrecht ergangen ist.

Satz 2 Die Zahl der Widersprüche gegen die Datenweitergabe hat keinen Einfluss auf die Erteilung bzw. Ablehnung einer Gruppenauskunft nach Art. 32 Abs. 1 Die Meldebehörden haben lediglich sicherzustellen, dass keine Daten über Personen weitergegeben werden, die einer Datenweitergabe widersprochen haben.

Satz 3 Da die Zahl der Widersprüche keinen Einfluss hat, gibt es auch keine Empfehlung des Staatsministeriums des Innern hierzu.

Zu 2.: Die Wahlberechtigten werden auf ihr Widerspruchsrecht nicht nur bei der Anmeldung (also im Falle eines Umzugs), sondern gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 4 jeweils rechtzeitig auch durch entsprechende Bekanntmachung im Staatsanzeiger bzw. Allgemeinen Ministerialblatt und einen entsprechenden Hinweis auf der Internetseite des Staatsministeriums des Innern (vgl. z. B. für die Bundestagswahl 2009

http://www.stmi.bayern.de/presse/archiv/2009/18.php) aufmerksam gemacht.

Zu 3.: Satz 1 Die vom Bundesverwaltungsgericht in dem bereits zitierten Urteil vom 21. Juni 2006 genannte ratio legis, dass sich der

Einzelne nicht ohne triftigen Grund seiner Umwelt gänzlich entziehen kann, sondern erreichbar bleiben und es hinnehmen muss, dass andere ­ auch mit staatlicher Hilfe ­ mit ihm Kontakt aufnehmen, gilt aus Sicht des Staatsministeriums des Innern umso mehr, wenn es um die Weitergabe von Meldedaten an politische Parteien, Wählergruppen und andere Träger von Wahlvorschlägen im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen (!) geht. Die Weitergabe der Daten durch die Meldebehörden trägt auch zur politischen Willensbildung in der Bevölkerung bei. Bei der sog. Einverständnislösung ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen aus den unterschiedlichsten Gründen (z. B. auch aus Nachlässigkeit) ein Einverständnis nicht vorliegen wird. Dies würde die gezielte Werbung der Parteien deutlich erschweren und hätte möglicherweise auch negative Auswirkungen auf die Wahlbeiteiligung.

Satz 2 Melderegisterauskünfte unterliegen strengen rechtlichen Vorgaben. Wie in der Vorbemerkung ausgeführt wurde, haben die Betroffenen bereits jetzt die Möglichkeit, jederzeit und ohne Angabe von Gründen in bestimmten Fällen eine Weitergabe ihrer Daten durch einen Widerspruch bzw. eine Auskunftssperre zu verhindern. Eine weitere Differenzierung würde darüber hinaus auch die Gefahr eines Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz nach Art. 3 des Grundgesetzes in sich bergen.

Zu 4.: Mit der Föderalismusreform ist die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz im Melderecht auf den Bund übergegangen. Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Erlass eines Bundesmeldegesetzes wird sich die Bayerische Staatsregierung auch für hinreichende datenschutzrechtliche Regelungen einsetzen, die den Vorgaben des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügen.

Zu 5.: Nach Art. 31 Abs. 5 darf eine Melderegisterauskunft über eine Vielzahl namentlich nicht benannter Einwohner (Gruppenauskunft) nur dann erteilt werden, soweit sie im öffentlichen Interesse liegt. Im öffentlichen Interesse liegende Gruppenauskünfte müssen Belange der Allgemeinheit betreffen und dürfen nicht nur im Interesse von Einzelnen liegen. Das öffentliche Interesse wird z. B. dann angenommen, wenn die Daten für die wissenschaftliche Forschung benötigt werden. Rein kommerzielle und wirtschaftliche Interessen rechtfertigen nicht die Annahme eines öffentlichen Interesses. Gruppenauskünfte bedürfen der Zustimmung durch die Regierung.

Zusätzlich ist für Personen, die nach Art. 25 Abs. 1 (z. B. Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen) meldepflichtig sind, durch die entsprechende gesetzliche Regelung sichergestellt, dass sie vor der Erteilung von einfachen Melderegisterauskünften zu hören sind (Art. 25 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Art. 22 Abs. 3 Satz 6

Zu 6.: Nach Art. 32 Abs. 1 Satz 5 sind die an eine Partei, Wählergruppe oder andere Träger von Wahlvorschlägen im Zusammenhang mit allgemeinen Wahlen und Abstimmungen übermittelten Daten spätestens einen Monat nach der Wahl oder Abstimmung zu löschen. Nach Art. 32 Abs. 4 gilt die Zweckbindung des Art. 31 Abs. 6 entsprechend, sodass die Meldedaten nur im Zusammenhang mit den Wahlen und Abstimmungen verwendet werden dürfen, zu denen sie übermittelt wurden. Ein Verstoß hiergegen erfüllt den Tatbestand des Art. 36 Nr. 2 wonach mit Geldbuße belegt werden kann, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Art. 31 Abs. 6 Daten für einen anderen Zweck verwendet. Die Unterlassung der Löschung dagegen erfüllt aus Sicht des Staatsministeriums des Innern noch nicht den Tatbestand des Art. 36 Vor dem Hintergrund der gleichwohl bestehenden Sanktionierung bei zweckwidriger Verwendung wird ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht gesehen.