Wir brauchen jede und jeden ­ Schritte zur Berufsausbildung für alle: Altbewerberinnen bzw. Altbewerber und Übergangssystem

Ich frage die Staatsregierung:

1. Wie hoch war jeweils die Zahl der Altbewerber/-innen in Bayern in den Jahren seit 1995 und über welchen Schulabschluss verfügten die Altbewerber/-innen jeweils? (Bitte jedes Jahr einzeln und aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Migrationshintergrund und Regierungsbezirken angeben.)

2. Welche Maßnahmen existieren, um die Zahl der Altbewerber/-innen zu verringern und wie viele Altbewerber/ -innen wurden aufgrund dieser Maßnahmen in ein Ausbildungsverhältnis vermittelt?

3. Welche Teilqualifizierungen mit der Möglichkeit der Anrechnung auf eine spätere Ausbildung gibt es in Bayern und in welchem Maß werden sie in Anspruch genommen?

4. Viele Altbewerber/-innen überbrücken ihre Zeit bis zu einer Berufsausbildung im sog. Übergangssystem. Wie werden diese Übergangsangebote evaluiert, welche Kriterien fließen in die Evaluation ein, wie hoch sind jeweils die Ausgaben für diese Übergangsangebote (bitte aufgeschlüsselt nach den Anteilen der EU, des Bundes, der Länder, der Kommunen und der Bundesanstalt für Arbeit) und welche Ergebnisse bringen die Evaluationssysteme jeweils?

Die Schriftliche Anfrage der Frau Abgeordneten Tolle beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus wie folgt:

Zu 1.: Die absolute Zahl der Altbewerber/-innen wird in keiner Statistik erfasst. Bekannt ist die Zahl der bei den Arbeits05. 11. 2009

agenturen in Bayern gemeldeten Altbewerber/-innen. Die Entwicklung dieser Zahl ist aus beigefügter Anlage 1 ersichtlich. Danach hat sich der Anteil von 34,2% im Jahr 1995 kontinuierlich auf 44,6% im Jahr 2007 erhöht und ist im Jahr 2008 wieder auf 42,2% gesunken. Für 2009 rechnen wir mit einem weiteren Rückgang des Anteils der Altbewerber/-innen unter den Jugendlichen.

Daten zum Schulabschluss der Altbewerber/-innen liegen nur in einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit seit den Berufsberatungsjahren 2005/06 vor und sind in den Anlagen 2 a bis 2 c ersichtlich.

Daten zu den gemeldeten Altbewerber(n)/-innen nach Geschlecht liegen nur für die Berufsberatungsjahre ab 2004/05 vor und sind ersichtlich aus den Anlagen 2 a bis 2 c, sowie 3.

Danach ist der Anteil an männlichen Altbewerbern an allen gemeldeten Altbewerber/innen am Ende des Berufsberatungsjahres 2007/08 mit 53% deutlich höher als der Anteil der weiblichen Altbewerber(n)/-innen an allen gemeldeten Altbewerber(n)/-innen.

Die gemeldeten Altbewerber/-innen in einer regionalen Gliederung nach Arbeitsagenturbezirken bzw. Regierungsbezirken liegen in einer Sonderauswertung nur für die Jahre ab 2005 vor und sind ersichtlich aus den Anlagen 2 a bis 2 c sowie 4.

Weitere Daten für den angefragten Zeitraum seit 1995 und den gewünschten Untergliederungen nach Geschlecht und Regierungsbezirken liegen nicht vor. Das Merkmal Migrationshintergrund wird statistisch bei den gemeldeten Bewerbern nicht erfasst. Alternativ sind Sonderauswertungen ab dem Berufsberatungsjahr 2005/06 für das Kriterium Ausländer aus den Anlagen 2 a bis 2 c ersichtlich.

Zu 2.: Jugendliche, die im Schulentlassjahr keinen Ausbildungsplatz finden, haben sehr unterschiedliche Biografien und Ausgangslagen. Entsprechend differenziert sind die angebotenen Maßnahmen.

Seitens der Arbeitsverwaltung wurden folgende Maßnahmen genannt, die allerdings auch Bewerbern/-innen der aktuellen Schulentlassjahrgänge offenstehen:

· Nachvermittlungsaktionen der Berufsberatung in Zusammenarbeit mit den Kammern.

· Mögliche Einzelmaßnahmen: Gruppeninformation, Einzelberatung, Einstiegsqualifizierung (EQ), berufsvorbereitende Maßnahmen ausbildungsbegleitende Hilfen Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen

Wie viele Altbewerber/-innen aufgrund dieser Maßnahmen in ein Ausbildungsverhältnis vermittelt wurden, wird bei der Arbeitsverwaltung nicht gesondert erhoben.

Einen Einblick geben die Anlagen 5 a und 5 b aus den Berufsberatungsjahren 2006/07 und 2007/08 in den Spalten dar. Bewerber mit Schulentlassjahr... und früher (Altbewerber) und deren Einmündung in eine geförderte Berufsausbildung oder in eine Fördermaßnahme. So mündeten zuletzt von den 39.937 gemeldeten Altbewerbern 5.984 in eine geförderte Berufsausbildung und 2.504 in eine Fördermaßnahme, sowie 16.557 in eine ungeförderte Berufsausbildung.

· Zuschuss für Arbeitgeber für zusätzliche Ausbildungsplätze besonders förderungsbedürftiger Auszubildender (Ausbildungsbonus nach § 421 r SGB III seit 2008). Damit sollen bevorzugt Altbewerber/innen (Bewerber, die bereits im Vorjahr oder früher die allgemeinbildende Schule verlassen haben und sich bereits für das Vorjahr bzw. für die beiden vorhergehenden Jahre und früher vergeblich um eine Ausbildungsstelle bemüht haben) unterstützt werden.

Nach Stand August 2009 gab es in Bayern 2.261 Jugendliche, für die ein Ausbildungsbonus gewährt wurde. Eine Auswertung nach Altbewerbern ist nicht möglich. Deshalb enthält die Anlage 6 auch die sonstigen Lernbeeinträchtigten oder sozial benachteiligten Jugendlichen, für die ein Ausbildungsbonus gewährt wurde.

Um die Ausbildungschancen Jugendlicher zu verbessern, führt die Bayerische Staatsregierung seit dem Jahr 2004 das Programm Fit for Work durch. Im Rahmen dieses Programms unterstützte das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen in den Jahren 2004 bis 2007 aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds konkret auch den Übergang von Altbewerber(n)/-innen in eine berufliche Ausbildung. Zuschüsse wurden gewährt, um für Altbewerber/-innen zusätzliche betriebliche Ausbildungsstellen in Bayern zu besetzen. Antragsberechtigt waren Klein- und Mittelbetriebe, die einen zusätzlichen Ausbildungsplatz mit einem/einer Altbewerber/-in besetzt hatten.

Seit 2008 hat der Bund im SGB III (§ 421 r) die Förderung der Altbewerber/-innen neu aufgenommen. Da eine Doppelförderung mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds unzulässig ist, ist seit 2008 nach den Richtlinien des Programms Fit for Work die Förderung von Altbewerbern/Altbewerberinnen nicht mehr möglich.

Nach dem Programm Fit for Work wurden von 2004 bis einschließlich 2007 über 14.200 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. In der Erfassung der Daten wurde nicht zwischen Altbewerbern/Altbewerberinnen und aktuellen Schulabgängern/Schulabgängerinnen unterschieden. Nach Stichproben dürften jedoch zwischen ca. 2/3 und 3/4 der Ausbildungsplätze an Altbewerber/-innen gegangen sein. So wurden nach den Richtlinien 2007 Zuschüsse für 2.398 zusätzliche Ausbildungsplätze bewilligt, mit der Richtlinie 2008 konnten nach Ausschluss der Altbewerber/-innen wegen der Regelungen nach § 421 r SGB III lediglich noch 599 Anträge positiv verbeschieden werden.

Daneben wurden Präventivmaßnahmen ergriffen: Nachdem Altbewerber/-innen überproportional keinen oder höchstens einen Hauptschulabschluss haben, wurde bereits im Vorfeld ein Schwerpunkt der Förderung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze auf Jugendliche mit höchstens einem Hauptschulabschluss aus dem jeweils aktuellen Schulentlassjahr gelegt. So konnte und kann verhindert werden, dass der Status des Altbewerbers/der Altbewerberin erst entsteht. In diesem Zusammenhang sind auch die seit 2001 bestehenden Förderrichtlinien für Praxisklassenabgänger sowie die seit 1997 in verschiedenen Jahren erlassenen Fahrkosten- und Mobilitätshilferichtlinien zu sehen. Zusätzlich werden seit 1997 Ausbildungsplatzakquisiteure aus Mitteln des Arbeitsmarktfonds (AMF) finanziell unterstützt. Derzeit suchen 19

Akquisiteure nach Ausbildungsstellen. Die 8 weiteren Ausbildungsakquisiteure werben bei Jugendlichen und deren Eltern mit Migrationshintergrund für eine Ausbildung im dualen System. Zu den Maßnahmen zählen auch Projekte, die im Rahmen des AMF für benachteiligte Jugendliche ­ auch Altbewerber/-innen ­ und für Jugendliche aus Problemregionen aus Mitteln des AMF finanziell gefördert werden.

Zu 3.: Das bayerische Handwerk verweist darauf, dass dort keine Teilqualifizierungsmöglichkeiten angeboten werden. Aus dortiger Sicht werden ausschließlich beruflich handlungskompetente Gesellen benötigt. Darunter werden im bayerischen Handwerk Personen verstanden, die individuelle Befähigungen zum selbstständigen Planen, Durchführen und Kontrollieren der Berufsarbeit erworben haben. Diese Kompetenzen werden nach dortiger Sicht ausschließlich durch ein am Berufsprinzip ausgerichtetes Berufsbildungssystem erworben, das u. a. auf einer gesamten regulären Berufsausbildung beruht und mit einer ganzheitlichen öffentlich-rechtlichen Prüfung abschließt. Teilqualifizierungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Für bestimmte Personengruppen besteht jedoch z. B. im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung (EQ) die Chance eines leichteren Einstiegs in eine Ausbildung mit der Möglichkeit einer Anrechnung auf die Ausbildung. Aus Handwerkssicht muss der Erwerb der beruflichen Handlungskompetenz jedoch durch eine komplette Abschlussprüfung nachgewiesen werden.

Auch die bayerischen Industrie- und Handelskammern bemerken dazu, dass es dort ebenfalls keine Teilqualifizierungen mit Abschlussprüfungen nach dem Berufsbildungsgesetz gibt.

Für die Zielgruppe der Altbewerber/-innen sowie für Jugendliche mit individuellen Vermittlungshemmnissen werden auch dort als wirksames Instrument das von der Arbeitsverwaltung finanziell unterstützte Instrument der EQ sowie die 2-jährigen Ausbildungsberufe gesehen. Die 2-jährigen Ausbildungsberufe sind so konzipiert, dass nach erfolgreichem Abschluss die Ausbildungszeit auf den darauf aufbauenden 3-jährigen Ausbildungsberuf vollumfänglich angerechnet werden kann. Die Teilnehmer/-innen an einer EQ erhalten im IHK-Bereich im Anschluss vom Unternehmen ein (Wahrnehmungs-)Zeugnis und von der IHK ein Teilnahmezertifikat.

Evaluierungen der EQ-Maßnahmen auf Bundesebene haben gezeigt, dass über 70% der Teilnehmer an solchen Maßnahmen im Anschluss in ein reguläres Ausbildungsverhältnis übernommen werden. Die EQ kann mit bis zu 6 Monaten auf eine Anschlussausbildung angerechnet werden.

Es besteht zwischen den Arbeits- und Wirtschaftsministerien des Bundes und der Länder Einigkeit, dass an der Beruflichkeit der Ausbildung festgehalten werden muss. Teilqualifizierungen, die sehr kostenintensive Fortbildungen ­ wie z. B. in Frankreich ­ nach sich ziehen, werden abgelehnt, da dadurch die flexible Einsetzbarkeit auf dem Arbeitsmarkt erheblich eingeschränkt würde.

Angebote zur Teilqualifizierung finden sich an verschiedenen beruflichen Schularten mit jeweils unterschiedlichen Anrechnungsmöglichkeiten. Das Berufsgrundschuljahr (BGJ/s) wird in mehreren Berufsfeldern an der Berufsschule angeboten und muss laut Rechtsverordnung auf die Ausbildungszeit angerechnet werden. Das Berufseinstiegsjahr kann bei Zustimmung aller Beteiligten auf die Ausbildungsdauer angerechnet werden. Dies gilt ebenso für die einjährige berufliche Grundbildung, die in verschiedenen Berufsfeldern an Berufsfachschulen angeboten wird. Bei den einjährigen Ausbildungsberufen zur Krankenpflegehilfe und Altenpflegehilfe an Berufsfachschulen des Gesundheitswesens handelt es sich um voll- und nicht teilqualifizierende Bildungsgänge, die jedoch unter bestimmten Voraussetzungen (Notendurchschnitt von mindestens 2,0 im Abschlusszeugnis) auf eine anschließende Ausbildung im Bereich der Altenpflege angerechnet werden können. Die Übersicht der Bildungsgänge und die jeweiligen Schülerzahlen sind als Anlage 7 beigefügt. Darüber hinaus besteht für Absolventen der Wirtschaftsschule die Möglichkeit zur Anrechnung, falls sie eine Ausbildung im Berufsfeld Wirtschaft beginnen.

Im Rahmen der Berufsvorbereitung nach Berufsbildungsgesetz wurden Ausbildungsbausteine entwickelt. Diese sind jedoch keine Qualifizierung, sondern eine Vorstufe auf eine Qualifizierung. Außerdem werden diese von den Jugendlichen nicht nachgefragt, da Einstiegsqualifizierungen (EQ) wegen der Vergütung wesentlich attraktiver sind.

Zu 4.: Maßnahmen im sog. Übergangssystem finden im Wesentlichen im schulischen Bereich und bei den Arbeitsagenturen statt. Daneben gibt es in Form von Projekten Hilfen für Jugendliche im Übergang an der 1. Schwelle von der Schule in Ausbildung. Finanziert werden können diese Maßnahmen aus Bundesprogrammen wie z. B. JOBSTARTER, z. T. auch aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.

Zusätzlich können in Bayern aus Mitteln des Arbeitsmarktfonds (AMF) für benachteiligte Jugendliche sowie Jugendliche aus Problemregionen Projekte finanziell unterstützt werden. Dabei können sowohl Projekte konkret für Altbewerber/-innen als auch generell für Jugendliche im Übergang in eine Ausbildung gefördert werden. Als präventive Maßnahme ist auch die Förderung der Ausbildungsplatz- und Ausbildungsakquisiteure aus Mitteln des AMF zu sehen.

Konkrete Maßnahmen auf kommunaler Ebene und deren Finanzierungen, die über eine Einzelaktion wie z. B. Ausbildungsbörsen hinausgehen, sind nicht bekannt.

Für den schulischen Bereich gilt Folgendes:

Die Übergangsangebote der Berufsschule wenden sich an Jugendliche, die unmittelbar nach Abschluss oder Beendigung der allgemeinbildenden Schule ohne Ausbildungsstelle sind und höchstens über einen qualifizierenden Hauptschulabschluss verfügen. Gemäß den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) oder des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gilt diese Gruppe nicht als Altbewerber, da sich diese Jugendlichen noch nicht zu einem früheren Ausbildungsbeginn um eine Ausbildungsstelle beworben haben.

Aus Sicht der Schulstatistik kann nicht unterschieden werden, ob es sich um Altbewerber im Sinne der oben genannten Definition handelt oder um Schulabgänger, denen der direkte Übergang in eine Ausbildung nicht gelingt.

Im Verantwortungsbereich der Berufsschule liegen folgende Übergangsangebote für die o. g. Gruppe:

1. Berufsvorbereitungsjahr/kooperativ (BVJ/k)

2. Berufseinstiegsjahr (BEJ)

3. Berufsintegrationsjahr (BIJ) mit ESF-Förderung

4. Berufsvorbereitungsjahr schulisch (BVJ/s)

5. Klassen für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz

Bei den Maßnahmen 1 bis 3 handelt es sich um sog. kooperative Angebote, bei denen ein Kooperationspartner ergänzend zum Unterricht an der Berufsschule die fachpraktische Unterweisung der Schülerinnen und Schüler übernimmt und für eine sozialpädagogische Betreuung sorgt. Bei den Angeboten 4 und 5 handelt es sich um rein schulische Maßnahmen.

Das BVJ/k wurde im Schuljahr 2002/03 als Reaktion auf einen schwachen Ausbildungsstellenmarkt eingeführt und damals mithilfe von Geldern des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert. Wie auch andere Projekte, die durch den ESF gefördert werden, wurden auch die Maßnahmen des nach bestimmten Kriterien evaluiert. Für die kooperativen Angebote konzentrierten sich diese auf den Wechsel der Jugendlichen noch während des laufenden Schuljahrs bzw. ihren Verbleib im anschließenden Schuljahr. Die beteiligten Schulen verzeichneten den Übergang der Jugendlichen in eine duale Ausbildung, in eine feste Arbeitsstelle, in Wehr-/Zivildienst oder in eine weiterführende Schule. Abhängig von Standort und Maßnahme lag die Übertrittsquote bei rund 50 bis 90 %.

Einige schulische Angebote für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz wurden auch im Rahmen eines im letzten Jahr ausgelaufenen Modellversuchs über einen Zeitraum von drei Jahren von der TU München an acht bayerischen Berufsschulen untersucht.