Tötung von ganzjährig im Freiland gehaltenen Rindern auf der Weide

Ich frage die Staatsregierung:

1. Ist der Staatsregierung bekannt, dass das Einfangen und der Transport von ganzjährig im Freiland gehaltenen Rindern (Angus, Galloway, Hochland etc.) immer wieder zu schwersten Verletzungen bei den Tieren führen (Verstoß gegen das Tierschutzgesetz) und dass dabei auch Menschen zu Schaden kommen können?

2. Schreibt die EU-Hygiene-Verordnung zwingend vor, dass eine Tötung von Schlachtrindern im Schlachthof erfolgen muss, oder gibt es Spielräume, die im bayerischen Vollzug nicht ausgeschöpft wurden?

3. Warum ist die Tötung von ganzjährig im Freiland gehaltenen Rindern auf der Weide mittels Kugelschuss (nach Tierschutzschlachtverordnung) in anderen Bundesländern, zum Beispiel in Baden-Württemberg oder Niedersachsen, nach wie vor erlaubt?

a) Ist die Tierschutzschlachtverordnung in Bayern außer Kraft gesetzt, die für ganzjährig im Freiland gehaltene Rinder den Kugelschuss ausdrücklich vorsieht?

b) Trifft es zu, das bei Vorliegen der Voraussetzungen die Erlaubnis zum Kugelschuss auf der Weide zu erteilen ist und sich daraus ein Rechtsanspruch ergibt?

c) Was hat die Staatsregierung unternommen, um ihre Umsetzung der EU-Hygieneverordnung mit der Tierschutzschlachtverordnung in Einklang zu bringen und entsprechende Ausnahmen zuzulassen?

4. Welche Bedeutung haben die Sachkundeprüfungen, die in Bayern bisher von Personen, die Rinder auf 04. 01. 2010 der Weide getötet haben, verlangt und abgenommen wurden?

a) Wie kann es möglich sein, dass der Kugelschuss auf der Weide von der Staatsregierung zwar bereits seit Januar 2006 untersagt ist, aber noch im März/April 2007 Waffenbesitzkarte sowie Schießerlaubnis nach Ablegen einer entsprechenden Sachkundeprüfung durch das Landratsamt erteilt wurden?

5. Warum ist es in Bayern nicht möglich, ggf. auf Antrag Ausnahmemöglichkeiten zu schaffen, wie es eine Abwägung zwischen den berechtigten Hygieneanforderungen einerseits und dem Tierschutz (Tierschutzschlachtverordnung und Tierschutztransportverordnung) sowie der Vermeidung von Risiken für die Menschen andererseits erfordern würde?

6. Wie könnte eine solche Ausnahmeregelung aussehen, die den Sachkundenachweis einbezieht und sich nur auf ganzjährig im Freiland gehaltene Weiderinder bezieht (entsprechend Tierschutzschlachtverordnung)?

a) Wird eine Möglichkeit gesehen, die Ausnahmeregeln für Bisons, Wasserbüffel und Gehegewild auf ganzjährige Weidetiere zu erweitern?

b) Was spricht ­ außer dem damit verbundenen Stress für die Tiere beim Einfangen ­ gegen eine kleine Lösung, nämlich die Tötung im Fangstand mittels Bolzenschuss durch den Metzger?

7. Welchen Handlungsbedarf sieht die Staatsregierung angesichts der vermehrten Nutzung von ganzjährig im Freiland gehaltenen Rindern in Bayern?

a) Welche Probleme entstehen beim Ausbrechen solcher Rinder, die dann den öffentlichen Straßenverkehr gefährden, und sind der Staatsregierung diese Risiken sowie praktische Erfahrungen bekannt?

Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 08.12. die Schriftliche Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern wie folgt:

Zu 1.: Grundsätzlich ist jedes Einfangen, Verladen und Transportieren von Rindern mit der Gefahr der Verletzung von Tier und Mensch verbunden. Der Staatsregierung ist bekannt, dass es in der Vergangenheit zu Unfällen mit extensiv gehaltenen Rindern kam, auch mit Todesfolge für das Tier, beim Versuch, die Tiere in Fangeinrichtungen zu fixieren. Bisher wurde kein Fall als tierschutzrechtlicher Verstoß, d. h. als schuldhaftes Handeln des Tierbesitzers geahndet.

Zu 2.: Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 schreibt vor, dass in Schlachtanlagen nur lebende Schlachttiere verbracht werden dürfen. Von dieser Vorgabe lässt die Verordnung nur folgende Ausnahmen zu:

· außerhalb des Schlachthofes notgeschlachtete Tiere (Notschlachtung: ein ansonsten gesundes Tier muss einen Unfall erlitten haben),

· im Haltungsbetrieb geschlachtetes Farmwild, Laufvögel sowie Bison und Wisente,

· erlegtes frei lebendes Wild.

Darüber hinaus gelten die Vorschriften der EU-Verordnung nicht für Hausschlachtungen (Schlachtungen zum privaten häuslichen Gebrauch außerhalb gewerblicher Schlachtstätten), sodass hier weiterhin eine Tötung auf der Weide möglich ist.

Die vom EU-Recht vorgesehenen Ausnahmen sowie die Möglichkeit der Hausschlachtung werden im bayerischen Vollzug berücksichtigt.

Zu 3.: Die EU-Verordnung gilt in jedem Mitgliedstaat und ist unmittelbar anzuwenden. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Schlachtung außerhalb eines Schlachthofes sind somit auch in Baden-Württemberg und Niedersachsen die gleichen wie in Bayern.

Zu 3. a):

Die Tierschutzschlachtverordnung ist in Bayern nicht außer Kraft gesetzt. Die Tierschutzschlachtverordnung sieht den Kugelschuss bei Rindern als zulässiges Verfahren für die Nottötung vor. Für die Tötung von Rindern, die ganzjährig im Freien gehalten werden, ist er nur mit Einwilligung der zuständigen Behörde zulässig.

Zu 3. b):

Nach der Tierschutzschlachtverordnung darf das Kugelschussverfahren bei ganzjährig im Freien gehaltenen Rindern und Schweinen nur angewendet werden, wenn die Behörde eine entsprechende Einwilligung erteilt. Diese tierschutzrechtliche Einwilligung ist von der ebenfalls erforderlichen waffenrechtlichen Schießerlaubnis zu trennen und liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Diese trifft ihre Entscheidung im konkreten Einzelfall unter Abwägung aller tierschutzrechtlich relevanten Gesichtspunkte. Es besteht somit nicht automatisch ein Rechtsanspruch auf Erteilung der tierschutzrechtlichen Einwilligung. Lebensmittelrechtlich kann der Kugelschuss auf der Weide bei Rindern nur im Rahmen der Notschlachtung oder im Rahmen einer Hausschlachtung angewendet werden, da ansonsten Rinder zur Schlachtung lebend in die Schlachtanlage gebracht werden müssen (s. Antwort zu Frage 2).

Zu 3. c):

Die Problematik wurde bereits auf einer Bund-Länder-Besprechung am 06. und 07.11.2006 behandelt. Das hat sich des Weiteren mit Schreiben vom 29.12.2006 sowie zusammen mit Thüringen und Baden-Württemberg mit Schreiben vom 07.02.2007 an das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gewandt und gefordert, dass rechtlich wieder eine Möglichkeit geschaffen wird, extensiv gehaltene Rinder auf der Weide ­ auch durch Kugelschuss ­ zu schlachten und anschließend in einen Schlachthof zu bringen. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat diese Forderung aufgegriffen (siehe Nr. 6).

Zu 4.: Ein Sachkundenachweis ist gemäß § 4 der Tierschutzschlachtverordnung erforderlich für das Ruhigstellen, Betäuben und Schlachten von Rindern im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit. Für den Nachweis der Sachkunde kann die zuständige Behörde Prüfungen durchführen, welche theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten umfasst.

Zur Erteilung der Schießerlaubnis nach dem Waffengesetz ist der Nachweis der waffenrechtlichen Sachkunde erforderlich.

Zu 4. a): Lebensmittel-, tierschutz- und waffenrechtliche Bestimmungen sind grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten.

Der Kugelschuss kann aus lebensmittelrechtlicher Sicht bei Notschlachtung und Hausschlachtung weiterhin zur Anwendung kommen. Sofern die Voraussetzungen gegeben sind, kann deshalb auch weiterhin eine Waffenbesitzkarte und eine Schießerlaubnis erteilt werden.

Zu 5.: Die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 sind diesbezüglich abschließend. Über die unter Nr. 2 beschriebenen Ausnahmen hinaus besteht keine weitere Möglichkeit, das Verbringen bereits getöteter Schlachttiere in Schlachtanlagen zu erlauben. Bayern hat hier keine Gesetzgebungskompetenz, muss aber die Vorschriften vollziehen.

Zu 6.: Der Entwurf der Ersten Verordnung zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung des gemeinschaftlichen Lebensmittelhygienerechts sieht folgende Ausnahmeregelung vor: Huftiere der Gattung Rind, die in Mutterkuh- oder ganzjähriger Freilandhaltung oder zur Landschaftspflege gehalten werden, dürfen mit Genehmigung der zuständigen Behörde unter entsprechender Beachtung der Anforderungen nach Anhang III Abschnitt III Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 im Haltungsbetrieb geschlachtet oder zur Gewinnung von Fleisch für den menschlichen Verzehr getötet werden. Fleisch der im Sinne des Satzes 1 geschlachteten oder getöteten Tiere darf abweichend von Anhang III Abschnitt I Kapitel IV Nr. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 für den menschlichen Verzehr verwendet werden. Im Sinne des Satzes 1 geschlachtete oder getötete Tiere dürfen abweichend von Anhang III Abschnitt I Kapitel IV Nr. 2 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 in eine Schlachtanlage verbracht werden.

Der Verordnungsentwurf liegt der EU-Kommission zur Notifizierung vor und kann erst nach Notifizierung erlassen werden. Mit Schreiben vom 16.11.2009 hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mitgeteilt, dass die EU-Kommission zu diesem Punkt eine gemeinschaftliche Regelung treffen wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Ausnahmeregelung nicht notifizert wird. In diesem Fall ist die Änderung des EURechts abzuwarten.

Zu 6. a):

Die EU-Verordnung sieht derzeit eine Ausnahme für das Schlachten am Herkunftsort nur für Farmwild und Bison, nicht jedoch für Wasserbüffel vor. Die EU-Kommission will, nach Mitteilung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, gemeinschaftliche Regelungen zum Kugelschuss auf europäischer Ebene erlassen. Sie hat dabei aber deutlich gemacht, dass sie diesen Punkt nicht im Rahmen der Farmwildregelung lösen will.

Ein Entwurf einer EU-Regelung liegt nicht vor.

Zu 6. b): Grundsätzlich müssen Rinder als Haustiere so betreut werden, dass sie sich ohne erhebliche Stressreaktion einfangen und fixieren lassen. Dies ist allein schon zur Durchführung erforderlicher tierseuchenrechtlicher Untersuchungen oder tiermedizinischer Behandlungen notwendig. Die Anwendung des Bolzenschusses bei fixierten Rindern ist dem Kugelschuss aus Tierschutzsicht vorzuziehen, da die Betäubung sicherer durchzuführen und der Zustand der Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit bis zum Todeseintritt leichter zu überwachen ist.

Das EU-Lebensmittelhygienerecht ermöglicht den Einsatz von zugelassenen mobilen Schlachtanlagen oder einer mobilen Betäubungsfalle. Mobile Betäubungsfallen werden kommerziell hergestellt und vermietet. Mit dieser Einrichtung können Rinder zur Schlachtstätte transportiert und dort in der Betäubungsfalle sicher und ordnungsgemäß betäubt werden.

In einer mobilen Schlachteinrichtung, die rechtlich Teil eines zugelassenen Schlachthofes ist, wird das Tier vor Ort geschlachtet. Anschließend wird es zur weiteren Verarbeitung in den stationären Teil des Schlachthofes transportiert.

Zu 7.: Neben einer adäquaten Regelung auf EU-Ebene oder durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für die Schlachtung von Rindern bestimmter Haltungsformen außerhalb von Schlachtstätten (siehe Nr. 6) ist die Aneignung spezieller Fachkenntnisse durch die Tierhalter, in Bezug auf die besonderen Ansprüche an die Betreuung und den Umgang mit extensiv gehaltenen Rindern, besonders wichtig.

Zu 7. a):

Eine Eingrenzung auf ganzjährig im Freiland gehaltene Rinder ist nicht möglich, da eine solche Unterscheidung im polizeilichen Einsatzgeschehen nicht dokumentiert wird. Es kann nur angegeben werden, in wie vielen Fällen ein Ausbruch von Rindern mit einer einhergehenden Gefahr des Straßenverkehrs polizeilich bekannt wurde.

Im Zeitraum von 01.01.2008 bis November 2009 kam es zu 113 Ausbrüchen von Weidetieren, bei denen die Polizei verständigt wurde.

Es ereigneten sich sieben Unfälle, wobei es zu keinem Personenschaden kam. Drei Tiere wurden dabei getötet bzw. mussten eingeschläfert werden.

Die polizeilichen Maßnahmen beschränken sich bei solchen Ausbrüchen meist auf Sicherungsmaßnahmen des Straßenverkehrs und Verständigungen. In der Regel wird der Besitzer der Rinder, erforderlichenfalls auch ein Tierarzt oder Jagdpächter, durch die Polizei verständigt. In einem Fall musste die Polizei ausgebrochene Rinder nach Zustimmung durch den Besitzer erschießen.

Verkehrssicherungsmaßnahmen wie Beschränkung der Geschwindigkeit oder das Aufstellen von Warnschildern sowie Hilfe beim Absuchen nach verstreunten Tieren werden lagebezogen durchgeführt.