Kennzeichnung von Weiderindern mit (zwei) Ohrmarken

Ich frage die Staatsregierung:

1. Hat die Staatsregierung Kenntnis davon, ob es beim Nachmarkieren gerade von ganzjährig auf der Weide gehaltenen Rindern mittels der vorgeschriebenen Ohrmarken jährlich zu rund 150 schweren und sogar tödlichen Unfällen kommt ­ wenn ja:

a) Wie hoch ist die Zahl der schwer verletzten oder getöteten Menschen und Tiere ­ aufgeschlüsselt auf Jahre und Regionen?

b) Wie bewertet die Staatsregierung die Gefahren aus der Markierung gerade von neugeborenen Kälbern mit Ohrmarken, da Mutterkühe und vor allem der Stier bei Schmerzäußerungen des Kalbes sofort instinktiv angreifen?

c) Da Weiderinder zum Nachmarkieren eingefangen und im Fangstand fixiert werden müssen, wie bewertet die Staatsregierung die damit verbundenen Risiken für Mensch und Tier?

2. Hat die Staatsregierung Kenntnis von den Verletzungen bei Rindern, wenn sie mit den Ohrmarken an Zäunen, Gebüsch, Laufstalleinrichtungen etc. hängen bleiben und sich dabei die Ohrmuscheln ein- und abreißen ­ insbesondere dann, wenn sie mit beiden Ohrmarken hängen bleiben und sich nur gewaltsam befreien können?

a) Trifft es zu, dass heute verwendete Ohrmarken mit neuen Materialien zwar weniger zum Ausreißen führen, aber häufiger brechen und deshalb das problematische Nachmarkieren notwendig wird?

3. Welche Alternativen gibt es zu den Ohrmarken, und warum sind diese nicht zugelassen?

a) Wären Transponder eine Alternative?

b) Welches Ergebnis brachte das IDEA-Projekt der EU zur Erprobung der Transponder für die Rinderkennzeichnung?

4. Ist mit den Ohrmarken ein eindeutiger und fälschungssicherer Herkunftsnachweis zu führen, und wenn ja, wie sind dann die vom Europäischen Rechnungshof geschätzten 2 Prozent der jährlichen Schlachtrinder zu bewerten, die ohne hinreichenden Herkunftsnachweis in den Nahrungsmittelkreislauf gelangen?

5. Warum ist es nicht möglich, ggf. auf Antrag in Bayern Alternativen zuzulassen, wie es eine Abwägung zwischen dem berechtigten Anliegen der gesicherten Herkunft einerseits und der Vermeidung von Verletzungsgefahren für Menschen und Tiere andererseits erfordern würde?

a) Warum werden bei einer Abwägung nicht die Vorteile der Verwendung von unter die Haut injizierten Transpondern gegenüber Ohrmarken berücksichtigt (haben nach ISO-Standard eine einmalige Nummer, fallen kaum aus, gehen selten verloren oder kaputt und machen dadurch Nachmarkierung entbehrlich, sind bei Herstellung in großen Stückzahlen sehr billig und praktisch fälschungssicher)?

b) Welche Schwierigkeiten werden bei der Rückgewinnung der Transponder gesehen?

c) Wären die Transponder ­ einschließlich des beigefügten Strichcodeaufklebers, der auf den Rinderpass übertragen wird ­ nicht auch ein guter Schutz gegen Missbrauch jedweder Art?

6. Wie könnte eine erlaubte Alternative zu den Ohrmarken nach Meinung der Staatsregierung aussehen?

7. Welchen Handlungsbedarf sieht die Staatsregierung angesichts der vermehrten Nutzung von ganzjährig im Freiland gehaltenen Rindern in Bayern?

Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 14.01.

Zu 1.: Dem liegen dazu keine Angaben vor. Eine Anfrage zur Anzahl der jährlichen bei den landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträgern gemeldeten Unfälle konnte durch das zuständige Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Frauen bis dato aufgrund der Kürze der Zeit nicht beantwortet werden.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass zur Vermeidung von Unfällen mit Rindern die Unfallverhütungsvorschriften für die Tierhaltung (VSG 4.1) einzuhalten sind. So ist beim Umgang mit Rindern sicherzustellen, dass Untersuchungen, Impfungen, Probennahmen, Besamungen und andere Behandlungen von Rindern gefahrlos durchführbar sind (§ 6 der VSG 4.1).

Für das Einfangen einzelner Rinder auf der Weide müssen dazu geeignete Einfanghilfen wie z. B. Fangstände zur Verfügung stehen (§ 9 VSG 4.1).

Zu 1. a):

Siehe Antwort zu Frage 1.

Zur Anzahl der ursächlich durch die Nachkennzeichnung zu Tode gekommenen Rinder liegen dem keine Angaben vor.

Zu 1. b):

Von einem erhöhten Risiko ist auszugehen, wenn die technischen Einrichtungen zur Vermeidung von Unfällen beim Umgang mit Weiderindern nicht im erforderlichen Umfang vorhanden sind und die Mensch-Tier-Beziehung nicht ausreichend gepflegt wird. Es entspricht dem artgemäßen Verhalten, wenn eine Kuh ihr Kalb vor allem in den ersten Lebenstagen verteidigt, insbesondere wenn sie eine Gefahr vermutet.

Stiere reagieren gewöhnlich nicht auf Schmerzäußerungen von Kälbern. Sie verteidigen die Herde bzw. schließen sich angreifenden Kühen an. Ursache übersteigerter bzw. unerwünschter Aggressivität kann mangelnde Zuchtauswahl auf friedfertiges Verhalten sowie ein wenig ausgeprägtes Mensch-Tier-Verhältnis sein. Um langfristig das Risiko einer Unfallgefahr beim Umgang mit Rindern zu minimieren, muss einer Verwilderung bei der Weidehaltung entgegengewirkt werden. Der Kontakt eines Kalbes zum Menschen in den ersten Lebenstagen, also in der Prägephase, ist entscheidend für dessen lebenslange Zahmheit. In diesem Sinne ist ein Management der Tierhaltung, das engen Kontakt neugeborener Kälber mit den Tierbetreuern beinhaltet, wichtige Prävention.

Zu 1. c):

Siehe Antwort zu 1., 1. a) und 1. b).

Zu 2.: Gemäß den gesetzlichen Vorgaben müssen Ohrmarken für Rinder aus biegsamen Kunststoff bestehen und so gestaltet sein, dass sie fest mit dem Tier verbunden sind, ohne ihm Schaden zuzufügen. Aufgrund der Größe und der Form der Rinderohrmarken kann es zum Ein- bzw. Ausreißen der Ohrmuscheln kommen, wenn diese Zugkräften ausgesetzt sind.

Die heute verwendeten Kunststoffe sind jedoch so beschaffen, dass ab einer bestimmten Zugkraft die Ohrmarke zerbricht, ohne dass das Tier zu Schaden kommt. Hier erfolgt eine Güterabwägung zugunsten der Tiere.

Zu 2. a):

Siehe Antwort zu 2.

Eine Nachkennzeichnung ist grundsätzlich bei Verlust oder Unleserlichkeit der ursprünglichen Kennzeichnung vorgeschrieben.

Zu 3.: Siehe Antwort zu 3. a).

Nach Gemeinschaftsrecht umfasst das derzeitige System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern, das 1997 eingeführt wurde, folgende Bestandteile: zwei Ohrmarken, Bestandsregister, Rinderpässe und eine elektronische Datenbank, wobei eine der beiden (sichtbaren) Ohrmarken einen elektronisch lesbaren Transponder enthalten kann. Die zuständige Behörde kann hier Ausnahmen in Bezug auf die Form und die Größe der Ohrmarke genehmigen.

Nach der nationalen Viehverkehrsverordnung können von der zuständigen Behörde für kennzeichnungspflichtiges Vieh, das in Zoos, Wildparks, Zirkussen oder ähnlichen Einrichtungen gehalten wird, Ausnahmen von der Art der Kennzeichnung genehmigt werden, soweit deren jederzeitige Ablesbarkeit gewährleistet ist. Weitere Ausnahmen sind nach derzeitiger Rechtslage nicht möglich.

Zu 3. a):

Bei einem Transponder handelt es sich um ein elektronisches Kennzeichnungsmedium, in der Regel um einen Mikrochip ohne eigene Energiequelle, der die gespeicherte Information (Kenncode) überträgt, wenn das Lesegerät ihn auf einer bestimmten Frequenz aktiviert. Dieser Mikrochip kann in unterschiedlicher Weise in oder am Tier befestigt werden; z. B. in der sichtbaren Ohrmarke als elektronische Ohrmarke, in einem Bolus zur Eingabe in den Netzmagen oder als Injektat, das dem zu kennzeichnenden Tier in der Regel unter die Haut appliziert wird. Die Verwendung einer Transponder-Ohrmarke ist in der Rinderhaltung bereits jetzt möglich.

Zu 3. b):

Mit dem Projekt IDEA (IDendification Electronique des Animaux), das zwischen 1998 und Ende 2001 durch die Gemeinsame Forschungsstelle der EU (GFS) durchgeführt wurde, wurde die elektronische Kennzeichnung von Rindern und Büffeln mithilfe von elektronischen Ohrmarken, Boli und injizierbaren Transpondern geprüft.

Im Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Möglichkeit der Einführung der elektronischen Kennzeichnung von Rindern vom 25.01.2005 steht im Kapitel 2.2.2 zu den Vor- und Nachteilen der injizierbaren Transponder Folgendes: Vorteile:

Der Transponder kann in den ersten Tagen nach der Geburt injiziert werden. Das Projekt IDEA zeigte, dass Verluste in unmittelbarem Zusammenhang mit der Transpondergröße stehen, d. h. je länger der Transponder, desto größer die Verluste bei Jungtieren im ersten Monat nach dem Einsetzen.

Der Transponder kann nur chirurgisch entfernt werden, was sich gemessen am Wert eines Durchschnittstiers nur selten lohnen würde.

Nachteile:

Die Kennung ist nicht von außen sichtbar. Ohne Lesegerät lässt sich nicht feststellen, ob das Tier eine elektronische Kennzeichnung trägt. Die Entnahmerate (bei der Schlachtung) bei Transpondern ist gegenüber anderen Kennungen gering (ca. 80%). Daher besteht ein höheres Risiko, dass Kennungen in die Nahrungskette gelangen. Nur die Hälfte der entnommenen Kennungen ist nach der Entnahme lesbar, was Gegenkontrollen und die Dokumentation erschwert.

Und schließlich setzt die Injektion eines Transponders eine gewisse Sonderausbildung voraus.

Zu 4.: Das seit 1997 bestehende System der Kennzeichnung von Rindern mittels Ohrmarken hat sich bewährt und ist hinreichend fälschungssicher. Betrügerische Manipulationen sind jedoch nicht hundertprozentig auszuschließen.

Nach Gemeinschaftsrecht hat der Lebensmittelunternehmer dafür Sorge zu tragen, dass zur Schlachtung für den Verzehr angenommene Tiere ordnungsgemäß gekennzeichnet sind.

Tiere, deren Identität nicht ordnungsgemäß nachweisbar ist, sind gesondert zu töten und für genussuntauglich zu erklären.

Zu 5.: Weitere Ausnahmen, als die bereits zu Frage 3. genannten, sind nach derzeitiger Rechtslage nicht möglich.

Zu 5. a):

Siehe Antwort zu 3. b)

Unter Abwägung der unter 3. b) genannten Vor- und Nachteile ist nach derzeitigem Stand der Technik eine Verwendung injizierbarer Transponder als Standardkennzeichnung für Rinder nicht angezeigt.

Zu 5. b):

Siehe Antwort zu 5. a).

Im Falle der Anwendung von Injektaten zur Kennzeichnung von Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, muss im Sinne des Verbraucherschutzes sichergestellt sein, dass diese nicht in die Nahrungskette gelangen. Derzeit existieren in den Schlachtbetrieben noch keine automatisierten Verfahren zur Rückholung von Injektaten in Schlachtkörpern, die dies sicherstellen könnten.

Zu 5. c):

Siehe Antwort zu 3. b) und 5. a).

Zu 6.: Die derzeit zugelassenen Alternativen werden für ausreichend erachtet.

Zu 7.: Rinder, die ganzjährig im Freien gehalten werden, unterliegen den gleichen seuchenrechtlichen Anforderungen wie im Stall gehaltene Rinder. Um Probleme im Umgang mit den Tieren zu vermeiden und nicht zuletzt im Sinne des Tier- und des Unfallschutzes muss einer Verwilderung der Tiere entgegengewirkt werden. Dieses Ziel kann insbesondere durch ein entsprechendes Betriebsmanagement erreicht werden.